S 13 KR 211/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 211/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2002 verurteilt, der Klägerin auch über den 10.01.2002 hinaus bis zum 15.06.2002 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Im Streit steht die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 10.01.2002 bis 15.06. 2002.

Die im September 1952 geborene Klägerin ist gelernte Erzieherin und Sozialpädagogin. Im Jahre 1995 wurde eine Umschulung zur Fremdsprachenkorrespondentin abgeschlossen. Abgesehen von einer Nebenbeschäftigung im Umschulungsberuf war sie seit dieser Zeit arbeitslos und bezog Leistungen des Arbeitsamtes.

Am 02.01.2001 erlitt die Klägerin bei einem Sturz eine Fraktur der Kniescheibe des linken Beines. Am 06.07.2001 wurde eine Refraktur im Sinne eines Querbruches diagnostiziert, weshalb am 17.07.2001 eine Zuggurtungsosteosynthese durchgeführt wurde. Ab 16.02.2001 bezog die Klägerin von der Beklagten Krankengeld.

In der Folgezeit erfolgte mehrfach eine Vorstellung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), wo man zunächst von fortbestehender Arbeitsunfähigkeit ausging. Anlässlich einer weiteren Untersuchung am 07.01.2002 gelangte dann Dr. T zu dem Ergebnis, dass ab 10.01.2002 ein positives Leistungsbild für vollschichtig körperlich leichte Tätigkeiten im Sitzen bestehe, wobei ein Arbeitsplatz mit dem PKW oder dem Taxi erreichbar sein sollte.

Mit Bescheid vom 07.01.2002 stellte die Beklagte fest, dass der Anspruch auf Krankengeld mit dem 09.01.2002 ende.

Auf Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK ein, für den nunmehr Dr. N die Ergebnisse der letzten Vorbegutachtung durch Dr. T bestätigte.

Die Klägerin hielt ihren Widerspruch unter Vorlage einer Bescheinigung ihres behandelnden Arztes für Orthopädie Dr. I aus J aufrecht.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2002 zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 26.11.2002 erhobene Klage, mit welcher die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Klägerin behauptet, auch über den 10.01.2002 außerstande gewesen zu sein, eine auch nur körperlich leichte Arbeit vollschichtig zu verrichten. Außerdem sei ihre Gehfähigkeit in dieser Zeit in erheblichem Umfang reduziert gewesen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2002 zu verurteilen, ihr auch über den 10.01.2002 hinaus bis zum 15.06.2002 Krankengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht zunächst Befundberichte des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K aus J und des behandelnden Arztes für Orthopädie Dr. B eingeholt. Beide Ärzte gehen von Arbeitsunfähigkeit der Klägerin für den gesamten Zeitraum vom 10.01.2002 bis 15.06.2002 aus.

Mit Beweisanordnung vom 05.02.2003 ist sodann die Ärztin für Chirurgie, Plastische Chirurgie und Sozialmedizin Frau Dr. E zur Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden.

In ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 13.08.2003 hat Frau Dr. E ausgeführt, dass die dokumentierten Funktionsbeeinträchtigungen des linken Beines der Klägerin ab 10.01.2002 einer vollschichtig körperlich leichten Arbeit weit überwiegend im Sitzen nicht mehr entgegengestanden hätten, wobei jedoch bedacht werden müsse, dass ein solcher Arbeitsplatz behindertengerecht, dass heiße mit einem Rollstuhl oder mit zwei Unterarm-Gehstützen aufsuchbar gewesen sein müsste. Die Gehfähigkeit sei zum damaligen Zeitpunkt erheblich eingeschränkt gewesen. Auch unter Benutzung von Unterarm-Gehstützen sei ihr nur eine Wegstrecke von zirka 200-300 m zumutbar gewesen. Eine Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sei ihr nicht, die Benutzung eines Kraftfahrzeuges nur unter der Voraussetzung möglich gewesen, dass es sich um ein automatikgetriebenes Fahrzeug handelte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die eingeholten Befundberichte, das eingeholte Gutachten sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin scheitert nicht daran, dass sie für den streitbefangenen Zeitraum Leistungen der Beigeladenen bezogen hat, die in ihrer Höhe dem begehrten Krankengeld entsprachen. Das Rechtsschutzbedürfnis folgt aus dem Umstand, dass die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe unter Vorbehalt erfolgt ist.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid vom 24.03.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06. 2003 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat Anspruch auf Krankengeld auch über den 10.01.2002 hinaus bis zum 15.06.2002.

Nach § 44 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht.

Arbeitsunfähig ist auch ein Versicherter, der gesundheitlich nicht in der Lage ist, seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Zur Arbeitsfähigkeit gehört auch das gesundheitliche Vermögen, die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zurückzulegen.

Dieses Vermögen ist bei beschäftigten Versicherten konkret zu ermitteln. Bei versicherten Arbeitslosen kann die Feststellung hingegen nur nach einem generalisierenden Maßstab erfolgen, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt.

Insoweit sind die von der Rechtsprechung zur Erwerbsunfähigkeit beziehungsweise zur vollen Erwerbsminderung entwickelten Grundsätze zur Beurteilung der Wegefähigkeit (z.B. BSG Urt. v. 28.08.2002, B 5 RJ 8/02 R) auch für den Bereich der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung heranzuziehen.

Danach ist anzunehmen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzt und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Ebenso wie die Erwerbsfähigkeit setzt damit auch die Arbeitsfähigkeit von Arbeitslosen die Fähigkeit voraus, viermal täglich Strecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zu bewältigen und zweimal täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Allerdings sind bei der Beurteilung der Mobilität alle dem Versicherten zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Die Klägerin, die nach eigenen Angaben über kein Kraftfahrzeug verfügte, war in der fraglichen Zeit nicht in der Lage, Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu bewältigen. Aufgrund einer Funktionsbeeinträchtigungen des linken Beines war ihre Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt. Auch unter Benutzung von Unterarm-Gehstützen war ihr nur eine Wegstrecke von zirka 200-300 m zumutbar.

Hinsichtlich dieser Feststellungen stützt sich die Kammer auf das Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. E. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten nach Aktenlage sämtliche erreichbaren Vorbefunde ausgewertet und ist zu schlüssigen Ergebnissen gelangt, die im Wesentlichen auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen werden. Darüber hinaus beschreiben sowohl die behandelnden Ärzte wie auch Dr. T und Dr. N vom MDK eine deutliche Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit.

Ob es der Klägerin seinerzeit möglich gewesen ist, Wegstrecken von mehr als 500 m mit dem vorhandenen Rollstuhl zurückzulegen, kann dahinstehen. Die Kammer sieht es in Übereinstimmung mit der medizinischen Sachverständigen für allgemeinkundig an, dass große Teile des öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere der Busverbindungen in die Außenbezirke noch nicht für die Nutzung durch Rollstuhlfahrer geeignet sind.

Dem Anspruch auf Krankengeld steht § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V nicht entgegen, weil die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe durch die Beigeladene lediglich unter Vorbehalt erfolgte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved