L 2 RA 256/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 8 RA 8/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 RA 256/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. August 2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung weiterer Beitragszeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Der am ... 1941 geborene Kläger erlernte von September 1956 bis August 1958 im ca. 16 ha umfassenden landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern den Beruf des Landwirts und arbeitete danach vom 01. September 1958 bis März 1960 in diesem Betrieb weiter.

In seinem Kontenklärungsantrag vom 16. November 1999 gab er zu diesen beiden Beschäftigungen an: "ohne Beiträge zur RV". Er habe in dieser Zeit in wesentlichem Umfang Sachbezüge in Form von Kost, Logie und Deputat erhalten. Im Bescheid zum Versicherungsverlauf vom 10. Januar 2001 waren diese Zeiten von der Beklagten nicht als Zeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt, da nach deren Auffassung während der Tätigkeit im elterlichen Betrieb kein die Versicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, nach einer Telefonauskunft seitens der Beklagten sei eine Tätigkeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb ab 15 ha Betriebsgröße beitragspflichtig gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die fraglichen Zeiten seien weder als beitragsfreie Lehrzeit noch als Beitragszeit anzuerkennen. Nach § 252 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) seien versicherungsfreie Lehrzeiten im Beitrittsgebiet erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres anzuerkennen. Der Kläger jedoch habe das 17. Lebensjahr am 09. Juni 1958 beendet, die Ausbildung jedoch bereits am 28. Februar 1957 abgeschlossen. Es läge auch keine Schulausbildung vor, da die Berufsschule lediglich begleitend zur praktischen Ausbildung worden sei. Die Zeit nach der Lehre scheide als Beitragszeit deshalb aus, da nach den gesetzlichen Vorschriften der DDR bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres in Höfen unter 20 ha mitarbeitende Familienangehörige beitragsfrei gewesen seien.

Gegen diesen am 04. Dezember 2000 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 04. Januar 2001 Klage beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben.

In der mündlichen Verhandlung vom 23. August 2001 hat der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom10. Januar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 zu verurteilen, die Zeit vom 01. September 1956 bis 31. August 1958 als Beitragszeit anzuerkennen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage

abzuweisen.

Sie hat ihren angefochtenen Bescheid für rechtmäßig gehalten.

Mit Urteil vom 23. August 2001 hat das Sozialgericht unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 01. September 1956 bis 31. August 1958 als Beitragszeit anzuerkennen.

Es sei zwar zutreffend, dass nach § 3 der Sozialpflichtversicherungsverordnung - VSV - der DDR mitarbeitende Familienangehörige in bäuerlichen Betrieben mit einer Bodenfläche bis zu 20 ha bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres beitragsfrei gewesen sein, dies gelte jedoch nicht dann, wenn die Tätigkeit aufgrund eines Lehrvertrages ausgeübt worden sei. Dann habe Versicherungspflicht bestanden.

Gegen dieses der Beklagten am 05. Dezember 2001 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 21. Dezember 2001.

Die Beklagte vertritt zur Begründung ihrer Berufung die Ansicht, dass zu den versicherungsfreien Familienangehörigen in landwirtschaftlichen Betrieben auch Lehrlinge gehörten, die, wenn sie nicht als Lehrlinge beschäftigt würden, als mitarbeitende Familienangehörige zu betrachten wären.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. August 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die in der Beratung des Senats vorgelegen haben, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt, somit insgesamt zulässig. Der Senat konnte ohne erneute mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligen übereinstimmend ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Zeit vom 01. September 1956 bis 31. August 1958 als Beitragszeit in der Gesetzlichen Rentenversicherung, so dass das entgegenstehende Urteil des Sozialgerichts abzuändern ist.

Rechtsgrundlage für die Vormerkung ist § 149 Abs. 5 SGB VI. Danach stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest, wenn der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Verwendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat. Soweit diese Daten rentenrechtliche Zeiten im Sinne von § 54 Abs. 1 SGB VI sind, wird beweissichernd für einen später eintretenden Leistungsfall für die im Bescheid aufgeführten Zeiträume verbindlich geklärt, dass sie den Tatbestand der jeweiligen rentenrechtlichen Zeit erfüllen. Der Versicherte hat Anspruch darauf, dass die festgestellten Daten den im jeweils maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gültigen materiell-rechtlichen Vorschriften entsprechen (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 9).

Diese maßgebliche materiell-rechtliche Vorschrift ist hier § 248 Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz SGB VI und nicht, wie vom Sozialgericht angenommen, § 247 Abs. 2 a SGB VI. Bei § 247 Abs. 2 a SGB VI handelt es sich um eine Sonderregelung zu § 55 SGB VI, die die Behandlung von bestimmten Zeiten, die vor dem In-Kraft-Treten des SGB VI zurückgelegt wurden, regelt. Es handelt sich dabei um Regelungen für Besonderheiten, soweit sie nicht von anderen Sonderregelungen erfasst sind. Insoweit käme grundsätzlich auch eine Lehrzeit im Sinne von § 247 Abs. 2 a SGB VI in Betracht, aber nur, wenn sie bis zum 08. Mai 1945 zurückgelegt worden wäre. Für die Zeit danach bestimmt eine weitere Sonderregelung, was für entsprechende Zeiten gilt, die im Beitrittsgebiet zurückgelegt worden sind. Dabei besteht für die Anwendung von § 247 Abs. 2 a SGB VI - jedenfalls für die Zeit seit Gründung der DDR - kein Bedarf, weil im Beitrittsgebiet die Versicherungspflicht von Lehrlingen nicht wie im "alten" Bundesgebiet umstritten war. Insbesondere spielte dort die Höhe des Lehrlingsentgelts keine Rolle, während gerade daran anknüpfend in den "alten" Bundesländern vielfach die Beitragsentrichtung unterblieb.

Die Spezialnorm, die bestimmt, wann Zeiten im Beitrittsgebiet Versicherungszeiten nach Bundesrecht gleichgestellt werden, ist § 248 SGB VI, hier dessen Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz. Danach stehen den Zeiten in der Gesetzlichen Rentenversicherung nach Bundesrecht Zeiten nach dem 08. Mai 1945 gleich, für die Beiträge zu einem System der Gesetzlichen Rentenversicherung nach vor dem In-Kraft-Treten von Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften gezahlt worden sind.

Abzustellen ist demgemäß nicht lediglich auf die Beitragspflicht, sondern auf die tatsächliche Zahlung von Beiträgen nach Rechtsvorschriften. Es muss also zum einen eine Rechtsvorschrift des Beitrittsgebiets vorliegen, aufgrund derer Beiträge zu zahlen waren und dann müssen diese tatsächlich geleistet sein. Eine Anerkennung auch im Rahmen der Glaubhaftmachung gemäß § 286 b SGB VI scheidet hier schon deshalb aus, weil der Kläger selbst vorträgt, dass für ihn in dieser Zeit keine Beiträge geleistet worden sind. Er hat vielmehr bereits im Kontenklärungsantrag angegeben, dass Beitragsfreiheit bestanden habe. Diese Annahme war auch zutreffend, denn gemäß § 2 der Anordnung über die Sozialpflichtversicherung in der Landwirtschaft vom 25. Mai 1949 (ZV Bl. I Seite 445I unterlagen der Sozialpflichtversicherung mitarbeitende Familienangehörige bei Höfen unter 20 ha erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres. Diese Rechtsvorschrift war auch im hier streitigen Zeitraum gültig, sie wurde erst mit der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung der Inhaber privater Betriebe, der freiberuflich Tätigen und anderer selbständig Tätiger vom 15. Dezember 1970 (Gesetzblatt der DDR Teil II Nr.

102 Seite 771 ff.) außer Kraft gesetzt. Nach § 13 Abs. 2 Ziffer 1 dieser Vorschrift nämlich trat die Anordnung vom 25. Mai 1949 am 01. Januar 1971 außer Kraft.

Dem steht auch § 3 Buchstabe a der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung - VSV - vom 28. Januar 1947 (Befehl der Sowjetischen Militärverwaltung, abgedruckt in Weser, Versicherungs- und Beitragrecht in der DDR, Berlin 1979, Seite 303 ff.) nicht entgegen, wonach, soweit ein Arbeitsvertrag gegen Entgelt oder ein Lehrvertrag zugrunde lag, alle in unselbständiger Arbeit stehenden ständig Beschäftigten einschließlich der Arbeiter und Angestellten in der Land- und Forstwirtschaft versicherungspflichtig waren.

Nach diesen Vorschriften war der Kläger nicht versicherungspflichtig, denn das besondere Gesetz ändert das allgemeine Gesetz ab und das neuere Gesetz das ältere. Die aus dem Jahre 1947 stammende grundsätzliche Anordnung der Versicherungspflicht wird daher durch die spätere Spezialregelung der Anordnung aus dem Jahre 1949 über die Versicherungsfreiheit mitarbeitender Familienangehöriger bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres verdrängt. Die Auffassung des Sozialgerichts, diese Regelung gelte nicht für Familienangehörige, die als Lehrlinge tätig sind, vermag nicht zu überzeugen. Die Anordnung vom 25. Mai 1949 enthält keinerlei Aussage zur Art der Tätigkeit des Familienmitgliedes. Auch die vertragliche Situation war nicht entscheidend, insbesondere blieben Lehrlinge nach einer Entscheidung der damals zuständigen Deutschen Wirtschaftskommission vom 05. Juli 1949 (vgl. Kaiser, "Die Sozialversicherung der Landwirte und ihrer Beschäftigten in der DDR", Zentralblatt für Sozialversicherung, 1950, Seite 143) auch dann versicherungsfrei, wenn ein schriftlicher Vertrag vorlag. Die Anordnung vom 25. Mai 1949 sollte offensichtlich kleine Familienbetriebe von Sozialabgaben für die mitarbeitenden Familienangehörigen entlasten.

Versicherungspflicht wäre im Übrigen auch dann nicht anzunehmen, wenn mit dem Sozialgericht § 247 Abs. 2 a SGB VI als einschlägige Norm angesehen würde. Denn danach ist Voraussetzung für fiktive Pflichtbeitragszeiten, dass grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeiten jedoch nicht erfolgte. Da hier jedoch, wie dargelegt, grundsätzlich keine Versicherungspflicht bestand, könnte auch diese Vorschrift dem Begehren des Klägers nicht zum Durchbruch verhelfen (so auch die Dienstanweisung der Beklagten zu § 247 Abs. 2 a SGB VI).

Auf die Berufung war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Klage mit der Kostenfolge aus § 193 SGG abzuweisen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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