L 11 AL 38/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 719/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 38/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.12.2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 01.05.2002 bis 30.06.2002.

Der Kläger war gemäß Anstellungsvertrag vom 29.05.2000 vom 01.07.2000 bis 30.06.2002 beim V. H. Bundesliga Handball GmbH (GmbH) als Lizenzspieler angestellt. Vereinbart war ein Nettojahresgehalt in Höhe von 78.000,- DM, das auf einen Bruttobetrag hochgerechnet wurde. Das Gehalt wurde in 12 gleich hohen Raten gezahlt, jeweils fällig am Ende der jeweiligen Monate.

Durch Beschluss des Amtsgerichts H. vom 01.12.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Der Kläger erhielt jedoch weiterhin sein Gehalt. Im Rahmen eines Insolvenzplanes vom 28.11.2001 hatten die Gläubiger teilweise auf ihre Forderungen verzichtet. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens (Aufhebung durch Beschluss der AG H. vom 14.01.2002) wurde die Gesellschaft aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung fortgesetzt. Der Deutsche Handballbund erteilte daraufhin die Lizenz für die Saison 2001/2002 und der Spielbetrieb lief bis Juni 2002 weiter. Die im Insolvenzplan festgelegte Quote konnte jedoch nicht aufgebracht werden, so dass am 09.07.2002 ein weiterer Insolvenzantrag gestellt wurde. Mit Beschluss vom 30.09.2002 eröffnete das Amtsgericht H. über das Vermögen der GmbH erneut das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit.

Am 10.09.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld. Ihm sei für die Monate Mai und Juni 2002 das vereinbarte Arbeitsentgelt (je 3.323,40 EUR netto) nicht gezahlt worden.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 02.12.2002 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08.04.2003 - ab. Der Insolvenzgeldanspruch werde durch das zeitlich früheste Ereignis ausgelöst. Solange dieses Insolvenzereignis andauere, könne kein neues eintreten. Die Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens allein rechtfertige es nicht, von der Wiederherstellung dauerhafter Zahlungfähigkeit der GmbH auszugehen, zumal diese zu keinem Zeitpunkt kreditwürdig gewesen sei. Damit sei die Sperrwirkung des Insolvenzereignisses vom 01.12.2001 nicht vollständig beseitigt worden.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben, das den Rechtstreit zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Nürnberg (SG) verwiesen hat. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen: Aufgrund des genehmigten Insolvenzplans vom 28.11.2001 sei das Insolvenzverfahren aufgehoben worden. Nach dem Forderungserlass durch die Gläubiger habe die GmbH zum 30.11.2001 nur noch Verbindlichkeiten in Höhe von 164.203,- DM gehabt. Die Spielergehälter seien wieder regelmäßig bezahlt worden. Auch der Deutsche Handballbund sei von der erforderlichen Liquidität ausgegangen und habe nach dem Lizenzprüfungsverfahren die Lizenz für die Saison 2001/2002 erteilt. Zu Beginn des Jahres 2002 seien ferner wieder Sponsorengelder in Höhe von 1 Mio DM geflossen, so dass tatsächlich eine wesentliche Verbesserung der finanziellen Situation der GmbH eingetreten sei. Missmanagement habe jedoch einen erneuten Antrag auf Insolvenzeröffnung erforderlich gemacht.

Mit Urteil vom 15.12.2004 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Insolvenzgeld für die Monate Mai und Juni 2002 verurteilt. Zwar bilde die Konkurseröffnung vom 01.12.2001 das maßgebliche Insolvenzereignis. Der Kläger könne sich jedoch auf § 183 Abs 2 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) berufen, denn er habe in Unkenntnis des Insolvenzereignisses und im Vertrauen auf die wiedereingetretene Zahlungsfähigkeit der GmbH weiter gearbeitet. Kenntnis von der erneuten Zahlungsunfähigkeit habe er erst durch den Insolvenzeröffnungs-Beschluss vom 30.09.2002 erhalten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Kläger habe nicht in Unkenntnis des Insolvenzereignisses vom 01.12.2001 - auf das auch nach Auffassung des SG zu Recht abzustellen sei - weiter gearbeitet.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.12.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Wegen der Aufhebung des ersten Insolvenzbeschlusses und der Fortsetzung seiner Beschäftigung sei er im guten Glauben gewesen, dass Zahlungsfähigkeit seines Arbeitgebers wieder vorliege. Die Unkenntnis vom zweiten Insolvenzereignis könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. -

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet. Das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von Insolvenzgeld an den Kläger für die Monate Mai und Juni 2002 verurteilt.

Der Senat kann ohne mündliche Verandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Nach § 183 Abs 1 Satz 1 SGB III hat ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat, Anspruch auf Insolvenzgeld. Zu den Insolvenzereignissen zählt § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III u.a. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Insolvenzgeld ist innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvensereignis zu beantragen. Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat, so wird Insolvenzgeld geleistet, wenn der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 SGB III).

Maßgebendes Insolvenzereignis ist im vorliegenden Fall der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 01.12.2001. Zwar hat das Amtsgericht H. zum 30.09.2002 erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet, jedoch hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass weiterhin die Sperrwirkung der Insolvenzeröffnung vom 01.12.2001 vorlag.

Ein neues Insolvenzereignis ist nur dann für den Anspruch auf Insolvenzgeld maßgebend, wenn sich nach dem ersten Insolvenz- ereignis die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers wieder soweit gebessert haben, dass die damals vorliegende Insolvenz beseitigt und diese erst durch die späteren Ereignisse erneut herbeigeführt wurde (BSG SozR 4100 § 141 b Nr 6, 37, 43, 46 SozR 3-4100 § 141 e Nr 3, LSG Rheinland/Pfalz NZS 2003, 93 - 94, Schmidt in Wissing, SGB III, § 183 RdNr 28). Dauert die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers an, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein. Von einem Wiedereintritt der Zahlungsfähigkeit ist nicht bereits dann auszugehen, wenn die Betriebstätigkeit für mehrere Monate wieder aufgenommen wird und der Arbeitgeber lediglich seiner Lohnzahlungspflicht nachkommt (BSG SozR 4100 § 141 Nr 43, LSG Rheinland/Pfalz aaO).

Vorliegend hat die GmbH nach Abschluss des Insolvenzplanes vom 28.11.2001 zwar die Spielergehälter vorübergehend wieder gezahlt. Hierin liegt aber noch keine Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit, zumal der Hauptsponsor nach dem Vorbringen der Klägerin erst "zu Beginn 2002" geleistet hat. Nach der Beurteilung des Insolvenzverwalters war die GmbH ohnehin nie kreditwürdig. Bereits ab Mai 2002 war diese wiederum nicht in der Lage, die Spielergehälter zu zahlen. Das mit dem Beschluss vom 01.12.2001 zunächst eingeleitete Insolvenzverfahren war zwar im Hinblick auf den rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan aufgehoben worden. Allein wegen dieser Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Durchführung des Insolvenzplanverfahrens ist jedoch nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der GmbH auszugehen. Die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplans betreffen nämlich nur die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten. Zudem sind die Wirkungen des Plans nicht endgültig, sondern halten nicht mehr an, wenn der Schuldner gegenüber einem Gläubiger mit der Erfüllung des Plans in erheblichen Rückstand gerät (§ 255 Abs 1 Satz 1 Insolvenzordnung - InsO -). Das SG hat daher mit der Beklagten die Insolvenzeröffnung vom 01.12.2001 zurecht als maßgebendes Ereignis mit Sperrwirkung angesehen.

Da dem Kläger vor dem ersten Insolvenzereignis vom 01.12.2001 Arbeitsentgelt nicht ausgefallen ist, kann er nur dann einen Anspruch auf Insolvenzgeld haben, wenn eine Verschiebung des Insolvenzgeldzeitraums in Anwendung des § 183 Abs 2 SGB III (Gutglaubenschutz) in Betracht kommt.

Vorliegend hat der Kläger aber nicht in Unkenntnis des ersten Insolvenzereignisses weiter gearbeitet. So trägt er selbst vor, etwaige Insolvenzgeldansprüche gegen die Beklagte an die Sparkasse H. , die die Gehälter der Spieler zunächst weiter zahlte, abgetreten zu haben. Er will vielmehr nach der Aufhebung des ersten Insolvenzbeschlusses im guten Glauben gewesen sein, dass Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers wieder eingetreten sei und im Vertrauen darauf weiter gearbeitet haben.

Allerdings führt nicht bereits die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Insolvenzplanverfahren zu einem Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Denn das Gericht kann im Insolvenzplanverfahren nur formale Anforderungen überprüfen (§ 231 Abs 1 Nr 1 Insolvenzordnung - InsO -). Auch der gerichtlichen Bestätigung des Plans (§§ 248 ff InsO) kommt eine solche Vertrauenswirkung nicht zu, denn eine materiell-rechtliche Prüfung, ob der Plan wirtschaftlich zweckmäßig gestaltet ist, und ob er voraussichtlich Erfolg haben wird, ist dem Insolvenzgericht verwehrt (vgl. hierzu BSG SozR 3-4300 § 183 Nr 3 mwN).

Letztlich kann diese Frage vorliegend jedoch offen bleiben, weil der Kläger jedenfalls die 2-monatige Antragsfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III nicht eingehalten hat. Diese Frist begann bereits mit dem ersten Insolvenzereignis vom 01.12.2001 zu laufen (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.02.2003 - L 3 AL 66/02 -).

Auch in Anwendung des § 324 Abs 3 Satz 23 SGB III (Fristversäumnis und Nachfrist) hat der Kläger keinen Anspruch, denn wie bereits ausgeführt, führte die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Insolvenzplanverfahren nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu einem berücksichtigungsfähigen Vertrauenstatbestand. Wollte man insoweit einen Vertrauensschutz in die wiederhergestellte Zahlungsfähigkeit bejahen, wäre dieser Vertrauensschutz ohnehin im Mai 2002 wieder entfallen, da der Kläger ab diesem Monat kein Gehalt mehr erhielt; er hätte dann den Antrag innerhalb der 2-Monatsfrist bis Juli 2002 stellen müssen, was nicht geschehen ist. Damit hat der Kläger die Versäumung der Antragsfrist zu vertreten.

Eine Verschiebung des Insolvenzgeldzeitraums mit der Folge der Anknüpfung an das spätere Insolvenzereignis vom 30.09.2002 ist ebenfalls nicht möglich. Zwar wird die Auffassung vertreten, dass eine solche Verschiebung auf Grund der Erfüllung der laufenden Verbindlichkeiten durch den Schuldner im Rahmen des Gutglaubensschutzes nach § 183 Abs 2 SGB III gerechtfertigt sei (vgl Peters-Lange in Gagel SGB III § 183 RdNr 52). Vorliegend hat das Arbeitsverhältnis des Klägers aber lediglich bis 30.06.2002 gedauert. Es war damit bereits vor dem zweiten Insolvenzereignis vom 30.09.2002 beendet, so dass der Kläger nicht in Unkenntnis dieses weiteren Insolvenzereignisses über den 30.0.02 hinaus weiter gearbeitet hat.

Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG Nürnberg vom 15.12.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Berufung gemäß § 160 Abs Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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