S 13 EG 11/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 EG 11/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über monatliches Erziehungsgeld von 307,- EUR für den ersten bis sechsten Lebensmonat des am 21.07.2003 geborenen Kindes U. Der Kläger ist angestellter Bauleiter eines L Bauunternehmens; er war und ist vollzeitbeschäftigt (Regelarbeitszeit: 37,5 Wochenstunden); 2002 betrug sein Jahresbruttoeinkommen 37.024,00 EUR. Seine Ehefrau – und Prozessbevollmächtigte – ist selbständige Rechtsanwältin; im Jahre 2002 betrugen ihre Einkünfte aus selbständiger Arbeit (Gewinn) 20.143,00 EUR. Am 21.07.2003 wurde das gemeinsame Kind U geboren.

Am 12.01.2004 beantragte der Kläger Erziehungsgeld ( Regelbetrag) für die ersten sechs Lebensmonate von U.

Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 28.01.2004 ab mit der Begründung, die Voraussetzung für den Erziehungsgeldanspruch, dass keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt werde, sei nicht erfüllt, weil der Kläger mehr als 30 Stunden wöchentlich arbeite.

Dagegen legte der Kläger am 00.00.0000 Widerspruch ein. Er trug vor, aufgrund der finanziellen Verhältnissen seien er und seine Frau darauf angewiesen, beide weiter einer Berufstätigkeit nachzugehen. Er vertrat die Auffassung, es liege ein Fall besonderer Härte vor, da ihre wirtschaftliche Existenz erheblich gefährdet sei, wenn er keine volle Erwerbstätigkeit ausübe. Er gab sein eigenes monatliches Nettoeinkommen und das seiner Ehefrau mit insgesamt 2839,83 EUR an sowie monatliche Ausgaben in Höhe von 2462,16 EUR; bei den Ausgaben waren u.a. neben Versicherungsbeiträgen auch Aufwendungen für einen Baukredit in Höhe von 944,41 EUR, Benzinkosten in Höhe von 450,00 EUR, Kosten für die Rückzahlung eines Bafög-Darlehns von 102,26 EUR, Kosten für Miete einer Wohnung, eines Parkplatzes und einer Garage in Höhe von 242,79 EUR sowie Kosten für Heizung, Strom, Müll, Wasser und Gas – jeweils monatlich – enthalten.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 29.06.2004 als unbegründet zurück. Er vertrat die Auffassung, dass die Voraussetzung einer erheblich gefährdeten wirtschaftlichen Existenz nicht erfüllt sei. Diese könne angenommen werden, wenn ohne die Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Stunden die Nähe zur Sozialhilfeabhängigkeit erreicht würde. Erhielte die Familie Sozialhilfe, so würde der Regelsatz 532,80 EUR betragen. Demgegenüber würden der Kläger und seine Ehefrau bei einer 30-Stunden-Woche Nettoeinkünfte von 2302,66 EUR (einschließlich Kindergeld von 154,- EUR) erzielen; unter Berücksichtigung abzugsfähiger Aufwendungen (Kosten für Strom und Heizung, Miete, Versicherungsprämien) in Höhe von 681,47 EUR verbliebe noch ein Betrag von 1621,19 EUR, mit dem eine Nähe zur Sozialhilfebedürftigkeit nicht erreicht würde.

Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, der Beklagte gehe bei der Einkommensberechnung von falschen Zahlen aus. Er beziffert sein Einkommen (bei 30 Stunden pro Woche) und das seiner Ehefrau (bei einer Vollzeittätigkeit) auf 2840,- EUR (einschließlich 154,- EUR Kindergeld). Hiervon seien folgende Ausgaben abzuziehen:

Kredit für das Haus (statt Miete) 944,00 EUR
Nebenkosten 169,00 EUR
Fahrtkosten 450,00 EUR
Nebenkosten Kfz 100,00 EUR
Fahrtkosten + NK Kfz Unterzeichnerin 100,00 EUR
Bafög 200,00 EUR
Existenzgründungsdarlehen 150,00
EUR 2113,00 EUR

Somit verblieben 727,00 EUR. Der Sozialhilferegelsatz für einen Haushaltsvorstand, seine Ehefrau und ein Kleinkind betrage 681,00 EUR; zuzüglich des Kindergeldes von 154,00 EUR ergebe sich ein Betrag von 835,00 EUR. Dies zeige, dass bei einer Verringerung der Stundenzahl von 37,5 auf 30 Stunden die ihm und seiner Ehefrau verbleibenden Einkünfte unter dem Betrag der Sozialhilfe für eine dreiköpfige Familie lägen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28.01.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2004 zu ver- urteilen, ihm für die ersten sechs Lebensmonate des am 21.07.2003 geborenen Kindes U Erziehungsgeld von monatlich 307,00 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat darauf hingewiesen, dass bei der fiktiven Berechnung im Widerspruchsbescheid auch das Einkommen der Ehefrau auf eine 30-Stunden-Woche umgerechnet worden sei; korrekt wäre gewesen, nur das Nettoeinkommen des Klägers selbst auf eine 30-Stunden-Woche umzurechnen. Bei korrekter Berechnung hätte sich allerdings ein noch höheres Nettoeinkommen und damit keine Änderung zugunsten des Klägers ergeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für die ersten sechs Lebensmonate seines am 21.07.2003 geborenen Sohnes U, da er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Erziehungsgeld nur, wer keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Ein Antragsteller übt keine volle Erwerbstätigkeit aus, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden nicht übersteigt (§ 2 BErzGG). Der Kläger ist aber vollzeitbeschäftigt; seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrug und beträgt 37,5 Stunden.

Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch kein Fall besonderer Härte vor, der es gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 BErzGG ermöglicht hätte, vom Erfordernis der Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 abzusehen. Allein in Betracht kommt die Härtealternative "bei erheblich gefährderter wirtschaftlicher Existenz". Diese kann jedoch bei den Einkommensverhältnissen des Klägers und seiner Ehefrau nicht bejaht werden.

Durch entsprechende Einkommensteuerbescheide belegt sind die Einkünfte für das Jahr 2002. Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren angegeben, dass die Einkünfte im Jahre 2003 – dem Geburtsjahr von U – sich kaum von denen des Jahres 2002 unterschieden haben, eher leicht steigend waren. Zur Beantwortung der Frage, ob bei einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers auf 30 Stunden eine erhebliche Existenzgefährdung zu befürchten war, ist es nach Auffassung der Kammer daher sachgerecht und angemessen, die Einkommensverhältnisse im Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes, also im Jahre 2002 zugrunde zu legen (vgl. insofern auch § 6 Abs. 2 Satz 1 BerGG). Als Einkommen gilt die nicht um Verluste in einzelnen Einkommensarten zu vermindernde Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes abzüglich 27% (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BErzGG in der hier maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung). Einkommen ist hiernach bei nichtselbständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten, bei selbständiger Arbeit der Gewinn; der Pauschalabzug von 27% ersetzt den Abzug der tatsächlich zu entrichtenden Einkommen- und Kirchensteuer sowie der steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung beim Erziehungsgeld mithilfe der Abzugspauschale: BSG-Urteil vom 20.11.1996 – 14 REg 6/96 = SozR 3-7833 § 6 Nr. 13). Um zu ermitteln, welche wirtschaftlichen Folgen eine Reduzierung der Wochen-Arbeitszeit des Klägers (als Erziehungsgeldantragsteller) auf 30 Stunden hätte, ist sein nach § 6 Abs. 1 BErzGG ermitteltes Einkommen einer 37,5-Stunden-Woche auf eine 30-Stunden-Woche umzurechnen.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der erheblich gefährdeten wirtschaftlichen Existenz in § 1 Abs. 5 Satz 1 BErzGG ist nicht näher definiert. Die Kammer hält es für sachgerecht, eine erhebliche wirtschaftliche Existenzgefährdung dann zu bejahen, wenn die Einkommensverhältnisse bei einer 30-Stunden-Wochen-Beschäftigung die Nähe zur Sozialhilfebedürftigkeit erreicht. Sozialhilfe setzt sich im Wesentlichen aus dem Regelsatz für die jeweiligen Haushaltsangehörigen sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen. Nur diese Kosten sind deshalb von dem fiktiv ermittelten Einkommen abzuziehen; das verbleibende Einkommen ist dem Regelbedarf der Haushaltsangehörigen (ohne Kosten für Unterkunft und Heizung) gegenüberzustellen (das gleiche Ergebnis stellt sich ein, wenn die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht vom Einkommen abgezogen werden und dafür dem Sozialhilferegelbedarf hinzuaddiert werden). Das Kindergeld von 154,00 EUR kann außer Acht bleiben; denn würde es dem Einkommen hinzugerechnet, müsste es bei der Sozialhilfebedarfsberechnung wiederum in Abzug gebracht werden. Soweit der Beklagte die "Nähe" zur Sozialhilfebedürftigkeit ermittelt hat, indem er den Sozialhilfebedarf um 20% erhöht hat, hält die Kammer dies für sachgerecht und angemessen.

Nach alledem ergibt die Gegenüberstellung des Einkommens des Klägers und seiner Ehefrau im Jahre 2002 und die "Nähe" zur Sozialhilfebedürftigkeit folgendes Bild:

Kläger Ehefrau

Brutto-Jahreseinkünfte 37.024,00 abzgl. Werbungskosten (Entfernungspauschale - 7.332,00

positive Einkünfte 29.692,00 Gewinn 20.143,00 abzl. 27% - 8.016,84 abzgl. 27% - 5.438,61 21.675,16 14.704,39: 37,5 x 30 17.340,13

abzgl. Wohnung (12 x 472,20) 5.666,40 - 5.666,40 abzgl. Heizung (12 x 75,-) - 900,00 - 900,00

10.773,73 8.137,99

Einkommen pro Jahr pro Monat Kläger 10.773,73 Ehefrau 8.137,99 Gesamt 18.947,72: 12 = 1578,98

Regelsatz (monatlich) Kläger 296,00 Ehefrau 237,00 Kind 148,00 Gesamt 681,00

zzgl. 20% ("Nähe") 136,20 817,20 - 817,20

Differenz 761,78

Bei der Ermittlung des verbleibenden Einkommens bei einer 30-Stunden-Woche des Klägers hat die Kammer zu seinen Gunsten die geltend gemachten Kosten für die Abzahlung des Hauskredits in vollem Umfang angesetzt, darüber hinaus einen Pauschalbetrag für Heizkosten von 75,00 EUR pro Person und Monat. Auch bei Berücksichtigung dieser Abzugsbeträge verbleibt ein Monatseinkommen, welches die Nähe zur Sozialhilfebedürftigkeit um 761,78 EUR übersteigt. Daraus ergibt sich, dass bei einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit des Klägers keine erhebliche wirtschaftliche Existenzgefährdung eingetreten wäre, mithin kein Fall besonderer Härte im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 1 BErzGG vorgelegen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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