L 6 B 85/04 KR

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 4 KR 2903/03
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 B 85/04 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Untätigkeitsbeschwerde gegen die Unterlassung einer Terminsbestimmung.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Unterlassung einer Terminsbestimmung durch das Sozialgericht Altenburg wird als unzulässig verworfen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Erstattung eines Rabattes in Höhe von 6 v.H. des Herstellerabgabenpreises zu Gunsten der Krankenkassen aus dem Verkauf von Arzneimitteln.

Die Beschwerdeführerin hat am 22. Dezember 2003 beim Sozialgericht Altenburg eine Klage auf Zahlung von 3.096,69 EUR zuzüglich 5 v.H. Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank erhoben und diese mit Schriftsatz vom 8. Juli 2004 um die Zahlung von 6.300,03 EUR zuzüglich 5 v.H. Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank erweitert.

Mit Schriftsatz vom 26. November 2004 haben ihre Prozessbevollmächtigten beim Vorsitzenden der 4. Kammer beantragt, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Dieser hat mit Verfügung vom 29. November 2004 ausgeführt, es könne keine Aussage darüber getroffen werden, wann mit einer Entscheidung gerechnet werden könne. Bei einem Bestand von über 600 zum Teil älteren Verfahren sei eine Aussage über einen Termin zur mündlichen Verhandlung nicht möglich. Die Verfahren würden grundsätzlich in der Reihenfolge ihres Eingangs bearbeitet.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die Ablehnung einer Terminsbestimmung oder die Nichtentscheidung über einen Antrag auf Terminsbestimmung oder Anberaumung auf einen unzumutbar späten Zeitpunkt, die einer Rechtsschutzverweigerung gleichkomme, könne selbstständig mit der Beschwerde angefochten werden. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass eine erhebliche Verzögerung der Terminsbestimmung sachlich nicht gerechtfertigt werden könne, wenn sie auf einem allgemeinen ordnungswidrigen Geschäftsablauf beruhe, so z. B. wegen Überlastung des Gerichts. Insoweit sei es unerheblich, ob das Sozialgericht noch 600 andere älteren Verfahren anhängig habe. Der Geschäftsablauf eines Gerichtes müsste so organisiert sein, dass zeitnah ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden könne. Eine abzusehende Verfahrensdauer von über drei Jahren sei nicht zumutbar und entspreche nicht den zeitlichen Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) folgenden Anspruch auf eine funktionierende Rechtspflege.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts Altenburg zuständigen Kammervorsitzenden aufzugeben, einen Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtstreits (Az.: S 4 KR 2903/03) anzuberaumen.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, (Verfügung vom 10. Dezember 2004) und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senat hat eine Stellungnahme der ab 1. Januar 2005 zuständigen Richterin M. vom 13. Januar 2005 eingeholt. Diese hat unter dem 13. Januar 2005 ausgeführt, sie habe zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz der 4., 21., 25. und 26. Kammer übernommen. Es seien insgesamt 129 Verfahren anhängig, die zeitlich vor dem Verfahren Az.: S 4 KR 2903/03 eingegangen seien. Die Verfahren würden grundsätzlich in der Reihenfolge ihres Eingangs bearbeitet, wobei sie sich bemühe, alle Verfahren möglichst zügig zum Abschluss zubringen. Bei realistischer Einschätzung müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass die Streitsache innerhalb der nächsten sechs Monate voraussichtlich nicht terminiert werden könne.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde gegen die "Untätigkeit" eines Sozialgerichts (hier: Nichtterminierung zur mündlichen Verhandlung) statthaft ist. Diese Frage wird von den Berufungsgerichten in der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Literatur uneinheitlich gelöst. Während eine Ansicht die Statthaftigkeit generell ablehnt (vgl. u.a. LSG Berlin vom 27. Januar 2005 – Az.: L 9 B 11/05 KR, nach juris, OVG Greifswald vom 27. November 2003 – Az.: 2 O 126/03, nach juris, LSG Baden-Württemberg vom 28. Oktober 2003 - Az.: L 13 AL 3984/03 B und 5. März 2003 - Az.: L 2 RJ 4399/02, beide nach juris), vertritt die Gegenansicht die Auffassung, eine Beschwerde gegen die Untätigkeit eines Sozialgerichts sei in entsprechender Anwendung des § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) oder auf Grundlage des Art. 19 Abs. 4 GG möglich (vgl. LSG Rheinland-Pfalz vom 12. April 2000 – Az.: L 1 B 49/00 in: NZS 2000, S. 626, LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. März 2002 – Az.: L 10 B 29/01 SB, nach juris, VGH München vom 27. Januar 2000 – Az.: 10 C 99.3695 in: NVwZ 2000, 693; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 7. Auflage 2002, § 110, Rdnr. 7, Vor § 143, Rdnr. 3d und § 172, Rdnr. 2c; Mälicke im Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, § 172, Rdnr. 6; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage 2003, § 146 Rdnr. 32 und § 166 Rdnr. 19).

Die Beschwerde wäre auch nach der zustimmenden Auffassung jedenfalls nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und plausibel einen sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden tatsächlichen Stillstand des Verfahrens dargelegt hätte, der einer Rechtsschutzverweigerung gleich kommt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O.). Dies ist hier nicht der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 29. März 2005 (Az.: 2 BvR 1610/03) zu einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde (u.a. mit Hinweis auf die Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 EMRK) ausgeführt, nach Art. 19 Abs. 4 GG müsse ein Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit gewährt werden. Welche Verfahrensdauer angemessen sei, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab, denn der Richter habe für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen er ggf. aufgrund eigener Gewichtung von der Bearbeitung nach der Reihenfolge des Eingangs Prioritäten in Abweichung von der Reihenfolge des Eingangs setzen kann. Es komme vor allem auf die Bedeutung der Sache, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit des Falles und das Verhalten der Beteiligten, insbesondere etwaige den Beteiligten selbst zuzurechnende Verzögerungen, eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Verzögerung durch die Tätigkeit von Sachverständigen oder sonstigen Dritten an (so im Ergebnis auch ThürVerfGH vom 15. März 2001 – Az.: VerfGH 1/99 in: NJW 2001, 2708, 2709). Diese Kriterien gelten auch dann, wenn der zuständige Richter seine anhängigen Verfahren nach dem Eingang bearbeitet, wie die Richter des Sozialgerichts Altenburg angegeben haben.

Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich kein Anhalt dafür, dass die o.g. Voraussetzungen vorliegen könnten und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG in Gestalt eines nicht zu rechtfertigenden Verfahrensstillstandes vorliegt. Sie hat keine Tatsachen dargelegt, die eine Beurteilung der Bedeutung des Rechtsstreits und der konkreten (für die Beschwerdeführerin möglicherweise nachteiligen) Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer etc. ermöglichen. Entsprechende Anhaltspunkte können auch nicht der Akte entnommen oder vom Senat anderweitig erkannt werden.

Der Vortrag, eine absehbare Verfahrensdauer von "weit über drei Jahren" seit Klageeingang sei sachlich nicht gerechtfertigt und verletze sie in ihren Rechten, ist völlig unzureichend und beruht zudem offensichtlich auf Spekulationen. Tatsächlich beträgt die Verfahrensdauer seit Klageeingang derzeit knapp über 16 Monate. Konkrete Vorschriften, die belegen, dass diese "unzumutbar" ist, hat die Beschwerdeführerin nicht angegeben und sind für den Senat auch nicht ersichtlich. Jedenfalls enthalten weder das GG noch die EMRK Regelungen über eine höchst zulässige Dauer eines Verfahrens (vgl. ThürVerfGH vom 15. März 2001, a.a.O.).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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