S 2 KA 50/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 50/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 108/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen für das Quartal II/1999.

Der Kläger ist als Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurg in L niedergelassen und zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.

Mit Bescheid vom 17.06.2002 berichtigte die Beklagte in 13 Fällen die Geb.-Nr. Ä 178 und verfügte insoweit eine Belastung um 1.022,72 EUR. Gemäß ihren Abrechnungshinweisen zu chirurgischen Bema- und BugoÄ-Positionen, ihr Informationsdienst 03/2002 vom 03.05.2002, sei das Einbringen von Knochenersatzmaterial in Knochendefekte keine Kassenleistung.

Diesem Bescheid widersprach der Kläger. Im Jahre 1999 sei unrechtmäßig eine Doppelbelastung aufgrund einer Punktmengenüberschreitung nach § 85 SGB V und gleichzeitig aufgrund des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) erfolgt. Dadurch seien in der Spitze für jeden erarbeiteten Punkt 1,4 Punkte abgezogen worden. Erfolge nun ein Honorarberichtigungsbescheid, so müssten für jeden berichtigten Punkt wieder 1,4 Punkte gutgeschrieben werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 gab die Beklagte dem Widerspruch nicht statt. Bei der GoÄ-Pos. Ä 178 (Implantation von Knochen) handele es sich im Gegensatz zur GoÄ-Pos. Ä 177 (Verpflanzung eines Knochens) nicht um körpereigenes Material. Das Einbringen von Knochenersatzmaterial in Knochendefekte sei keine Kassenleistung. Soweit der Kläger ausführe, dass der individuelle Punktwert der Praxis zugrunde zu legen sei, werde seinem Widerspruch in diesem Falle entsprochen und nun der individuelle Punktwert bei der Berechnung zugrunde gelegt, um eine Doppelbelastung zu vermeiden. Der individuelle Punktwert für das Jahr 1999 für seine Praxis betrage 0,77 EUR (1,5019 DM).

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, die GOÄ 1965 enthalte keine Einschränkung der Nr. Ä 178 dahin, dass diese Nr. nicht für die Implantation von körpereigenem Material angesetzt werden dürfe. Nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid könne die Nr. Ä 178 überhaupt nicht mehr abgerechnet werden. In Satz 1 werde zunächst behauptet, bei Nr. Ä 178 handele es sich nicht um körpereigenes Material. In Satz 2 werde ergänzend behauptet, das Einbringen von Knochenersatzmaterial in Knochendefekte sei keine Kassenleistung. Somit sei diese Nr. nach Auffassung der Beklagten weder für die Implantation von körpereigenem Material noch für die Implantation von körperfremdem Material abrechenbar.

Fachlich sei die Nr. Ä 178 beim Auffüllen von großen Knochendefekten nach umfangreichen Osteotomien oder Zystenentfernungen angesetzt worden. Dabei sei körpereigenes Material zunächst während der Osteotomie gesammelt worden (z.B. mit einem Knochenfilter). Ergänzend seien Knochen aus anderen Bereichen mit Knochenmeißeln oder Knochenschabern entnommen worden. Dieses Material sei anschließend zur Auffüllung der umfangreichen Knochendefekte verwendet worden. Ergänzend seien auch Zusätze eingesetzt worden, z.B. Antibiotikumzusätze und Knochenersatzmaterialien. Somit seien im Sinne der Nr. Ä 178 Knochen, nämlich autogene Knochen, implantiert worden.

Der Widerspruchsbescheid sei auch rechnerisch falsch, da aufgrund der Kumulierung der Degressionseinbehalte und der HVM-Kürzungen Punkte doppelt abgezogen worden seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müsse erst die Degression und anschließend die Honorarverteilung berechnet werden. Damit sei auch der zugrunde gelegte "individuelle Punktwert" falsch.

Zudem bestünden rechtliche Bedenken, wenn rückwirkend Leistungen aufgrund einer Veröffentlichung im Informationsdienst der Beklagten vom 04.05.2001 gekürzt würden.

Der Kläger beantragt,

den Honorarberichtigungsbescheid vom 17.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt zum einen Bezug auf einen Buchungsbeleg vom 16.04.2003, mit welchem unter Berücksichtigung des individuellen Verteilungspunktwertes von 0,77 EUR die Belastung auf 924,- EUR reduziert wurde. Zudem verweist sie darauf, dass sie in dem Rechtsstreit S 2 KA 63/01 in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG vom 21.05.2003 dem Kläger eine Gutschriftsanzeige übersandt habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese nicht rechtswidrig sind.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist den Gerichten bei der Auslegung der Vertragsgebührenordnungen aus funktionalen Gründen Zurückhaltung auferlegt. Die Gebührenordnungen werden als Bestandteil des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte (BMV-Z) und des VdAK/AEV-Vertrages (EKV-Z) von den Vertragspartnern durch den Bewertungsausschuss vereinbart. Das vertragliche Regelwerk dient dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zwischen Zahnärzten und Krankenkassen, und es ist deshalb vorrangig Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst, darin auftretende Unklarheiten zu beseitigen. Dieser Aufgabe entspricht auch die Bildung einer Technischen Kommission, die den Bema verbindlich auszulegen hat, wenn sich aus dem BMV-Z und seinen Anlagen, zu denen der Bema gehört, Zweifelsfragen ergeben. Der Kontrollauftrag wirkt beschränkend auf die Auslegung durch die Gerichte. Die Gebührenordnungen sind daher in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. Ergänzend ist es statthaft, zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen vorzunehmen. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen kommt nur in Betracht, wenn Dokumente vorliegen, in denen die Urheber dieser Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch einer Analogie im ausweitenden oder restriktiven Sinne unterworfen werden (vgl. nur BSG SozR 4-5533 Nr. 273; SozR 3-5555 § 10 Nr. 1; SozR 3-2500 § 87 Nr. 2). Entsprechendes gilt auch für die Leistungen aus der GOÄ 1965, die nach Nr. 3 der Allgemeinen Bestimmungen des Bema abrechenbar sind (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.02.2000 - L 5 KA 51/97 -).

Die Leistungsbeschreibung der Pos. Ä 178 GOÄ 1965 lautet: "Implantation von Knochen". Dem Kläger ist zuzugeben, dass der Wortlaut dieser Gebührenposition keinen ausdrücklichen Ausschluss dahin vorsieht, dass diese Position nicht für die Einpflanzung körpereigenen Materials angesetzt werden kann. Indes richtet sich die Gebührenordnung an die (zahn)ärztlichen Leistungserbringer, so dass die Leistungslegenden im Sinne der medizinischen Terminologie zu interpretieren sind. Die medizinische Terminologie versteht unter "Implantation" das Einbringen oder die Einpflanzung von körperfremden (häufig alloplastischen) Materialien in den Organismus (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004). Demgegenüber stellt die "Transplantation" die Übertragung von Geweben, Zellen oder Organen - auch Knochen - eines Spenders auf einen Empfänger dar, wobei die Übertragung auf denselben (autogene, autologe Transplantation) oder auf einen anderen Organismus (syngene, allogene, xenogene Transplantation) erfolgen kann (Pschyrembel, a.a.O.; Springer-Lexikon Medizin, 2004).

Vor diesem Hintergrund unterfällt die von dem Kläger vorgenommene Füllung nach Prof. Dr. Willi Schulte (Universität Tübingen) nicht dem Leistungsinhalt nach Nr. Ä 178 GOÄ 1965. Der Kläger hat beim Auffüllen von großen Knochendefekten nach umfangreichen Osteotomien oder Zystenentfernungen körpereigenes Material zunächst gesammelt, ergänzend Knochen des Patienten aus anderen Bereichen entnommen und dieses Material anschließend zur Auffüllung der umfangreichen Knochendefekte verwendet. Damit handelt es sich insgesamt um autogene Knochen; eine "Implantation" im o.g. Sinne stellt dies nicht dar.

Soweit der Kläger hierbei ergänzend Knochenersatzmaterialien verwendet hat, löst auch dies den Ansatz der Nr. Ä 178 GOÄ 1965 nicht aus. Zwar entspricht es durchaus dem Stand der heutigen zahnmedizinischen Wissenschaft, Knochenersatzmaterialien in der Zahnheilkunde für Augmentationen, zur Auffüllung von Knochendefekten (z.B. Ausschälung großer Zysten), dem Sinuslifting, in der Implantologie und Parodontologie einzusetzen, wobei z.B. xenogene Materialien (BioOss u.a.) oder synthetische Materialien (Cerasorb u.a.) verwendet werden. Der maßgebliche Wortlaut dieser Gebührenziffer spricht indes lediglich von Knochen, nicht von Knochenersatzmaterial. Dies wird darauf beruhen, dass bei Schaffung der GOÄ im Jahre 1965 der heutige Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft bei weitem noch nicht erreicht war und auch die Schulte-Füllung erst in den 1970er-Jahren entwickelt wurde (vgl. http://www.medizin.uni-tuebingen.de/zzmk/9366/01 personal/08 emeriti schulte.htm). Zutreffend weist die Beklagte angesichts des Wortlauts der Nr. Ä 178 GOÄ 1965 daher darauf hin, dass das Einbringen von Knochenersatzmaterial in Knochendefekte keine Kassenleistung sei. Soweit in Bezug auf das Einbringen von Knochenersatzmaterial daher eine Abrechnungslücke besteht, obliegt es allein den Vertragspartnern bzw. dem Bewertungsausschuss, diese Lücke durch Schaffung entsprechender Gebührentatbestände zu schließen.

Keine Veranlassung hatte die Kammer, an dieser Stelle näher auf den "Kommentar der KZV Nordrhein zu chirurgischen Bema- und BugoÄ-Positionen", Stand: 28.10.2000, und die "Abrechnungshinweise der KZV Nordrhein zu chirurgischen Bema- und BugoÄ-Positionen", Stand: 25.03.2002, zur Nr. Ä 178 einzugehen. Unabhängig von der Frage, ob diesem "Kommentar" bzw. diesen "Abrechnungshinweisen" ein rechtlicher Bindungswille der Beklagten im Sinne einer Zusicherung oder einer Allgemeinverfügung zukommt (dazu LSG NRW, Urteil vom 08.10.2003 - L 11 KA 35/01 -), geben sie letztlich nur die Rechtslage wieder, wie sie bei authentischer Interpretation der Nr. Ä 178 im Jahre 1965 bestand und bis in die Gegenwart fortwirkt. Eine verfassungsrechtlich eventuell bedenkliche Rückwirkung liegt in ihnen nicht.

Die ausgesprochene Honorarberichtigung ist auch rechnerisch zutreffend. Bei der Höhe des aus der sachlich-rechnerischen Berichtigung zu errechnenden Kürzungsbetrages ist zu beachten, dass die Prüfung einen budgetierten Bereich (KCH) betroffen hat. Die Kürzung wegen der Berichtigung soll nur das auf diese Leistungen entfallende Honorar abschöpfen und nicht im Zusammenwirken mit dem Praxisbudget zu einer weiteren Belastung des Zahnarztes führen. Budgetierte Leistungen dürfen folglich nur mit dem Wert abgezogen werden, den sie im Budget gehabt hätten (Urteil der erkennenden Kammer vom 02.03.2005 - S 2 KA 222/04 -). Die Honorarkürzung ist bei dieser Handhabung nach wie vor fühlbar, ohne dass sie die Budgetierung unbeachtet lässt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 32). Dementsprechend hat die Beklagte rechtlich und rechnerisch fehlerfrei der Honorarberichtigung den sich nach der Budgetierung ergebenden individuellen Verteilungspunktwert der Praxis des Klägers zugrunde gelegt und insofern die Beschwer des Klägers von 1.022,72 EUR auf 924,- EUR reduziert.

Keine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide ergibt sich schließlich aus dem Umstand, dass die Beklagte ursprünglich bei der Festsetzung des Honorareinbehalts gemäß § 4 Abs. 1a HVM den zuvor erfolgten Degressionsabzug unberücksichtigt gelassen hatte und somit ein "doppelter" Abzug auch der hier betroffenen Punkte eingetreten war. In dem Rechtsstreit S 2 KA 308/04 hat die Beklagte auf entsprechende Entscheidungen des BSG vom 21.05.2003 - B 6 KA 35/02 R u.a. - die Doppelbelastung durch Vergütungsminderungen aufgrund Punktmengenüberschreitung (§ 85 Abs. 4b SGB V) und durch Honorareinbehalte gemäß § 4 Abs. 1a HVM für das Jahr 1999 ausgeglichen und dem Kläger eine entsprechende Gutschrift von 15.817,80 EUR erteilt. Von diesem durch den Kläger angenommenen Anerkenntnis sind auch die hier streitigen Berichtigungen für das Quartal II/1999 erfasst.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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