S 2 KA 240/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 240/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig sind Regresse wegen der Verordnung von Hyaluronidasen als Sprechstundenbedarf (SSB) in den Quartalen IV/2001 bis III/2002.

Der Kläger ist als Arzt für Augenheilkunde in E niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den streitbefangenen Quartalen verordnete er jeweils Hyason bzw. Hylase Dessau als SSB. Prüfanträge der Beigeladenen zu 1) wies der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen E mit Bescheiden vom 31.03.2003 (IV/2001), 30.06.2003 (I/2002), 06.08.2003 (II/2002) und 21.04.2004 (III/2002) zurück, da Mittel zur Lokal- und Leitungsanästhesie in der Aufstellung der als SSB zulässigen Artikel aufgeführt seien.

Auf Widersprüche der Beigeladenen zu 1) verfügte der Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2004 Regresse in Höhe von netto 1.016,24 EUR (IV/2001), 342,07 EUR (I/2002), 684,13 EUR (II/2002) und 342,07 EUR (III/2002). In Punkt IV.2 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung (SSB-Vereinbarung) - Mittel zur Narkose und Anästhesie, auch zur akuten Schmerztherapie - würden ausdrücklich Mittel zur Lokal- und Leitungsanästhesie (z.B. Procain und Derivate) genannt. Bei Hylase Dessau Ampullen und Hyason handele es sich jedoch nicht um solche Mittel, sondern um Zusätze zum Lokalanästhetikum. Eine Anästhesie mit Hylase Dessau bzw. Hyason alleine sei nicht möglich. Somit sei eine Verordnung nur als Individualverordnung zu Lasten der jeweils zuständigen Krankenkasse möglich und nicht über den SSB.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Unter Bezugnahme auf einen Aufsatz "Hyaluronidase als Adjuvans der Peribulbäranästhesie bei Kataraktoperationen" trägt der Kläger vor, dieser Wirkstoff beschleunige den Wirkungseintritt der Anästhesie und vergrößere den Ausbreitungsbereich des Anästhetikums. Eine Differenzierung nach Mitteln zur Lokal- und Leitungsanästhesie und Zusätzen zum Lokalanästhetikum sei dabei medizinisch und pharmakologisch nicht nachvollziehbar, wie auch die Ärztekammer Nordrhein mitgeteilt habe. Zudem gebe es in der Lokalanästhesie zahlreiche Kombinationspräparate, deren Bezug als "Mittel zur Anästhesie" über SSB völlig unstreitig sei. Wäre die Hyaluronidase beispielsweise mit Lidocain als Kombinationspräparat vermischt, würde sich die Diskussion nicht stellen. Dass ein solches Kombinationspräparat nicht auf dem Markt vertrieben werde, liege allein an dem Erfordernis einer konstanten Kühlkette für die Lagerung des Wirkstoffs Hyaluronidase. Deshalb scheide auch eine Verordnung auf den Namen des Patienten aus, weil eine Kontrolle der Einhaltung der Kühlkette für den Arzt insoweit nicht möglich sei.

Im Übrigen würden in der Auflistung zu Ziffer IV.2 der SSB-Vereinbarung auch Sauerstoff und Mittel zur Prämedikation als Narkosevorbereitung genannt. Daher könne nicht davon gesprochen werden, dass ausschließlich nur die Mittel unter den zulässigen SSB fielen, die die Narkose an sich bewirkten. Jedenfalls würde es sich bei Hylase Dessau und Hyalon um Arzneimittel "für die Anwendung im unmittelbaren, ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff" im Sinne der Ziffer IV.7 der SSB-Vereinbarung handeln, die insoweit nicht abschließend sei, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergebe. Darüber hinaus wären die Mittel als krampflösende Mittel gemäß Ziffer IV.7 f der SSB-Vereinbarung zu zählen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 07.07.2004 aufzuheben.

Der Beklagte sowie die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie halten den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der nicht erschienenen und nicht vertreten gewesenen Beigeladenen zu 2) bis 9) verhandeln und entscheiden, da auf diese Möglichkeit in den form- und fristgerecht zugestellten Terminbenachrichtigungen hingewiesen worden ist.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der ausgesprochene Regress rechtmäßig ist.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit auch der Beklagte sind befugt, Regresse wegen unzulässiger Verordnung von SSB festzusetzen. Dies ergibt sich aus Ziffer VI.1 der maßgeblichen SSB-Vereinbarung i.d.F. ab 01.07.2001 (Rhein. Ärztebl. 9/2001, 73 ff.) i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 4 der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Danach erfolgt die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und der Zulässigkeit von SSB-Anforderungen nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Prüfvereinbarung. Die Ermächtigungsgrundlage hierfür findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB ), wonach die Krankenkassenverbände gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vorsehen können. Demgemäß ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Prüfgremien die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung, auch im Wege des SSB, durch gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden darf (BSG SozR 3-5533 Allg Nr. 2; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Nichts Anderes gilt für die Verordnung solcher Gegenstände oder Arzneimittel, für die zwar eine Leistungspflicht der Krankenkassen nach den Bestimmungen des SGB V besteht, die aber nicht zulässigerweise als SSB verordnet werden können (vgl. hierzu näher BSG SozR 3-5533 Allg Nr. 2 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.07.2003 - L 11 KA 116/01 und L 11 KA 149/01 -; vom 01.10.2003 - L 11 KA 27/02 -).

Der Kläger hat durch Verordnung von Hylase Dessau bzw. Hyalon in unzulässiger Weise SSB angefordert. Denn diese Mittel sind nicht über den SSB verordnungsfähig.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob für die Auslegung der SSB-Vereinbarung die einschränkenden Maßstäbe gelten, die die Rechtsprechung für die Auslegung von Bewertungs- und Vergütungsregelungen entwickelt hat (so für den Einheitlichen Bewertungsmaßstab BSG SozR 3-5533 Nr. 100 Nr. 1; BSG SozR 3-5533 Nr. 75 Nr. 1; BSG SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 1 m.w.N.), oder ob die allgemeinen Auslegungsgrundsätze für Normenverträge eingreifen (so z.B. für die Auslegung der Onkologie-Vereinbarung BSG USK 99108). Denn in jedem Fall ergibt sich, dass die Parteien der SSB-Vereinbarung einen abschließenden Katalog der verordnungsfähigen Mittel aufgestellt haben, der in Ermangelung einer Regelungslücke einer erweiternden Auslegung unter teleologischen Gesichtspunkten oder gar einer Rechtsfortbildung nicht zugänglich ist.

Ziffer III.1 der SSB-Vereinbarung schränkt die Verordnungsfähigkeit von Mitteln als SSB in doppelter Weise ein. Einmal muss es sich um Mittel handeln, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten angewendet werden oder die zur Notfall- oder Sofortbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung erforderlich sind (Ziffer III.1 Satz 1). Zudem sind nur diejenigen Mittel als SSB verordnungsfähig, die ausdrücklich unter Ziffer IV. der SSB-Vereinbarung aufgeführt sind (Ziffer III.1 Satz 3). Damit haben sich die Vertragsparteien für eine Kombination von Positivliste und einschränkenden Indikationen entschieden. An diese Regelungen ist der Kläger zwingend gebunden, denn die SSB-Vereinbarung gilt gemäß Ziffer I.4 für alle an der vertragsärztlichen Versorgung in Nordrhein teilnehmenden Ärzte.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze gehören Hylase Dessau und Hyalon vorliegend nicht zu den in Ziffer IV.7 der SSB-Vereinbarung aufgeführten Arzneimitteln.

Wie der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren ausgeführt hat, setzt er die Hylasesäure in der örtlichen Betäubung (Peribulbäranästhesie) zur besseren Penetration des Anästhetikums und damit zur Reduzierung des verwendeten Anästhetikums ein, zum anderen zur Herabsetzung des Augeninnendrucks und damit Senkung der Gefahr des Glaukomanfalls. Somit habe diese Substanz nicht nur eine wirkungsverstärkende Variante, sondern auch eine besondere medizinische Bedeutung, nämlich die Gefahr der Intoxikation des Patienten zu minimieren im Falle, dass man ein Gefäß anpunktiert und die Gefahr eines Glaukomanfalls zu verhindern.

Dies deckt sich mit den Präparateinformationen zu beiden Mitteln. Den Anwendungsbereich von Hylase Dessau der Fa. S in der Ophtalmologie gibt die Rote Liste (Nr. 40 008) an mit: "Zusatz zu Lokalanästhetika, Reduktion des erhöhten Augendruckes nach Gabe viskoelastischer Substanzen". Die Indikationen für Hyason benennt der Hersteller NV Organon Oss. mit: "Als Adjuvans bei Lokalanästhesie in der Augenheilkunde" (http://centraal.organon.nl/dynamic/productoverzicht.asp?id=40575).

Insofern scheidet eine Verordnungsfähigkeit über SSB jedoch aus. Die SSB-Vereinbarung ist streng wortlautbezogen auszulegen, weil nur in dem Wortlaut der nach außen für alle Beteiligten verbindliche Wille der Vertragspartner zum Ausdruck kommt. Aufgelistet sind in Ziffer IV.2 der SSB-Vereinbarung allein "Mittel zur Lokal- bzw. Leitungsanästhesie". Nach der Pharmakokinetik der Lokalanästhetika unterscheidet man insoweit zwischen dem Ester-Typ (Procain, Tetracain) und dem Amidtyp (Lidocain, Mepivacain, Prilocain, Bupivacain, Etidocain, Ropivacain; vgl. Weindler/Weindler/Ruprecht, Lokalanästhesie in der Ophtalmochirurgie, Ophtalmologe 8-2004, 847, 852). Bei dem Enzym Hyaluronidase handelt es sich jedoch nicht um ein Anästhetikum selbst, sondern um einen Zusatz bzw. ein Adjuvans, d.h. (pharmak.) um ein Arzneimittel, das die Wirkung eines anderen Heilmittels unterstützt (s. Pschyrembel). Dieser Zusatz depolimerisiert die im Organismus ubiquitäre Hyaluronsäure und erhöht damit die Permeabilität des Gewebes gegenüber injizierten Flüssigkeiten. Durch den Zusatz von Hyaluronidase wird eine ausgeprägte Bulbusakinesie erreicht und das Ausmaß einer Vis a tergo reduziert (Weindler/Weindler/Ruprecht, a.a.O., S. 853).

Solche Zusätze sind vom Wortlaut der Ziffer IV.2 der SSB-Vereinbarung indes nicht erfasst. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die hier anwendbare SSB-Vereinbarung i.d.F. ab 01.07.2001 (a.a.O. S. 75) im Unterschied zu der zuvor geltenden Fassung ab 01.07.1995 (Rhein. Ärzteblatt 1/96, 68, 69) bei den "Mitteln zur Lokal- bzw. Leitungsanästhesie" exemplarisch ausdrücklich das Anästhetikum vom Ester-Typ Procain und Derivate benennt und so mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, dass eben nur die Anästhetika selbst über SSB verordnungsfähig sind. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, inwieweit die Differenzierung zwischen Anästhetika selbst und Zusätzen hierzu medizinisch oder pharmakologisch sinnvoll ist, ob entsprechende Kombinationspräparate über SSB verordnungsfähig sind und weshalb Sauerstoff und Mittel zur Prämedikation als Narkosevorbereitung in Ziffer IV.2 aufgelistet sind. Hyason und Hylase Dessau sind jedenfalls keine solchen Kombinationspräparate, und es unterfällt allein der Kompetenz der Vertragspartner, medizinisch bzw. pharmakologisch sinnvolle Verfahrensweisen durch eine Änderung der SSB-Vereinbarung normativ zu regeln. Solange dies nicht geschieht, sind alle Akteure - auch das Gericht - an den geltenden Wortlaut der SSB-Vereinbarung gebunden.

Die streitgegenständlichen Hyaluronidase-Präparate unterfallen auch nicht den "Arzneimitteln für Notfälle und zur Sofortanwendung" im Sinne der Ziffer IV.7 der SSB-Vereinbarung. Hinsichtlich der Narkose und Anästhesie enthält Ziffer IV.2 eine abschließende Regelung. Diese verdrängt insoweit den Anwendungsbereich der Ziffer IV.7, auch soweit es um Anwendungen im unmittelbaren, ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff geht. Eine krampflösende Wirkung im Sinne der Ziffer IV.7 lit. f) lässt sich den Herstellerinformationen zu Hylase Dessau und Hyason zudem nicht entnehmen.

Nicht durchzudringen vermag der Kläger mit seinem Einwand, es sei eine konstante Kühlkette von - 10 º C einzuhalten, die der Arzt bei Abgabe an den Patienten nicht überwachen könne. Dies sind Vorgänge in Bezug auf die Abgabe des Medikaments, die von der SSB-Vereinbarung nicht berührt werden, denn diese regelt nur den Abrechnungsweg. Soweit der Patient nicht doch bereits in der Apotheke das Präparat fachgerecht und gekühlt erhält, mag es der Kläger durchaus unmittelbar von der Apotheke erhalten. Mit der vorliegend allein streitigen Frage des Abrechnungsmodus hat das jedoch nichts zu tun.

Durch die somit unzulässige Verordnung von Hyason und Hylase Dessau als SSB ist den beteiligten Krankenkassen auch ein Schaden entstanden.

Nach Ziffer I.1 der SSB-Vereinbarung erfolgt die Verordnung von SSB zu Lasten der Beigeladenen zu 1). Die Verordnungskosten werden sodann nach den Fallzahlen eines jeden Abrechnungsquartals unter den Krankenkassenverbänden aufgeteilt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Umlagevereinbarung), d.h. ohne Ansehen der mit den verordneten Mitteln versorgten Versicherten und ihrer jeweiligen Krankenkassenzugehörigkeit. Mithin müssen für die Verordnung eines Mittels über SSB zugunsten eines Versicherten im Ergebnis sämtliche Krankenkassen aufkommen und nicht nur diejenige, deren Mitglied die Versicherte ist (vgl. insoweit zum sog. normativen Schadensbegriff im Einzelnen LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.07.2003 - L 11 KA 116/01 und L 11 KA 149/01 -). Der Beklagte hat die Höhe der Regressforderung ausgehend von dem entstandenen Nettoschaden zutreffend festgesetzt. Gegen die Schadensberechnung im Einzelnen sind auch keine Einwände erhoben worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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