L 6 VS 4343/00

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 V 2066/96
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VS 4343/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VS 6/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage des Versorgungsschutzes eines "krank zu Hause" geschriebenen Soldaten auf dem Weg zum Standort, um dort den Wehrsold (in bar) abzuholen
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Reutlingen vom 14. September 2000 sowie der Bescheid des Beklagten vom 15. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 15. Juli 1996 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der am 07. Oktober 1993 erlittenen WDB Beschädigtenversorgung in gesetz-licher Höhe nach dem SVG i. V. m. dem BVG seit 16. Februar 1994 zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines Verkehrsunfalls am 07.10.1993 als Wehrdienstbeschädigung (WDB) nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der am 21.07.1970 geborene Kläger leistete ab 01.04.1993 seinen gesetzlichen Wehrdienst. Seit 01.07.1993 war er der Stabskompanie Radarführungsabteilung 22 in M. zugeteilt. Ab 13.09.1993 wurde der Kläger wegen Drogenabhängigkeit (Heroin) von Truppenarzt Dr. K. KzH (= Krank zu Hause) geschrieben. Der (ledige) Kläger wohnte damals in Me. Er wurde mit Ablauf des 15.02.1994 wegen Dienstunfähigkeit aus der Bundeswehr entlassen.

Am Donnerstag, den 07.10.1993 gegen 14.55 Uhr erlitt der Kläger als Beifahrer des Soldaten M. S. (S.) auf dessen Motorrad in A.-E. einen Verkehrsunfall, als ein PKW ihnen die Vorfahrt nahm und in das Motorrad hineinfuhr. Der Kläger erlitt eine Unterschenkelfraktur sowie Prellungen beider Schultergelenke mit knöchernen Absprengungen und wurde deshalb bis 28.10.1993 im Kreiskrankenhaus A. behandelt (Arztbrief Dr. F., Chefarzt der Chirurgischen Abteilung, vom 29.11.1993). Wegen der Folgen dieses Unfalls war der Kläger weiterhin arbeitsunfähig und musste im Dezember 1994 erneut am Unterschenkel operiert werden. Im Auftrag des Versorgungsamts R. (VA) zahlte die Allgemeine Ortskrankenkasse Rt. (AOK) dem Kläger Versorgungskrankengeld bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 25.09.1995.

Am 04.03.1994 beantragte der Kläger beim VA Beschädigtenversorgung nach dem SVG wegen der Folgen des Verkehrsunfalls und fügte ein Attest des Chirurgen Dr. A., Rt., vom 28.02.1994 bei. Das VA holte Vorerkrankungsverzeichnisse über den Kläger bei der Innungskrankenkasse (IKK) Rt. und bei der AOK ein und zog die WDB-Akte des Wehrbereichsgebührnisamtes (WBGA) V bei. Dort hatte der Kläger am 23.02.1994 Antrag auf Ausgleich gestellt mit der Begründung, den Unfall habe er erlitten, als er auf dem Weg zur Kaserne gewesen sei, um seinen Wehrsold bar abzuholen. Die WDB-Akten des WBGA V enthalten ferner ein Schreiben des Hauptfeldwebels D. vom 29.03.1994 an die WBGA V, wonach der Kläger wegen des Auszahltages für den Wehrsold am 04.10.1993 bei der Rechnungsführerin angerufen habe; Hauptauszahltag sei der 07.10.1993 gewesen. In den G-Karten des Klägers ist von Dr. K. am 13.09.1993 u.a. vermerkt "KzH bis FA-Arzt Neuro/Drogenberatung ...täglich anrufen" und unter dem 01.09.1993 (Datum wohl unzutreffend hinsichtlich des Tages) "Dg: Heroinabhängigkeit Bef: Macht derzeit eigenen Entzug/ ... Th: KzH ab 17/9/93 bis FA-Befund". Beide Eintragungen sind von Dr. K. abgezeichnet. Ferner enthält diese Akte ein Schreiben von Dr. K. an das Bundeswehrkrankenhaus U., Neurologie, vom 14.09.1993 "Bitte um Vergabe entsprechender Fehlerziffer, um gegebenenfalls DU einleiten zu können. Entzugstherapie gegebenenfalls bei Ihnen möglich? Vielen Dank für die prompte Terminvergabe"; auf diesem Schreiben ist ferner der 16.09.1993 als Termin zur Untersuchung in U. vermerkt. Dr. B., Neurologe am Bundeswehrkrankenhaus U., teilte mit Schreiben vom 17.09.1993 dem Truppenarzt in M. (dort eingegangen am 21.09.1993) die Diagnose Heroinabhängigkeit mit. Unter dem 23.09.1993 forderte der Kompaniechef, Hauptmann W., den Truppenarzt auf, den Kläger wegen Dienstunfähigkeit zu begutachten. Dr. K. vermerkte unter dem Datum vom 29.09.1993: Auf Dauer nicht verwendungsfähig. Der Soldat werde ab 13.09.1993 bis zur Entscheidung des DU-Gutachtens krank zu Hause geführt. Unter dem 11.10.1993 erstattete Dr. K. ein truppenärztliches Gutachten wegen Dienstunfähigkeit des Klägers. Oberstarzt Dr. Kl., Divisionsarzt in B./N., beurteilte den Kläger im Gutachten vom 10.11.1993 als dienstunfähig und nicht wehrdienstfähig; auf dem Begleitschreiben an den Truppenarzt in M. ist handschriftlich vermerkt, der Kläger werde am Freitag 19/11. "z.D. durch StKp zwecks Anhörung einbestellt".

Vom Amtsgericht A. zog das VA die Strafakten gegen S. und den PKW-Fahrer bei. Danach hatte der Kläger bei einer polizeilichen Vernehmung am 22.10.1993 u.a. angegeben, er sei auf der Fahrt von Rt. nach M. gewesen. S. gab bei der polizeilichen Vernehmung am 09.11.1993 an, er habe den Kläger nach M. zu dessen Standort fahren wollen. Das VA holte vom Rechnungsführer der Bundeswehr in M. und von Oberstabsfeldwebel O. fernmündliche Auskünfte ein. Danach hatten die Soldaten die Wahl, den Wehrsold auf ein Bankkonto überweisen zu lassen oder persönlich bei der Truppe abzuholen; Hauptzahltag sei jeweils der 7. eines jeden Monats (Telefonvermerk des VA vom 10.05.1994). Am 07.10.1993 sei Wehrsold bis 16.30 Uhr ausgezahlt worden. Der Kläger habe seinen Wehrsold immer persönlich bei der Rechnungsstelle abgeholt, ausgenommen im Dezember 1993, als er ihn auf sein Konto bei der Volksbank Me. habe überweisen lassen. Es sei nicht die Regel, daß die Soldaten den Auszahlungsweg monatlich wechselten, jedoch sei dies nicht unüblich, wenn sie am Hauptauszahlungstag Urlaub und der Rechnungsstelle rechtzeitig ihre Bankverbindung mitgeteilt hätten (Vermerk des VA vom 08.11.1994).

Da der Kläger weitere schriftliche Fragen des VA nicht beantwortete, lehnte dieses mit Bescheid vom 09.01.1995 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG wegen unzureichender Mitwirkung des Klägers ab. Daraufhin machte der Kläger mit Schreiben vom 16.01.1995 auf einem Formular der Wehrbereichsverwaltung (WBV) Angaben zu dem Unfall und übersandte es an das VA, das dies als Widerspruch werte-te. Das VA zog weitere ärztliche Unterlagen bei und wies mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.1995 den Widerspruch zurück, weil der Kläger ihn nicht begründet habe und seinen Mitwirkungspflichten weiterhin nicht nachgekommen sei.

Am 09.11.1995 beantragte der Kläger erneut Beschädigtenversorgung wegen der Folgen seines Unfalls vom 07.10.1993. Zur Begründung gab er an, er sei am Unfalltag mit dem Zug nach Rt. gefahren, wo er den (in Me.) nicht ortskundigen S. bei einer gemeinsamen Freundin getroffen habe. Sie seien um 13.00 Uhr in Rt. abgefahren und über verkehrsberuhigte Landstraßen direkt nach A. gefahren, ohne die Fahrt zu unterbrechen. Er habe zwar ein Bankkonto gehabt, aber während seiner Grundausbildung in der Nähe von K. und auch in M. seine Bank während der üblichen Geschäftszeiten kaum aufsuchen können, auch keine Bankcard gehabt und deshalb, wie viele seiner Kameraden, den Wehrsold bar abgeholt. Mit Bescheid vom 15.03.1996 lehnte das VA den Antrag auf Beschädigtenrente erneut ab. Der Kläger habe sich nicht auf einen Weg zum Dienst im Sinne von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 SVG befunden. Er habe die Kaserne nicht aufsuchen wollen, um dort Dienst zu verrichten, denn er sei seit 13.09.1993 wegen Drogenabhängigkeit krank zu Hause gewesen. Deshalb hätte er Gelegenheit gehabt, seine Bank am Wohnort zum Abheben des Wehrsoldes aufzusuchen, zumal er sich auch im Dezember 1993 den Wehrsold auf das Bankkonto habe überweisen lassen. Der Weg zum Abholen der Dienstbezüge sei unter Berücksichtigung von § 81 Abs. 4 Nr. 3 SVG nur dann geschützt, wenn der Soldat in unmittelbarer Nähe des Wohn- oder Dienstortes ein Geld-institut aufsuche. Dies spreche dafür, dass ein vermeidbares und vernunftwidriges Wege-risiko zum Abholen des Wehrsoldes nicht abgedeckt sei. Es stehe in keinem Verhältnis, wegen des Wehrsoldes jeden Monat von Me. nach M. (ca. 140 km Hin- und Rückweg) zu fahren, wenn das Geld von einem Bankkonto bei einer Bank am Wohnort in Me. abgeholt werden könne. Der Kläger sei einem selbstgeschaffenen Gefahrenbereich erlegen.

Hiergegen legte der Kläger am 22.04.1996 Widerspruch ein mit der Begründung, er habe so kurzfristig den Auszahlungsweg von Barzahlung auf Überweisung auf sein Girokonto nicht mehr ändern können, erst nach seinem Krankenhausaufenthalt. Außer-dem habe er sich wöchentlich in der Kompanie und beim Stabsarzt melden müssen, was er am Unfalltag mit Stabsarzt Dr. K. telefonisch vereinbart gehabt habe. Er fügte eine Bescheinigung von M. M. vom 29.03.1996 bei, wonach er am 07.10.1993 in ihrer Wohnung seinen Dienstausweis abgeholt habe, den er einige Tage zuvor dort vergessen habe. Diesen habe er benötigt, um in die Kaserne zu kommen. Der Beklagte holte die Auskunft von Oberstabsarzt Dr. K. vom 09.05.1996 ein, der mitteilte, er könne sich nicht mehr im einzelnen an seine Aussagen gegenüber dem Kläger erinnern. Im allgemeinen verfahre er so, dass der Patient sich nach Einleitung eines Dienstunfähigkeitsverfahrens ca. einmal wöchentlich telefonisch melden solle, um gegebenenfalls einbestellt werden zu können. Er könne sich nicht mehr erinnern, den Kläger am 07.10.1993 einbestellt zu haben, vermerke aber die Wiederbestelltermine normalerweise auch in der G-Akte. Er meine, dass der Kläger nach dem Unfall zu ihm gekommen sei, ohne vorherigen Einbestelltermin, und erzählt habe, er habe den Unfall erlitten, weil er auf dem Weg gewesen sei, seinen Wehrsold abzuholen. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.07.1996). In den Gründen führte er aus, der Kläger habe den Unfall nicht auf einem mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weg erlitten. Das Abholen des Wehr-soldes sei kein Dienst. Da der Kläger die Wahl gehabt habe, sich den Wehrsold auf ein Girokonto überweisen zu lassen, sei das persönliche Abholen in der Kaserne seiner privaten Sphäre zuzuordnen.

Dagegen erhob der Kläger am 27.09.1996 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und trug vor, er habe den Widerspruchsbescheid am 30.08.1996 erhalten. Zur Sache brachte er vor, das Abholen des Wehrsoldes in der Kaserne sei wehrdiensteigentümlich. Mit Gerichtsbescheid vom 14.09.2000 wies das SG die Klage ab. In den Entschei-dungsgründen nahm es auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides Bezug. Die an den Kläger gerichtete Einschreibsendung mit dem Gerichtsbescheid kam von der Post mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" an das SG zurück. Daraufhin übersandte das SG den Gerichtsbescheid mit einfachem Brief am 28.09.2000 erneut an den Kläger.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.11.2000 Berufung beim Landes-sozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat er vorgebracht, er habe den Gerichtsbescheid Anfang Oktober erhalten; vorher habe er keinen Benachrichtigungszettel der Post über den Versuch des SG, ihm den Gerichtsbescheid durch Einschreiben zu übersenden, erhalten. Es sei bisher nicht geprüft worden, dass ihm zu Beginn der Krankschreibung zu Hause auferlegt worden sei, sich wöchentlich nicht nur beim Trup-penarzt, sondern auch bei der Kompanie zu melden. Er habe sich zuletzt drei Wochen vor dem Unfall in der Kaserne gemeldet gehabt, weil er die Weisung gehabt habe, sich wegen der relativ weiten Entfernung seines Wohnorts nur alle zwei Wochen persönlich zu melden und ansonsten anzurufen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. September 2000 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 15. Juli 1996 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der WDB vom 07. Oktober 1993 Versorgung nach dem SVG i.V.m. dem BVG seit 16. Februar 1994 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und seine Bescheide für zutreffend. Der Kläger habe bei der Unfallfahrt nicht unter Versorgungsschutz gestanden. Aufgrund der Beweisaufnahme sei nicht erwiesen, dass er an diesem Tag aufgrund entsprechender Anweisungen oder Vereinbarungen den Truppenarzt und/oder die Kompanie habe aufsu-chen müssen bzw. wollen. Das Abholen des Wehrsoldes in bar sei angesichts der lan-gen Fahrstrecke zwischen seinem Wohnort Me. und der Kaserne in M. unvernünftig. Da er ohnehin krank zu Hause gewesen sei, hätte er auch sein Bankinsti-tut in Me. aufsuchen können. Der Beklagte ist dem Hinweis des Senats, das Abholen des Wehrsoldes in der Kaserne könne gemäß § 81 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 SVG geschützt sein, weil in der gesetzlichen Unfallversicherung der Weg zum Lohnbüro des Arbeitgebers mit der Tätigkeit im Unternehmen grundsätzlich in unmittel-barem Zusammenhang (§ 539 Abs. 1 Nr. 1, § 548 Abs. 1 S. 1 und § 550 RVO) stehe, entgegengetreten. Auch unter Berücksichtigung dieser allgemeinen unfallversiche-rungsrechtlichen Grundsätze sei angesichts der langen Fahrstrecke von der Wohnung des Klägers in Me. zur Kaserne in M. der Weg zur Barauszahlung des Wehrsoldes als private Verrichtung zu werten. Im Übrigen habe der Kläger seinen Wehrsold nur abholen wollen; ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf (wie er dem vom BSG entschiedenen Fall in BSGE 13,178 zugrunde gelegen habe), der das Aufsuchen des Rechnungsführers in der Kaserne erfordert hätte, habe nicht bestanden.

Der Senat hat Auskünfte der Einheit des Klägers in M. vom 21.02. und 16.05.2001 eingeholt. Danach bestand keine allgemeine Regelung, daß KzH-Soldaten sich persönlich in der Kaserne melden mussten. Gegebenenfalls habe es sich um die Anordnung einer telefonischen Meldung gehandelt, was im Fall des Klägers der Fall gewesen sein könne. Unterlagen, in denen derartige Meldungen vermerkt wären (Melde-bücher des UvD), seien für 1993 nicht mehr vorhanden, weil sie nur fünf Jahre lang aufbewahrt werden müssten. Zuständiger UvD des Klägers sei damals Hauptfeldwebel D. gewesen. Letzterer hat dem Senat die schriftliche Auskunft vom 17.06.2001 erteilt, er könne sich an den Kläger nicht erinnern. In vergleichbaren Fällen habe er ein persönliches Erscheinen des Soldaten nicht angeordnet.

Vom Kreiswehrersatzamt U. ist die Personalakte des Klägers beigezogen worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einver-standen erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die SVG-Akten des Beklagten, die WDB-Akten des WBGA V, die Personalakten des Kreiswehrersatzamts U., die Akten des SG und des erkennenden Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht verspätet eingelegt worden. Nach § 151 Abs. 1 SGG i.V.m. § 105 Abs. 3 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim LSG bzw. gemäß § 151 Abs. 2 SGG beim SG einzulegen. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist jedoch nicht zugestellt, sondern dem Kläger mit einfachem Brief übersandt worden, weshalb die vorgenannte Berufungsfrist nicht in Lauf gesetzt wurde (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Die Berufung ist auch sonst zulässig. Berufungsausschließungsgründe stehen nicht entgegen (§ 144 SGG).

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abge-wiesen, weil die angefochtenen Bescheide des Beklagten den Kläger in seinen Rechten verletzen. Der Unfall vom 07.10.1993 hat sich auf einem versorgungsrechtlich geschütz-ten Weg ereignet und der Kläger hat deshalb eine WDB erlitten.

Gemäß § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. WDB ist gemäß § 81 Abs. 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrich-tung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Als Wehr-dienst in diesem Sinne gilt auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammen-hängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SVG). Hat der Soldat wegen seiner Kasernierungspflicht eine Unterkunft am Dienstort, gilt diese Bestimmung auch für den Weg von und nach der Familienwohnung (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SVG). Der Kläger hat den Unfall am 07.10.1993 auf einem solchen versorgungsrechtlich geschützten Weg erlitten.

Der Kläger befand sich zum Unfallzeitpunkt auf einem grundsätzlich geschützten Weg von seiner Familienwohnung in Me. zum Dienstort in Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 3 SVG in M ... Da der Kläger seit 13.09.1993 KzH geschrieben war, durfte er sich zu Hause aufhalten. Unschädlich ist, dass er den Weg nach M. am Unfalltag von Rt. aus angetreten hat, weil er seinen dort bei einer Freundin zuvor vergessenen Dienstausweis abgeholt hat, den er für das Betreten der Kaserne in M. benötigte. Im Zeitpunkt des Unfalls befand sich der Kläger in A. auch auf der Wegstrecke, die er üblicherweise für die Fahrt von Me. nach M. benutzte, weil sie ihm verkehrssicherer erschien. Es handelte sich auch um einen mit dem Wehrdienst des Klägers zusammenhängenden Weg zur Dienststelle im Sinne von § 81 Abs. 4 Nr. 2 SVG.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens kann der Senat allerdings nicht feststellen, dass der Kläger am Unfalltag nach M. gefahren ist, um sich bei seinen Dienstvorgesetzten, sei es in der Kompanie oder beim Truppenarzt, zu melden bzw. dass er sich dort melden musste. Denn die Ermittlungen haben die Behauptung des Klägers, er habe sich seit der KzH-Anordnung (am 13.09.1993) alle ein oder zwei Wochen bei der Kompanie bzw. beim Truppenarzt melden müssen und auch am 07.10.1993 vor Antritt der Fahrt einen Termin an diesem Tag mit dem Truppenarzt vereinbart gehabt, nicht bestätigt. Der Kompaniechef in M. hat dem Senat die Auskünfte erteilt, das die Dienstbücher (Meldebücher) über eventuelle Vorsprachen des Klägers bzw. Anordnungen hierzu im Jahre 1993 nach Ablauf der fünfjährigen Aufbewahrunsfrist bereits vernichtet seien. Eine generelle Regelung, dass KzH-Soldaten sich innerhalb festgelegter Fristen melden mussten, hat es nicht gegeben. Im Falle des Klägers könnte es sich allenfalls um eine Pflicht zur telefonischen Meldung gehandelt haben. Auch der damals für den Kläger zuständige Unteroffizier vom Dienst D. hat dem Senat am 17.06.2001 mit-geteilt, er könne sich an den Kläger nicht erinnern und habe in vergleichbaren Fällen das persönliche Erscheinen des Soldaten nicht angeordnet. Der Kläger hat diese Behaup-tungen auch erstmals in seinem Widerspruchsschreiben vom 29.03.1996 aufgestellt. Dagegen hatte er in seinen dem Unfallzeitpunkt näheren und deshalb glaubwürdigeren Angaben am 15.02.1994 gegenüber dem Truppenarzt Dr. B. nur behauptet, er habe den Unfall auf dem Weg zur Kaserne, um seinen Wehrsold bar abzuheben, erlitten. Deshalb hatte das WBGA V in seinem Auskunftsersuchen vom 16.03.1994 an den Ein-heitsführer (Kompaniechef) in M. lediglich nach dem Termin der Wehrsoldaus-zahlung im Oktober 1993 und nach den dem Kläger hierzu gegebenen Informationen gefragt. Hauptfeldwebel D. hatte auf diese Anfrage am 29.03.1994 geantwortet, der Kläger habe sich am 04.10.1993 bei der Rechnungsführerin darüber informiert, daß der Hauptzahltag in der Kaserne am 07.10.1993 sei.

Die Behauptung des Klägers, sich am Unfalltag beim Truppenarzt vorstellen zu wollen bzw. zu müssen, ist weder durch den im Herbst 1993 zuständigen Truppenarzt, Ober-stabsarzt Dr. K., noch durch Eintragungen in der sog. G-Karte bzw. in den weiteren truppenärztlichen Unterlagen bestätigt. Dr. K., der nicht mehr in M. tätig ist, hat aus seiner Erinnerung dem VA die Auskunft vom 09.05.1996 erteilt, dass er sich an den Kläger nicht konkret erinnern könne. Jedoch habe er Wiederbestelltermine nor-malerweise in der GK-Karte des Soldaten vermerkt. Er konnte sich lediglich daran erinnen, dass der Kläger - zu einem nicht bezeichneten Zeitpunkt - nach dem Unfall zu ihm gekommen sei und erzählt habe, er sei auf dem Weg zum Abholen des Wehrsol-des gewesen, als er den Unfall erlitt. Nach den von Dr. K. mit Handzeichen abge-zeichneten Eintragungen in der G-Karte des Klägers ist unter dem 13.09.1993 als Diagnose vermerkt, der Kläger sei drogenabhängig (Heroin) und als Therapie die KzH-Schreibung bis zum Ergebnis der Untersuchung durch einen Facharzt für Neurolo-gie/Drogenberatung mit dem Zusatz "täglich anrufen". Aus dem Schreiben von Dr. K. vom 14.09.1993 an das Bundeswehrkrankenhaus U., FU-Stelle Neurologie, ergibt sich, dass er dort für den Kläger einen Untersuchungstermin am 16.09.1993 ver-einbart hatte. Eine weitere von Dr. K. abgezeichnete Eintragung in einem neuen Blatt der G-Karte unter dem Datum "1. Sep. 1993" enthält als Diagnose Heroinabhängigkeit und als Therapie KzH ab 17.09.1993 bis Facharzt-Befund. Dass der mit der Zahl "1." angegebene Tag dieser Eintragung unrichtig sein muss, ergibt sich aus dem Inhalt der Eintragung, dass die KzH-Schreibung ab 17.09.1993 gelte, weshalb (beim Vergleich mit der unter dem Datum des 13.09.1993 erfolgten Eintragung) die auf KzH ab 17.09.1993 bezugnehmende Eintragung am 17.09.1993 erfolgt sein muss, Der von Dr. K. erwar-tete Facharztbefund ging am 21.09.1993 beim Truppenarzt in M. ein (Arztbrief von Dr. B., Bundeswehrkrankenhaus U., vom 17.09.1993). Daraufhin veranlasste der seinerzeitige Kompaniechef W. unter dem 23.09.1993 eine truppenärztliche Begutachtung wegen Dienstunfähigkeit des Klägers. Die entsprechende Beurteilung gab Dr. K. am 29.09.1993 ab und beurteilte den Kläger als auf Dauer nicht verwen-dungsfähig, weshalb er bis zur Entscheidung des DU-Gutachtens bzw. der daraus even-tuell resultierenden vorzeitigen Entlassung als krank zu Hause geführt werden solle. Ob Dr. K. den Kläger vor Abgabe der Beurteilung vom 29.09.1993 erneut untersucht hatte, ergibt sich aus dieser Stellungnahme ebensowenig wie aus den Eintragungen in der sogenannten G-Karte, die im Anschluß an die Eintragungen vom 13. und 01. (wohl 17.09.1993) für September 1993 keine weitere Eintragung enthalten; der Kläger hat auch angegeben, dass, ausgehend vom 07.10.1993, sein letzter Besuch in der Kaserne schon drei Wochen zurückgelegen habe, was ebenfalls gegen eine Untersuchung durch Dr. K. am 29.09.1993 spricht. Dr. K. hatte unter dem 13.09.1993 zwar angeord-net, dass der Kläger täglich anrufen müsse. Dies bezog sich ersichtlich auf die zuvor eingetragene KzH-Schreibung bis zum Ergebnis der vorgesehenen neurologischen Unter-suchung des Klägers, das dem Truppenarzt am 21.09.1993 vorlag. Außerdem ergibt sich hieraus keine persönliche Meldepflicht des Klägers. Dr. K. hat auch in seiner Auskunft vom 09.05.1996 darauf hingewiesen, eine angeordnete und in der Regel nur telefonische Meldepflicht habe den Zweck gehabt, den Soldaten gegebenenfalls einbestel-len zu können. Eine Einbestellung des Klägers durch Dr. K. für den 07.10.1993 bzw. ein Telefonat des Klägers mit Dr. K. an diesem Tag ist jedoch nicht bewiesen, zumal der Kläger einen derartigen Anlass für seine Fahrt nach M. weder in sei-nen zeitnäheren Angaben vom 15.02.1994 noch, nach der Auskunft des Dr. K. vom 09.05.1996, anlässlich seiner Vorsprache bei ;ihm nach dem Unfall behauptet hatte.

Der Senat bejaht den Versorgungsschutz des Klägers aber deshalb, weil der notwendige Weg zum Abholen des Soldes mit dem Wehrdienst im Sinne von § 81 Abs. 4 Nr. 2 SVG zusammenhängt. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein versorgungsrechtlich geschützter Weg vorliegt, sind die im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ent-wickelten Grundsätze heranzuziehen (vgl. BSG SozR 3-3200 § 81 SVG Nr. 7 m.w.N.). Nach den zur Zeit des streitigen Unfalls geltenden Vorschriften der § 539 Abs. 1 Nr. 1, § 548 Abs. 1 Satz 1 und § 550 Abs. 1 RVO gehörte der regelmäßige Lohn-empfang unmittelbar zu der versicherten Tätigkeit der aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Stand 1996, § 548 RVO, Anm. 30, S. 216/2). Damit stand auch der Weg von der Wohnung zum Lohnbüro unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und zwar allgemein und nicht, wie der Beklagte meint, nur bei besonderem Informationsbedarf des Versicherten bezüglich seines Lohnes (vgl. BSGE 13, 178/179 und BSGE 41, 207, 208, 209). Unter entsprechender Anwendung dieses Rechtsgedankens auf die Soldatenversorgung beurteilt der Senat deshalb das Abholen des Wehrsoldes als Wehrdienst. Dem steht nicht entge-gen, daß der Kläger bei einem Bankinstitut an seinem Wohnort Me. ein Konto hatte, auf das er sich den Wehrsold, zumindest seit der KzH-Schreibung, hätte überwei-sen lassen können, um den ca. 70 bis 80 km (einfach) langen Weg von Rt. nach M. zu vermeiden. Denn der Kläger hatte nach Auskunft des Rechnungs-führers seiner Einheit in M. (Telefonvermerke vom 10.05. und 08.11.1994) bezüglich der Auszahlung des Wehrsoldes ein Wahlrecht, ob er diesen auf ein Bankkon-to überweisen ließ oder ihn bei der Truppe persönlich abholte. Der Kläger hatte dieses Wahlrecht, das erst einige Jahre nach dem hier streitigen Unfall abgeschafft wurde, bis zu dem Unfall immer dahin ausgeübt, dass er den Wehrsold persönlich in der Kaserne abholte. Diese Angabe des Klägers trifft zu, denn sie ist nach den genannten Telefon-vermerken von seinem Rechnungsführer und am 08.11.1994 auch von Oberstabsfeldwe-bel O. gegenüber dem VA bestätigt worden. Der Kläger hat hiervon nur einmal eine Ausnahme gemacht, nämlich im Dezember 1993, also nach dem Unfall. Dieses Wahl-recht des Klägers war auch nicht entfallen, seitdem er KzH geschrieben war, um das Wegeunfallrisiko des Beklagten im Rahmen des Versorgungsschutzes zu vermindern. Dass die Länge des - unmittelbaren - Weges von der Wohnung zum Dienstort nicht ent-scheidend ist, ergibt sich schon daraus, dass § 81 Abs. 4 Nr. 2 SVG für die Gewäh-rung des Versorgungsschutzes nicht auf die Länge dieses Weges abstellt. Diese ist - auch in der gesetzlichen Unfallversicherung - allerdings dann von Bedeutung, wenn der Unfall sich auf einem Ab- oder Umweg ereignet oder wenn der zum Unfall füh-rende Weg von einem sogenannten dritten Ort aus angetreten wird; keiner dieser Fälle liegt hier vor. Auch ist es für den Senat nachvollziehbar, wenn der Kläger behauptet (Widerspruchsschreiben vom 29.03.1996), der Zeitraum zwischen der KzH-Schreibung und dem Unfall sei zu kurz gewesen, um eine Änderung des Auszahlungsweges, die nach der Auskunft von Oberstabsfeldwebel O. beim Vorliegen entsprechender Gründe auch für nur einen Monat in Betracht kam, noch rechtzeitig zu veranlassen. Hinzu kommt, dass der Kläger erst ab Bekanntwerden der Untersuchungsbefunde des Bundes-wehrkrankenhauses U., also frühestens ab 21.09.1993, mit einer längerdauernden KzH-Schreibung rechnen musste, die eine Änderung des Auszahlungsweges seines Wehrsoldes für ihn nahegelegt hätte. Dass eine Änderung des Auszahlungsweges, die aufgrund eines Antrags vom 21.09. erfolgen sollte, von einer Gehaltszahlungsstelle des öffentlichen Dienstes nicht bis 07.10. ausgeführt wird, dürfte auch allgemein bekannt sein. Denn der Beklagte selbst berücksichtigt bei seinen Bediensteten Änderungen der Lohn- und Gehaltszahlung nur dann, wenn sie ihm in den ersten Werktagen des Vormonats be-kannt sind.

Die Verletzungen des Klägers durch den Unfall vom 07.10.1993 und ihre Folgen sind deshalb vom Beklagten seit dem Ausscheiden des Klägers aus der Bundeswehr als WDB-Folgen zu entschädigen. Dass ein entsprechender Anspruch des Klägers dem Grunde nach besteht, ergibt sich schon aus der langen Arbeitsunfähigkeit bis 24.09.1995, weshalb der Senat sich auf den Erlass eines Grundurteils beschränken kann, ohne jetzt schon die dem Kläger zustehenden einzelnen Leistungen zu präzisieren.

Der angefochtene Gerichtsbescheid und die Bescheide des Beklagten mußten deshalb aufgehoben werden. Der Kläger hat wegen der vom Beklagten noch im einzelnen fest-zustellenden WDB-Folgen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem SVG i. V. m. dem BVG gegen den Beklagten im Anschluss an seine Entlassung aus der Bundeswehr mit Ablauf des 15.02.1994.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung (Zurechnung der Auszahlung des Wehrsoldes zum Wehrdienst im Sinne von § 81 Abs. 4 Nr. 2 SVG, zu der eine höchstrichterliche Entscheidung bisher nicht vorliegt) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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