L 6 SF 2/05

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 2/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Antrag nach § 4 Abs. 1 JVEG ist kein Rechtsbehelf. Insofern gilt das Verbot der "reformatio in peius" nicht (vgl. Thüringer Landessozialgericht vom 16. September 2002 - Az.: L 6 B 51/01 SF und vom 23. März 2000 - Az.: L 6 SF 726/99).

2. Für die notwendige Begleitperson ist deren Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten (§ 22 JVEG). Bei unterschiedlichen Monatsverdiensten ist vom Mittelwert auszugehen.

3. Bei arbeitslosen Sozialhilfeempfängern kann davon ausgegangen werden, dass ihnen durch die Heranziehung kein Nachteil entsteht und kein Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG besteht.
Die Entschädigung des Antragsgegners anlässlich der Begutachtung vom 21. September 2004 wird auf 135,98 EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand:

In dem Berufungsverfahren des Antragsgegners gegen die Landesversicherungsanstalt Thüringen (Az.: L 6 RJ 132/04) beauftragte der Berichterstatter des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts mit Beweisanordnung vom 21. Juli 2004 den Leitenden Oberarzt der Klinik B., H., Dr. W. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens aufgrund ambulanter ggf. stationärer Untersuchung. Dieser untersuchte den Antragsgegner am 21. September 2004 von 13:00 bis 17:45 Uhr. Nach seiner Bescheinigung vom gleichen Tage war eine Begleitperson aus gesundheitlichen Gründen oder wegen körperlicher Gebrechen erforderlich.

In seinem am 30. September 2004 eingegangenen Antrag auf Erstattung von Fahrtkosten machte der Antragsgegner die Erstattung von 86,75 EUR Fahrtkosten (347 km x 0,25 EUR), Verdienstausfall und Zehrkosten (12,00 EUR) für die Begleitperson R. S. (Verdienstbescheinigung vom 27. September 2004), Zehrkosten (12,00 EUR) und Parkgebühren (4,00 EUR) für die um 9:00 Uhr angetretene und um 21:35 Uhr beendete Reise geltend. In seiner Rechnungsanweisung vom 14. Oktober 2004 verfügte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Zahlung von 161,51 EUR (Fahrtkosten 264 km x 0,25 EUR (66.00 EUR), Aufwand für 12 Stunden Abwesenheit vom Aufenthaltsort (6,00 EUR), Auslagen für Begleitperson und Parken (89.51 EUR)).

Unter dem 29. Dezember 2004 hat der Antragsteller beantragt, die Entschädigung auf 144,62 EUR festzusetzen und ausgeführt, der Ansatz von 89,51 EUR für Verdienstausfall der Begleitperson und Parkgebühren sei nicht nachvollziehbar.

Der Antragsteller beantragt,

die Entschädigung anlässlich der Untersuchung am 21. September 2004 auf 144,62 EUR festzusetzen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Am 24. Januar 2005 hat er der Geschäftsstelle telefonisch mitgeteilt, er werde "die Fahrtkosten" zurückzahlen. Dies ist bisher nicht erfolgt.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat unter dem 3. Januar 2005 verfügt, die streitige Position betrage 84,54 EUR. Eine Überzahlung von 4,97 EUR werde "anerkannt".

In seinem Antrag auf Erstattung von Fahrtkosten vom 7. April 2005 hat der Antragsgegner gebeten, bei dieser den "zuviel bezahlten Betrag von 16,89 EUR" abzuziehen.

Entscheidungsgründe:

Auf den Antrag des Antragstellers wird die Entschädigung für die Wahrnehmung des Untersuchungstermins vom 21. September 2004 auf 135,98 EUR festgesetzt. Nachdem dem Antragsgegner bereits 161,51 EUR angewiesen wurden, hat er 25,53 EUR zurückzahlen.

Unerheblich ist, dass der festgesetzte Betrag unter dem Antrag des Antragstellers liegt; an ihn ist der Senat nicht gebunden. Das Verbot der "reformatio in peius" gilt bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. September 2002 – Az.: L 6 B 51/01 SF und vom 23. März 2000 – Az.: L 6 SF 726/99).

Nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzer sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz – JVEG) erfolgt die Festsetzung der Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse – wie vorliegend – die gerichtliche Festsetzung beantragt (Satz 1). Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (Satz 2 Nr. 1); dieses entscheidet durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter (Absatz 7 Satz 1). Nach dem Beschluss des 6. Senats vom 20. Dezember 2004 ist der Vorsitzende für die Bearbeitung der Verfahren nach § 4 JVEG zuständig.

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Diese Vorschrift gilt auch für die Ladung zur Untersuchung durch einen Sachverständigen, wenn dieser – wie hier – eine gerichtliche Anordnung zugrunde liegt (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 1. Oktober 2003 – Az.: L 6 SF 382/03, 5. April 2000 – Az.: L 6 B 2/00 SF und vom 8. Februar 2000 – Az.: L 6 B 60/99 SF; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage 2002, § 191 Rdnr. 2).

Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 JVEG Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Ersatz für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

1. Der Ersatz für die Fahrtkosten beträgt 70,25 EUR. Sie setzen sich zusammen aus 66,25 EUR Fahrtkostenpauschale (132,5 km x 2 = 265 km x 0,25 EUR) sowie 4,00 EUR für die mit einer Quittung belegten Parkgebühren. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG werden dem Zeugen bei Benutzung eines eigenen oder unentgeltlich zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeugs zur Abgeltung der Betriebskosten sowie der Abgeltung der Abnutzung des Kraftfahrzeugs 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer ersetzt zuzüglich der durch die Benutzung aus Anlass der Reise regelmäßig anfallenden baren Auslagen, insbesondere der Parkentgelte.

Grundsätzlich besteht die Verpflichtung, die Reiseroute auszuwählen, durch die die Gesamtentschädigung am niedrigsten ausfällt, was bei Kraftfahrzeugen regelmäßig bei der kürzesten Strecke der Fall ist (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Oktober 2003, a.a.O.). Die Strecke kann mit einem Computerprogramm (hier: www.falk.de/routenplaner/controller rp.jsp) ermittelt werden, sofern ggf. im Einzelfall besondere Umstände (z.B. Umwege) berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 5. April 2000, a.a.O.). Solche wurden nicht vorgetragen. Damit ist eine Entschädigung für mehr als die kürzeste Strecke nicht zu zahlen.

2. Der Antragsgegner hat Anspruch auf 6,00 EUR Tagegeld. Nach § 6 Abs. 1 JVEG erhält der jenige, der innerhalb der Gemeinde, in der der Termin stattfindet, weder wohnt noch berufstätig ist, für die Zeit, während der er aus Anlass der Wahrnehmung des Termins von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt abwesend sein muss, ein Tagegeld, dessen Höhe sich nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes bestimmt. Es beträgt bei Abwesenheit von weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden 6 EUR.

3. Die in den §§ 5 und 6 nicht besonders genannten baren Auslagen werden nach § 7 Abs. 1 JVEG ersetzt, soweit sie notwendig sind (Satz 1); dies gilt insbesondere für die Kosten notwendiger Vertretungen und notwendiger Begleitpersonen (Satz 2). Nachdem der Sachverständige Dr. W. unter dem 21. September 2004 die Erforderlichkeit der Begleitperson ausdrücklich bestätigt hat ("wegen Schmerzmedikation"), besteht kein Anlass hieran zu zweifeln.

Zu erstatten ist der Bruttoverdienstausfall für die Begleitperson R. S., denn auch der notwendige Begleiter erhält die dem Zeugen zustehenden Beträge (vgl. Hartmann, Kostengesetze, JVEG, 34. Auflage 2004, § 7 Rdnr. 11). Sie richten sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge und betragen für jede Stunde höchstens 17 EUR (§ 22 Satz 1 JVEG). Der relevante Verdienst ergibt sich hier aus der eingereichten Verdienstbescheinigung vom 27. September 2004. Nachdem die Beträge in den bescheinigten Monaten unterschiedlich sind (Juli 2004: 1.046,29 EUR, August 2004: 935,65 EUR, September 2004: 1.242,31 EUR) ist angesichts des Gesetzeswortlauts ("regelmäßig") vom Mittelwert dieser drei Monate auszugehen (hier: 1.074,75 EUR). Bei 20 Arbeitstagen errechnet sich eine Entschädigung von 53,73 EUR für einen Tag.

Zusätzlich ist der Begleitperson das Tagegeld von 6,00 EUR zu erstatten.

4. Der Antragsgegner hatte im relevanten Zeitpunkt keine Arbeit und bezog Sozialhilfe. Insofern hat er keinen Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG.

Danach beträgt die Entschädigung 3,00 EUR je Stunde, soweit weder für einen Verdienstausfall noch für Nachteile bei der Haushaltsführung eine Entschädigung zu gewähren ist, es sei denn, es ist dem Zeugen (bzw. Beteiligten) durch seine Heranziehung ersichtlich kein Nachteil entstanden. Fehlt es – wie hier - an entsprechenden Angaben, kann bei einem arbeitslosen Sozialhilfebezieher davon ausgegangen werden.

Ausweislich des Vermerks auf dem Kostenerstattungsantrag vom 7. April 2005 ist der Antragsgegner zur Rückzahlung von 16,89 EUR bereit. Vertrauensschutz hat er nicht geltend gemacht. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob dessen Voraussetzungen vorliegen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 1. Oktober 2003, a.a.O.).

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 7 JVEG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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