S 11 KA 829/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KA 829/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KA 31/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Verordnung der inhalativen Anwendung von Proleukin/Interleukin-2 bei
metastasiertem Nierenzellkarzinom verstößt nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot;
2. Es handelt sich bei der inhalativen Gabe von Proleukin/Interleukin-2 bei metastasiertem Nierenzellkarzinom um einen zulässigen Fall des Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung;
I. Der Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, über den Widerspruch der Kläger erneut, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, zu entscheiden.

III. Der Beklagte und die Beigeladene zu 2.) tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Regress in Höhe von 186.150,48 DM (= 95.177,23 EUR) aufgrund unterwirtschaftlicher Behandlungsweise wegen inhalativer Gabe von Proleukin (Interleukin 2) streitig.

Die Klägerin zu 2. nimmt als Hochschulpoliklinik nach § 117 SGB V an der ver-tragsärztlichen Versorgung teil. Sie gehört seit 01.07.1999 zum Universitätsklini-kum L. und hat im Zeitraum bis Ende 2000 für mindestens 30 bei der Beigelade-nen zu 2. versicherte Patienten im ambulanten Bereich die kombinierte Immunthe-rapie mit Interleukin-2 angewandt. Mit Schreiben vom 28.12.2000 beantragte des-halb die Beigeladene zu 2. die Prüfung nach § 12 der Prüfvereinbarung in beson-deren Fällen. Dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 23.01.2001 (gegenüber der Beigeladenen zu 1.) zurückgenommen. Stattdessen beantragte die Beigeladene zu 2. mit Schreiben vom 28.02.2001 die Prüfung eines sonstigen Schadens ge-mäß § 13 der Prüfvereinbarung. Zur Begründung gab sie an, im Dezember 2000 erfahren zu haben, dass im gesamten Bundesgebiet Studien durchgeführt werden, welche unterschiedliche Anwendungsformen und Präparatekombinationen von Proleukin zur Grundlage hätten. Eine Auswertung habe ergeben, dass von der Klägerin zu 2. Arznei- und Hilfsmittel verordnet worden seien, welche genau den vier Therapieschemata entsprechen, die in der Studie zur kombinierten Chemo-Immuntherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms verfolgt werden. Alle Pro-leukinverordnungen seien außerhalb der zugelassenen Indikation vorgenommen worden. Es handele sich bei den durchgeführten Medikationen um Behandlungs-methoden im experimentellen Stadium. Die klinische Forschung läge nicht in der Leistungspflicht der GKV. Der finanzielle Schaden belaufe sich auf 2.194.626,14 DM (= 1.122.094,53 EUR).

Für die Klägerin zu 2. nahm der Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie, Prof. Dr. D. , mit Schreiben vom 12.04.2001 Stellung. Die Unterstellung der Beigelade-nen zu 2. beziehe sich vermutlich auf das DGCIN 98 Konsensusprotokoll der Deutschen Urologisch-internistischen Multicenter-Gruppe. An dem Therapieopti-mierungsvergleich nach dem DGCIN 98 Konsensusprotokoll oder einer klinischen Studie habe sich die Klägerin zu 2. nicht beteiligt. Die Entscheidung über die strei-tigen Verordnungen sei aufgrund eingehender individueller Diagnose der Patien-ten erfolgt. Proleukin sei nicht außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet worden. Sämtliche Patienten seien wegen eines metastasierenden Nierenzellkar-zinoms behandelt worden. Proleukin mit dem Wirkstoff Interleukin-2 sei seit 1989 zur Behandlung des metastasierenden Nierenzellkarzinoms zugelassen. Zwar sei die gewählte Applikationsart der Inhalation oder der subkutanen Injektion in der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht erwähnt. Die in der Zulassung erwähnte Applikation durch intravenöse Langzeitinfusion werde aber heute praktisch nicht mehr durchgeführt. Die Erfahrung habe gezeigt, dass mit der inhalativen Applikati-on eine zumindest ebenso wirksame aber weitaus nebenwirkungsärmere Behand-lungsalternative zur Verfügung steht. Die Applikation durch Inhalation oder subku-tane Injektion könne von der Beigeladenen zu 2. auch unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit nicht beanstandet werden. Tatsächlich sei die inhalative oder subkutane Applikation weitaus kostengünstiger als die intravenöse Langzeitinfusi-on, da diese mit einem stationären Klinikaufenthalt mit intensivmedizinischer Betreuung verbunden ist. Bei der Behandlung lokaler Metastasen durch Inhalation von Interleukin-2 findet praktisch keine systemische Resorption statt. Auch die systemische subkutane Gabe von Interleukin-2 zeichne sich durch die Möglichkeit einer geringen Dosierung und damit verbundenen geringen Toxizität aus. Die Wahl der Applikation liege in dem durch die Behandlungsfreiheit geschütztem Er-messen des Arztes. Die Klägerin zu 2. verwies auf die Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use und führt ergänzend aus, dass die inhalative Applikation von Interleukin-2 im Therapieplan der urologischen Klinik des UKE Hamburg vorgese-hen sei. Sie werde insbesondere an den Universitätskliniken Berlin-Charité, Han-nover, Heidelberg, Kiel, Köln, Mainz und Tübingen sowie an der Tumorklinik Bonn eingesetzt.

Der Prüfungsausschuss teilte den Beteiligten mit Schreiben vom 27.08.2001 mit, dass der Antrag der Beigeladenen zu 2. in eine Prüfung nach § 12 der Prüfungs-vereinbarung (Prüfung in besonderen Fällen) umgewidmet worden sei.

Die Beigeladene zu 2. hielt an ihrem Antrag fest und stellte mit Schreiben vom 11.09.2001 klar, dass von den im Prüfungszeitraum mit der Immunchemotherapie bei metastasierenden Nierenzellkarzinom behandelnden 30 Patienten 11 durch die inhalative Gabe behandelt wurden. Für 3 dieser 11 Patienten lägen in den Patientendokumentationen Ablehnungen auf die Kostenübernahmeanträge für das Inhalationsgerät Delta Jet Air vor. Diesen 3 bei der Beigeladenen zu 2. versicher-ten Patienten sei trotz Ablehnung des Hilfsmittels das Arzneimittel Proleukin zur Inhalation verordnet worden. Vorsorglich wurde darauf hingewiesen, dass für den Patienten Manfred W. nach dessen Tode das Hilfsmittel (Inhalationsgerät Delta Jet Air) noch nachträglich genehmigt wurde. Dies sei nicht erfolgt, um nachträglich die Therapie zu gestatten, sondern um die nicht unerheblichen Kosten des Hilfs-mittels nicht zu Lasten der Hinterbliebenen des Verstorbenen gehen zu lassen.

Für die Klägerin zu 2. nahm der Klinikdirektor Prof. Dr. D. ergänzend mit Schreiben vom 15.10.2001 Stellung. Er erläuterte das Behandlungskonzept bei metastasierenden Nierentumoren. Zum Einsatz komme dabei Proleukin subkutan, Roferon subkutan, 5-Fluorouracil p.o. oder i.v. und Roaccutan p.o.; 1998 sei die Therapie mit Proleukin inhalativ in ausgewählten Fällen (pulmonale/mediastianale Metasta-sierung) ergänzt worden. Prof. Dr. D. erläuterte die einzelnen Fälle. Danach be-stand bei dem Versicherten Manfred W. ein Zustand nach radikaler Tumorneph-rektomie links 5/95; CT Thorax/MRT Abdomen 10/98 mit Nachweis eines Lokalre-zidivs und einer pulmonalen Metastasierung; Lokalrezidiventfernung mit Milzextir-pation 11/98 (R1-Resektion); CT-Abdomen 01/99: Verdacht auf Lokalrezidiv; im 1. Zyklus erfolgte eine Immunchemotherapie (ohne inhalatives Proleukin) 01-03/99; CT Thorax/Abdomen 04/99 ohne Nachweis eines Lokalrezidivs bei progredienter pulmonaler Metastasierung; im 2. Zyklus erfolgte eine Immunchemotherapie (oh-ne inhalatives Proleukin) 05-07/99; CT Thorax/Abdomen 07/99: stable disease; im 3. Zyklus erfolgte erneut Immunchemotherapie (ohne inhaltatives Proleukin) 09-11/99; CT Thorax/Abdomen 12/99: progrediente pulmonale Metastasierung und Lokalrezidiv; als Ultima ratio erfolgte die Inhalation mit Proleukin und Vinblastin 02-03/00. Bei der Versicherten Brigitte G. lag ein Zustand nach radikaler Tumor-nephrektomie rechts und p.o. Radiatio vor. CT/Thorax 10/98: Pulmonale und mediastinale Metastasierung. Nach dem 1. Zyklus Immunchemotherapie (ohne inha-latives Proleukin) 11/98-01/99 (Z.n. Radiatio des Madiastinums 02-03/99; CT/Thorax 04/99: mixed response) erfolgte im 2. Zyklus die Immunchemotherapie mit inhaltativem Proleukin 06-08/99 als Maximaltherapie. Bei dem Versicherten Karl-Heinz P. lag ein Zustand nach radikaler Tumornephrektomie links 08/99 vor; Z.n. Metastasektomie rechte Lunge und Resektion des oberen Sternumanteils sowie beider Sternoklavikulargelenke wegen pulmonaler und ossärer Metastasie-rung; im 1. Zyklus erfolgte Immunchemotherapie ohne Proleukin inhalativ 11/99-01/00; CT/Thorax 01/00 ergab eine progrediente pulmonale Metastasierung. Im 2. Zyklus erfolgte die Immunchemotherapie mit Proleukin inhalativ als Ultima Ratio 02-04/00.

Mit Prüfbescheid vom 10.12.2001 (aufgrund Sitzung vom 07.11.2001) setzte der Prüfungsausschuss einen Regress in Höhe von 186.150,48 DM fest und führte zur Begründung aus, das metastasierende Nierenzellkarzinom sei in seinem Verlauf und seiner Prognose als sehr ernst einzuschätzen. Eine kurative Behandlung sei nicht möglich und die Ansprechraten auf eine Chemotherapie mit verschiedenen Zytostatika seien enttäuschend niedrig. Interleukin-2 sei 1990 zur Therapie des metastasierenden Nierenzellkarzinoms als intravenöse Dauerinfusion zugelassen. Aufgrund der schweren Nebenwirkungen müsse die Therapie stationär durchge-führt und intensivmedizinisch betreut werden. Diese Darreichungsform finde in der Praxis kaum noch Anwendung. Durch die kombinierte Immuntherapie mit Interleu-kin-2 (subkutan bzw. inhalativ) und Interferon alpha 2 a (subkutan) werden bei ge-ringerer Nebenwirkungsrate Ansprechraten von etwa 30% (bei 10% Langzeitrem-missionen) erreicht. Das LSG Sachsen-Anhalt habe in einer aktuellen Entschei-dung die Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit der zulassungsfremden inhalati-ven Anwendung von Interleukin-2 bestätigt. Im Prüffall seien 18 Patienten nach einem Therapieschema behandelt worden, das die subkutane Anwendung von Interferon alpha 2a sowie Interleukin-2 beinhaltete, bei 12 Patienten wurde neben subkutan applizierten Interferon alpha 2a Interleukin-2 inhalativ verabreicht. Beide Applikationswege waren zum Zeitpunkt der Verordnungen nicht durch Zulassun-gen gedeckt. Seit September 2001 sei die subkutane Applikationsform arzneimit-telrechtlich zugelassen. In den Leitlinien der Fachgesellschaften werde zur Be-handlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms dieses Therapiekonzept emp-fohlen. Die kombinierte Chemoimmuntherapie bestehend aus Interleukin-2 (subku-tan) und Interferon alpha 2a (subkutan) könne deshalb als de-facto-Standard in der Therapie des Krankheitsbildes bezeichnet werden. Die inhalative Anwendung soll sich im Vergleich zur subkutanen Applikation bei gleicher Wirksamkeit durch ein geringeres Nebenwirkungsrisiko auszeichnen. Dennoch sei die inhalative Me-thode noch nicht allgemein etabliert. Die Datenlage sei weniger umfangreich, der Grad der nachgewiesenen Wirksamkeit noch nicht ausreichend. Die inhalative Anwendungsform besitze weltweit keine Zulassung und habe in den Therapieempfehlungen der urologischen Fachgesellschaften noch keinen Niederschlag gefun-den. Die Rückforderungen der Verordnungskosten für inhalativ durchgeführte Chemoimmuntherapie bei 12 Patienten wurde auf 3 Fälle reduziert, in denen trotz Ablehnung der Hilfsmittelanträge durch die zuständige Krankenkasse Interleukin-2 inhalativ verabreicht wurde. Für diese 3 Fälle (Brigitte G., geb. 1931; Manfred W., geb. 1940; Karl-Heinz P., geb. 1944) waren Kosten in Höhe von insgesamt 186.150,48 DM angefallen.

Hiergegen hat die Klägerin zu 2. mit Schreiben vom 10.01.2002 ohne Angabe von Gründen Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbe-scheid vom 01.08.2002 (aufgrund Sitzung vom 22.05.2002), gerichtet an die Uni-versität L., Klinik und Poliklinik für Urologie, abgewiesen. Der Beklagte hat eine erneute Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt und kommt zu dem Ergebnis, dass 3 Patienten mit Interleukin-2-Inhalationen behandelt worden seien, obwohl die zuständige Krankenkasse die Übernahme der Hilfsmittelkosten für die Inhalati-onsgeräte, aus denen die geplante Therapie hervorging, abgelehnt hatte. Die Be-handlung mit Interleukin-2 erfolgte in der zulassungsfremden inhalativen Applikati-onsform, jedoch innerhalb der zugelassenen Indikation (metastasierendes Nieren-zellkarzinom). Zur Frage, ob sich aufgrund des BSG-Urteils vom 19.03.2002 (Off-Label-Use) eine Leistungspflicht der Krankenkasse ableiten lasse, habe kein Kon-sens bestanden. Obwohl der inhalative Applikationsweg von der Mehrheit der Tumorzentren befürwortet bzw. angewendet werde, finde diese Behandlungsform in den Leitlinien der urologischen Fachgesellschaft bisher noch keinen Nieder-schlag.

Hiergegen haben die Kläger zum 30.8.2002 Klage erhoben und zunächst klarge-stellt, dass die zweite Adressantin des Widerspruchsbescheides nicht mehr eine Einrichtung der Universität L. sei, sondern zum Universitätsklinikum L. (einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, § 1 Abs. 1 UKG) gehöre. Das Uni-versitätsklinikum L. sei im Hinblick auf die Klinik und Poliklinik für Urologie Rechts-nachfolgerin der Universität L. Zur Vermeidung der Rechtskraft wurde auch für die Klägerin zu 1. Klage erhoben. Die Kläger verweisen auf die Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use (Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00 R). Da das Medikament Interleukin 2 zur Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms zugelassen sei, bestehe kein Off-Label-Use im Sinne der Entscheidung des BSG. Die Klinik der Klägerin zu 2. habe lediglich die für das Medikament im Rahmen der Zulassung nicht angegebene Anwendungsform der Inhalation angewendet. Die vom BSG für die Off-Label-Use genannten Voraussetzungen seien allerdings ent-sprechend anzuwenden. Dabei sei zu beachten, dass Veränderungen in der Art der Anwendung auch nach dem Arzneimittelgesetz weniger bedeutsam seien, als die Abweichung von dem zugelassenen Anwendungsgebiet. Die 1. Voraussetzung für die Zulassung den Off-Label-Use sei erfüllt, da es sich um eine ernste, le-bensbedrohende Krankheit handele. Auch die 3. Voraussetzung liege vor, da die inhalative Anwendung von Interleukin-2 Behandlungserfolge erziele und in großem Umfang auch von anderen Therapieeinrichtungen so durchgeführt werde. Die Klä-ger verwiesen insoweit auf die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 05.06.2001, L 4 B 4/01 KR ER). Danach sei auch die 2. Voraussetzung er-füllt, da die subkutane oder inhalative Therapie bereits als Standardtherapie be-zeichnet werde. Lokale Applikationen, wie die Inhalation, seien nicht attraktiv für Zulassungsverfahren, da sie in ihrer Individualität bei hoch selektionierten Patien-ten und oftmals bei seltenen Tumorerkrankungen eingesetzt werden. Dies könne jedoch nicht zu Lasten der Patienten gehen. In allen 3 Fällen, in denen die Beige-ladenen zu 2. den Regressanspruch geltend mache, habe eine andere Therapie-möglichkeit nicht mehr bestanden. Eine subkutane Behandlung sei nicht mehr möglich gewesen. Es lägen auch ausreichende wissenschaftliche Quellen vor, die den Nutzen der inhalativen Behandlung mit Interleukin-2 belegen. Die von der Beigeladenen zu 2. hierzu benannte Ablehnung der inhalativen Behandlung durch das Tumorzentrum München stamme aus dem Jahr 1997 und sei zwischenzeitlich veraltet und überholt. Die Kläger verweisen auf die vom Beklagten vorgelegte Ex-pertenempfehlung der DGFIT. Danach sei die Wirksamkeit der inhalativen Gabe von Interleukin-2 durch Studien belegt und durch Fachstellungnahmen befürwor-tet. Die Kläger schildern nochmals dezidiert die einzelnen Krankheitsverläufe der 3 Patienten (S. 115 der Gerichtsakte) und legen die Behandlungsunterlagen (S. 277 ff. der Gerichtsakte) sowie Stellungnahmen der behandelnden Ärzte vor (vom 13.02.2003, S. 118 der Gerichtskate, und vom 08.07.2004, S. 313 der Gerichtsak-te), auf die vollinhaltlich verwiesen wird.

Die Kläger beantragen,

den Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 aufzuheben und den Beklag-ten zu verurteilen, über den Widerspruch der Kläger erneut unter Beach-tung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Klage abzuweisen.

Er legt u. a. ein Gutachten des MDK Schleswig-Holstein vom 05.01.1999 vor. Da-nach rechtfertigten die vorliegenden Behandlungsergebnisse die palliativen The-rapieversuche mit inhalativem Interleukin-2, weil es keine sinnvolle Behandlungs-alternative mehr gebe. Der Gutachter schloss sich der Stellungnahme der Deut-schen Krebsgesellschaft vom Dezember 1997 dahingehend an, dass die Kosten-übernahme für diese spezielle Therapieform unter der Voraussetzung empfohlen werden kann, wenn die Patienten im Rahmen eines Therapieoptimierungsproto-kolls behandelt werden und die Behandlungszentren nachweislich in die Beson-derheiten dieser Behandlungsform eingeführt worden sind. Ferner legt der Beklag-te die Stellungnahme der DGFIT vom 30.06.2000 vor. Danach ist die systemische subkutane Gabe ambulant durchführbar und wirksam, wie in zahlreichen Studien belegt. Zur inhalativen Applikation von Interleukin-2 zur Behandlung von Lungen-metastasen bestünden umfangreiche Erfahrungen. Sie sei die zweithäufigste An-wendungsform für Proleukin in Deutschland und werde regelhaft überwiegend bei seltenen Erkrankungen wie dem pulmonal metastasierten Nierenzellkarzinom und Melanom angewendet. Zurzeit würden etwa 70 Veröffentlichungen diese Applika-tionsform an mehreren hundert Patienten beschreiben.

Die mit Beschluss vom 02.01.2003 beigeladene Krankenkasse (Beigeladene zu 2.) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Interleukin-2 sei in der seit 1990 zugelassenen Applikationsform der intravenösen Dauerinfusion nebenwirkungshoch, in der seit 24.09.2001 zugelassenen subkuta-nen Applikationsform nebenwirkungsarm. Interleukin-2 in der inhalativen Anwen-dungsform sei nicht zugelassen und befinde sich weltweit nirgendwo in einem Zu-lassungsverfahren. Es fehlten bisher Forschungsergebnisse, die erwarten lassen, dass diese Form zugelassen werden kann. Über die Nebenwirkungshäufigkeit fänden sich keine verlässlichen Studien. Die Therapie werde nur als Standardthe-rapie der Universität Hamburg und von zahlreichen Universitätszentren und Spe-zialambulanzen erwähnt. Die Beigeladene zu 2. legt einen Aufsatz von Dr. Kirch-ner, dem Mitinitiator der Therapieoptimierungsstudie, aus der Ärztezeitung vom 03.04.2001 vor. Dr. Kirchner habe ausgeführt, für Patienten mit Lungenmetasasen sei die Therapie "möglicherweise" effektiver und verträglicher, wenn sie Interleu-kin-2 inhalieren. Es handele sich bei der inhalativen Anwendung nicht um ein all-gemein anerkanntes Verfahren, das breiten Konsens in der Fachgesellschaft ge-funden habe. Die Therapie habe keine Aufnahme in die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen urologischen Gesellschaft gefunden. Bezug nehmend auf die Studie von Prof. Huland führt die Beigeladene zu 2. aus, dass lediglich 186 der angeschriebenen Zentren geantwortet hätten. Davon würden 64 Zentren Interleukin-2 inhalativ verwenden. D.h., ca. 35 % der Kliniken, die geant-wortet haben, wenden Interleukin-2 inhalativ an. Angesichts der 2.240 Kranken-häuser in Deutschland ergebe sich aus dieser Relationen keine allgemeine Aner-kennung des Verfahrens. Die Bedingungen für einen Off-Label-Use seien nicht gegeben. Zwar handele es sich bei den Krebserkrankungen um schwerwiegende Erkrankungen. Doch es habe eine andere Therapie, nämlich Interleukin-2 subku-tan, mit begründeter Aussicht auf einen Behandlungserfolg zur Verfügung gestan-den. Die Beigeladene zu 2. legt eine Empfehlung zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge urogenitaler Tumore des Tumorzentrums München bei (S. 124 ff. der Gerichtsakte). Ergänzend führt die Beigeladene zu 2. aus, ausreichende wissen-schaftliche Quellen, die den Nutzen der inhalativen Behandlung mit Interleukin-2 belegen, lägen nicht vor. Internationale Veröffentlichungen zu Studien mit inhala-tivem Interleukin-2 existierten nicht. In den Leitlinien der Hämatologie werde die Therapie als experimentell bezeichnet.

Die mit Beschluss vom 02.01.2003 beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (Beigeladene zu 1.), die keinen Antrag gestellt hat, verwies schriftsätzlich darauf, dass lediglich geringere Nebenwirkungen noch nicht die vom BSG aufgestellten Voraussetzungen zum Off-Label-Use erfüllen.

Das Gericht hat die Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt vom 05.06.2001 (Az.: L 4 B 4/01 ER), die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Urologie, einen Auszug über die Immuntherapie bei Nierenzell-karzinom der Ärztezeitung vom 14.01.2004, einen Aufsatz zur Behandlung des pulmonal metastasierenden Nierenzellkarzinoms mit inhalativen Interleukin-2 aus "Der Urologe" 5/99, einen Aufsatz über die Immuntherapie des metastasierten Nie-renzellkarzinoms in Deutschland mit Auswertung der Doppelerhebung aus "Der Urologe" 3/02 sowie einen Auszug des 12. Urologischen Winter-Workshop vom 27.01.2003 über den Vergleich der systemischen und der inhalativen Interleukin-2-Therapie bei Hochrisikopatienten mit pulmonal metastasierten Nierenzellkarzinom beigezogen. Auf die Unterlagen, sowie die beigezogene Verwaltungsakte und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Der Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 (erlassen aufgrund Sitzung vom 22.05.2002) verletzt die Kläger rechtswidrig in ihren Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dabei war in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreise der Krankenkassen und der Vertragsärzte zu entscheiden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 SGG). Die Kammer konnte hierüber auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen, aber nicht erschienenen Beklagten entscheiden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist nur der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses. Eine gerichtliche Anfechtung und Aufhe-bung des im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung erlassenen Bescheides des Prüfungsausschusses scheidet - von bestimmten, hier nicht in Betracht kommen-den Ausnahmen abgesehen - aus Rechtsgründen aus (vgl. BSGE 74, 59).

Hinsichtlich der Klägerin zu 1. erweist sich der Beschluss bereits deshalb als rechtswidrig, als er sich gegen den falschen Adressaten richtet. Die Klinik und Po-liklinik für Urologie gehört bereits seit dem 01.07.1999 zum Universitätsklinikum L., einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 UKG) und unter-steht als Einrichtung nicht mehr direkt der Universität L ... Danach hätte der Wider-spruchsbescheid lediglich an das Universitätsklinikum L., Klinik und Poliklinik für Urologie gerichtet werden dürfen.

Im Übrigen erweist sich der Beschluss als rechtswidrig, weil er die Klägerin zu 2. rechtswidrig in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte hat nach Auffassung der Kammer keinen Regress gegen die Klägerin zu 2. feststellen dürfen.

Die Klinik und Poliklinik für Urologie des Universitätsklinikums L. nimmt als Polikli-nik nach § 117 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Nach § 117 SGB V ist der Zulassungsausschuss verpflichtet, die poliklinischen Institutsambulanzen der Hochschulen (Polikliniken) auf Verlangen ihrer Träger zur ambulanten ärztli-chen Behandlung der Versicherten und der in § 75 Abs. 3 genannten Personen zu ermächtigen (§ 117 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 16.06.1998, BGBl. I S. 1311, i.d.F. bis 31.12.2002). Für die im Rahmen dieser Er-mächtigung erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen gelten die Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs. 1 bis Abs. 5 SGB V entsprechend (§ 106 Abs. 6 SGB V). Hier hat der Beklagte nach § 106 Abs. 1 SGB V in Verbin-dung mit § 12 der Prüfungsvereinbarung eine Prüfung in besonderen Fällen vor-genommen. Danach prüft das Prüfgremium auf begründeten Antrag der Beigela-denen zu 1. oder der Krankenkassen bzw. deren Verbände auch, ob der Ver-tragsarzt durch veranlasste oder verordnete oder selbst erbrachte Leistungen im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat. Anträge können bis 12 Monate nach bekannt werden des Ereignisses gestellt werden (§ 12 Satz 2 der Prüfvereinbarung). Sind seit dem Ereignis mehr als zwei Jahre vergangen, ist ein Antrag ausgeschlossen (§ 12 Satz 4 der Prüfvereinbarung). Die Antragsfristen sind hier, bezogen auf die ambulante Behandlung der 3 Patienten gewahrt. Die durchgeführte Einzelfallprüfung kommt in Betracht, wenn eine statistische Ver-gleichsprüfung nicht durchgeführt werden kann, weil z.B. keine ausreichend große Vergleichsgruppe zur Verfügung steht oder eine Normalverteilung nicht vorliegt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 33). Dabei setzt die hier angewandte strenge Einzelfallprüfung (vgl. zur Unterscheidung zwischen strenger und eingeschränkter Einzelfallprüfung BSG a.a.O.) bei dem objektiven Krankheitszustand der behan-delten drei Patienten (Manfred W., Brigitte G., Karl-Heinz P.) im Zeitpunkt der Be-handlung an. Zu prüfen war daher, ob in den 3 Fällen durch die inhalative Gabe von Interleukin-2 gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen wurde.

Der vom Beklagten nach durchgeführter Einzelfallprüfung ausgesprochene Re-gress in Höhe von 186.150,48 DM erweist sich als rechtswidrig, da ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht zu erkennen ist. Die Verordnung der in-halativen Anwendung des Medikaments Proleukin mit dem Wirkstoff Interleukin-2 verstößt nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehand-lung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Ver-schlimmerung zu verhüteten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichti-gen Arzneimitteln, soweit sie in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfä-hig sind. Diese Verpflichtung der Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicher-ten unterliegt der Einschränkung aus den §§ 2 Abs. 4 und 12 Abs. 1 SGB V. Da-nach müssen die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Die verordneten Leistungen müssen zweckmäßig sein, d. h., in Qualität und Wirk-samkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft ent-sprechen. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittel-rechts der Zulassung bedarf und die Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.1998, BSGE 82, 233, 235).

Interleukin-2 wird durch das Pharmaunternehmen Chiron/Behring hergestellt und ist ein natürlich im Körper vorkommendes Zytokin (Botenstoff), welches die kör-pereigene Abwehr bei der Auseinandersetzung mit dem Tumor unterstützt und stärkt. Bei dem unter dem Namen "Proleukin" vertriebenen Medikament handelt es sich um ein im Jahre 1989 zugelassenes Arzneimittel im Sinne des Arzneimit-telgesetzes, das grundsätzlich in der kassenärztlichen Versorgung eingesetzt werden darf. Die Zulassung beschränkt sich jedoch bislang auf die intravenöse Dauerinfusion und (seit 24.09.2001) auch auf die subkutane Applikation. Eine Zu-lassung in der hier streitigen Applikationsform (inhalative Gabe) liegt in Deutsch-land bislang nicht vor. Gleichwohl können die Versicherten diese Anwendungs-form beanspruchen.

Dem steht insbesondere § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht entgegen. Danach dür-fen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur er-bracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag einer kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer kassenärztlichen Vereini-gung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben haben über die Anerken-nung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden) nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie die An-forderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte An-wendung der neuen Methode zu sichern und die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztlichen Behandlung.

Die Regelungen zur Prüfung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsme-thode sind hier nicht einschlägig. Es handelt sich bei der Behandlung eines meta-stasierenden Nierenzellkarzinoms mit Proleukin (Wirkstoff Interleukin-2) nicht um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Da es sich um ein zugelassenes Arzneimittel handelt und auch für die vorgesehene Indi-kation, nämlich das Nierenzellkarzinom, angewandt wurde, bedurfte es keiner ge-sonderten Bewertung durch den Bundesausschuss. Eine Behandlungsmethode, die sich in der Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen Arz-neimittels erschöpft, muss nicht durch den Bundesausschuss empfohlen sein, um vertragsärztlich verordnet werden zu dürfen, weil sie mit der Arzneimittelzulassung automatisch zum Bestand der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen gehört und damit nicht mehr als "neu" im Sinne der gesetzlichen Regelung zu gelten hat (vgl. BSG, Urteile vom 28.03.2000, B 1 KR 11/98 R, B 1 KR 18/98 R).

Für Arzneitherapien gilt der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 SGB V nur, so-weit es sich um die Anwendung von Rezepturarzneien oder anderen Arzneimitteln handelt, die im Einzelfall auf besondere Anforderungen hergestellt werden (BSG, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R in BSGE 89, 184 bis 192). Nur für diese Präparate, die keine Zulassung nach dem AMG benötigen, ist die Prüfung durch den Bundesausschuss erforderlich, da sonst jegliche Qualitätskontrolle und die Überprüfung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unterbleibt. Soweit das Arz-neimittelrecht jedoch eine Zulassung vorschreibt, ist der Nachweis der Unbedenk-lichkeit und der Wirksamkeit des Medikaments in dem neuen Anwendungsgebiet nach der Gesetzessystematik in dem Zulassungsverfahren und nicht im Wege der Zertifizierung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu füh-ren.

Ein Arzneimittel darf, auch wenn es zum Verkehr grundsätzlich zugelassen ist, nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Es handelt sich bei der inhala-tiven Gabe von Interleukin-2 um eine Anwendung außerhalb der ausgesproche-nen Zulassung, da die Zulassung eines Arzneimittels auch die Art der Anwendung umfasst. Dies ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 des Arzneimittelgesetzes (AMG), der dazu verpflichtet, die Art und ggfs. die Dauer der Anwendung im Zu-lassungsverfahren anzugeben (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.06.2001, L 4 B 4/01 KR ER). Darüber hieraus sind Änderungen in der Anwen-dung zustimmungsbedürftig (§ 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 AMG). Die grundsätzliche Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erstreckt sich auch nicht auf die Verwendung eines Arzneimittels in der nicht zugelassenen Applikations-form (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.1999 B 8 KN 9/98 KR R). Die ärztliche Behand-lungsfreiheit erlaubt zwar die Verordnung eines Medikaments in Abweichung von der in der Zulassung beschriebenen Anwendungsform, jedoch soll sich die Leis-tungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht auf den nicht zulassungsentsprechenden Einsatz eines Arzneimittels erstrecken (BSG a.a.O.).

Danach liegt hier eine zulassungsüberschreitende Anwendung und damit ein Off-Label-Use vor, da die inhalative Gabe von Interleukin-2 noch nicht zugelassen ist.

Der Ausschluss eines Off-Label Gebrauchs soll aber nicht ausnahmslos gelten (BSG, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R). In medizinischen Kreisen besteht Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern nicht völlig auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Gebrauch von Medikamenten verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vor-enthalten werden soll. Der Off-Label-Use muss sich jedoch auf Fälle beschränken, in denen einerseits ein unabweisbarer und nicht anders zu befriedigender Bedarf an Arzneimitteltherapie besteht, andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt ist.

Nach Auffassung der Kammer liegt in der zulassungsfremden Applikationsform der inhalativen Gabe von Interleukin-2 kein Verstoß gegen den Zulassungsvorbe-halt des Arzneimittelrechts vor. Es handelt sich um einen zulässigen Fall des Off-Label-Use zu Lasten der Krankenversicherung. Danach kann die Verordnung ei-nes Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsge-biet in Betracht kommen, wenn es 1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Le-bensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betref-fenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.03.2002, B 1 KA 37/00 R).

In den vorliegenden 3 Fällen lagen die Voraussetzungen eines Off-Label-Use vor.

Es handelt sich bei dem pulmonalen, metastasierenden Nierenzellkarzinom um eine schwere, lebensbedrohliche Erkrankung. Alle 3 Patienten befanden sich im Zustand nach radikalen Tumornephrektomien mit pulmonalen, mediastinalen Me-tastasierungen, teilweise progredient (Patient Manfred W., Patientin Brigitte G.), teilweise mit Zustand nach Metastasektomie der rechten Lunge (Patient Karl-Heinz P.). Danach lag die 1. Voraussetzung (unstrittig) vor.

Nach Auffassung der Kammer war ferner die 2. Voraussetzung erfüllt, da zum Zeitpunkt der inhalativen Gabe von Inteleukin-2 keine andere Therapie (mehr) ver-fügbar war. Zwar steht als Standard-Therapie die als grundsätzlich wirksame subkutane Interleukin-2–Anwendung zu Verfügung. Diese wurde in den streitigen Fällen auch zunächst angewandt. In allen 3 Fällen erfolgte zunächst ein Zyklus Immunchemotherapie ohne inhalativem Proleukin (stationär). Bei dem Patienten Manfred W. erfolgten sogar 3 Zyklen Immunchemotherapie ohne inhalative Gabe von Interleukin-2. Alle 3 Patienten wiesen trotz der Immunchemotherapie nach Beendigung des Zyklus progrediente pulmonale Metastasierungen auf. Die be-handelnden Ärzte haben sich sodann jeweils zur ambulanten Behandlung mit in-halativen Interleukin-2 entschlossen, wobei es sich um eine palliative Immunthe-rapie gehandelt hat. Nach den Ausführungen des ehemaligen Klinikleiters bei der Klägerin zu 2. findet bei Behandlung lokaler Metastasen durch Inhalation von In-terleukin-2 praktisch keine systemische Resorption statt. Auch nach den Feststel-lungen des MDK-Gutachtens (vom 05.01.1999) kommt es bei der inhalativen Gabe zu einer Verringerung der Nebenwirkungen ohne nennenswerte Toxizität. Für die Patienten, für die meist ohnehin keine Heilung zu erwarten ist, bedeutet dies eine Verbesserung der Lebensqualität. Teilweise ist die Behandlung unter Beibehaltung der sozialen Rolle (im familiären Bereich, z.T. unter Beibehaltung der Berufstätigkeit) durchführbar. Alle drei Patienten konnten zur häuslichen An-wendung der inhalativen Immuntherapie aus der stationären Behandlung entlas-sen werden. Die Kammer geht davon aus, dass zur Leidenslinderung kein anderer Behandlungsweg mehr zur Verfügung stand als die inhalative Gabe von Interleu-kin-2. Entgegen dem Vortrag der Beigeladenen zu 1., wonach eine nebenwir-kungsärmere Behandlungsmethode keinen Off-Label-Use begünstigen kann, ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass auch die Milderung der Beschwerden einen Off-Label-Use rechtfertigen kann. Versicherte haben auch Anspruch auf Linderung ihrer Leiden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Auch das BSG geht in seiner Entscheidung zum Off-Label-Use (a.a.O.) ausdrück-lich auf die palliative Wirkung eines Arzneimittels ein. Danach genügt bei dem schweren Krankheitsbild des Nierenzellkarzinoms die Verringerung oder das Aus-bleiben von Nebenwirkungen zur Befürwortung eines zulässigen Off-Label-Uses.

Nach Auffassung der Kammer besteht auch aufgrund der Datenlage die begrün-dete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (3. Voraussetzung). Nach der Rechtsprechung des BSG müssen hierfür Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Da-von könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretba-ren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Er-kenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Kon-sens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (vgl. BSG a.a.O.).

Diese Voraussetzung liegt nach Auffassung der Kammer ebenfalls vor. Zwar ist die Zulassung nach Kenntnis der Kammer nicht beantragt. Auch können keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Stan-dard oder Placebo) vorgelegt werden. Dies ist jedoch angesichts der Schwere des Krankheitsbildes auf längere Sicht nicht zu erwarten. Es handelt sich bei den me-tastasierenden Nierenzellkarzinom um ein seltenes Krankheitsbild, bei dem auch schwerlich Probanden für eine kontrollierte klinische Prüfung zu finden sein wer-den. Auch kann die Tatsache, dass der Hersteller Chiron/Behring es bislang unter-lassen hat, eine Zulassung für die inhalative Gabe zu beantragen, nicht zu Lasten der Versicherten gehen. Arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren sind zeitin-tensiv und gerade bei seltenen Erkrankungen oder speziellen Verlaufsformen teu-er. Die sich aus dem Arzneimittelrecht ergebenden Anforderungen an die Zulas-sung und die zugrundeliegenden ökonomischen Überlegungen des Arzneimittel-herstellers dürfen aber nicht dazu führen, dass den Versicherten eine unverzicht-bare und wirksame Therapie vorenthalten bleibt.

Nach Auffassung der Kammer bietet die Datenlage gleichwohl hinreichende Aus-sicht dafür, dass mit der inhalativen Gabe von Interleukin-2 ein Behandlungserfolg (insbesondere palliativ) erzielt werden kann. Es liegen hinreichende Erkenntnisse über Qualität und Wirksamkeit vor. Auch herrscht in einschlägigen Fachkreisen Konsens über den Nutzen der Therapie.

Der Gutachter des MDK Schleswig-Holstein hat bereits in seinem Gutachten vom 05.01.1999 darauf verwiesen, dass von der urologischen Universitätsklinik und Poliklinik des UKE (Hamburg) umfangreiches Material zum Therapieplan für das pulmonal metastasierte Nierenzellkarzinom vorgelegt wurde. Die Behandlungser-gebnisse würden palliative Therapieversuche rechtfertigen, weil es keine sinnvolle Behandlungsalternative mehr gebe. Der besondere Ansatz der Therapie liege in der Verringerung der von Interleukin-2 bedingten Nebenwirkungen durch die inha-lative Applikation ohne nennenswerte Toxizität. Auch in der Expertenempfehlung der DGFIT zur Interleukin-2-Immuntherapie wird ausgeführt, dass umfangreiche Erfahrungen zur Behandlung von Lungenmetastasen mit inhalativer Gabe von In-terleukin-2 bestehen. Es handelt sich um die zweithäufigste Anwendungsform für Proleukin in Deutschland. Etwa 70 Veröffentlichungen würden diese Applikations-form an mehreren hundert Patienten beschreiben. Alle bestätigen die besonders gute Verträglichkeit. Es handele sich bei der (subkutanen und) inhalativen Inter-leukin-2-Gabe um eine klinisch regelhaft durchgeführte Modifikationen mit nach-vollziehbaren pathophysiologischem Hintergrund. Beide Therapien seien durch prospektive Studien in Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gesichert. Be-reits daraus ergibt sich die grundlegende Anerkennung der Anwendung in Fach-kreisen.

Die Kammer stützt sich bei ihrer Bewertung weiter auf die Veröffentlichungen in der Fachzeitschrift "Der Urologe". In dem Aufsatz über die "Behandlung des pul-monal, metastasierten Nierenzellkarzinoms mit inhalativen Interleukin-2" von Mai 1999 schildern die Autoren, (H. Heinzer, E. Huland, M. Aalamian, H. Huland) be-reits seit 1989 Interleukin-2 inhalativ bei pulmonal, metastasierenden Nierenzell-karzinomen anzuwenden. Zum Zeitpunkt der schriftlichen Niederlegung waren 188 Patienten behandelt, bei einem Teil der Patienten war weitere Berufstätigkeit mög-lich, Begleitmedikamente nicht regelhaft erforderlich. In einer retrospektiven Ana-lyse wurden 75 Patienten, die in Hamburg mit einer inhalativen Therapie behan-delt worden, mit einer Vergleichsgruppe von 202 Patienten aus der Datenbank von Chiron, Amsterdam verglichen, die in verschiedenen Protokollen mit Interleukin-2 systemisch behandelt wurden. Mit doppelt so vielen Nebenwirkungen war danach die Toxizität in der systemischen Therapiegruppe deutlich höher als in der Inhala-tionsgruppe. Zusammenfassend wird die inhalative Interleukin-2-Behandlung als sichere und effektive Therapie des pulmonalen metastasierten Nierenzellkarzi-noms bezeichnet. Gerade bei älteren Patienten mit internistischen Begleiterkran-kungen wird die überwiegend inhalative Therapie mit geringem systemischen An-teil als angebracht betrachtet.

Da Versicherte und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffekti-ven medizinischen Maßnahmen geschützt werden sollen, müssen bereits zum Zeitpunkt der Behandlung die Voraussetzungen des Off-Label-Use vorgelegen haben (vgl. BSG, Urteil von 19.10.2004, Az.: B 1 KR 27/02 R zur arzneimittelrecht-lichen Zulassung). Bei der Patientin Brigitte G. wurde Interleukin-2 inhalativ von Juni bis August 1999, beim Patienten Karl-Heinz P. von Februar bis April 2000 und beim Patienten Manfred W. von Februar bis März 2000 angewendet. Der Konsens über den voraussichtlichen Nutzen in den einschlägigen Fachkreisen (3. Voraussetzung) lag schon zum Zeitpunkt der Anwendung vor. Die Studienergeb-nisse, auf die sich die Kammer stützt, lagen maßgeblich bereits im Jahr 1999 vor (MDK-Gutachten/DGFIT-Stellungnahme/Aufsatz über die "Behandlung des pul-monal, metastasierten Nierenzellkarzinoms mit inhalativen Interleukin-2"). Danach konnte bereits zum Zeitpunkt der Anwendung davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit Interleukin-2 zumindest ein palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Die Datenlage hat sich in der Folgezeit weiter entwickelt, so dass der Konsens in Fachkreisen mittlerweile unstrittig sein dürfte. In dem Aufsatz von März 2002 über die "Immuntherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms in Deutschland" (in "Der Urologe" 3/03 von E. Huland, H. Heinzer, S. Timm, M. Aalamian und H. Hu-land) wird u.a. die Umfrage unter urologischen und onkologischen Universitätskli-niken, Schwerpunktkrankenhäusern und Schwerpunktpraxen ausgewertet. Hier-von haben 186 angegeben, Patienten mit metastisiertem Nierenzellkarzinom zu sehen, die Rücklaufquote betrug 35,4 %. Von den 186 Zentren, die metastasierte Nierenzellkarzinome betreuen, führen 147 Immuntherapie selbst durch, 35 über-weisen, von 4 Zentren wird die Immuntherapie komplett abgelehnt. Die 147 The-rapiezentren setzen sich zusammen aus 37 Universitätsklinken (28 Urologie, 9 Onkologie/Innere Medizin), 99 Krankenhäuser und 11 Praxen. Häufigste Behand-lungsform war die Kombination von subkutanen Interleukin-2 und Interferon alpha mit 5-FU und /oder Isotretinoin bzw. Vinblastin. In 64 Zentren werde die inhaltive Applikation bei pulmonaler Metastasierung angewendet. Darunter befinden sich 22 Universitätskliniken, 34 Krankenhäuser und 8 Schwerpunktpraxen. Damit handelt es sich bei der inhalativen Gabe um die am zweithäufigsten verwendete Applikati-onsform von Interleukin-2. Nach Auffassung der Kammer bestätigen bereits diese Zahlen, dass die Therapie in Deutschland Anerkennung gefunden hat.

Auch ist aufgrund der in 64 Zentren angewendeten Applikationsform von einem Konsens in den einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen auszugehen. Zwar stellen die 64 Zentren, die die inhalative Gabe anwenden, be-zogen auf die insgesamt 2.240 in Deutschland zugelassenen Krankenhäuser nur einen geringen Bruchteil dar. Dies steht einer allgemeinen Anerkennung aber nicht entgegen. Die Kammer ist vielmehr der Auffassung, dass für eine Anwendungs-form, die von insgesamt 22 Universitätskliniken in Deutschland betrieben wird, eine hinreichende wissenschaftliche Anerkennung vorliegen muss. Die Ärzte der Universitätskliniken werden sich nicht leichtfertig ohne Berücksichtigung von Qua-lität und Wirksamkeit einer Therapieform zuwenden, die wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Gleiches gilt für die Ärzte bei der Klägerin zu 2. Sie haben Proleukin inhalativ bei Patienten mit Lungen- bzw. Mediastinalmetastasen eingesetzt, nach-dem die Standard-Immunchemotherapie ohne Erfolg verlief. Nach ihren Ausfüh-rungen (im Schreiben vom 13.02.2003) gab es zum inhalativen Einsatz (zusam-men mit Roferon und 5-Fluorouracil bzw. Vinblastin) keine Alternative. Die Thera-pien wurden als ultima ratio bei unzureichendem Ansprechen der Primärtherapie eingesetzt. Die Einschätzung der Ärzte (im Schreiben vom 08.07
Rechtskraft
Aus
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