S 22 (35) AL 246/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 22 (35) AL 246/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Die Klägerin ist niedergelassene Kieferorthopädin. Am 28.11.2003 beantragte sie Kurzarbeitergeld und trug hierzu vor: Infolge ihrer bevorstehenden Niederkunft werde sie einige Wochen vor und nach der Jahreswende keine Patienten in ihrer Praxis mehr behandeln können. Dementsprechend fielen in dieser Zeit, in der sie selbst keine Einnahmen erzielen werde, für ihre Angestellten kaum noch Arbeiten an. Die Einstellung einer Vertretung könne sie sich wirtschaftlich nicht leisten. Ohne Kurzarbeitergeld sei sie gezwungen, ihre Angestellten zu entlassen. Am 22.12.2003 machte sie eine Anzeige über den Arbeitsausfall.

Mit Bescheid vom 29.12.2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kurzarbeitergeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die in Rede stehenden Arbeitsausfälle dem normalen Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzuordnen seien, der sich deshalb bei seinen betrieblichen Dispositionen darauf einstellen müsse. Bei entsprechenden betrieblichen Dispositionen hätte sich der Arbeitsausfall durch zumutbare Maßnahmen vermeiden lassen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2004 zurück.

Am 05.08.2004 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie führt im einzelnen aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt seien: Insbesondere sei der Arbeitsausfall auch nicht vermeidbar gewesen. Eine Vertretung zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen habe sich trotz aller Bemühungen nicht finden lassen. Im Übrigen sei ihr der Fall einer schwangeren Berufskollegin bekannt, in dem das Arbeitsamt D bei vergleichbaren Bedingungen Kurzarbeitergeld gewährt habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2004 zu verurteilen, für die Zeit vom 02.01.2004 bis 31.01.2004 Kurzarbeitergeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass kein erheblicher Arbeitsausfall vorgelegen habe und dass der angezeigte Arbeitsausfall weder auf wirtschaftliche Ursachen noch auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen sei, im Übrigen aber auch vermeidbar gewesen wäre, da er ausschließlich auf betriebsorganisatorischen Gründen beruhe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat für ihre Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, weil die Anspruchsvoraussetzungen nicht sämtlich erfüllt sind.

Der Anspruch der Arbeitnehmer auf Kurzarbeitergeld, der nach herrschender Meinung vom Arbeitgeber als Verfahrens- und Prozessstandschafter seiner Arbeitnehmer geltend zu machen ist, vgl. Bieback in: Gagel, SGB III, Arbeitsförderung, Stand: 01.07.2004, § 169 Rd -Nr.: 48 - besteht gemäß § 169 des Sozialgesetzbuchs, Drittes Buch (SGB III) nur, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt angezeigt worden ist. Der Begriff des erheblichen Arbeitsausfalls im Sinne dieser Vorschrift wird im § 170 SGB III definiert.

Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist ein Arbeitsausfall erheblich, wenn 1. er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbarem Ereignis beruht, 2. er vorübergehend ist, 3. er nicht vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; dabei sind Auszubildende nicht mitzuzählen. Ein Arbeitsausfall beruht auf wirtschaftlichen Gründen, wenn er durch eine Veränderung der betrieblichen Strukturen verändert wird, die durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bedingt ist (vgl. § 170 Abs. 2 SGB III). Ein unabwendbares Ereignis liegt insbesondere vor, wenn ein Arbeitsausfall auf ungewöhnlichen, dem üblichen Witterungsverlauf nicht entsprechenden Witterungsgründen beruht. Ein unabwendbares Ereignis liegt auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht wird, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind (§ 170 Abs. 3 SGB III).

Dass der im Zusammenhang mit der Niederkunft der Klägerin entstandene Arbeitsausfall nicht auf wirtschaftlichen Gründen beruht, versteht sich von selbst und wird auch von der Klägerseite nicht geltend gemacht. Er beruht auch nicht auf einem unabwendbarem Ereignis im Sinne des § 170 Abs. 3 SGB III. Schon nach alltäglichem Sprachgebrauch lässt sich eine – wie im Fall der Klägerin – auf entsprechender Familienplanung beruhende Schwangerschaft und Niederkunft kaum als "unabwendbares Ereignis" bezeichnen. Eine solche Subsumtion widerspräche auch der Definition des Gesetzgebers, der unter dem Begriff des unabwendbaren Ereignisses "jedes objektiv feststellbare Ereignis das auch durch äußerste, nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt nicht abzuwenden war" versteht. vgl. den Regierungsentwurf zum Arbeitsförderungsgesetz (BT-Drs.V/2291, S. 70 zu § 59 Nr. 1); ferner BSG, Urteil vom 21.02.1991, Az.: 7 RAr 20/90 -. Sie wäre aber aber vor allem auch nicht vereinbar mit der Systematik und Zielsetzung der §§ 169, 170 SGB III.

Bei dem Tatbestandsmerkmal des § 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB III geht es ausschließlich um Gründe bzw. Ereignisse, die außerhalb der Einfluss- und Risikosphäre des Arbeitgebers liegen. So sind bei den wirtschaftlichen Gründen nicht die betriebsspezifischen Ursachen, sondern nur die auf der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung beruhenden Gründe beachtlich; und insbesondere auch die im Gesetz aufgeführten Beispiele für ein "unabwendbares Ereignis" betreffen nur Situationen, in denen der Arbeitsausfall durch einen dem Arbeitgeber nicht zurechenbaren Geschehensablauf verursacht wird. Es kommt daher nicht in Betracht, das Tatbestandsmerkmal eines unabwendbaren Ereignisses auch dann zu bejahen, wenn der Arbeitsausfall auf einem zwar nicht vorwerfbaren bzw. schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers, jedoch auf seiner freien wirtschaftlichen oder persönlichen Entscheidung beruht und damit seiner Risikosphäre zuzurechnen ist.

Beruht der Arbeitsausfall mithin schon nicht auf einem unabwendbaren Ereignis, kann dahinstehen, inwieweit er sich durch betriebsorganisatorische Maßnahmen wie z. B. eine Verlegung des Betriebsurlaubs auf die Zeit um der Entbindungstermin hätte vermeiden lassen.

Sollte im Fall einer Berufskollegin tatsächlich bei vergleichbarem Sachverhalt Kurzarbeitergeld gewährt worden sein, kann die Klägerin hieraus nichts zu ihren Gunsten herleiten; denn es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Für die Klägerin als Leistungsempfängerin im Sinne des § 183 SGG ist das Verfahren gerichtskostenfrei, - vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 183,Rdnr. 6 -.
Rechtskraft
Aus
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