L 6 V 151/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 V 81/92
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 V 151/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21. Juni 1995 abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 24. September 1991 und 30. April 1992 verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung von "Endogene Psychose, seit April 1994 im chronifizierten Endzustand", Versorgung für den Zeitraum von April 1991 bis März 1994 nach einem Grad der MdE um 75 v.H. und ab April 1994 nach einemsolchen von 100 v.H. zu gewähren. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichenKosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist nur noch die Anerkennung einer Psychose als weitere Schädigungsfolge und die Gewährung einer entsprechend höheren Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die im Juli 1926 geborene Klägerin stammt aus dem bereits im Jahre 1921 zu Polen gelangten Teil Oberschlesiens, von wo sie im April 1991 in die Bundesrepublik Deutschland übersiedelte und als deutsche Staatsangehörige anerkannt wurde. Noch von Polen aus beantragte sie im April 1990 Leistungen nach dem BVG beim Versorgungsamt (VA) Ravensburg/Baden-Württemberg wegen "Gemütsstörungen", die sie auf Repressionen durch die sowjetrussische Besatzungsmacht zu Beginn des Jahres 1945 sowie die anschließende Verschleppung in das Weißmeerkanalbaulager Kandalakschka zurück führte; von dort sei sie Anfang 1947 krank und arbeitsunfähig in tiefster seelischer Depression entlassen worden.

Der Beklagte, an den der Vorgang nach der Übersiedlung der Klägerin abgegeben worden war, lehnte den Antrag ab, weil die Depressionen nicht auf Haft- und Kriegsereignisse zurückzuführen seien; vielmehr handele es sich um eine endogene manisch-depressive Erkrankung, die erst drei Jahre nach dem Lageraufenthalt erstmals nachgewiesen worden sei. Somit fehle es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dieser psychischen Erkrankung und den geschilderten schädigenden Ereignissen (Bescheid vom 24. September 1991; Widerspruchsbescheid vom 30. April 1992).

Mit ihrer am 27. Mai 1992 beim Sozialgericht (SG) eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem BVG weiterverfolgt.

Im Verhandlungstermin vor dem SG hat der Beklagte sich durch angenommenes "Teilanerkenntnis" bereit erklärt, Erlebnisreaktiven Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung als Schädigungsfolge anzuerkennen und ab April 1990 Versorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H. zu gewähren.

Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf das weiterreichende Beweisergebnis beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

unter Abänderung des Bescheides vom 24.09.1991 in der

Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1992 und des angenommenen Teilanerkenntnisses vom 21.06.1995 bei ihr "Depressionen" als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und ihr Versorgungsbezüge nach einer MdE von 100 v.H. anstelle der bisherigen 40%igen MdE seit dem 01.08.1990 zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die bei der Klägerin seit etwa 1950 nachgewiesene "phasenhaft verlaufende endogene Depression" sei nicht auf die Erlebnisse in der ehemaligen UdSSR zurückzuführen; zumindest spreche mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigen gutachtens von Prof. Dr. S ..., Direktor der P ... K ... der ... A ... Nach der Beurteilung des Sachverständigen ist neben dem Erlebnisreaktiven Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung auch die bei der Klägerin vorliegende Phasenhaft verlaufende endogene Depression als Schädigungsfolge anzuerkennen, weil die außergewöhnliche lebenssituative Belastung in den ersten Nachkriegsjahren neben der persönlichen Disposition eine weitere wesentliche Teilursache für die Entstehung dieses Leidens sei. Da die derzeit vorliegende depressive Phase bereits seit August 1990 andauere, betrage der Grad der MdE wegen der schwer wiegenden Beeinträchtigungen durchgehend 100 v.H. (Gutachten vom 30. April 1994 und ergänzende Stellungnahme vom 24. März 1995).

Das SG ist dieser Einschätzung gefolgt und hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 21. Juni 1995, dem Beklagten am 17. Juli 1995 zugestellt).

Mit seiner am 14. August 1995 beim erkennenden Gericht eingegangenen Berufung hat sich der Beklagte gegen diese Verurteilung gewandt: Der Zusammenhangsbeurteilung des Sachverständigen könne nicht gefolgt werden, weil es - wie der Sachverständige selbst einräume - bei affektiven Psychosen, wozu die bei der Klägerin vorliegende endogene Depression gehöre, kein Kriterium für die Beurteilung der Frage gebe, ob einem Erlebnis oder einer Erkrankung im Vorfeld einer affektiven Psychose pathogenetische Bedeutung zukomme. Vielmehr handele es sich um stark genetisch bestimmte Krankheiten, die in der Regel persönlichkeitsbedingt seien.

Später hat er unter Berücksichtigung der ergänzenden zweitinstanzlichen Beweisaufnahme gemeint, ein begrenzter Teil der endogenen Depression könne als Schädigungsfolge anerkannt werden, weil die genetisch angelegte Vulnerabilität durch den Erlebnisreaktiven Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung vergrößert worden sei; die Gesamt-MdE betrage dann 50 v.H ...

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.06.1995 abzuändern, soweit der Beklagte zur Anerkennung von Depressionen als Schädigungsfolge und zur Gewährung von Versorgungsleistungen nach einem Grad der MdE von mehr als 40 v.H. verurteilt worden ist, und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit sie den Zeitraum ab April 1991 betrifft.

Sie hält das angefochtene Urteil im wesentlichen für zutreffend und sieht sich durch die zweitinstanzliche Beweisaufnahme bestätigt.

Der Senat hat im Berufungsverfahren unter anderem Behandlungsunterlagen vom Auslandsrentenbüro der polnischen Sozialversicherungsanstalt "ZUS" beigezogen und ein weiteres Gutachten des bereits erstinstanzlich gehörten Sachverständigen eingeholt.

Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, insbesondere auf das Gutachten des Prof. Dr. S ... vom 15.12.1997 sowie seine ergänzende Stellungnahme vom 13. Mai 1998, sowie auf sämtliche beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Alle diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist im wesentlichen unbegründet.

Zu Recht hat das SG den Beklagten zur Anerkennung einer weiteren Schädigungsfolge und Gewährung einer höheren Versorgung verurteilt.

Gegenstand des Verfahrens ist ausweislich des in der Berufungsinstanz gestellten Antrags der Klägerin nur noch der Zeitraum ab April 1991, d.h. ab der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Für den davorliegenden Zeitraum hat sie ihr Klagebegehren zu Recht - konkludent - fallengelassen, weil für diesen Zeitraum, in dem sie ihren Wohnsitz noch in Polen hatte, das Land Baden-Württemberg zuständiger Versorgungsträger bleibt, §§ 3 Abs. 5, 4 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) i.V.m. § 1 Abs. 1 o) der Auslandszuständigkeitsverordnung (AuslZustV). Dem Rechnung tragend hatte das VA Ravensburg bereits bei der Abgabe des Vorgangs an das VA Aachen um Rückgabe der Akten nach Abschluß des Verfahrens gebeten, damit für den vorangehenden Zeitraum noch eine entsprechende Entscheidung getroffen werden könne. Die Berufung des Beklagten richtet sich lediglich gegen die Verurteilung in der "Versorgungs-Streitsache", nicht gegen diejenige der "SchwbG-Streitsache", die in erster Instanz miteinander verbunden worden waren, wie sich aus der Streichung in der Berufungsschrift vom 09. August 1995 ergibt. Gegenstand der berufungsgerichtlichen Überprüfung sind damit lediglich die Bescheide vom 24. September 1991 und 30. April 1992 insoweit, als die Beteiligten über den Streitgegenstand nicht schon durch das erstinstanzliche "Teilanerkenntnis", zu dem ein ausführender Bescheid bisher nicht ergangen ist, verfügt haben.

Diese Bescheide beschweren die Klägerin auch, soweit der Beklagte nicht Endogene Psychose, seit April 1994 im chronifizierten Endzustand als Schädigungsfolge anerkannt und entsprechend dem Urteilstenor, den der Senat zur Klarstellung neugefaßt hat, höhere Versorgung gewährt hat, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Bescheide sind insoweit rechtswidrig, weil ein entsprechender Anspruch der Klägerin besteht, §§ 1 Abs. 1, 2a), 5 Abs. 1 d), 30 Abs. 1, 31 Abs. 1 BVG. Lediglich soweit das SG den Beklagten auch für die Zeit vor April 1994 zur Gewährung von Versorgung nach einem Grad der MdE um 100 v.H. verurteilt hat, ist die Berufung insoweit begründet und die Klage abzuweisen, als sich für den Zeitraum von April 1991 bis März 1994 lediglich ein Grad der MdE um 75 v.H., der gemäß § 31 Abs. 2 BVG zur Gewährung von Leistungen nach einem Grad der MdE um 80 v.H. berechtigt, nachweisen läßt.

Zu Recht geht der Beklagte, wie das erstinstanzliche "Teilanerkenntnis" sowie die Stellungnahmen seiner beratenden Ärzte Dres. M ... und W ... zeigen, zwischenzeitlich davon aus, daß bei der Klägerin aufgrund versorgungsrechtlich geschützter schädigender Einwirkungen in den ersten Nachkriegsjahren nach weislich eine schwere seelische Traumatisierung eingetreten ist. Der Senat hält diese Würdigung für zutreffend, auch wenn sie im wesentlichen auf den eigenen Angaben der Klägerin beruht. Denn diese sind hier zugrundezulegen, da andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen und diese Angaben - wie auch die ergänzenden Angaben des von den Sachverständigen informatorisch befragten Ehemannes - insgesamt stimmig und schlüssig sind und mit allgemeinen historischen und ärztlichen Erfahrungen im Einklang stehen, so daß hinsichtlich der Richtigkeit der maßgeblichen Kernaussagen keine begründeten Zweifel verbleiben, § 15 VfG-KOV.

Nachdem der Beklagte ansonsten zunächst gemeint hatte, als Folge dieser Schädigungen sei lediglich ein Erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung anzuerkennen, hat er gegen Ende des Berufungsverfahrens zusätzlich eingeräumt, daß diese Schädigungsfolge auch einen gewissen Einfluß auf die seit langem vorliegende endogene Psychose habe (vgl. insbesondere die vorgelegten Stellungnahmen der Ärztin für Neurologie Dr. W ... vom 10. März und 14. April 1998). Tatsächlich ist die Endogene Psychose der Klägerin aber insgesamt als Schädigungsfolge anzuerkennen, weil auch sie wahrscheinlich wesentlich auf die bei der Klägerin ab etwa Februar 1945 nachweislich eingetretenen seelischen Traumatisierungen zurückzuführen ist, § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG.

Dabei kann im Ergebnis offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche seelische Krankheit unmittelbar auf eine durch geschützte schädigende Einwirkungen eingetretene seelische Traumatisierung zurückgeführt werden kann. Hier ist sie bereits deshalb wesentlich auf die geschützte seelische Traumatisierung zurückzuführen, weil die vom Beklagten bereits anerkannte Schädigungsfolge Erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung wesentliche Mitursache für den konkreten Ausbruch der Psychose geworden und für den weiteren Verlauf geblieben ist. Damit stellt sie eine mittelbare Schädigungsfolge dar. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest, der sich dabei wesentlich auf die verschiedenen sachverständigen Äußerungen von Prof. Dr. S ... stützt, die stimmig, schlüssig und nachvollziehbar sind, der herrschenden medizinischen Lehrmeinung und auch denjenigen Grundsätzen entsprechen, die das Bundessozialgericht (BSG) für die Anerkennung psychischer Krankheiten als Schädigungsfolge aufgestellt hat (BSGE 77,1ff = SozR 3-3800 § 1 Nr. 4; 74, 51ff = SozR 3-3800 § 1 Nr. 3).

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme konnten die tiefgreifenden Erlebnisse der Klägerin, die Schikanen, Repressionen und Vergewaltigungen während und nach der Besetzung ihres Heimatdorfes in Oberschlesien durch die sowjetischen Truppen, die Inhaftierungen, die Verschickung in das sowjetische Arbeitslager und die Umstände der fast zweijähriger Arbeitslagerhaft, von ihr zeitlebens seelisch nicht verarbeitet werden. Die seelischen Dekompensationen haben dazu geführt, daß sich zunächst eine dauerhafte seelische Krankheit herausgebildet hat, die die neuere Forschung und - dem folgend - auch die internationale Krankheitsklassifikation (ICD) als posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung bezeichnet (vgl. jetzt auch Ziffer 72 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (im folgenden: AP) sowie - vorausgehend - das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 22. März 1995, ..., abgedruckt in BArbBl. 1995 S. 58, sowie zuletzt Punkt 1.1 der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 12./13. November 1997). Diese posttraumatische Belastungsstörung ging dann, wie der Sachverständige im einzelnen anschaulich ausführt, aufgrund fortdauernder seelischer Dekompensationen in eine posttraumatische Persönlichkeitsänderung, einen Persönlichkeitswandel nach Extrembelastung über, wodurch der Boden für die Entstehung der endogenen Depression bereitet wurde. Auf die psychische Ersterkrankung hat sich dann etwa ab 1950 - unter Umständen schon früher - als zweite psychische Erkrankung die endogene Depression aufgepflanzt: "Aus dem Zustand einer erhöhten permanenten Angstbereitschaft und inneren Spannung heraus erfolgte die psychische Dekompensation in die Depression." (Prof. Dr. S ... auf Seite 33 seines Gutachtens vom 15. Dezember 1997). Danach ist die persönlichkeitseigene psychische Grundkonstellation, aus der sich die endogene Depression entwickeln und zum Ausbruch gelangen konnte, nicht nur eine schädigungsunabhängige "genetisch angelegte Vulnerabilität", sondern zusätzlich - wenn auch wohl nicht ausschließlich - eine Umformung der psychischen Grundstruktur durch den als Folge der tiefgreifenden Erlebnisse verbliebenen Erlebnisreaktiven Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung. Im folgenden hat dann diese psychische Zweiterkrankung ihren schicksalhaften Verlauf - wozu insbesondere die Verlängerung der depressiven Perioden mit zunehmendem Alter und schließlich ein chronifizierter Dauerzustand, wie er bei der Klägerin seit 1994 vorliegt, gehören - genommen.

Wenn der Beklagte dagegen meint, die Auswirkungen der endogenen Depression könnten nur teilweise als Schädigungsfolge anerkannt werden, soweit dadurch nämlich "die schon angenommene genetisch angelegte Vulnerabilität vergrößert worden sei", also offenbar einer Anerkennung eines abgrenzbares Teiles oder einer Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung das Wort redet, ist dies weder tatsächlich noch rechtlich haltbar.

Tatsächlich läßt sich nämlich ein abgrenzbarer Teil dieser Erkrankung nicht zuverlässig bestimmen; ganz im Gegenteil haben, wie der Sachverständige nachvollziehbar schildert, beide seelischen Erkrankungen in der Zwischenzeit zu einem einheitlichen, untrennbaren Krankheitsbild geführt, so daß die konkreten Auswirkungen im täglichen Leben nicht mehr zuverlässig der einen oder anderen Erkrankung zugeordnet werden können.

Aber auch rechtlich ist die Meinung des Beklagten nicht haltbar. Da die endogene Depression nicht bereits vor, sondern erst nach Wirksamwerden der seelischen Traumatisierung klinisch manifest geworden ist, kommt hier rechtlich nur die Anerkennung im Sinne der Entstehung in Betracht. Dabei ist entscheidend, ob die Schädigungsfolge Erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel nach außergewöhnlicher Belastung wahrscheinlich wesentlich zum Ausbruch der endogenen Depression beigetragen hat. Da nach dem zuvor Gesagten eine Ursächlichkeit mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, entfiele rechtlich die Kausalität nur dann, wenn diese nicht wesentlich wäre, also zum Beispiel nur eine sogenannte "Gelegenheitsursache" darstellte. Die Annahme einer "Gelegenheitsursache" kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Tatsachen, die den Schluß zuließen, daß die endogene Depression auch ohne die geschützten Einwirkungen früher oder später aufgetreten wäre, nicht erkennbar sind. Vielmehr ist nach den Ausführungen des Sachverständigen sogar zweifelhaft, ob diese Erkrankung ohne die geschützte seelische Traumatisierung und die damit einhergehende Umformung der Persönlichkeit überhaupt aufgetreten wäre. Diese haben damit als notwendige Voraussetzungen auch wesentlich zur Entstehung der endogenen Depression beigetragen. Dies kann vorliegend selbst dann gesagt werden, wenn in Rechnung gestellt wird, daß die medizinisch-wissenschaftliche Forschung generell noch nicht über zuverlässiges Wissen zur Ätiologie und Pathogenese affektiver Psychosen verfügt.

Es bestehen Zweifel, wie der Beklagte davon auszugehen, die "genetisch angelegte Vulnerabilität" sei immer allein wesentlich (Teil-)Ursache für den Ausbruch einer affektiven Psychose. Dies kann allenfalls richtig sein, wenn sonstige in Betracht kommende Ursachen nicht erkennbar sind. Aus versorgungsrechtlicher Sicht ist immer zu berücksichtigen, daß jeder in seiner persönlichen psychischen Konstellation, seiner individuellen Reaktionsbereit schaft und seiner "genetischen Vulnerabilität" geschützt ist. Haben geschützte schädigende Einwirkungen zu einer seelischen Traumatisierung geführt, ist bei Entstehen einer affektiven Psychose immer konkret zu prüfen, ob diese wesentlich zum konkreten Ausbruch beigetragen haben. Der Senat hat keine Bedenken, mit dem Sachverständigen Prof. Dr. S ... davon auszugehen, daß diese Prüfung nach herrschender medizinischer Lehrmeinung in Anwendung der von Foerster (in: Kausalitätsbeurteilungen bei Schizophrenien und affektiven Psychosen, MedSach 86 (1990) 12, 13f) entwickelten Kriterien zu dem Ergebnis führen kann, daß trotz der noch bestehenden generellen Ungewißheit über die Ursachen affektiver Psychosen im Einzelfall ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang bejaht werden muß (neben Prof. Dr. S ... auch Foerster a.a.O. S. 14; Möllhoff, Begutachtungsprobleme bei Gesundheitsschäden nach lang jährigen Gewahrsam unter extremen Lebensverhältnissen, MedSach, 92 (1996) S. 16,18). Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - als Bindeglied für die objektive Zurechnung eine psychische Ersterkrankung als unmittelbare Schädigungsfolge vorliegt.

Auch Anhaltspunkte dafür, daß einzelne in den streitbefangenen Zeitraum fallende Episoden wesentlich durch sonstige schädigungsfremde Ursachen (z.B. Enttäuschung nach der Übersiedlung in die BRD) hervorgerufen oder ausgestaltet sein könnten, sind nicht erkennbar.

Diese Beurteilung steht auch nicht in Gegensatz zu den AP. Noch Ziffer 69 (1) der AP 1983 enthielt ausdrücklich die Aussage, endogene Psychosen könnten als Schädigungsfolge angesehen werden. Auch Ziffer 69 (3) der AP läßt im Kern eine solche Zusammenhangsbeurteilung zu, wenn ausgeführt wird, affektive Psychosen könnten durch schwere seelische Erschütterungen mitverursacht sein. Die anschließende Einschränkung "wobei dies jedoch nur für die Manifestation oder Vertiefung einer einzelnen Krankheitsepisode gelten" ist nach den vorgehenden Ausführungen rechtlich nicht folge richtig und beruht offenbar allein auf dem von Foerster (a.a.O. S. 14) geschilderten medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die Maßgeblichkeit dieser in den AP vorgesehenen Einschränkung kann vorliegend jedoch dahinstehen, da nach den Ausführungen des Sachverständigen während der gesamten Verlaufsdauer bis zum heutigen Tage alle depressiven Krankheitsepisoden thematisch mit den geschützten Kriegs- und Nachkriegserlebnissen der Klägerin aufs Engste verknüpft sind, wogegen manische Episoden trotz der verschiedentlich geäußerten Diagnose einer Zyklothymie nicht sicher festgestellt werden konnten.

Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob die vom BSG (BSGE 77, 1ff) entwickelten Grundsätze zur Beweiserleichterung bei der Anerkennung psychischer Krankheiten als Schädigungsfolge, deren Voraussetzungen der Sachverständige im übrigen ebenfalls bejaht hat, vorliegen.

Der jeweils zutreffende MdE-Grad ist im Urteilstenor im einzelnen ausgewiesen, § 30 Abs. 1 BVG. Der Senat hat keine Bedenken, der mit Ziffer 26.3 Seite 59f AP (aber auch mit Ziffer 26.3 Seite 47 AP 1983) in Einklang stehenden wertenden Einschätzung des Sachverständigen auch insoweit zu folgen, als er - seine frühere Einschätzung korrigierend - den chronifizierten Dauerzustand erst ab April 1994 für erwiesen erachtet und für den vorangehenden Zeitraum die Gesamt-MdE nur mit 75 v.H. einschätzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG. Dabei sieht der Senat trotz der geringfügigen Beschränkung des Klagebegehrens und des geringfügigen Obsiegens des Beklagten im Berufungsverfahren keine Veranlassung, von einer Kostenerstattung durch den Beklagten teilweise abzusehen, da der Beklagte in allen wesentlichen Punkten unterlegen ist.

Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind vielmehr ausschließlich die konkreten Umstände des Einzelfalles.
Rechtskraft
Aus
Saved