L 5 AR 144/05 R

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 6 R 1303/05
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 AR 144/05 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Ablehnung des Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts München, Richter am Sozialgericht J. , wegen Besorgnis der Befangenheit ist unbegründet.

Gründe:

I.

Durch Bescheid vom 10.12.2004/Widerspruchsbescheid vom 22.03.2005 teilte die Beklagte dem Kläger und Antragsteller mit, dass sie eine Beitragsforderung in Höhe von 2.093,04 EUR aus dem Bescheid vom 19.03.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2004 betreffend die Zeit vom 01.07.1999 bis 31.01.2001 gegen die dem Kläger zustehende Rentennachzahlung bzw. monatliche Rente aufrechne. Die laufende Rentenzahlung werde mit Ablauf des Monats Januar 2005 eingestellt; ab Februar 2005 würden monatlich 339,44 EUR überwiesen.

Dagegen hat der Kläger am 19.04.2005 vor der 6. Kammer des Sozialgerichts München - SG - (Vorsitzender: Richter am Sozialgericht - RiSG - J.) Klage erhoben (S 6 R 1303/05) und beantragt, die Bescheide vom 10.12.2004/22.03.2005 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, die geltend gemachte Beitragsforderung zu erlassen (Schriftsatz vom 30.06.2005).

Am 30.04.2005 hat der Kläger beim SG beantragt, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Rentenkürzung bis zum Abschluss des Verfahrens auszusetzen (S 6 R 1406/05 ER) und dies mit Schriftsätzen vom 21.05./09.07.2005 begründet. Diesen Antrag hat der Kläger ungeachtet des Bescheides der Beklagten vom 30.09.2005 aufechterhalten, wonach wegen Tilgung der mit Bescheid vom 19.03.2001 festgestellten Beitragsforderung ab November 2005 wieder die ungeminderte Rentenleistung in Höhe von 633,44 EUR zustehe (Schriftsatz vom 10.10.2005).

Mit Beschluss vom 11.10.2005 - dem Kläger per Einschreiben zugestellt - hat RiSG J. den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Beitragsforderung zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 86a Abs.3 S.2 SGG bei summarischer Prüfung nicht vorlägen. Im Hinblick darauf hat der Kläger den Kammervorsitzenden im Hauptsacheverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Schriftsatz vom 24.10.2005). Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Argumentation des Richters gegen die Denkgesetze verstoße, über "eine falsche Rechtsanwendung weit hinaus gehe" und sich "geradezu ehrverletzend" gegen ihn - den Kläger - richte.

Der Kammervorsitzende hat sich zu dem Ablehnungsgesuch am 02.11.2005 dienstlich geäußert.

Der Kläger hat gegen den Beschluss vom 11.10.2005 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

II.

Für die Entscheidung über Gesuche, mit welchen Richter der Sozialgerichtsbarkeit abgelehnt werden, ist das Landessozialgericht zuständig (§ 60 Abs.1 S.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Das zulässige Ablehnungsgesuch erweist sich als unbegründet.

Nach § 60 SGG i.V.m. § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, welcher geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§§ 60 Abs.1 S.1 SGG, 42 Abs.2 ZPO). Dies ist nur dann der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 35, 171, 172; NJW 1999, 132, 133). Das Misstrauen muss aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich sein (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage, S.186/14). Es kommt weder darauf an, ob die Befürchtung eines Prozessbeteiligten, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen, begründet ist, noch auf die subjektive Meinung des abgelehnten Richters, ob er befangen sei oder nicht (vgl. BVerfG, a.a.O.; Zöller-Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, § 42 Rdnr.9). Der Gesetzgeber hat durch die MÖglichkeit der Richterablehnung nämlich nicht nur eine tatsächlich parteiliche Rechtspflege verhindern, sondern darüber hinaus auch schon den für einen Prozessbeteiligten nach den Umständen naheliegenden oder doch verständlichen Argwohn vermeiden wollen, der Richter werde nicht unparteilich entscheiden.

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Kläger keinen Anlass, die Unvoreingenommenheit und objektive Einstellung des RiSG J. in Zweifel zu ziehen.

Die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen oder gegen vermeintlich fehlerhafte Verfahrenshandlungen eines Richters bzw. eines Gerichts zu wehren, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (vgl. BAG, MDR 1993, 383; BayObLG, MDR 1988, 1063; OLG Zweibrücken, MDR 1982, 940; ZÖller-Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdnr.28; Münchener Kommentar-Feiber, ZPO, 2. Auflage, § 42 Rdnrn.28, 30). Der geeignete Weg, sich gegen eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsauffassung oder Verfahrenshandlung eines Richters zu wehren, ist vielmehr die Einlegung eines Rechtsmittels. Hiervon hat der Kläger auch Gebrauch gemacht und gegen den Beschluss vom 11.10.2005 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der zuständige 14. Senat des Bayer. Landessozialgerichts ist daher allein zuständig, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses zu überprüfen. Von einer auf Willkür beruhenden Rechtsauffassung bzw. Verfahrenshandlung kann nur dann gesprochen werden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlechterdings nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BAG, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Objektive Anhaltspunkte für eine Verletzung tragender Maximen des Grundgesetzes, um die es für die Frage der Besorgnis der Befangenheit hier allein gehen kann, vermag der Senat dem vorliegenden Sachverhalt nicht zu entnehmen und werden von dem Kläger auch keineswegs vorgebracht. Der Beschluss vom 11.10.2005 rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit des RiSG J. jedenfalls nicht.

Die Mitwirkung eines Richters an einem früheren Verfahren, das zu einer der Partei ungünstigen Entscheidung geführt hat (sog. Vorbefassung), gibt für sich allein grundsätzlich keinen Befangenheitsgrund. Es ist in der gerichtlichen Praxis nicht selten, dass Richter mit bestimmten Sachverhalten oder Rechtsfragen wiederholt befasst werden und dass sie Rechtsstreitigkeiten derselben Parteien mehrfach entscheiden müssen, weil das Prinzip des gesetzlichen Richters dies gebietet. Es handelt sich dabei um eine prozessordnungsgemäße Mehrfachbefassung, die für sich allein die Richterablehnung nicht zu rechtfertigen vermag. Vielmehr muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Richter, der an die früher geäußerte Meinung in keiner Weise gebunden ist, die jeweiligen Argumente der Parteien und die Besonderheiten des Einzelfalles unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse sorgfältig erwägt und die neue Entscheidung nach gründlicher Prüfung unvoreingenommen trifft. Deshalb wird die Richterablehnung in den Fällen der Vorbefassung nur gerechtfertigt sein, wenn zusätzliche konkrete Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Richter nicht bereit ist, seine früher geäußerte Meinung kritisch, auch selbstkritisch, zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern (vgl. BAG, a.a.O.; Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 10.01.2005, L 5 AR 149/04 RA; Zöller-Volkommer, a.a.O., § 42 Rdnr.15; Münchener Kommentar-Feiber, a.a.O., § 42, Rdnrn.14, 15, 16; Thomas-Putzo, ZPO, 24. Auflage, § 42 Rdnr.13).

So liegen die Dinge hier aber nicht. Für einen ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten kann nicht zweifelhaft sein, dass RiSG J. , der an die im Beschluss vom 11.10.2005 geäußerte Meinung nicht gebunden ist, im vorliegenden Hauptsacheverfahren die jeweiligen Argumente beider Parteien und die Besonderheiten des Einzelfalles unter Einbeziehung eventuell neuer Erkenntnisse sorgfältig erwägt und die Entscheidung nach gründlicher Prüfung unvoreingenommen trifft. Sachverhalte, bei denen sich der Kammervorsitzende durch auffälliges Verhalten dem Verdacht ausgesetzt haben könnte, er sei im Hinblick auf den Beschluss vom 11.10.2005 parteiisch festgelegt, sind - entgegen den Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 24.10.2005 - nicht erkennbar.

Das Ablehnungsgesuch war daher nach allem als unbegründet zurückzuweisen.

Diese Entscheidung ist kostenfrei (§ 183 SGG) und endgültig (§ 177 SGG). Eine Beschwerde dagegen findet nicht statt.
Rechtskraft
Aus
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