L 15 VS 20/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 V 49/96.SVG
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VS 20/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VS 3/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine über das Inkrafttreten des Gewaltopferschutzes für im Ausland stationierte Soldaten und deren Angehörige (29.07.1995) in die Vergangenheit zurückreichende Leistungsgewährung findet auch für die von diesem Schutz erfaßten Härtefälle aus der Zeit vom 01.04.1956 bis 28.07.1995 nicht statt.
i. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23.01.1997 wird zurückgewiesen.
ii. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
iii. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob den Klägern für die Zeit vor dem 29.07.1995 Versorgungsleistungen zustehen.

Die Kläger sind die Hinterbliebenen - der Kläger zu 1) zugleich als Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Abs.1 Nr.3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) des - der am 20.09.1986 durch eine Gewalttat ums Leben gekommenen. Ihre Anträge auf Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 20.09.1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.1989 sowie Bescheid vom 06.02.1990). Das dagegen angerufene Sozialgericht Augsburg (Az.: S 11/Vg 2/89) wies die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 22.10.1991 ab. Das dagegen angerufene Bayer. Landessozialgericht (Az.: L 10 Vg 7/91) wies die Berufung der Kläger mit Urteil vom 18.08.1993 zurück. Auch das im Anschluß daran mit der Streitsache befaßte Bundessozialgericht (Az.: 9 RVg 4/94) wies die Revision der Kläger mit Urteil vom 18.06.1996 zurück mit der Maßgabe, daß weder nach dem OEG noch nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) Ansprüche gegeben seien.

Noch während des Revisionsverfahrens gewährte der Beklagte mit den Bescheiden vom 11.03.1996 den Klägern ab 29.07.1995 Versorgung nach dem SVG, weil durch das Gesetz vom 24.07.1995 ein Gewaltopferschutz für im Ausland stationierte Soldaten sowie deren Angehörige in das SVG eingefügt wurde (§ 81 e Abs.1 SVG) und für Härtefälle aus der Vergangenheit eine Entschädigungsregelung getroffen hat (vgl. § 81 e Abs.12 SVG). In ihren Widersprüchen hiergegen machten die Kläger geltend, es müsse Versorgung ab 01.10.1986 gewährt werden, da bei schwerwiegenden "Altfällen" für den Leistungsbeginn nicht das Inkrafttreten des Änderungsgesetzes maßgebend sein könne. Mit den Widerspruchsbescheiden vom 27.06.1996 wies der Beklagte dieses Vorbringen als unbehelflich zurück, da der in § 81 e Abs.13 SVG bestimmte Tag des Inkrafttretens auch für den Leistungsbeginn verbindlich sei.

In ihrer hiergegen zum Sozialgericht Augsburg erhobenen Klage (Az.: S 8 V 49/96 SVG) haben die Kläger geltend gemacht, daß eine Korrektur bzw. Interpretation des § 81 e SVG dahingehend vorzunehmen sei, daß im Wege der Rechtsfortbildung der Leistungsbeginn vorverlegt werden müsse und es nicht zu Lasten der Kläger gehen könne, wenn die insoweit erfolgte Änderung des SVG bzw. Erweiterung des geschützten Personenkreises erst im Jahre 1995 erfolgt sei. Jedenfalls müsse aber Versorgung für die zurückliegende Zeit im Wege des Härteausgleiches gewährt werden, weil § 89 Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend anzuwenden sei und sich die besondere Härte unmittelbar aus § 81 e Abs.13 SVG ergebe. Diese Regelung sei zudem verfassungswidrig und sie hätten sich außerdem nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in einer besonderen wirtschaftlichen Notlage befunden, so daß ein sog. Härtefall vorliege. Demgegenüber hat der Beklagte auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.06.1996 verwiesen, das ein Leistungsanspruch der Kläger vor dem 29.07.1995 ausgeschlossen habe.

Mit Urteil vom 23.01.1997 hat das Sozialgericht die Klagen als unbegründet abgewiesen. In seinen Urteilsgründen hat es sich ebenfalls auf die bereits genannte Entscheidung des Bundessozialgerichts bezogen und da bereits § 81 e Abs.12 SVG eine Härteregelung treffe und der Gesetzgeber in § 81 e Abs.13 SVG keinen rückwirkenden Leistungsbeginn zugelassen habe, liege weder eine Regelungslücke noch eine Verfassungswidrigkeit vor.

Ihre dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegte Berufung haben die Kläger im wesentlichen damit begründet, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des Leistungsbeginns seinen Gestaltungsspielraum nicht in sachgerechter Weise ausgeübt habe und im übrigen mangels Bezug von § 81 e Abs.12 SVG zu § 81 e Abs.13 SVG für sog. Härtefälle die Regelung über den Leistungsbeginn nicht gelten könne.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 23.01.1997 sowie Änderung der Bescheide vom 11.03.1996 in der Gestalt der Widerspruchbescheide vom 27.06.1996 zu verurteilen, ihnen Versorgung dem Grunde nach ab 01.10.1986 zu gewähren, hilfsweise im Wege des Härteausgleiches.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23.01.1997 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Versorgungsakten des Beklagten sowie die Akten der bereits genannten Streitverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg und dem Bayer. Landessozialgericht. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten übrigen Inhalt dieser Akten verwiesen sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist nach § 88 Abs.7 SVG iVm § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; einer Zulassung der Berufung nach § 144 Abs.1 Satz 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.1993 hat es im Hinblick auf Satz 2 dieser Vorschrift nicht bedurft. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt, damit insgesamt zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Nach § 81 e Abs.12 SVG wird einem dienstlich im Ausland verwendeten Soldaten sowie seinen Familienangehörigen oder anderen zur häuslichen Gemeinschaft gehörenden Personen Versorgung gewährt, wenn sie eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des Abs.1 in der Zeit vom 01.04.1956 bis zum Inkrafttreten dieser Vorschrift erlitten haben und allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind. Hinterbliebene eines Beschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 - 52 des Bundesversorgungsgesetzes.

Neue Ansprüche, die sich aufgrund dieser Vorschrift oder einer Änderung an dieser Vorschrift ergeben, werden nach § 81 e Abs.13 SVG nur auf Antrag festgestellt. Wird der Antrag binnen eines Jahres nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift oder einer Änderung dieser Vorschrift gestellt, so beginnt die Zahlung mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens, frühestens jedoch mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen erfüllt sind.

Diese Anspruchsberechtigungen sind durch das Gesetz vom 24. Juli 1995 neu geschaffen worden, das am 28.07.1995 verkündet worden ist.

Ausgehend von diesen Anknüpfungspunkten, hat das Sozialgericht jedoch zutreffend einen Rechtsanspruch auf Versorgung für die Zeit vor dem 29.07.1995 verneint. § 81 e Abs.12 SVG ist nämlich bereits - zumindest für sich allein gesehen - eine Härteausgleichsregelung im Sinne des § 89 BVG, die den Personenkreis der Kläger erfaßt und daher keiner nochmaligen Erweiterung im Wege eines "Härteausgleiches" oder für "Härtefälle" zugänglich ist.

Hinsichtlich der in § 81 e Abs.13 SVG erfolgten Regelung des Leistungsbeginns hat der Gesetzgeber - wie bereits das Bundessozialgericht zutreffend ausgeführt hat - einen weitgehenden Ermessensspielraum. Ein insoweit erfolgter Fehlgebrauch des Gesetzgebers ist jedoch nicht erkennbar und gerade dann nicht anzunehmen, wenn man die Regelungen in § 81 e Abs.12 und Abs.13 SVG als "lex " betrachtet. Es kann damit auch nicht angenommen werden, daß durch die Stichtagsregelung eine vom Gesetzgeber nicht bewußt in Kauf genommene Härte vorliegt sondern es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Gesetzgeber gerade - wie auch sonst im sozialen Entschädigungsrecht häufig � einen Leistungsbezug für die Vergangenheit ausschließen hat wollen.

Soweit die Kläger vorbringen, in ihren Personen hätte jeweils ein "Härtefall" wegen besonderer Bedürftigkeit vorgelegen und es seien deshalb Leistungen vor dem 29.07.1995 im Wege des "Härteausgleichs" zu gewähren, kann nichts anderes gelten. Die beamten- bzw. soldatenrechtlichen Beihilfe- und Versorgungsregelungen bieten hierfür jedenfalls bereits einen Mindestausgleich der es nicht erforderlich erscheinen läßt, zusätzlich Leistungen des sozialen Entschädigungsrechts für die Vergangenheit im Wege des Härteausgleiches zu gewähren. Auch insoweit ist daher letztlich eine Regelungslücke nicht erkennbar und bedarf es daher keiner richterlichen Rechtsfortbildung wie beantragt.

Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 06.03.1996 (z.B. Az.: 9 RVg 4/95). Wenn das Bundessozialgericht nämlich dort die Stichtagsregelung des § 10 Satz 3 OEG für den Fall des Vorliegens eines sozialen Härtefalls beanstandet hat, erfaßt der Anspruchsgrund des § 81 e Abs.12 SVG den gesamten Zeitraum ab Inkrafttreten dieses Gesetzes, so daß eine willkürliche Benachteiligung bestimmter, dort genannter Personengruppen nicht angenommen werden kann. Daß das SVG keine dem § 10 b OEG entsprechende Regelung enthält, erklärt sich im übrigen aus der Verschiedenheit der bedachten Personenkreise, insbesondere den besonderen Fürsorgepflichten des Dienstherrn eines Soldaten.

Aus diesen Gründen ist die Berufung der Kläger mit der Kostenfolge aus den §§ 183, 193 SGG zurückzuweisen.

Der Senat hält es allerdings für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es das Vorliegen eines sozialen Härtefalls rechtfertigen könnte, von der Vorschrift des § 81 e Abs.13 SVG abzuweichen und bereits vor dem 29.07.1995 Versorgungsleistungen zu gewähren. Die Revision ist daher nach § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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