L 10 V 46/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 36 V 428/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 V 46/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 55/02 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts D ... vom 26.08.1998 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Sie wurde am 02.08.1934 in Gleiwitz / Oberschlesien geboren; 1960 übersiedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland. Im Oktober 1993 beantragte sie erstmals Beschädigtenversorgung mit der Begründung, sie leide an "Zwangsneurose, Angstzuständen, Bedrohung, Platzangst". Diese seien auf die Gefangenschaft im Lager R ... von April bis August 1945 und die davor liegenden Ereignisse zurückzuführen. Im Einzelnen gab sie an, nach der Besetzung von Gleiwitz durch russische Truppen sei ihre Mutter im März 1945 von zwei Russen und einem Polen zur Internierung abgeholt worden. Sie sei mit Waffengewalt von ihrer Mutter getrennt worden und habe dann zwei Wochen allein zu Hause verbracht; danach sei auch sie in das Lager gebracht worden, in dem sie dann gemeinsam mit ihrer Mutter vier Monate gewesen sei.

Der Beklagte zog u.a. zunächst die seit 1980 geführte Schwerbehindertenakte (SchwbGA) der Klägerin sowie ein im Auftrag der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) von dem Nervenarzt Dr. S ... erstelltes Gutachten (05.12.1980) bei und holte sodann eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. S ... ein. Dieser beschrieb eine 1960 einsetzende Zwangneurose und ein gestörtes Sozialverhalten, die mit den Erlebnissen 1945 in keinem Zusammenhang stünden. Dieser Beurteilung folgend lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 21.06.1994 ab.

Auf den Widerspruch der Klägerin holte der Beklagte eine gutachtliche Stellung nahme des Neurologen und Psychiaters Dr. B ... ein, der keinen Zusammenhang zwischen den Ereignissen 1945 und einem 1960 manifest gewordenen psychischen Krankheitszustand zu begründen vermochte. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.1995 zurück.

Mit ihrer Klage vom 07.09.1995 hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen, die bei ihr heute vorliegende schwere psychische Zwangserkrankung sei auf die damaligen Kriegseinwirkungen, insbesondere die gewaltsame Trennung von der Mutter und die belastenden Umstände während des Lageraufenthalts, zurückzuführen.

Sie hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.06.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.1995 zu verurteilen, bei ihr eine Zwangsneurose als Schädigungsfolge i.S. des BVG anzuerkennen und ihr Versorgungsleistungen nach einer MdE von 90 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat - nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts durch das Sozialgericht (SG) D ... - weiterhin die Auffassung vertreten, eine posttraumatische psychische Erkrankung sei unwahrscheinlich, zumal zwischen den von der Klägerin geschilderten belastenden Ereignissen und dem seit 1960 bestehenden Krankheitsbild 15 Jahre vergangen seien.

Das SG hat die Klägerin zu den Ereignissen 1945 angehört; es hat ferner einen Befundbericht von dem die Klägerin seit 1992 behandelnden Nervenarzt Dr. K ... und sodann ein Gutachten von dem Chefarzt des Fachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie, ... Krankenhaus N ..., Dr. E ... eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 03.01.1997 ausgeführt, dass bei der Klägerin keine auf schädigende Einwirkungen der Internierung zurückzuführende Gesundheitsstörungen festzustellen seien. Da insbesondere keine Anhaltspunkte für Belastungssymptome in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Internierung bestünden, sei das Belastungserleben der Internierung als Ursache der vorliegenden Störung - einer neurotischen Fehlentwicklung - aller Wahrscheinlichkeit nach auszuschließen.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG zudem zunächst einen Befundbericht und sodann ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der die Klägerin seit März 1997 behandelnden Diplom-Psychologin Dr. B ... eingeholt. Diese hat ein schweres chronisches Angst- und Zwangssyndrom mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 von Hundert als Schädigungsfolge angesehen (Gutachten vom 26.01.1998). Die Klägerin sei aufgrund der Trennung von der Mutter nachvollziehbaren Verlustängsten und während der Internierung lebensbedrohlichen Extrembedingungen (Hunger, mangelnde Hygiene, Erschöpfung) ausgesetzt gewesen; ein weiteres Schlüsselerlebnis sei eine Vergewaltigung der Mutter während der Besatzungszeit. Auch nach 1945 sei ein Leben unter einer Besatzungsmacht erfolgt; aufgrund dieser latenten Bedrohung habe ein Verdrängungsprozess stattgefunden. Durch den Schritt in die Freiheit sei der Unterdrückungsmechanismus aufgehoben worden. Bei der Übersiedlung 1960 habe der Anblick der Lagerbaracken in Friedland psychodynamisch zu einer Reaktivierung des kindlichen Traumas geführt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26.08.1998 abgewiesen und u.a. ausgeführt, der Klägerin seien durch die Trennung von der Mutter und die spätere Lagerunterbringung zwar erhebliche psychische und physische Qualen widerfahren; es sei aber nicht belegt, dass zum damaligen Zeitpunkt eine gesundheitliche Primärschädigung i.S. einer psychischen Erkrankung entstanden ist. Nachgewiesen sei eine psychische Erkrankung frühestens für das Jahr 1977; ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Erkrankung und den Kriegsereignissen sei nicht wahrscheinlich. Nicht gefolgt werden könne der Psychologin Dr. B ..., da diese eine Latenzzeit von 15 Jahren nicht schlüssig habe begründen können. Allein die Duplizität der Ereignisse im Lager R ... und im Lager Friedland seien nicht geeignet, die überlange Latenzzeit zu erklären; die insofern von Dr. B ... aufgezeigte Kausalkette sei bestenfalls hypothetischer Natur.

Die Klägerin hat gegen das am 14.09.1998 zugestellte Urteil am 12.10.1998 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, durch das Gutachten der Dr. B ... und das im Berufungsverfahren von Dr. B ... und Prof. Dr. F ... eingeholte Gutachten sei der Zusammenhang zwischen ihren Kriegserlebnissen und ihrer Erkrankung belegt. Insbesondere ergebe sich aus diesen Gutachten, dass der von Dr. E ... gesehene Beziehungskonflikt zur Mutter bzw. zum Sohn nicht bestanden bzw. keine pathologische Bedeutung habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts D ... vom 26.08.1998 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.06.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.08.1995 zu verurteilen, bei ihr eine Zwangsneurose als Schädigungsfolge anzuerkennen und ihr Versorgungsleistung nach einer MdE von 90 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der psychischen Erkrankung der Klägerin neben deren begünstigenden Persönlichkeitsstruktur ein multifaktorielles Geschehen zugrunde liege. Neben den angeschuldigten Einwirkungen habe die Klägerin - wie sich aus den Gutachten und den beigezogenen Befundunterlagen ergebe - verschiedene psychische Traumata, so z.B. den frühen Verlust des Vaters, die Nicht-Wieder-Verheiratung der Mutter, ihre ungewollte Mutterschaft mit 18 Jahren, die Scheidung vom Ehemann, der nicht der Kindesvater war, die insgesamt belastende Lebenssituation in Polen, den zweijährigen Verlust des Sohnes, intensive Ängste vor der neuen Situation im Westen, familiäre Schwierigkeiten und insbesondere das Scheitern der Wunschvorstellungen und Hoffnungen in Deutschland, erlitten. Die Ereignisse 1945 seien dabei weder zentrale Ursache der psychischen Erkrankung noch seien sie für den Unterhalt der Erkrankung in den Jahren seit 1960 ursächlich; primär auslösend und unterhaltend sei die Immigrationssituation. Im Übrigen verweist der Beklagte auf nach seiner Auffassung unterschiedliche Varianten in den anamnestischen Angaben der Klägerin, insbesondere zu einer Vergewaltigung der Mutter während der Besatzungszeit.

Der Senat hat von der BfA die Rentenakten der Klägerin beigezogen. Ferner wurden ein testpsychologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. L ..., R ... Kliniken D ..., Psychiatrische Klinik der ...-Universität D ..., (26.07.1999) nebst ergänzender Stellungnahme (11.02.2002) sowie ein Gutachten von dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S ..., Oberarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie 2 der R ...n Kliniken D ..., vom 03.07.1999 nebst ergänzender Stellungnahme (07.01.2002) eingeholt. Dr. S ... hat ausgeführt, dass Belastungen während der Kriegswirren, wie die von der Klägerin geschilderten, zu massiven psychischen Beeinträchtigungen und auch länger anhaltenden psychischen Störungen führen können. Die Klägerin habe die belastenden Erlebnisse aber, wie das in psychischer Hinsicht symptom- und störungsfreie Intervall von 15 Jahren zwischen Belastung und Erstmanifestation der Angststörung zeige, vergleichsweise gut bewältigt, so dass eine relevante kausale Bedeutung für die psychische Störung ausgeschlossen sei. Der wesentliche ursächliche Beitrag für die Entwicklung der Angststörung sei in der sozialen und biographischen Umbruchsituation bei permanenter Selbstüberforderung und persönlichkeitsbedingt erhöhtem Anspruchsdenken zu sehen. Im Übrigen würde die Beurteilung dadurch erschwert, dass die Klägerin über wichtige Aspekte ihrer Lebensgeschichte und ihrer gesundheitlichen Situation zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Angaben mache. Prof. Dr. L ... hat einen Zusammenhang zwischen kriegsbedingten Belastungen und psychischer Erkrankung ebenfalls verneint. Die Klägerin sei eine ausgeprägte hysterische Persönlichkeit; mit ihrem unrealistischem Geltungs- und Erlebensanspruch, der nicht durch Leistungs- und Erlebnisfähigkeit abgedeckt sei, habe sie berufliche und persönliche Ziele angestrebt, die sie nach ihrem intellektuellen Leistungsvermögen und ihrer persönlichen Ausstattung nicht habe erreichen können. Indem sie auf dem Boden ihrer hysterischen Persönlichkeitsstruktur psychosomatische Beschwerden entwickelt habe, sei es ihr möglich gewesen, ihre persönlich wichtigen, unrealistischen Ziele aufrecht zu erhalten.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B ... und Prof. Dr. F ..., Direktor des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu K ..., haben unter Mitwirkung des Diplom-Psychologen W ..., firmierend unter Deutsches Institut für Psychotraumatlogie (DIPT) e.V. Gutachtenstelle, in ihrem auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 30.01.2001 nebst ergänzender Stellungnahme vom 24.07.2001 ausgeführt, dass die Klägerin bei der mehrtägigen Untersuchung das Kerngeschehen gleichbleibend und ohne auffällige Diskrepanzen geschildert habe. Aufgrund der Exploration und der testdiagnostischen Ergebnisse seien die von der Klägerin erlebten Ereignisse, nämlich das Anschauen-müssen der Vergewaltigung der Mutter und die Erlebnisse des Internierungslagers, ursächlich für die bestehende posttraumatische Belastungsstörung mit ausgeprägter depressiver Symptomatik und Zwangshandlungen sowie die Angst- und Somatisierungsstörung. Die Klägerin habe die erlittenen schrecklichen und schockierenden Erfahrungen offensichtlich bis zur Konfrontation mit den Baracken im Lager Friedland während ihrer Umsiedlung verdrängt; die Konfrontation habe die verdrängten Erfahrungen in das Bewusstsein zurückgerufen. Durch diese Triggerung habe die Einwirkungsphase begonnen, die mit Selbstvorwürfen, Einschlafstörungen, Übererregbarkeit, Überwachheit, erhöhter Schreckbarkeit, Alpträumen, "Rückblenden" (flash-backs) einhergehe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (GA), die Rentenakte der BfA und die Verwaltungsvorgänge (VV) des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das SG hat die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen; die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht beschwert. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge und damit auch keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung.

Nach § 1 Abs. 1 und 2 Buchstabe a) und c) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 d BVG hat Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung u.a. derjenige, der diese auf Grund einer unmittelbaren Kriegseinwirkung wie schädigenden Vorgängen infolge einer Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes bzw. auf Grund einer Internierung erleidet. Der Versorgungsanspruch setzt voraus, dass durch schädigende Einwirkungen eine gesundheitliche (Primär-) Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als Folgen dieser Schädigung zu beurteilen sind. Unmittelbare Kriegseinwirkung bzw. Internierung, schädigende Einwirkungen, (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen müssen mit an Sicherheit grenzender, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.1986 - 9 a RV 2/84 - in SozR 3850 § 51 BSeuchG Nr. 9). Lediglich für den Nachweis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen genügt Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG).

Vorliegend sind weder schädigendes Ereignis noch - daraus folgend - (Primär)- Schädigung festzustellen. Nach den Regeln der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten der Klägerin, die aus einem bestimmten, von ihr behaupteten Sachverhalt Rechtsvorteile bzw. Versorgungsleistungen begehrt (z.B. BSG, Urteil vom 28.05.1997 - 9 RV 12/95 - in VersorgVerw 1998, 13).

Die tatsächlichen Voraussetzungen, die bei einer Anerkennung einer psychischen Erkrankung im Einzelnen erfüllt sein müssen, ergeben sich zunächst aus den Vorgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), denen im Interesse einer objektiven und objektivierbaren Bewertung und einer am Gleichheitsgebot orientierten Gleichbehandlung normähnliche Wirkung beizumessen ist (vgl. BSGE 72, 285, 286 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 6; BSGE 75, 176, 177 f = SozR 3-3870 § 3 Nr. 5, bestätigt durch Beschluss des BVerfG vom 06.03.1995, SozR 3-3870 § 3 Nr. 6; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 19). Des Weiteren sind die die AHP ergänzenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Sachverständigenbeirat) vom 12./13.11.1997 zu Punkt 1.1, die im Wesentlichen die von der Weltgesundheitsorganisation zusammengestellten ICD 10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems; 10. Revision) zusammenfassen, heranzuziehen.

Nach Nr. 71 AHP kommen durch psychische Traumen bedingte Störungen nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft) als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen (z.B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Die Störungen können nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden sein; sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der Störungen mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.

Diese nach den AHP für die Diagnose einer chronifizierten Belastungsstörung erforderlichen Voraussetzungen werden von den ICD 10 (F 43.1) bzw. dem Sachverständigenbeirat (a.a.O.) nicht nur ebenfalls gefordert, sondern weiter differenziert. Danach müssen für die Anerkennung einer posttraumatischen psychischen Erkrankung vor allem folgende Kriterien nachgewiesen sein, nämlich dass a) die betroffene Person Opfer oder Zeuge eines Ereignisses war, bei dem das eigene Leben oder das anderer Personen bedroht war oder eine ernste Verletzung zur Folge hatte oder eine Bedrohung für die eigene physische Unversehrtheit oder für die anderer Personen darstellte, und dass die Reaktion des/der Betroffenen Gefühle von intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen beinhaltete,

b) ein ständiges Wiedererleben des traumatischen Erlebnisses auf mindestens einer der im DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) genannten Arten geschildert wird,

c) eine anhaltende Vermeidung von Stimuli, die mit dem Trauma in Verbindung stehen, oder eine Einschränkung der allgemeinen Reagibilität, die vor dem Trauma nicht vorhanden war, in mindestens drei der im DSM IV genannten Merkmale zum Ausdruck kommt,

d) anhaltende Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus vorliegen, die vor dem Trauma nicht vorhanden waren und die durch mindestens zwei der im DSM IV genannten Merkmale gekennzeichnet sind.

Bei der Prüfung dieser Kriterien ist das SG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Angaben der Klägerin zu den schädigenden Einwirkungen zugrundezulegen sind. Dieser rechtliche Ansatz ist zutreffend; zutreffend ist auch, dass für die schädigenden Ereignisse und die Schädigung keine Beweismittel vorhanden sind und dass die Beweiserleichterungen des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung gelten. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehen den Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen darüber nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Davon ausgehend ist aufgrund der Angaben der Klägerin allerdings lediglich als nachgewiesen anzusehen, dass sie 1945, ebenso wie ihre Mutter, von russischen Soldaten in einem Lager interniert wurde und sich dort einige Zeit (ca. 4 Monate) unter Umständen aufgehalten hat, die die körperliche Gesundheit beeinträchtigen können. Nicht mehr als nachgewiesen anzusehen sind jedoch die schädigenden Umstände, die von den Sachenverständigen Dr. B ..., Dr. B ... und Prof. Dr. F ... zur Grundlage ihrer Beurteilung gemacht wurden. Dies sind insbesondere die Angaben der Klägerin zu einer Vergewaltigung der Mutter bzw. dem Erleben einer solchen und der sogenannten psychodynamischen Reaktivierung des Traumas durch Anblick des Lagers Friedland, die als unerlässliches Bindeglied und Begründung für die Latenzzeit von 15 Jahren herangezogen wurde.

Die Angaben der Klägerin sind, auch wenn sie selber in der jeweiligen Situation von deren Richtigkeit subjektiv überzeugt gewesen sein mag, bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise insoweit in sich widersprüchlich und nicht glaubhaft. Aus der Krankheitsgeschichte der Klägerin seit ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik ergibt sich eine stetige Steigerung der Schilderungsintensität; die Angaben der Klägerin werden immer zielgerichteter und sind erkenntlich von ihrem sich subjektiv erhärtendem Verdacht getragen, ihre Erkrankung hänge mit Kindheitserlebnissen aus dem Kriegsjahr 1945 zusammen (z.B. Psychotherapiebericht der Diplom-Psychologin V ... im ärztlichen Kurbericht des W ...-S ... vom 24.10.1994, Bl. 102 VV; Gutachten des Prof. Dr. M ... vom 05.05.1984, Bl. 183 Rentenakte der BfA; Gutachten der Dr. B ... vom 26.01.1998, Bl. 110 GA).

Diese Entwicklung der persönlichen Meinungsbildung der Klägerin spiegelt sich in den Berichten über die ärztlichen Behandlungen in der Bundesrepublik Deutschland wieder. Seit 1960 befand sich die Klägerin in fortlaufender ärztlicher Behandlung im Wesentlichen wegen Depressionen und Angststörungen. In keinem der die Behandlung in den ersten 20 Jahren umfassenden Berichte finden die nunmehr von der Klägerin als Ursache für ihre Erkrankung angegebenen Belastungen auch nur Erwähnung (z.B. Entlassungsbericht der Hochschwarzwald-Klinik St. B ... vom 10.10.1977, Entlassungsberichte der Psychosomatischen Klinik W ... A ... vom 13.06.1980 und 23.09.1980, Bericht der praktischen Ärztin Dr. M ...-T ... vom 14.10.1980, Bl. 7 ff SchwbGA). In der jeweiligen Anamnese werden vielmehr - so auch von der die Klägerin langjährig behandelnden Fachärztin für Nervenkrankheiten Dr. B ... (z.B. Berichte vom 10.10.1980 und vom 28.01.1984, Bl. 4 und 26 SchwbGA) - andere widrige Lebensumstände ("uneheliches Kind mit 18 Jahren", "kurze Heirat-Scheidung", "konfliktträchtige Beziehungen zur Mutter und zum Sohn") aufgeführt und als ursächlicher Faktor für die Erkrankung der Klägerin in Betracht gezogen. Erstmals bei der Untersuchung durch Dr. S ... (Gutachten vom 05.12.1980, Bl. 69f VV) finden die Erlebnisse der Klägerin im Jahre 1945 insoweit Erwähnung, als dass sie "schreckliche Erlebnisse" während des Krieges anspricht, ohne diese jedoch weiter zu beschreiben. 1982 (Gutachten der Dress. M ... und S ... vom 30.11.1982, Bl. 137 Rentenakte der BfA) schildert die Klägerin dann erstmals eingehend die Situation bei der Internierung der Mutter; wobei sie hier u.a. ausführt, dass Russen auf sie geschossen hätten, als sie zur ihrer Mutter, die auf einen Lastwagen verladen worden sei, laufen wollte; ebenso sei im Lager auf sie geschossen worden. Gegenüber Dr. M ... (Gutachten vom 05.05.1984, Bl. 183 Rentenakte der BfA) gibt die Klägerin nunmehr an, dass sie bei ihrem Grübeln nach den Ursachen ihres Zustandes auf ihre Kindheitserlebnisse im Jahre 1945 komme; dementsprechend berichten dann auch der die Klägerin ab 1992 behandelnde Dr. K ... (Bericht vom 14.03.1996, 31 GA) und die Diplom-Psychologin V ... (a.a.O.) u.a. darüber, dass die Klägerin als Hintergrund ihrer Störung die Erlebnisse zur Zeit des Kriegsendes 1944/45 ansehe bzw. dass sich bei ihr der Verdacht erhärtet habe, dass ihre Erkrankung mit den Kriegserlebnissen zusammenhänge. Bei ihrer Antragstellung (Bl. 12 VV) und bei Anhörung durch das SG (Bl. 41 GA) änderte die Klägerin ihre bisherigen Angaben im Wesentlichen insoweit, als dass sie über keine auf sie abgegebenen Schüsse (weder bei Internierung der Mutter noch während ihres Lageraufenthaltes), sondern lediglich über eine Bedrohung mit auf sie gerichteter Maschinenpistole bzw. mit einem Bajonett berichtet. Gegenüber Dr. E ... hat die Klägerin 1996 dann erstmals angegeben, sie habe mitbekommen, dass ihre Mutter nach Einmarsch der Russen vergewaltigt worden sei (Bl. 64 GA). Dazu hat sie 1997 gegen über Dr. B ... (112 GA) ausgeführt, dass sie und ihre Mutter im Haus der Großmutter von zwei russischen Soldaten überrascht worden seien und dass ihre Mutter mit einem Soldaten in ein Nebenzimmer habe gehen müssen. Sie habe erst viele Jahre später erfahren müssen, dass ihre Mutter dort vergewaltigt worden sei. Im auf den weiteren Angaben der Klägerin im Jahre 2000 beruhendem Gutachten des Dr. B ... und des Prof. Dr. F ... heißt es dann, die Klägerin habe beobachten müssen, wie ihre Mutter von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden sei; sie sei währenddessen von einem anderen Soldaten festgehalten worden und gezwungen gewesen, die Vergewaltigung anzuschauen (Bl. 334 GA).

Nahezu parallel zu diesen - an zielgerichteter Tendenz fortlaufend zunehmenden und in sich widersprüchlichen - Angaben haben sich die Bekundungen der Klägerin zu dem Kriterium b (ständiges Wiederleben des traumatischen Erlebnisses in Träumen) entwickelt. Bei der Untersuchung durch die Dres. M ... und S ... (Gutachten vom 30.11.1982, Bl. 134 Rentenakte der BfA) hat die Klägerin für die Zeit nach ihrer Übersiedlung Träume und Alpträume verneint und für den Untersuchungszeitpunkt (1982) Träume, eher Alpträume, schlechten Inhalts, der ihr aber nicht einfalle, angegeben (Bl. 138 Rentenakte der BfA). 1994 (Bericht der Diplom-Psycholgin V ..., a.a.O.) hat die Klägerin seit Jahren bestehende Schlafstörungen angeführt; gegenüber Dr. E ... hat sie 1996 "wirre Träume" in den letzten Wochen geschildert, in denen sie verfolgt werde und Rolltreppen hinunter in die Dunkelheit fahre (Bl. 61 GA). Bei Dr. B ... (104 GA) hat die Klägerin 1997 äußerst quälende nächtliche Alpträume mit Bedrohungscharakter und aus dunklen Bildern bestehend geschildert; gegenüber Dr. B ... und Prof. Dr. F ... hat sie 2000 dann den Inhalt der Alpträume dahingehend beschrieben, dass sie sehr häufig träume, ein - oftmals uniformierter - Mann stünde vor ihrem Bett und bedrohe sie, wobei er manchmal eine abgebrochene Flasche in der Hand hielte (Bl. 323 GA).

Der aufgezeigten Entwicklung ihrer Angaben entsprechend hat die Klägerin auch den von Dr. B ..., Dr. B ... und Prof. Dr. F ... als sog. Triggerpunkt angesehenen Anblick der Baracken des Lagers Friedland erst im Verlaufe der Zeit als Auslöser ihrer Erkrankung herausgestellt. Diesen gegenüber hat sie 1997 bzw. 2000 angegeben, beim Anblick der Holzbaracken seien undefinierbare Ängste und Panikgefühle aufgetreten, die sich dann zu einem phobischen Zwangssyndrom entwickelt hätten (Bl. 106, 323 GA). Im Gegensatz zu diesen Bekundungen hat die Klägerin 1982 allerdings ausführlich erklärt, dass sie sich an ihren Angstanfall sehr genau erinnern könne. Sie sei 1960 von Gleiwitz mit der Eisenbahn nach D ... gefahren. Am 01.04.1960 sei sie im Morgengrauen mit dem Zug von Ostberlin in Richtung Westen weitergefahren. Da hätten sie das erste Mal die Ängste überfallen, es seien Todesängste gewesen, "jetzt ist Schluss"; eine Panikangst, vor der sie sich nicht habe retten können. Sie habe dies darauf zurückgeführt, dass sie aus dem Vertrauten, ihrer Heimat, in das Ungewisse (nach D ...) gefahren sei, wieder mal in die Fremde bzw. zu Fremden (Gutachten der Dres. M ... und S ... vom 30.11.1982, Bl. 133 f Rentenakte der BfA). Ähnliche Angaben hatte die Klägerin bereits 1980 gegenüber dem Nervenarzt Dr. S ... gemacht (Gutachten vom 05.12.1980, Bl. 67 VV: "1960 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Als sie damals nach Westdeutschland in die Bundesrepublik kam, seien bei ihr erstmalig Angstzustände aufgetreten, und zwar sei, wie sie sich heute noch genau erinnere, damals die Angst vom Leib aus hochgestiegen. Hatte das Gefühl, umkehren zu müssen. Konnte sich hier im Westen gar nicht richtig wohlfühlen. Bekam im Herbst 60 im Kino ihren ersten Herzanfall mit Angst.").

Angesichts dieser erheblichen Widersprüche in den grundlegenden Angaben der Klägerin - solche Widersprüche bestehen im Übrigen z.B. auch hinsichtlich der Angaben zu der Beziehung zum Vater, zur Mutter und zum Sohn - vermag der Senat auch den weiteren Schilderungen der Klägerin, insbesondere zu den Umständen der Trennung von der Mutter und den Lebensbedingungen im Lager R ... nicht die nötige Beweiskraft beizumessen.

Die von Dr. B ... beschriebenen belastenden Umstände während des Lageraufenthalts, nämlich Hunger, mangelnde Hygiene und Erschöpfung können zwar als zutreffend zugrundegelegt werden; dabei handelt es sich aber nicht um die nach dem Kriterium a (Zeuge oder Opfer eines Ereignisses, bei dem das eigene Leben oder das anderer Personen bedroht war oder eine ernste Verletzung zur Folge hatte oder eine Bedrohung für die eigene physische Unversehrtheit oder für die anderer Personen darstellt, und darauf beruhende Reaktion in Form von Gefühlen von intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen) zu fordernden Einwirkungen.

Selbst aber wenn die Angaben der Klägerin zu ihrem Lageraufenthalt als zutreffend unterstellt würden, führte dies nicht weiter. Konkrete Ereignisse im o.a. Sinne hat nämlich auch die Klägerin nicht anzugeben vermocht; sie hat im Wesentlichen ausgeführt, an das Lager sehr wenig Erinnerungen zu haben, und im Übrigen lediglich pauschal Belastungen - z.B. allgemeine Bedrohung durch Erschießungen - behauptet (s. dazu u.a. Gutachten des Dr. S ... vom 03.07.1999, Bl. 241 f GA; Gutachten des Dr. B ... und Prof. Dr. F ..., Bl. 326 GA). Diese Umstände werden letztlich auch von Dr. B ..., Dr. B ... und Prof. Dr. F ... lediglich pauschalierend aufgegriffen und als Stütze dafür herangezogen, dass die behauptete Vergewaltigung der Mutter zu einer Traumatisierung der Klägerin geführt hat. Insbesondere Dr. B ... und Prof. Dr. F ... (Bl. 343 GA) gehen dementsprechend nur davon aus, dass nach einer Traumatisierung durch die angenommene Vergewaltigung der Mutter aufgrund des Lageraufenthalts keine Erholungsphase der geschädigten Psyche der Klägerin eintreten konnte und die Traumatisierung deshalb weiter bestand.

Unabhängig davon ist - wie schon dargelegt - das unerlässliche "Bindeglied" (Triggerung bzw. Reaktivierung) zwischen einer Traumatisierung und dem Auftreten der psychischen Erkrankung der Klägerin nach Übersiedlung in die Bundesrepublik nicht nachgewiesen. Gleiches gilt auch, wenn die von der Klägerin angegebene gewaltsame Trennung von der Mutter und eine darauf beruhende Traumatisierung als zutreffend unterstellt würde. In diesem Zusammenhang ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass eine anhaltende psychische Störung - hier insoweit nicht vorliegende - langdauernde Belastungen voraussetzt (s.o. AHP, Nr. 71 Abs. 1, letzter Satz) und dass auch die Voraussetzungen des Kriteriums b (ständiges Wiedererleben dieses traumatischen Erlebnisses) selbst nach den Angaben der Klägerin nicht erfüllt sind.

Einer weiteren Anhörung der Sachverständigen, insbesondere der von der Klägerin schriftsätzlich angeregten Anhörung des Dr. B ..., bedarf es nicht. Die Sachverständigen haben ihre Auffassungen umfassend schriftlich dargelegt und eingehend erläutert; auch die Klägerin hat keinen weiteren Erläuterungs- bzw. Aufklärungsbedarf aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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