L 5 KR 187/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 521/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 187/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 56/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 2004 aufgehoben und die Klagen gegen die Bescheide vom 21. Oktober 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. März 1997 und vom 21. Dezember 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2002 abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist eine Beitragsnachforderung für die Zeit vom 01.04.1994 bis 31.12.1995 und vom 08.11.1996 bis 27.12.1998 in Höhe von insgesamt 41.356,96 DM.

Der Kläger betreibt eine vollstationäre Pflegeeinrichtung im Sinn des SGB XI mit 30 Pflegebetten, in der er ab 1996 im Pflegebereich bis zu 14 Arbeitnehmer beschäftigte. Der Beigeladene zu 1) ist staatlich anerkannter Altenpfleger, der vom 06.06.1994 bis 31.12.2002 in einer Kurklinik als Krankenpfleger (Nacht) an sechs aufeinanderfolgenden Tagen jeden Monats sozialversicherungspflichtig tätig war. Daneben war er entsprechend seiner Bewerbung vom 17.03.1994 auf Honorarbasis vom 01.04.1994 bis Dezember 1998 für den Kläger tätig, ohne dass Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden.

Nach der ersten Betriebsprüfung am 21.10.1996 erließ die Beklagte mit Bescheid vom 21.10.1996 eine Nachforderung betreffend den Beigeladenen zu 1) in Höhe von 17.696,54 DM für die Zeit vom 01.04.1994 bis 04.08.1996.

Im Widerspruchsverfahren erläuterte die Beklagte, der Beigeladene zu 1) sei als Nachtwache, eingesetzt von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr morgens, jeweils abhängig beschäftigt gewesen. Zugrundegelegt habe sie der Beitragsnachforderung 75 % der bezahlten Entgelte, da sie 25 % als sozialversicherungsfreie Nachtzuschläge angesehen habe. Im Widerspruchsbescheid vom 19.03.1997 heißt es, die Annahme einer Beschäftigung beruhe auf der Eingliederung des Beigeladenen zu 1) in den Betrieb des Klägers; eine entsprechende Feststellung ergebe sich auch aus dem Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 10.11.1995.

Dagegen hat der Kläger am 09.04.1997 Klage erhoben. Die steuerrechtliche Beurteilung sei nur indiziell bedeutsam; entscheidend sei, dass der Beigeladene zu 1) vom Kläger wegen anderweitiger Hauptbeschäftigung nicht wirtschaftlich abhängig gewesen sei. Die Dienste seien auch nur kurzfristig entsprechend dem konkreten Bedarf abgerufen worden und der Beigeladene zu 1) sei berechtigt gewesen, einen Ersatz zu stellen. Auch habe ihm kein Entgeltfortzahlungsanspruch zugestanden.

Im Jahr 2000 fand eine erneute Betriebsprüfung beim Steuerberater des Klägers statt. Dabei wurde festgestellt, dass über den 04.08.1996 hinaus Zahlungen an den Beigeladenen zu 1) aufgrund von monatlichen Rechnungen über Rufbereitschaft von regelmäßig 70 Stunden à 30,00 DM geflossen waren. In der Folge richtete die Beklagte Anfragen an den Kläger, den Beigeladenen zu 1) sowie an das Finanzamt und den Beigeladenen zu 5). Der Kläger teilte am 01.03.2001 mit, es existiere kein schriftlicher Vertrag mit dem Beigeladenen zu 1), der bei Krankheitsausfällen der Mitarbeiter und als Urlaubsvertretung in Anspruch genommen worden sei. Ein Unterschied zur Tätigkeit ab 1994 habe nicht vorgelegen. Der Kläger wies u.a. auf höchstrichterliche Rechtsprechung zu Masseuren hin, machte erneut die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Beigeladenen zu 1) geltend sowie dessen Recht zur Dienstleistung für andere Auftraggeber.

Der Beigeladene zu 1) gab an, er habe kein Gewerbe angemeldet, beschäftige keine Arbeitnehmer, habe keinen Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsanspruch und erhalte ohne Beschäftigung kein Honorar. Er sei zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet.

Mit Bescheid vom 21.12.2001 erhob die Beklagte wegen der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) vom 01.07.1996 bis 27.12.1998 eine Nachforderung in Höhe von 22.660,42 DM. Für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) sprächen die Bestimmung des Arbeitsorts durch den Kläger, die Pflicht des Beigeladenen zu 1) zur persönlichen Arbeitsleistung, das Fehlen eines eigenen Betriebes, eines Unternehmerrisikos und eigener Arbeitnehmer, das fehlende Handeln im eigenen Namen, und der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) nur einen Auftraggeber habe.

Im Laufe des am 08.01.2002 vom Kläger eingeleiteten Widerspruchsverfahrens teilte das Finanzamt mit, dem Einspruch des Beigeladenen zu 1) gegen die Einstufung seines Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit sei entsprochen worden. Dies ist entsprechend dem dortigen Aktenvermerk vom 13.03.1997 deshalb erfolgt, da der Beigeladene zu 1) beim Kläger nur unregelmäßig engagiert sei und er wegen der notwendigen Bestätigung durch Arbeitsleistung ein Unternehmerrisiko trage. Die Beklagte wies den Widerspruch am 01.08.2002 mit der Begründung zurück, die im Bescheid angegebenen Argumente für eine abhängige Beschäftigung überwögen die für eine selbständige Tätigkeit.

Dagegen hat der Kläger am 02.09.2002 Klage erhoben und die Einrede der Verjährung betreffend der Beiträge bis 31.12.1996 erhoben, da sie erst mit Bescheid vom 21.12. 2001 geltend gemacht worden seien. Gemäß § 25 II S. 3 SGB IV sei die Verjährungshemmung infolge Beginns der Betriebsprüfung im Jahr 2000 ausgeschlossen. Im Übrigen sei wegen des steuerfreien Nachtzuschlags nicht lediglich ein Abzug von 25 %, sondern von 40 % gerechtfertigt. Der Kläger habe eine Aufzeichnung der Arbeitsstunden vorgenommen, so dass die Zuschläge gemäß § 3b Einkommensteuergesetz in Höhe von 40 % steuerfrei seien.

Das Sozialgericht hat die Streitsache mit der am 09.04.1997 erhobenen Klage verbunden.

Im Erörterungstermin am 29.01.2004 hat der Beigeladene zu 1) erklärt, früher freiberuflich als Hauspfleger tätig gewesen zu sein und damals Werbung gemacht zu haben. Seine Aufgaben hätten sich aus der Pflegedokumentation ergeben, er sei über die Notrufanlage des Hauses erreichbar gewesen und habe anders als bei der Tätigkeit in der Kurklinik keinen Arbeitsplan für den Nachtdienst erhalten.

Der Klägerbevollmächtigte hat ergänzt, anders als bei angestellten Fachkräften im Nachtdienst habe der Beigeladene zu 1) keine Pflegeplanungen überarbeiten, keine Medikamente richten, nicht den Speisesaal eindecken, morgens bei der Körperpflege helfen, an Teambesprechungen und an Betriebsausflügen teilnehmen müssen. Hilfsweise werde die Anwendbarkeit des § 7b SGB IV geltend gemacht, da der strittige Bescheid nach Inkrafttreten des einschlägigen Gesetzes erlassen worden sei und die Tätigkeit als Altenpfleger vielfach in selbständiger Funktion ausgeübt werde.

Dagegen hat die Beklagte eingewandt, der Beigeladene zu 1) sei nur Vertretung gewesen, seine Haupttätigkeit, die Notfallbereitschaft, sei eine abhängige Beschäftigung. Die fehlende Weisungsgebundenheit sei berufstypisch. Der Versicherungsverlauf des Beigeladenen zu 1) sei ab 1955 geprägt von Pflichtbeiträgen. § 7b SGB IV sei entsprechend der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10.08.2000 auf vor dem 01.01.1999 beendete Beschäftigungsverhältnisse unanwendbar. Im Übrigen sei die Nichtabführung der Beiträge nach Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheides von 1995 vorsätzlich.

Das Sozialgericht Augsburg hat die Bescheide vom 21.10.1996/ Widerspruchsbescheid vom 19.03.1997 und den Bescheid vom 21.12. 2001/Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 mit Urteil vom 28.07. 2004 aufgehoben. Der Beigeladene zu 1) habe eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, da die hierfür sprechenden Merkmale überwögen: Er habe keinen Lohnfortzahlungs- und Urlaubsanspruch gehabt, hingegen ein Recht zur Vertretung und zur Ablehnung eines Auftrags, sei weisungsfrei gewesen und habe keine zusätzlichen Pflichten zu erfüllen gehabt. Auch die steuerliche Anerkennung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit sei maßgebend. Die andere Ansicht hätte zur Folge, dass ein Altenpfleger in einer stationären Einrichtung nie eine selbständige Dienstleistung ausüben könne, was in Anbetracht der grundgesetzlich geschützen Vertragsfreiheit unzulässig wäre. Mit Beschluss vom 03.11.2004 ist das Urteil wegen der Anwendbarkeit des § 197a SGG dahingehend berichtigt worden, dass die Beklagte die Kosten des Klägers und des Beigeladenen zu 1) zu tragen habe. Der Streitwert ist auf 21.403,17 EUR festgesetzt worden.

Gegen das ihr am 17.08.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.08.2004 Berufung eingelegt. Ihres Erachtens handelt es sich bei einem Auftrag zur Nachtwache um ein befristetes abhängiges Rechtsverhältnis. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die gegen eine Eingliederung sprächen. Das Vertragsverhältnis zwischen Beigeladenem zu 1) und Kläger weise eine gewisse Regelmäßigkeit über Jahre auf und sei auf Dauer angelegt gewesen.

Der Klägerbevollmächtigte hat demgegenüber darauf hingewiesen, entscheidend sei das Ablehnungsrecht des Beigeladenen zu 1) sowie der Wille der Beteiligten zur Selbständigkeit.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.2004 aufzuheben und die Klagen gegen die Bescheide vom 21.10.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1997 und vom 21.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2002 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozial- gerichts Augsburg vom 28.07.2004 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg, der Akten der Barmer Ersatzkasse, der Bundesagentur für Arbeit sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.2004 kann keinen Bestand haben. Die Beklagte fordert vom Kläger zu Recht mit Bescheid vom 21.10.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1997 und mit Bescheid vom 21.12.2001 in der Fassung des Widerspruches vom 01.08.2002 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 40.356,96 DM nach. Zwischen 01.04. 1994 und 04.08.1996 war der Beigeladene zu 1) ebenso wie in der Zeit vom 08.11.1996 bis 27.12.1998 beim Kläger abhängig beschäftigt.

Die von der Beklagten gemäß § 28p SGB IV festzustellende Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung knüpft an die "entgeltliche Beschäftigung" an (§ 5 Abs.1 Ziffer 1 SGB V, § 20 Abs.1 Ziffer 1 SGB XI, § 1 Abs.1 SGB VI, § 25 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung im strittigen Zeitraum ist § 7 Abs.1 SGB IV in seiner bis zum 31.12.1998 geltenden Fassung. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nichtselbständigkeit ist das rechtlich entscheidende Merkmal, das die Arbeit zur Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung macht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei der Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eigener Betriebsmittel, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil vom 29.08.2003, Az.: B 2 U 38/02 R m.w.N.).

Zwar haben die Beteiligten keinen typischen Arbeits- bzw. Dienstvertrag geschlossen, sondern eine Zusammenarbeit auf Honorarbasis vereinbart. Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts schließen es aber aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien zu entscheiden. Der Vertragsbezeichnung kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung indizielle Bedeutung zu, wenn sie den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und sie durch weitere Aspekte gestützt wird (BSG, Urteil vom 12.02. 2004, Az.: B 12 KR 26/02 R m.w.N.).

Ein Merkmal für die Selbständigkeit stellt der Umstand dar, dass sich die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) in gewisser Weise von der eines beim Kläger abhängig Beschäftigten unterschieden hat. Anders als angestellte Pflegekräfte war der Beigeladene zu 1) ausschließlich für den Notrufdienst zuständig, er war nicht gehalten, die Pflegeplanung zu überarbeiten, Medikamente zu verabreichen und an Betriebsausflügen, Weihnachtsfeiern etc. teilzunehmen. Vornehmlich bei Diensten höherer Art ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers von vornherein eingeschränkt. Es verfeinert sich dann zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess und wird insbesondere an der Übernahme von Nebenpflichten deutlich (BSG, Urteil vom 12.02.2004, a.a.O.). Von solchen war der Beigeladene zu 1) weitgehend freigestellt. Hingegen ist es unerheblich, dass dem Beigeladenen zu 1) während des Einsatzes in der Nacht keine Weisungen hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit erteilt worden sind. Gerade bei Diensten höherer Art fehlen Arbeitgebern regelmäßig die rechtlichen bzw. tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten. Dennoch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass etwa Chefärzte als Arbeitnehmer anzusehen sind (BAG NJW 1961, 2085). In ähnlicher Weise haben auch geprüfte Altenpfleger ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit aufzuweisen, weil es ihnen obliegt, selbständig über den Einsatz erforderlicher Hilfsmittel und Maßnahmen in der jeweiligen Situation zu entscheiden.

Für die Selbständigkeit spräche auch das Recht des Beigeladenen zu 1), die Übernahme einer Nachthilfe abzulehnen und sich vertreten zu lassen. Diese Optionen müssen aber als theoretische Möglichkeit qualifiziert werden, da der Beigeladene zu 1) niemals einen kompetenten Ersatz benannt oder vom Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht hat. Diesen Schluss lassen jedenfalls die vorgelegten Rechnungen zu, die über einen Zeitraum von immerhin 56 Monaten eine nahezu regelmäßige Dienstleistung des Beigeladenen zu 1) über jeweils 70 Stunden pro Monat belegen. Zutreffend weist die Beklagte auch darauf hin, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für den Kläger von vornherein auf eine gewisse Dauer angelegt war. Dies entsprach sowohl dem Interesse des Beigeladenen zu 1), der durch das Beschäftigungsverhältnis mit der Kurklinik bereits zeitlich gebunden war, als auch dem Interesse des Klägers, bei der nächtlichen Betreuung der Heimbewohner einen ständigen personellen Wechsel zu vermeiden.

Die privilegierte Stellung des Beigeladenen zu 1) gegenüber den anderen Beschäftigten mit ihren Nebenpflichten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung überwiegen. An erster Stelle ist der Umstand zu nennen, dass die Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1) in den Räumen des Klägers und innerhalb eines festen zeitlichen Rahmens (von 20.00 bis 6.00 Uhr) ausgeübt wurden. Bei Übernahme des Rufbereitschaftsdienstes war er den Arbeitsabläufen des Klägers unterworfen. So war er verpflichtet, sich entweder im Schwesternzimmer, wo sich die Rufanlage befindet, aufzuhalten, oder in Reichweite des Piepsers, den er bei sich trug. Selbstverständlich bediente er sich zur Pflege der Arbeitsmittel, die vom Kläger vorgehalten wurden. Der Beigeladene zu 1) hat also seine Dienste als Teil einer vom Kläger bestimmten Arbeitsorganisation erbracht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beigeladene zu 1) Mittelpunkt eines eigenen Unternehmens war und ein Unternehmerrisiko getragen hat. Er hatte keine anderen Auftraggeber, keine eigenen Mitarbeiter, keine eigene Organisation. Ihm kann zwar insofern ein gewisses Unternehmerrisiko bescheinigt werden, dass er wohl nur dann zu Nachtwachen herangezogen wurde, wenn die vorangegangenen jeweils zur Zufriedenheit des Klägers ausgeführt worden waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist maßgebliches Kriterium für ein Unternehmerrisiko aber, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werden, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, Urteil vom 25. Januar 2001, Az.: B 12 KR 17/00 R m.w.N.). Der Beigeladene zu 1) hatte kein eigenes Kapital eingesetzt und hatte die Gewähr, für eine durchgeführte Nachtwache das vereinbarte Honorar zu erhalten. Das Risiko, bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Honorar zu erhalten, spricht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und entgegen der des Sozialgerichts Augsburg nur dann für Selbständigkeit, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchance gegenüberstehen. Das Entgelt des Beigeladenen zu 1) war wie bei abhängig Beschäftigten vom zeitlichen Einsatz abhängig, nicht hingegen wie z.B. bei einer Propagandistin vom Arbeitseinsatz. Der Ausschluss der Vergütung bei Krankheit und Urlaub können daher ebenso wenig wie die Befristung der Honorarverträge ein Unternehmerrisiko begründen (BSG, Urteil vom 25. Januar 2001, a.a.O.). Wie eine Teilzeitkraft stellte der Beigeladene zu 1) seine Arbeitskraft dem Betrieb des Klägers zur Verfügung und war währenddessen jeglicher unternehmerischer Initiative beraubt (ähnlich zu Hauskrankenpflegerinnen LSG Berlin in Breithaupt 1987 S. 345 ff).

Hinzu kommt, dass der Beigeladene zu 1) seine Leistungen nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, sondern wie ein Angestellter des Klägers erbracht hat. Er fungierte als regelmäßiger Vertreter für fest angestellte Pflegekräfte, die wegen Krankheit, Urlaub oder Fortbildung ausfielen. Sein Status war daher nach dem Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der praktischen Handhabung derjenigen eines Arbeitnehmers vergleichbar. Beizupflichten ist daher der vom Landgericht Hamburg vertretenen Auffassung, die regelmäßige Einbringung von Pflegeleistungen für einen anderen Vertragspartner als den Patienten sei grundsätzlich nur als Arbeitsverhältnis aufzufassen (Urteil vom 11.01.1995 in Die Beiträge 1995, S. 592). Hinzu kommt, dass der Versicherungsverlauf des Beigeladenen zu 1) ab 1955 von Pflichtbeitragszeiten geprägt ist.

Dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) aus steuerrechtlicher Sicht anders beurteilt wird, vermag an der sozialversicherungsrechtlichen Einschätzung nichts zu ändern. Zutreffend wies der Klägerbevollmächtigte zu Beginn des Verfahrens selbst darauf hin, dass die steuerrechtliche Beurteilung nur indiziell bedeutsam ist. Dies um so mehr, als das Finanzamt bei seiner Abhilfeentscheidung am 13.03.1997 offensichtlich von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist. Danach soll der Beigeladene zu 1) nur unregelmäßig engagiert worden sein und wegen der Befristung bei einzelnen Einsätzen ein Unternehmerrisiko getragen haben. Letzteres spielt jedoch - wie oben dargestellt - keine maßgebliche Rolle und tatsächlich war der Beigeladene zu 1) in einer für einen Arbeitnehmer typischen Regelmäßigkeit für den Kläger tätig.

Zweifellos hatten Kläger und Beigeladener zu 1) den Willen, kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Dieser Wille kann jedoch erst dann Bedeutung für die Qualifikation der Art der Beschäftigung haben, wenn die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehung gleichermaßen für Selbständigkeit wie für eine abhängige Beschäftigung spricht (Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 7 SGB IV Rz 75). Vorliegend überwiegen jedoch die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung. Bei regelmäßiger Erbringung von Pflegeleistungen für eine stationäre Einrichtung besteht in aller Regel ein Beschäftigungsverhältnis, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die die Abhängigkeit der Pflegekraft im Einzelfall aufheben. Der Beigeladene zu 1) stand nicht im Mittelpunkt eines eigenen Betriebs, sondern leistete fremdbestimmte Arbeit in einer von fremder Hand vorgegebenen Unternehmensorganisation. Anders als etwa ein Masseur in einem Badebetrieb verfügte er nicht über einen abgrenzbaren räumlichen Bereich, der allein seiner Verfügungsmacht unterstand und ihm zuordenbar war (siehe dazu BSG, BB 1980, 211 f). Er unterhielt auch keine direkten Vertragsbeziehungen mit den Heimbewohnern, sondern rechnete ausschließlich mit dem Heimbetreiber ab. In einer stationären Einrichtung wie einem Pflegeheim, wie vorliegend, das mit einer gesetzlichen Pflegekasse einen Versorgungsvertrag geschlossen hat, ist die Delegation einer Pflegeleistung an einen selbständigen Dritten zudem problematisch, weil § 71 II Ziffer 1 SGB XI für die Zulassung der Einrichtung zur Pflege fordert, dass diese unter "ständiger Verantwortung" einer ausgebildeten Pflegekraft gepflegt werden (siehe hierzu Ziffer 3.1.2.3 der Bekanntmachung der Gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe zur Qualität und Qualitätssicherung einschließlich des Verfahrens zur Durchführung von Qualitätsprüfungen nach § 80 SGB XI in vollstationären Pflegeeinrichtungen vom 21.10.1996 - BAnz. 1996 Nr. 213 S. 12041 -) Eine Ausgliederung einzelner Teilbereiche der Pflege aus der Verantwortung der Pflegeheimleitung war daher wohl nicht intendiert.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts Augsburg fordert die grundgesetzlich geschützte Vertragsfreiheit nicht, dass Altenpfleger in stationären Einrichtungen selbständige Dienstleistungen ausüben können. Dem Beigeladenen zu 1) ist es nicht verwehrt, als Unternehmer tätig zu werden. Wenn er seine Zusammenarbeit mit Dritten wie dem Kläger allerdings so gestaltet, dass er nach dem Gesamtbild in einer abhängigen Beschäftigung steht, so ist der Kläger im sozialversicherungsrechtlichen Sinn Arbeitgeber. Die durch Art.2 Abs.1 GG geschützte Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers ist dadurch zulässig eingeschränkt, dass dieser dann, wenn er abhängig beschäftigt ist, der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht unterliegt (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995, Az.: 12 BK 98/94).

Nicht zu beanstanden ist auch die Höhe der Beitragsforderung. Insbesondere findet § 7b SGB IV keine Anwendung. § 7b wurde mit Wirkung vom 01.01.1999 durch Art.1 des Gesetzes vom 20.12.1999 (BGBl. 2000 I, 2) eingeführt. Diese Sonderregelung gilt außerhalb des Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV und soll Auftraggebern, deren Status als Arbeitgeber festgestellt wurde, eine gewisse Erleichterung bei Beitragsrückständen schaffen. § 7b SGB IV gilt für Statusentscheidungen in Verfahren, die nicht von § 7a Abs.6 SGB IV erfasst werden, also auch für Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV. Für Statusentscheidungen, die vor dem 01.01.1999 erlassen worden sind, ergibt sich die Nichtanwendbarkeit des § 7b SGB IV aus dem In-Kraft-Treten erst zum 01.01. 1999 (ebenso Schmidt in Die Angestelltenversicherung 2000, S.317). Auf die dem Bescheid vom 21.10.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1997 innewohnende Statusentscheidung findet § 7b SGB IV also keine Anwendung. Für die Anwendbarkeit des § 7b SGB IV auf den nach In-Kraft-Treten der einschlägigen Norm erlassenen Bescheid vom 21.12. 2001 wäre für den späteren Beginn der Versicherungspflicht erforderlich, dass weder der Beschäftigte noch sein Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig vom Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind (§ 7b Satz 1 Ziffer 3 SGB IV). Grobe Fahrlässigkeit ist gleichbedeutend mit Leichtfertigkeit im Sinne der §§ 306 SGB V und § 266d StGB und ist zum Beispiel dann gegeben, wenn deutliche Hinweise auf eine Beschäftigung vorliegen; das ist insbesondere der Fall, wenn für eine derartige Tätigkeit bereits ein Beschäftigungsverhältnis festgestellt oder im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ausgegangen worden ist (Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 7b SGB IV Rz.6). Angesichts des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom 10.11. 1995 und dem Nachforderungsbescheid vom 21.10.1996 musste den Beteiligten klar sein, dass die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zu erwarten war. Auch wenn dem Einspruch des Beigeladenen zu 1) gegen den Lohnsteuerhaftungsbescheid im März 1997 abgeholfen worden ist, war es dennoch leichtfertig, das Vertragsverhältnis auf derselben Basis fortzuführen.

Obwohl mit dem Bescheid vom 21.12.2001 Beiträge betreffend das Jahr 1996 geltend gemacht worden sind, sind diese nicht verjährt. Zwar verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Verjährung ist aber für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt (§ 25 Abs.2 Satz 2 SGB IV). Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung (§ 25 Abs.2 Satz 4 SGB IV). Die Beklagte hat ihre Betriebsprüfung erst nach umfangreichen Ermittlungen bei Kläger, Beigeladenen, Finanzamt und Klägerbevollmächtigten Ende 2001 abgeschlossen. Davor hat insbesondere keine Schlussbesprechung stattgefunden. Weil der Hemmungszeitraum vom Beginn der Betriebsprüfung am 11.09.2000 bis zum Erlass des Beitragsbescheides im Dezember 2001 nicht in den Verjährungszeitraum eingerechnet wird, sind die Beitragsforderungen für das Jahr 1996 nicht verjährt. Der Beitragsbescheid unterbricht die Verjährung gemäß § 52 Abs.1 SGB X.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte von der Gesamtentgeltzahlung lediglich 25 % als Nachtzuschlag abgezogen und diesen Betrag der Beitragsberechnung zugrunde gelegt hat. Richtig ist, dass Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei sind, soweit sie 40 v.H. des Grundlohns nicht übersteigen, falls die Nachtarbeit vor 0.00 Uhr aufgenommen wird (§ 3b Abs.1 und 3 EStG). Zutreffend weist die Beklagte jedoch darauf hin, dass § 3b EStG die Zahlung neben dem Grundlohn voraussetzt. Die Steuerfreiheit entfällt daher, wenn Nachtarbeit regelmäßig zu verrichten ist, der Nachtwächter also beispielsweise einen höheren Grundlohn erhält, wenn eine Trennung von Vergütung und Zuschlag nicht vorgesehen oder nicht möglich ist oder wenn ein für die geschuldete regelmäßige Arbeitsleistung gezahltes Gehalt nur rechnerisch in Grundlohn und Zuschläge aufgeteilt wird (Heinicke in Einkommensteuergesetz, Kommentar, 24. Auflage, § 2b Rz.7). In den vom Beigeladenen zu 1) ausgestellten Rechnungen sind derartige Zuschläge jedoch nicht ausgewiesen. Der Kläger hat daher keinen Anspruch darauf, dass über den von der Beklagten vorgenommenen pauschalen Abschlag hinaus weitere Abzüge vorgenommen werden.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Beklagten in vollem Umfang erfolgreich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs.1 VwGO.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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