L 18 SB 9/04.Ko

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 9/04.Ko
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Bei der Frage nach dem Stundensatz bei Gutachten zur Feststellung der Blindheit kommt es auf den Einzelfall an. Bei Einwendungen des Beklagten zur Glaubwürdigkeit des Klägers hinsichtlich der Sehschärfeangaben, der Auswertung von Untersuchungsergebnissen aufgrund VEP und Gesichtsfelduntersuchungen sowie der Beantwortung von Fragen nach dem Zeitpunkt und dem Ausmaß der blindheitsbedingten Hilfsbedürftigkeit ist daher aber auch als Einzelfallentscheidung für ein Gutachten zu einem Feststellungsverfahren nach § 69 Abs. 5 SGB IX ein Stundensatz von 46 EUR gerechtfertigt.
Die Entschädigung des Antragstellers für das am 09.08.2004 erstattete Gutachten wird auf 1.162,50 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In der Berufungsangelegenheit nach dem Schwerbehindertengesetz (L 18 SB 9/04) des Klägers M.W. gegen den Freistaat Bayern beauftragte der zuständige Richter des Bayer. Landessozialgerichts den Antragsteller mit Beweisanordnung vom 14.04.2004, ein augenfachärztliches Gutachten nach Untersuchung des Klägers zu erstatten. Die Beweisfragen bezogen sich auf eine etwaige wesentliche Änderung des Grades der Behinderung (GdB), der im Bescheid vom 15.11.1989 mit 60 bewertet worden war und insbesondere auf die Frage, ob bzw. ab welchem Zeitpunkt beim Kläger Blindheit nachgewiesen und daher das Merkzeichen "Bl" zuzuerkennen ist. Zusätzlich sollte der Antragsteller prüfen, ob bzw. seit wann beim Kläger die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit bzw. für das Merkzeichen "H" anzunehmen waren. Der Antragsteller sollte sich im Rahmen seines Gutachtens mit zwei bereits vom Sozialgericht eingeholten augenfachärztlichen Gutachten (Dr.L., Prof.Dr.G.) sowie mit medizinischen Stellungnahmen der Sachverständigen und des Versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten auseinandersetzen.

Das Sozialgericht Nürnberg hatte mit Urteil vom 25.11.2003 den Beklagten aufgrund der oben genannten Gutachten verurteilt, beim Kläger ab 06.02.2002 einen Gesamt-GdB von 100 sowie die Merkzeichen "H", "B", "G" sowie mit Wirkung ab 12.09.2002 das Merkzeichen "Bl" zuzuerkennen. Hiergegen hatte der Beklagte mit Schriftsatz vom 21.01.2004 Berufung eingelegt, da seines Erachtens aufgrund der eingeholten augenfachärztlichen Untersuchungsergebnisse ein objektiver Nachweis von Blindheit noch nicht erbracht sei. Es werde angeregt, ein weiteres Gutachten einzuholen, möglichst von der Universitäts-Augenklinik T. , weil dort spezielle Erfahrungen mit schwierigen Begutachtungsfällen vorlägen. Der daraufhin vom 18. Senat des Bayer. Landessozialgerichts beauftragte Antragsteller, Landesarzt für Sehbehinderte und Blinde in B., bestätigte in seinem Gutachten vom 09.08.2004, dass Blindheit des Klägers ab dem 12.09.2002 aufgrund des Gutachtens der Universitäts-Augenklinik W. nachgewiesen sei. Hilflosigkeit sei mindestens seit dem 06.02.2002 anzunehmen. Der Beklagte bestritt die Ausführungen des Antragstellers zur Blindheit aufgrund einer von Prof.Dr.B. eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.11.2004 sowie eines versorgungsärztlichen Gutachtens nach Aktenlage von Medizinaldirektorin P. vom 03.12.2004. Nachdem der Antragsteller mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 12.01.2005 sein Gutachtensergebnis zur Blindheit bzw. zum Merkzeichen "Bl" verteidigt hatte, wurde die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 22.06.2005 zurückgewiesen.

Am 09.08.2004 berechnete der Antragsteller für sein Gutachten eine Entschädigung in Höhe von 1.162,50 EUR. Ausgehend von einem Stundensatz von 60,00 EUR setzte er folgenden Zeitaufwand an:
Akten- und Literaturstudium 4 Std. 240,00 EUR
Untersuchung einschließlilch diagnostischer Verrichtungen 4 Std. 240,00 EUR
Abfassung des Gutachtens 6 Std. 360,00 EUR
Diktat und Korrektur 3 Std. 180,00 EUR

Sachkosten nach DKG-NT nach GOÄ-Ziffern 1201, 1256, 1228, 1226, 1216, 1240, 1241, 1242, 1237, 828 insgesamt 81,80 EUR

Schreibgebühren 18 Seiten á 2,50 EUR 45,00 EUR
Kopien 18 Seiten á 0,50 EUR 9,00 EUR
Portokosten 6,70 EUR
Gesamtentschädigung 1.162,50 EUR

Mit Schreiben vom 27.08.2004 kürzte die zuständige Kostenbeamtin die Gesamtentschädigung auf 889,50 EUR, da der Stundensatz nur 36,00 EUR betrage. Statt der geltend gemachten 17 Stunden wurden für Aktenstudium (498 Seiten) 8,30 Stunden (60 Seiten pro Stunde) angenommen, für die Untersuchung 2 Stunden, für Diktat und Durchsicht 4,5 Stunden (18 Seiten: 4 = 1 Stunde) und für Beurteilung 6 Stunden (6 Seiten a 1 Stunde), für Sachkosten 81,80 EUR, für Schreibauslagen 45,00 EUR und für Porto 6,70 EUR angesetzt.

Mit Schreiben vom 21.09.2004 erklärte sich der Antragsteller mit der Kürzung des Stundensatzes auf 36,00 EUR nicht einverstanden. Es habe sich um ein außergewöhnlich schwieriges Gutachten gehandelt, für welches ein Stundensatz von 52,00 EUR, der zusätzlich um bis zu 50 % überschritten werden könne, veranschlagt werden könne.

Daraufhin wurde dem Antrag am 28.09.2004 insoweit teilabgeholfen, als zusätzlich zu den beantragten und bewilligten Sach- kosten nach DKG-NT in Höhe von 81,80 EUR noch die Vollkosten nach Spalte 7 des DKG-NT zusätzlich zu den beantragten Nummern zuerkannt wurden. Die Nachzahlung wurde auf 99,11 EUR berechnet. Eine weitere Abhilfe wurde für nicht möglich erachtet, weil nach ständiger Rechtsprechung des Kostensenats des Bayer. Landessozialgerichts Gutachten im Schwerbehindertenrecht als einfach anzusehen seien und daher mit 36,00 EUR pro Stunde zu entschädigen seien. Dies gelte auch, obwohl es sich sicher nicht um einen durchschnittlichen Fall handele und die Frage der Blindheit im Sinne des Bayerischen Blindengeldgesetzes im Vordergrund stehe. Da sich eine Rechtsprechung des Kostensenats bezüglich Gutachten über Blindheit bisher nicht entwickelt habe und der Gesetzgeber auch in dem seit 01.07.2004 geltenden Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz die Frage nicht geklärt habe, werde der Vorgang dem Kostensenat zur Entscheidung vorgelegt.

Auf entsprechende Anfrage teilte der Bezirksrevisor beim Bayerischen Landessozialgericht mit Schreiben vom 16.09.2005 mit,
davon ausgehend, dass das Gutachten des Antragstellers gleich
schwierig anzusehen sei, wie ein augenfachärztliches Gutachten in einem sozialgerichtlichen Verfahren nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz, würden solche Gutachten abhängig von der individuellen Beweisanordnung und gegebenenfalls nach Rücksprache mit dem für die Hauptsache zuständigen Berichterstatter als einfaches Gutachten mit 36,00 EUR oder auch als schwieriges Gutachten mit 46,00 EUR pro Stunde entschädigt. Besonders bei Kindern, Aggravations- und Simulationsproblemen oder bei blinden debilen Klägern werde in der Regel von einem schwierigen Gutachten ausgegangen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass § 3 Abs.2 Satz 2 ZSEG bei der Bemessung des Stundensatzes auch von einem nicht anderweitig abzugeltenden Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen spreche. Bei Gutachten zur Frage von Blindheit würden häufig zusätzlich kostenintensive Messgeräte eingesetzt und Entschädigungen nach § 5 bzw. § 8 ZSEG gezahlt.

Dem Senat liegt die Berufungsakte samt Kostenbeiakte vor, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

II.

Nach § 16 Abs.1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) wird die einem Sachverständigen zu gewährende Entschädigung auf Antrag durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt. Das ZSEG ist im vorliegenden Fall nach § 25 des seit 01.07.2004 geltenden Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) noch anwendbar, weil der Antragsteller vor dem 01.07.2004 mit der Untersuchung und Begutachtung beauftragt worden ist.

Die Entschädigung des Antragstellers für sein Gutachten vom 09.08.2004 (ohne die ergänzende Stellungnahme vom 12.01.2005) wird antragsgemäß auf 1.162,50 EUR festgesetzt. Die bisher errechnete Entschädigung von 988,61 EUR war zu niedrig, weil der Stundensatz im vorliegenden Fall 46,00 EUR statt 36,00 EUR beträgt.

Nach § 3 Abs.2 Satz 1 ZSEG beträgt die Entschädigung für jede Stunde der erforderlichen Zeit 25,00 bis 52,00 EUR. Für die Bemessung des Stundensatzes sind der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung, ein nicht anderweitig abzugeltender Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen und besondere Umstände maßgebend, unter denen das Gutachten zu erarbeiten war.

Der Antragsteller hatte zwar sein Gutachten im Rahmen einer Streitigkeit nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, zu erstatten. Generell werden Gutachten in Schwerbehindertenstreitsachen als Gutachten mit unterdurchschnittlicher Schwierigkeit angesehen und seit 01.01.2002 mit 36,00 EUR pro Stunde entschädigt. Nachvollziehbare Begründung für diese Einordnung ist, dass in solchen Gutachten zwar - in Einzelfällen auch schwierige - diagnostische und ätiologische Fragen beantwortet und auch der Grad der Behinderung nach Maßgabe der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" beurteilt werden müssen, jedoch nicht Überlegungen zum beruflichen Leistungsvermögen angestellt werden müssen und auch nicht zum ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und der vorliegenden Gesundheitsstörung. Aufgrund dieser Abstufung der Schwierigkeitsgrade beträgt im Allgemeinen der Stundensatz zur Entschädigung für Gutachten über Erwerbsminderung in Rentenstreitsachen 42,00 EUR, für Gutachten z.B. über den ursächlichen Zusammenhang 46,00 EUR. Der Höchststundensatz von 50,00 EUR bleibt stets Ausnahmefällen mit ausgesprochenen Spitzenleistungen vorbehalten, in denen kumulativ besondere Fachkenntnisse und ein besonders hoher Schwierigkeitsgrad vorliegen müssen oder alternativ besonders erschwerende Umstände.

Der vorliegende Fall stellt insofern eine Ausnahme dar, als hier im Rahmen einer sozialgerichtlichen Streitigkeit nach dem Schwerbehindertenrecht über das Vorliegen von Blindheit gestritten wurde. Da in Bayern jedem Blinden nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz Geldleistungen zustehen, wird normalerweise die Frage, ob Blindheit vorliegt, in erster Linie im Rahmen eines Verwaltungs- oder sozialgerichtlichen Verfahrens nach diesem Gesetz geklärt. Da aber auch die Feststellung von Blindheit und die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. § 69 Abs.5 SGB IX i.V.m. § 3 Abs.1 Nr.3 Schwerbehindertenausweisverordnung als Statusfeststellung nach Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandsvoraussetzungen für die Versorgungsverwaltung insoweit bindend wirkt, als ein Antragsteller nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz, dem bereits das Merkzeichen "Bl" zuerkannt wurde, als blind im Sinne von Art.1 Abs.2 BayBlindG gilt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.1992, BVerwGE 90, 65), ist das hier streitgegenständliche Gutachten wie ein Gutachten nach dem BayBlindG einzuschätzen. Wie der Bezirksrevisor in seinem Schreiben vom 16.09.2005 zu Recht festgestellt hat, kommt es bei den Gutachten zur Feststellung der Blindheit auf den Einzelfall an. Der Stundensatz zwischen 36,00 und 46,00 EUR hängt von den konkreten Schwierigkeiten ab, die der gerichtliche Sachverständige im Einzelfall zu bewältigen hatte. Im vorliegenden Fall hatte der 1961 geborene Kläger im Jahr 2000 eine Neufeststellung seines Grades der Behinderung wegen Verschlimmerung seines Augenleidens (Erblindung seines rechten Auges) beantragt. Das linke Auge sei ohnehin immer schlechter gewesen. Nach dem ersten der zwei vom Sozialgericht eingeholten augenärztlichen Gutachten (Dr.L., Untersuchung am 06.02.2002) bestand damals noch eine Sehschärfe des linken Auges von 1/35. Erst bei der Untersuchung am 12.09.2002 in der Universitäts-Augenklinik W. (Prof. Dr.G. ) wurde eine Visusminderung auf 1/50 festgestellt und damit das Vorliegen von Blindheit. Der Antragsteller als Sachverständiger im Berufungsverfahren hatte sich dabei mit Einwendungen des Beklagten zur Glaubwürdigkeit des Klägers hinsichtlich der Sehschärfeangaben auseinanderzusetzen und Untersuchungsergebnisse aufgrund VEP und Gesichtsfelduntersuchungen auszuwerten. Er hatte insbesondere die Bedenken des Beklagten gegen die seines Erachtens plötzliche und nicht nachvollziehbare Sehverschlechterung des Klägers zwischen 2000 und 2002 zu erklären. Diese Problematik ist nach Auffassung des Senats zusammen mit der Beantwortung von Fragen nach dem Zeitpunkt und dem Ausmaß der blindheitsbedingten Hilfsbedürftigkeit des Klägers ebenso schwierig wie ein Gutachten, das Fragen nach dem Kausalzusammenhang zu beantworten hat. Es erscheint schwieriger als ein (durchschnittliches) Gutachten über das Ausmaß nicht nur des GdB, sondern auch einer Erwerbsminderung eines Klägers in Rentenstreitsachen.

Aus diesem Grund wird die Entschädigung des Antragstellers insgesamt auf 1.162,50 EUR festgesetzt. Sie schlüsselt sich wie folgt auf:
Aktenstudium 8,30 Stunden
Untersuchung des Klägers 2,00 Stunden
Diktat und Durchsicht 4,50 Stunden
Beurteilung 6,00 Stunden
21,00 Stunden á 46,00 EUR = 966,00 EUR

Schreibauslagen 18 x 2,00 EUR = 36,00 EUR
Kopien 18 x 0,50 EUR = 9,00 EUR

Portokosten = 6,70 EUR = 51,70 EUR
Sachkosten nach DKG-NT 180,91 EUR Ergebnis 1.198,61 EUR

Da das Gericht, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht mehr festsetzen kann, als verlangt ist, beläuft sich die Entschädigung antragsgemäß auf 1.162,50 EUR.

Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 183 SGG) und ist endgültig (§ 16 Abs.2 Satz 4 ZSEG; § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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