L 7 VG 27/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 13 V 371/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 VG 27/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 3/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.03.1998 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Hinterbliebenenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der Kläger heiratete am 06.09.1968 R K(K.). Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Im September 1978 trennte sich das Ehepaar einvernehmlich, eine Scheidung erfolgte nicht. Seit März 1988 bezog Frau K. Sozialhilfe von der Stadt K.

Frau K. war Alkoholikerin und wegen einer angeborenen Beinverkürzung von 9 cm mit Spitzfußstellung des linken Fußes gehbehindert. Am 03.11.1993 erlitt sie eine Oberschenkelfraktur links als Folge eines tonisch-klonischen Krampfanfalles im Rahmen eines kurzzeitigen Alkoholentzuges. Danach war Frau K. auf Gehhilfen angewiesen. Im November 1994 erlitt Frau K. einen Armbruch.

Am 28.11.1994 verursachte der alkoholabhängige Freund, der Zeuge H (H.), den Tod von Frau K. im Vollrausch. Das Landgericht (LG) Köln verurteilte den Zeugen H. wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Nach den Feststellungen des LG Köln verließ Frau K. Anfang November 1994 den Zeugen H., mit dem sie zusammenlebte, und zog zu dem Zeugen B (B.). Am Freitagabend, dem 25.11.1994, traf Frau K. den Zeugen H. in einer Gaststätte und kehrte mit ihm in dessen Wohnung zurück. Im Verlauf des Sonntagabends kam es zu heftigen, zunächst verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem alkoholisierten Zeugen H. und der nüchternen Frau K. Anlass war die Vermutung, Frau K. habe während der vierwöchigen Trennung sexuelle Beziehungen zu dem Zeugen B. gehabt. Der Streit nahm zu, es kam zu gegenseitigen Beschimpfungen. Gegen 1.00 Uhr morgens ging Frau K. zur Toilette und anschließend in die Küche. Als sie in das Wohnzimmer zurückkehrte, hielt sie ein Brotmesser in der linken Hand. Das Messer nahm der Zeuge H. der sich passiv verhaltenden Frau K. ab und brachte es in die Küche zurück. Als er in das Wohnzimmer zurückkam, lag Frau K. bereits wieder auf der Bettcouch. Der Zeuge H. legte sich neben Frau K ... Dabei ging der Streit weiter. Der Zeuge H. schlug auf Frau K. ein. Diese richtete sich auf und setzte sich an das Fußende der Bettcouch. Der Zeuge H. schlug dann - wie zuvor - mehrfach, gezielt und mit Wucht auf Gesicht, Kopf und Schulterbereich des Opfers ein. Er schlug im Wechsel mit der Handinnenfläche und dem Handrücken, ferner mit der Faust. Frau K. versuchte, die Arme schützend vor den Kopf zu halten. Frau K. bat den Zeugen H., mit der "Schlägerei" aufzuhören. Dieser schlug weiter und beschimpfte Frau K. u.a. mit dem Ausdruck "Dreckshure". Er wollte Frau K. einen Denkzettel verpassen und sich für die vierwöchige Trennung rächen. Unter wuchtvollen Schlägen fiel Frau K. von der Bettcouch. Sie schlug mit dem Kopf auf den Boden auf und blieb dort liegen.

Auf Aufforderung des Sozialamtes beantragte der Kläger im September 1996 beim Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach dem OEG. Daraufhin zog der Beklagte die Akte der Staatsanwaltschaft Köln bei. Mit Bescheid vom 25.10.1996 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil bei der Verletzten ein Grund zur Versagung der Leistung nach § 2 OEG vorliege. Diesen Versagungsgrund müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 2. Alt. OEG seien nämlich Leistungen zu versagen, wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig sei, Entschädigung zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne im Falle einer Körperverletzung dann keine staatliche Entschädigung beansprucht werden, wenn eine Frau in einer Gemeinschaft verbleibe, die mit einer dauernden Gefahrenlage verbunden sei, in der sie stets mit schwerer Mißhandlung rechnen müsse und aus der sie sich bei einem Mindestmaß an Eigenverantwortung selbst hätte befreien können. Ausweislich der Strafakte habe zwischen der Getöteten und dem Schädiger seit April 1993 eine feste Beziehung bestanden, an der sie trotz schwerster Mißhandlungen festgehalten habe.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er trug vor, der Zeuge H. habe als Täter immer wieder bestritten, daß er Frau K. geschlagen habe. Am 10.09.1997 wies der Beklagte den Widerpruch unbegründet zurück.

Mit der am 01.10.1997 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger hat u.a. dargelegt, daß der Zeuge H. und seine Ehefrau nicht zusammengelebt, sondern zwei getrennte Wohnungen innegehabt hätten. Sie hätten sich nur hin und wieder getroffen. Desweiteren habe der Zeuge H. bestritten, gegenüber seiner Ehefrau vor der Tat gewalttätig gewesen zu sein. Schwere Verletzungen seiner Ehefrau infolge von Tätlichkeiten des Zeugen H. vor der Tat habe das Strafgericht nicht festgestellt. Zur Stützung seines Vortrages hat der Kläger einen Brief des Zeugen H. vom 16.12.1994, adressiert an den Zeugen B., vorgelegt.

Der Beklagte hat ausgeführt, es sei für den Versagungsgrund der Unbilligkeit nicht entscheidend, ob das Opfer unmittelbar vor dem Tod geschlagen worden sei oder nicht. Maßgebend sei vielmehr, daß während eines längeren Zeitraumes des Zusammenlebens des Opfers mit dem Täter immer wieder Mißhandlungen stattgefunden hätten. Hierdurch sei eine Gefahrenlage geschaffen worden, aus der sich das Opfer selbst hätte befreien können, indem es die Lebensgemeinschaft aufgelöst hätte bzw. nicht wieder zurückgekehrt wäre. Dies sei bei Frau K. der Fall gewesen.

Mit Urteil vom 16.03.1998 hat das Sozialgericht Köln den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.1996 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 10.09.1997 dem Kläger ab 01.09.1996 Witwerrente zu gewähren.

Der Ausschließungsgrund der Unbilligkeit greife nicht ein. Frau K. habe nicht bewußt grobfahrlässig gehandelt, um den Schaden zu vermeiden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß Frau K. von dem Zeugen H. schon mehrfach, insbesondere tätlich körperlich schwer mißhandelt worden sei. Frau K. habe am Wochenende Ende November 1994 nicht annehmen können, daß ihr Bekannter sie nach reichlichem Alkoholgenuß so erheblich verletze, daß sie an deren Folgen sterben müsse. Schließlich sei sie an diesem Wochenende bereits seit Freitagabend mit dem Zeugen H. zusammengewesen, ohne daß es zu einer Körperverletzung gekommen sei, obwohl der Zeuge H. bereits von diesem Zeitpunkt an erheblich Alkohol zu sich genommen habe. Daß der Zeuge H. in der Nacht von Sonntag auf Montag aufgrund einer verbalen Auseinandersetzung wegen seiner gesteigerten Eifersucht Frau K. so sehr verletzt habe, daß sie an deren Folgen verstorben sei, sei in keiner Weise für sie voraussehbar gewesen. Sie habe keine Veranlassung gehabt, aus diesem Grunde zum Selbstschutz vorzeitig die Wohnung des Zeugen H. zu verlassen. Sie habe auch durch ihr Verhalten den Tod nicht herbeigeführt.

Gegen dieses ihm am 24.03.1998 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24.04.1998 Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, Frau K. habe Kenntnis davon gehabt, daß der Zeuge H. unter Alkoholeinfluß, insbesondere aus Eifersucht, dazu neige, gewalttätig zu werden. Da Frau K. diesem körperlich weit unterlegen gewesen sei, hätte sie die Gefährlichkeit des weiteren Zusammenlebens mit dem Zeugen H. erkennen und sich von ihm trennen müssen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, daß Frau K. zum Tatzeitpunkt nüchtern gewesen sei, somit die Gefährlichkeit der Situation, verursacht durch den kontinuierlichen Alkoholkonsum des Zeugen H., hätte erkennen und sich sachgerecht verhalten können. Deshalb greife der Ausschlußgrund des § 2 OEG ein. Eine erneute Vernehmung der von der Polizei und dem Strafgericht vernommenen Zeugen sei nicht erforderlich.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.03.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die Zeugen B. und H. vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 27.08.1998 und vom 01.03.2000 Bezug genommen. Desweiteren hat der Senat die Akten des Sozialamtes der Stadt Köln, die Akten der Staatsanwaltschaft Köln und die Krankenakten der Kliniken der Stadt K. über Frau K. beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf den Inhalt der Gerichtsakten des SG K. und der Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Hinterbliebenenrente gemäß §§ 1 Abs. 8 OEG, 38, 43 BVG zu gewähren.

Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 OEG ist erfüllt. Die Ehefrau des Klägers ist an den Folgen einer Körperverletzung - einem rechtswidrigen tätlichen Angriff - gestorben. Die Leistungspflicht des Beklagten ist auch nicht durch die alkoholbedingte Schuldunfähigkeit des Täters ausgeschlossen. Das OEG verlangt nur den natürlichen Vorsatz des Täters, nicht die Verantwortlichkeit im strafrechtlichen Sinne (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1999, B 9 VG 7/97 R m. w. N.).

Zugunsten des Beklagten greift der Leistungsausschluß der Mitverursachung i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 1. Alt. OEG nicht ein. Es handelt sich um einen Sonderfall des Ausschlußgrundes der Unbilligkeit (§ 2 Abs.1 OEG), der abschließend regelt, wann eine unmittelbare Tatbeteiligung der Geschädigten Leistungen ausschließt (vgl. BSG Urteil vom 08.12.1998, B 9 VG 8/97 R; vom 21.10.1998, B 9 VG 6/97 R, vom 21.10.1998, B 9 VG 2/97 R m. w. N.). In den Bereich der Mitursächlichkeit gehören alle bei nach natürlicher Betrachtungsweise mit dem eigentlichen Tatgeschehen unmittelbar, insbesondere auch zeitlich eng verbundenen Umstände, während alle nicht unmittelbaren, lediglich erfolgsfördernden Umstände, d.h. typischerweise die Vorgeschichte der eigentlichen Gewalttat, im Rahmen der Unbilligkeit zu prüfen sind. Ein Leistungsausschluß nach § 2 Abs. 1. S. 1 1. Alt. OEG kommt nur in Betracht, wenn das Verhalten des Opfers wesentlich mitursächlich im Sinne der im Versorgungs- und OEG-Recht geltenden Kausalitätsnorm, d.h. in etwa gleichwertig mit dem Tatbeitrag des Schädigers gewesen ist. Das ist anzunehmen, wenn sich das Opfer mit seinem Ursachenbeitrag in ähnlicher schwerer Weise gegen die Rechtsordnung vergangen hat wie der vorsätzlich handelnde Gewaltäter. Dabei kann für die Bewertung der beiderseitigen Tatbeiträge darauf abgestellt werden, wie die erfüllten Straftatbestände nach dem Strafgesetzbuch, d.h. nach dem dort genannten Strafrahmen, zu bestrafen sind. Desweiteren hat ein Opfer seine Schädigung mitverursacht, wenn es sich, ohne sozialnützlich oder sogar von der Rechtsordnung erwünscht zu handeln, bewußt oder leichtfertig der Gefahr einer Schädigung ausgesetzt hat. Leichtfertiges Handeln ist durch einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit gekennzeichnet, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bügerlichen Rechts entspricht, wobei ein individueller, auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellender Zurechnungsmaßstab zugrunde zu legen ist. Dies gilt auch für ein Opfer, das sich einer erkannten oder leichtfertig verkannten Gefahr nicht entzieht, obwohl ihm dies zumutbar und möglich gewesen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998 B 9 VG 2/97 R; Urteil vom 28.11.1996, B 9 VG 6/97 R; vom 12.05.1997, B 9 VG 8797 R m. w. N.).

Ausgehend von den Feststellungen des LG Köln über den Tatablauf, die auf den Einlassungen des Täters wegen Fehlens unmittelbarer Zeugen basieren und deren Richtigkeit von den Beteiligten nicht bestritten wird, sind die unmittelbar der Tat vorausgehenden Verhaltensweisen des Opfers - verbale Provokationen und Bedrohung des Täters mit einem Messer - nicht als wesentlicher Tatbeitrag zu werten. Die Bedrohung des Zeugen H. durch das Messer war schon vor Beginn der schweren Mißhandlungen, die zum Tod von Frau K. geführt haben, beendet, als der Zeuge H. Frau K. das Messer abnahm und in die Küche zurückbrachte. Die verbalen Provokationen von Frau K., deren Inhalt nur teilweise konkretisiert ist, erfüllen allenfalls den Straftatbestand der Beleidigung. Eine vorausgegangene Beleidigung des Täters durch das Opfer kann bei einer einfachen Körperverletzung als Leistungsausschließungsgrund angesehen werden, nicht jedoch bei einer gefährlichen Körperverletzung oder einer Tötungshandlung, da nach der im Strafrecht vorgezeichneten Bewertung der beiderseitigen Beiträge - Beleidigung, gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge - der gefährlichen Körperverletzung ein deutlich höheres Gewicht beigemessen wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1998 B 9 VG 8/97 R; Urteil vom 15.08.1996, 9 RVg 6/94 m. w. N.).

Es liegt auch keine Mitverursachung in Form einer bewußten oder leichtfertigen Selbstgefährdung des Opfers vor. Diese wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn sich das Opfer entweder grobfahrlässig (leichtfertig)oder gar vorsätzlich bewußt der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und sich dadurch selbst gefährdet hat. Dabei ist zu prüfen, ob das Opfer die Selbstgefährdung erkennen und vermeiden konnte und ob es - unter Berücksichtigung seiner persönlichen Erkenntnisfähgikeit - in besonders schwerem Maße Sorgfaltspflichten verletzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, B 9 VG 2/97 R; vom 09.12.1998 B 9 VG 8/97 R m. w. N.). Die Ehefrau des Klägers hat ihre Sorgfaltspflicht nicht in besonders hohem Maße verletzt, indem sie die Wohnung des Zeugen H. am Tatabend nicht verließ. Zwar war Frau K. am Tatabend nach den Feststellungen des rechtsmedizinischen Instituts nüchtern und daher in der Lage, die Gefährlichkeit der Stimmungslage des Zeugen H. - gesteigerter Eifersucht und erhöhter Alkoholkonsum (Vollrausch) - zu erkennen. Auch wußte Frau K., daß sie dem Zeugen H. im Hinblick auf ihr Körpergewicht (Gewicht knapp 49 kg, Größe 1,59 m) und ihre Behinderungen (deutliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit durch einen - nach den Feststellungen des LG Köln - eingegipsten rechten Arm und der Notwendigkeit der Benutzung von einer Gehhilfe) körperlich weit unterlegen war und ihr Freund unter Alkoholeinfluß zu Handgreiflichkeiten neigte. Allerdings hatten bis zum Tatabend die alkoholbedingten Taten des Zeugen H. keine gravierenden, insbesondere keine lebensbedrohlichen Verletzungen von Frau K. zur Folge gehabt. Durch die Aussagen der Angehörigen und der Freunde der Ehefrau des Klägers im Ermittlungs- und Strafverfahren sind zwar Verletzungen von Frau K. in Form von "Veilchen", blauen Flecken und Rippenverletzungen belegt. Anhaltspunkte für gravierendere Gesundheitsstörungen, wie z.B. Knochenbrüche, Würgemale, erhebliche Weichteilverletzungen als Folge tätlicher Angriffe des Zeugen H. oder für Tätlichkeiten mit Gegenständen, die die Gefahr von erheblichen Verletzungen in sich bargen, sind bis auf einen unmotivierten Wurf einer Bratpfanne weder in dem Straf- noch in dem OEG-Verfahren ersichtlich gewesen. Nach Angaben des Zeugen H., die durch die Eintragungen in der Krankenakte bestätigt werden, erlitt Frau K. die Oberschenkelfraktur im November 1993 als Folge eines tonisch-klonischen Krampfanfalles im Rahmen eines kurzzeitigen Alkoholentzuges. Ebenso sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß der im November 1994 erlittene Armbruch auf Fremdverschulden zurückzuführen war. Gegenüber dem Zeugen B. ließ sich Frau K. dahingehend ein, daß sie gestürzt sei. Frau K. mußte am Tatabend zwar mit der Möglichkeit einer alkoholbedingten Affekthandlung des Zeugen H. rechnen, jedoch nicht mit einem Tötungsdelikt. Das Ausmaß der Gewalttätigkeit war für Frau K. überraschend. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß es der Ehefrau des Klägers zum Zeitpunkt der Tat - Sonntagabend gegen 1.00 Uhr morgens - weder möglich noch zumutbar war, sich vom Tatort zu entfernen, da sie unbekleidet und erheblich in der Bewegungsfähigkeit infolge eines Gipsarmes und einer erheblichen Gehstörung beeinträchtigt war. Die Tatsache, daß die Ehefrau des Klägers nach einer vierwöchigen Trennung wieder Kontakt zu dem Zeugen H. aufgenommen und in dessen Wohnung zurückgekehrt war, ist nicht im Rahmen der Prüfung "mitverursachender Tatbeitrag" zu berücksichtigen, da diese Verhaltensweise des Opfers nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat steht. Zwischen der Rückkehr zu dem Zeugen H. und dem Tötungsdelikt vergingen mehr als 48 Stunden.

Nach Auffassung des Senates ist die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an den Kläger wegen Unbilligkeit aus anderen Gründen i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. OEG ausgeschlossen.

Nach der Rechtsprechung können nur solche Gründe zur Unbilligkeit führen, die dem in der 1. Alt. des § 2 Abs. 1 S. 1 enannten Fall der Mitverursachung an Bedeutung annähernd gleichkommen. Der Maßstab hierfür ergibt sich aus dem gesetzlichen Zweck der Gewaltopferentschädigung, aus verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, aus Prinzipien der Gesamtrechtsordnung und viktimlogischen Erkenntnissen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei folgenden Fallgruppen der Versagensgrund der Unbilligkeit als erfüllt anzusehen:

1. rechtsfeindliche Betätigung des Opfers,

2. sozialwidriges, mit speziellen Gefahren verbundenes Verhalten des Opfers,

3. Begünstigung des Täters durch die Tat,

4. bewußte oder leichtfertige Selbstgefährdung des Opfers (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, B 9 VG 6/97 R).

Die Fallgruppen 1 bis 3 sind vorliegend nicht einschlägig.

Die Fallgruppe der leistungsausschließenden leichtfertigen Selbstgefährdung des Opfers wird als gegeben angesehen, wenn zwar eine die Schwelle der Mitverursachung erreichende Tatbeteiligung des Opfers - auch in Form einer leichtfertigen Selbstgefährdung - nicht vorliegt, aber das einer Tat vorausgehende Dauerverhalten eines Opfers, also die Vorgeschichte der Gewalttat, als leichtfertige Selbstgefährdung zu werten ist. Das ist der Fall, wenn eine Geschädigte sich einer von ihr erkannten oder leicht fertig verkannten Gefahr nicht entzieht, obwohl ihr dies zumutbar und möglich gewesen ist. Die Geschädigte muß einer ständigen Gefahr zum Opfer fallen, aus der sie sich bei einem Mindestmaß an Selbstverantwortung hätte befreien können. Dabei ist die Leichtfertigkeit durch einen erhöhten Grad der Fahrlässigkeit gekennzeichnet, wobei ein individueller, auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abzustellender Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, B 9 VG 6/97 R).

Entgegen der Auffassung des Beklagten handelte die Ehefrau des Klägers nicht in hohem Maße - ausgehend von ihren persönlichen Fähigkeiten - vernunftwidrig und damit leichtfertig, als sie die Beziehung zu dem Zeugen H. nach vierwöchiger Trennung wieder aufnahm und in dessen Wohnung zurückkehrte. Frau K. war emotional abhängig von dem Zeugen H ... Sie war wegen der Folgen der Oberschenkelfraktur und des Armbruches auf die Hilfe von Dritten angewiesen. Eine selbständige Lebensführung in der eigenen Wohnung in der dritten Etage war wegen ihrer Behinderungen und des nach den Feststellungen der Vermieterin und der Mitarbeiter des Sozialdienstes im Oktober/November 1994 verwahrlosten Zustandes nicht möglich. Diese Hilfe und Fürsorge war von dem Zeugen H. nach der Entlassung der Klägerin aus der stationären Behandlung im Dezember 1993 geleistet worden. Zwar war ihre Beziehung zu dem Zeugen H. mit einer dauernden Gefahr insoweit verbunden, als Frau K. mit alkoholbedingten einfachen Körperverletzungen von Seiten ihres Freundes rechnen mußte. Denn der Zeuge H. war Alkoholiker und neigte unter Alkoholeinfluß zu Handgreiflichkeiten gegenüber seiner Partnerin, Verletzungsspuren in Form von "Veilchen", blauen Flecken, Rippenverletzungen bei Frau K. sind durch die Bekundungen der Angehörigen und Freunde im Strafverfahren, die im Wege des Urkundenbeweises bewertet werden, belegt. Auch hat Frau K. gegenüber dem Zeugen B. nach der im November 1994 erfolgten Trennung von dem Zeugen K. eingeräumt, daß der Zeuge H. sie unter Alkoholeinfluß schlage. Die Beziehung zu dem Zeugen H. war jedoch nicht mit einer solchen dauerhaften Gefahrenlage verbunden, in der Frau K. stets damit rechnen mußte, daß die durch Mißhandlungen zu erwartenden Gesundheitsschädigungen schwerwiegend sind ein schließlich einer möglichen Todesfolge. Schwerwiegende Gesundheitsstörungen, wie z.B. Knochenbrüche, Würgemale, erhebliche Weichteilverletzungen, häufige Arztbesuche infolge von tätlichen Angriffen des Zeuge H. oder ständige Tätlichkeiten des Zeugen H. mit Gegenständen, die die Gefahr von erheblichen Verletzungen in sich aren, sind bis auf einem unmotivierten Wurf einer Bratpfanne nicht erwiesen. Demnach stellt die Wiederaufnahme der Beziehung nach Auffassung des Senates keine leichtfertige Selbstgefährdung der Ehefrau des Klägers dar.

Damit ist ein Leistungsausschließungsgrund, der sich aus dem Tatbeitrag der Ehefrau des Klägers oder aus anderem in der Person von Frau K. liegenden Gründen herleiten läßt, nicht gegeben.

Nach Auffassung des Senats widerspricht die Gewährung einer Hinterbliebenerente an den Kläger jedoch dem gesetzlichen Zweck der Gewaltopferentschädigung und ist deshalb unbillig. Rechtsgrund für die Gewährung der Gewaltopferentschädigung ist das Einstehen der staatlichen Gemeinschaft für die Folgen einer bestimmten Gesundheitsstörung nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen, weil eine entsprechende Straftat nicht verhindert werden konnte (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, B 9 VG 6/97 R). Umfang und Reichweite der Haftung des Staates ergeben sich aus der Systematik der sozialen Entschädigung und der allgemeinen Rechtsordnung. Rechtspolitische Zielsetzung der Regelung des § 1 Abs. 8 OEG i. V. m. §§ 38, 47 BVG ist der Ersatz des durch die Eheschließung entstandenen Unterhaltsanspruches bei Verlust eines Ehepartners infolge krimineller Gewalt (vgl. BSG Urteil vom 28.07.1999, B 9 VG 5/98 R). Dabei ist die Haftung des Staates nicht auf den Ersatz des tatsächlichen Unterhaltsbedarfes beschränkt, der durch den Tod eines Unterhaltsverpflichteten entstanden ist, sondern es genügt in der Regel die abstrakte Unterhaltsverpflichtung (vgl. BSG-Urteil vom 23.10.1985, 9 a RVg 4/83; Urteil vom 07.11.1979, 9 RVg 2/78).

Nach Auffassung des Senates genügt im vorliegenden Fall eine abstrakte Unterhaltsverpflichtung nicht zur Begründung der Haftung der Solidargemeinschaft gegenüber dem Kläger. Vorliegend dient die Hinterbliebenenrente nicht dem Ersatz eines Unterhaltsanspruches des Klägers gegenüber seiner Ehefrau.

Denn das Ehepaar lebte seit 1978 getrennt. Dies hat zur Folge, daß dem Ehepartner nur noch ein Barunterhaltsanspruch aus § 1361 BGB (Unterhalt beim Getrenntleben) zugestanden hat, dagegen kein Anspruch auf Naturalunterhalt. Nach Angaben des Klägers ist auch kein Naturalunterhalt mehr geleistet worden. Einen Barunterhaltsanspruch konnte der Kläger gegenüber seiner Ehefrau zum Tatzeitpunkt nicht geltend machen. Zum einen war die Ehefrau nicht leistungsfähig, zum anderen war er nicht unterhaltsbedürftig. Die Ehefrau bezog im November 1994, d.h. zum Zeitpunkt ihres Todes, seit 6 Jahren Sozialhilfe und war damit absolut leistungsunfähig i. S. d. Unterhaltsrechts (vgl. Palandt, 58. Aufl., § 1361 Rdnr. 20, § 1581 Rdnr. 22). Aufgrund ihres Alters - 47 Jahre -, ihrer körperlichen Behinderung, des beruflichen Werdeganges - Teilzeitbeschäftigung in der Gastonomie, Gelegenheitsarbeiten in der Gastronomie und als Taxifahrerin - und der Alkoholabhängigkeit ist auch nicht wahrscheinlich, daß die Ehefrau zukünftig überhaupt in der Lage gewesen wäre, ihren eigenen notwendigen Unterhaltbedarf durch Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zu decken, vielmehr ist davon auszugehen, daß die Ehefrau weiterhin absolut leistungsunfähig geblieben wäre. Der Kläger war bis zum Tode der Ehefrau durchgehend in der Lage, seinen Unterhaltsbedarf durch eigene zumutbare Erwerbstätigkeit zu decken. Ihm oblag nach dem Unterhaltsrecht eine Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, bei deren Verletzung die Erzielung eines Einkommens fingiert worden wäre.

Hinderungsgründe, die einer Verweisung des Klägers auf eigene Erwerbstätigkeit nach § 1361 Abs. 2 BGB entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Nach Auffassung des Senates ist es aufgrund der Dauer des Getrenntlebens - 16 Jahre - sowie des langjährigen Nichtbestehens eines Anspruches des Klägers auf Unterhalt bei Getrenntleben gegenüber seiner Ehefrau nicht gerechtfertigt, daß der Staat für den Wegfall zukünftiger Unterhaltsansprüche, deren Entstehung äußerst fraglich ist (abhängig von der Entstehung einer Leistungsfähigkeit auf Seiten der Ehefrau sowie eines Unterhaltsbedarfs des Klägers trotz ausreichender Bemühungen um eine zumutbare Erwerbstätigkeit) in Form einer zeitlich unbefristeten Gewährung von Hinterbliebenenrente haftet.

Auch liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft der beiden Ehepartner, hinreichend wahrscheinlich gewesen wäre. Zwar haben sich die Ehepartner offengehalten, zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere, wenn Frau K. abstinent geworden wäre, die eheliche Gemeinschaft fortzusetzen. Es sind aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß eine Beendigung des Getrenntlebens bevorstand. Das Ehepaar hatte sporadisch Kontakt. Nach Angaben des Klägers rafen sie sich in letzter Zeit 6 - 10mal im Jahr und unterstützten sich auch gegenseitig mit kleineren Geldbeträgen. Gleichzeitig haben beide Ehepartner Beziehungen zu anderen Partnern gehabt, der Kläger in den Jahren 1986 - 1989 sowie Frau K. zu zwei festen Partnern, zuletzt zu dem Zeugen H.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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