L 10 SB 142/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SB 80/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 142/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.09.2001 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Münster zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialericht vorbehalten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1946 geborene Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 17.05.1999 bei dem Kläger einen GdB von 60 fest. Dabei ging er auf Grund gutachtlicher Stellungnahme vom 04.05.1999 von einer Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei degenerativen Veränderungen und Auskugelung mit Nervenschädigung und Riss des Muskel-Schulter-Gürtels (GdB 50), Restfolgen nach Schlaganfall mit Halbseitenschwäche rechts und Sprachstörung (GdB 20) sowie einem Diabetes mellitus (GdB 10) aus.

Im Rahmen einer von Amts wegen im Mai 2000 eingeleiteten Überprüfung holte der Beklagte einen Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Lxxxx ein. Nach Auswertung des Berichtes und des diesem beigefügten Behandlungsberichtes des Prof. Dr. Lxxxxxx vom 20.07.1999 ging der Beklagte (gutachtliche Stellungnahme vom 16.07.2000) von einer Besserung der Funktionseinschränkungen der rechten Schulter aus und bewertete diese nunmehr mit einem GdB von 30; den Gesamt-GdB schätzte er bei ansonsten unveränderter Beurteilung ebenfalls mit 30 ein.

Der Beklagte hörte den Kläger darauf hin zu der Absicht an, den GdB herabzusetzen. Dagegen wandte sich der Kläger unter Vorlage einer Bescheinigung des Dr. B ..., in der dieser eine Absenkung des GdB für nicht gerechtfertigt erachtete.

Versorgungsärztlich wurde dazu ausgeführt (Stellungnahme vom 08.09.2000), dass Dr. Lxxxxxxx im April 1999 eine praktische Bewegungsunfähigkeit des rechten Armes des Klägers angegeben habe, nunmehr aber nur noch eine hochgradige Bewegungseinschränkung im Schultergelenk bestehe, die mit einem GdB von 30 angemessen bewertet sei. Dieser Stellungnahme folgend stellte der Beklagte mit auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestütztem Bescheid vom 12.09.2000 einen GdB von 30 fest.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei durch die Folgen des Schlaganfalls erheblich behindert, da er an nachlassender Konzentrationsfähigkeit, einer geringen nervlichen Belastbarkeit und Einschränkungen des Sprech- und Schreibvermögens leide. Aufgrund der Schulterverletzung könne er zudem den rechten Arm nicht mehr bei Bewegungen einsetzen, bei denen der Arm vom Körper weg anzuheben sei; er müsse ihn zur Unterstützung auflegen oder direkt am Körper halten. Bei fast allen alltäglichen Verrichtungen könne der Arm und damit auch die Hand nicht eingesetzt werden.

Der Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung des Klägers durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Cxxxx. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 17.01.2001 zu dem Ergebnis, dass in der Gesundheitsstörung "Restfolgen nach Schlaganfall" eine Verschlimmerung eingetreten und diese mit einem GdB von 30 zu bewerten sei. Es bestünden eine latente zentrale Parese des rechten Beines, eine langsamere Sprachproduktion, Wortfindungsstörungen, Stottern, eine leichte Beeinträchtigung der Konzentration und Merkfähigkeit, eine verminderte Belastbarkeit sowie eine leichtere Ermüdbarkeit. Im Vordergrund stehe die motorische Beeinträchtigung des rechtes Armes, die aus einer Fehlfunktion des Schultergelenkes selbst und aus einem Armplexusschaden, wobei hauptsächlich der Axillaris betroffen sei, resultiere. Aufgrund dieser Beeinträchtigung seien einfache Tätigkeiten wie Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Handschrift nur mit aktiver Unterstützung der linken Hand möglich. Die aktive Hebung bzw. Anteversion des Armes bis zur Waage rechten sei ebenso unmöglich wie die Haltung des Armes in der vorgegebenen Waage rechten. Die Gesundheitsstörung "Funktionsseinschränkung der rechten Schulter nach Auskugelung mit Nervenschädigung" bedinge einen GdB von 30; unter Einbeziehung eines oral eingestellten Diabetes mellitus mit einem GdB von 10 betrage der Gesamt-GdB 40.

Nach Übersendung des Gutachtens an den Kläger stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 21.03.2001 den GdB mit 40 fest und wies den weitergehenden Widerspruch nach ergänzender versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 26.04.2001 mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2001 zurück.

Mit seiner Klage vom 05.06.2001 hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen vertieft und insbesondere vorgetragen, dass Dr. Cxxxx die Schlaganfallfolgen im Hinblick auf deren Auswirkungen zu gering eingeschätzt habe.

Das Sozialgericht (SG) Münster hat dem Kläger mit Schreiben vom 18.07.2001 mitgeteilt, "dass nicht beabsichtigt ist, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen. Die Frist für einen Antrag gem. § 109 SGG beträgt vier Wochen. Auf § 105 SGG wird ebenfalls hingewiesen. Insoweit besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb derselben Frist." Auf die Bitte des Klägers vom 06.08.2001, die Frist für einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verlängern, und die Anregung, zunächst Befundberichte von den angegeben Ärzten einzuholen, hat das SG unter dem 07.08.2001 mitgeteilt, "dass eine Fristverlängerung nicht beabsichtigt sei".

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.09.2000 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 21.03.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat die Klage mit dem Kläger am 28.09.2001 zugestelltem Gerichtsbescheid vom 20.09.2001 abgewiesen. Die Gründe lauten:

I.

Der am 13.05.1946 geborene Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des GdB nach dem SchwbG.

In einer gutachtlichen Stellungnahme vom 04.05.1999 schätzte der Arzt den GdB des Klägers mit 60 ein: 50 wegen Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei degenerativen Veränderungen und Auskugelung mit Nervenschädigung und Riss des Muskel-Schulter-Gürtels, 20 wegen Restfolgen nach Schlaganfall mit Halbseiten schwäche rechts und Sprachstörung, 10 wegen Diabetes mellitus. Mit Bescheid vom 17.05.1999 setzte das Versorgungsamt dementsprechend den GdB mit 60 fest.

Im Mai 2000 leitete das Versorgungsamt die Nachprüfung ein. Es holte Berichte der behandelnden Ärzte ein. In einer gutachtlichen Stellungnahme vom 16.07.2000 schätzte der Arzt den GdB mit 30 ein. Das Versorgungsamt übersandte unter dem 25.07.2000 ein Anhörungsschreiben an den Kläger. Aufgrund einer Stellungnahme des Klägers holte das Versorgungsamt eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.09.2000 ein. Mit Bescheid vom 12.09.2000 setzte es den GdB auf 30 herab und bezeichnete die Behinderungen wie folgt:

1. Funktionseinschränkung der rechten Schulter bei degenerativen Veränderungen und Auskugelung mit Nervenschädigung und Riss des Muskel-Schulter-Gürtels, operative Revision,

2. Restfolgen nach Schlaganfall mit Konzentrations-, Gedächtnis- sowie Sprachschwierigkeiten,

3. Diabetes mellitus.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Das Versorgungsamt holte ein nervenärztliches Gutachten ein von Dr. Cxxxx in Münster vom 17.11.2001. Dr. Cxxxx schätzte den GdB insgesamt mit 40 ein. Mit Abhilfebescheid vom 21.03.2001 setzte das Versorgungsamt den GdB mit 40 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2001 wies die Bezirksregierung Münster den weitergehenden Widerspruch zurück.

Am 05.06.2001 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, der GdB sei mit 50 ein zustufen. Dr. Cxxxx habe die Schlaganfallfolgen zu gering eingeschätzt.

Der Kläger beantragt sinngemäß schriftlich,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.09.2000 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 21.03.2001 und des Widerspruchsbe scheides vom 30.04.2001 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzusetzen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur näheren Darlegung der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakten und die SchwbG-Akten des Versorgungsamts Münster, GZ: 5350025607-5-87, Bezug genommen.

II.

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 12.09.2000 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 21.03.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil dieser Verwaltungsakt nicht rechtswidrig ist.

Zu Recht hat der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 12.09.2000 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 21.03.2.001 auf 40 herabgesetzt. Insofern ist eine wesentliche Änderung gem. § 48 SGB X gegenüber den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 17.05.1999 zugrunde gelegen haben, eingetreten. Der Gesamt-GdB ist nur noch mit 40 zu bewerten: 30 wegen Restfolgen nach Schlaganfall mit Konzentrations-, Gedächtnis- sowie Sprachschwierigkeiten, 30 wegen Funktionseinschränkung der rechten Schulter nach Auskugelung mit Nervenschädigung und weiterhin 10 wegen Diabetes mellitus. Das Gericht folgt diesbezüglich dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. Cxxx in Münster vom 17.01.2001. Der Kläger beanstandet eine Unterbewertung seiner Schlaganfallfolgen. Eine solche Unterbewertung ist nach dem Gutachten des Dr. Cxxxx nicht erkennbar. Dr. Cxxxx ist auch als Sachverständiger des Sozialgerichts bekannt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit eines Gerichtsbescheides gem. § 105 SGG mit Verfügung vom 18.07.2001 ausdrücklich hingewiesen worden."

Diese Entscheidung greift der Kläger mit der Berufung vom 22.10.2001 an. Er ist der Auffassung, dass die Entscheidung des SG nicht hinreichend mit Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben sei. Das Gericht habe nicht ansatzweise festgestellt, dass eine maßgebliche Besserung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten sei. Auch die zugrundegelegten Einzel-GdB-Werte überzeugten nicht. Bereits der Ausfall des Nervus axillaris bedinge einen GdB von 30; eine entsprechende Beeinträchtigung liege nach dem Gutachten des Dr. Cxxxx vor. Zudem sei den Angaben des Dr. Cxxxx, hauptsächlich sei der Nervus Axillaris befallen, auch zu entnehmen, dass noch weitere Nervenschädigungen vorlägen. Zu berücksichtigen sei zudem, dass zusätzlich eine Fehlfunktion des Schultergelenkes bestehe. Des Weiteren könne nicht die Überzeugung gewonnen werden, dass die erheblichen, von Dr. Cxxxx auch beschriebenen Folgen des Schlaganfalls zutreffend bewertet seien. Insbesondere seien Ausmaß der Einschränkungen der Konzentrations- und Merkfähigkeit nicht geklärt worden. Auch das Ausmaß des Diabetes mellitus sei nicht abgeklärt worden; dem schon von Dr. Lxxxxxxx neben einer Hypertonie angegebenen Verdacht einer Herzerkrankung sei nicht nachgegangen worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.09.2001 abzuändern und den Bescheid vom 12.09.2000 in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 21.03.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 aufzuheben, hilfsweise, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.09.2001 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.09.2000 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 21.03.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 zu verurteilen, den GdB mit 50 festzustellen, hilfsweise, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 20.09.2001 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Münster zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet.

I.

Der Senat kann in der Sache entscheiden. Das beklagte Land ist ungeachtet der Auflösung des Landesversorgungsamtes (Art. 1 § 3 Satz 2 des gem. Art. 37 Abs. 2 zum 01.01.2001 in Kraft getretenen 2. ModernG (GVB1. NRW S. 412 ff.)) und Übertragung von dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Münster prozessfähig. Der Gesetzgeber hat den Bedenken, die der Senat im Urteil vom 31.01.2001 - L 10 VS 28/00 - (NVWBl. 10/2001 S. 401 ff) hinsichtlich der Prozessfähigkeit des Landesgeäußert hat, Rechnung getragen. Durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom 17.08.2001 (BGBl. I 2144 ff) ist § 71 Abs. 5 SGG mit Wirkung ab dem 02.01.2002 dahin geändert worden, dass nicht nur ein Landesversorgungsamt, sondern auch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, befugt ist, das Land zu vertreten (hierzu Stellungnahme des Bundesrates zum 6. SGG-ÄndG (BT-Drucks. 132/01 S.7). Danach wird das Land nunmehr ordnungsgemäß von der Bezirksregierung Münster vertreten. Allerdings gilt dies nur solange, wie Struktur und Gefüge der Abteilung 10 im Hinblick auf die zu wahrende fachliche und personelle Qualität der Versorgungsverwaltung nicht unerheblich verändert werden (BSG vom 12.06.2001 - B 9 V 5/00 R-; Urteil des Senats vom 31.01.2001 - L 10 VS 28/00 -, NVWBl. 10/2001 S. 401 ff).

In Anlehnung daran ist die Bezirksregierung als nächsthöhere Behörde iSd § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG derzeit auch als die für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständige Behörde anzusehen. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sind danach formell rechtmäßig. Ob die Bescheide auch materiell rechtmäßig sind, kann zunächst dahinstehen, denn der Senat verweist wegen wesentlicher Verfahrensmängel an das Sozialgericht zurück.

II.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Entscheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel im Sinn dieser Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst (Senatsurteile vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -; Urteil des 6. Senats des LSG NW vom 11.07.1995 - L 6 Vs 67/95 -; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage 1998, § 159 Rdn. 3 mwN; Zeihe, SGG, § 159 Rdn. 2a, 8a ). Gleichermaßen kommt eine Zurückverweisung bei Verstößen gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung (Zeihe, aaO Rdn. 8d) oder bei unzureichender Begründung (vgl. Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002, a.a.O., Urteil des 7. Senats vom 14.05.1998 - L 7 SB 146/97 -) der angefochtenen Entscheidung in Betracht.

Diese Voraussetzung sind erfüllt. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, weil zumindest

1. die Entscheidungsgründe nicht den Mindestanforderungen der §§ 136 Abs. 1, 202 SGG iVm § 313 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) genügen, insbesondere keine zureichende Beweiswürdigung enthalten,

2. das SG sich zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen.

Zu 1.

Das Sozialgerichtsgesetz sagt über die Entscheidungsgründe nichts. Das Urteil bzw. der Gerichtsbescheid muss sie nur enthalten (§ 136 Abs. 1 SGG). Deswegen ist über § 202 SGG die Regelung des § 313 Abs. 3 ZPO maßgebend. Die Beteiligten sollen Kenntnis erhalten, von welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Gericht ausgegangen ist (Meyer-Ladewig, aaO § 136 Rdn. 7c). Eine kurze Begründung für jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtlich erheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist geboten und ausreichend (BSG, SozR 1500 § 136 Nr. 10; Bayer. LSG in NZS 1996, 48). Es ist verfahrensfehlerhaft, wenn in keiner Weise erkennbar ist, welche Gründe für die richterliche Überzeugung maßgebend waren (BGHZ 39, 333 ff.). Hierzu sind die entscheidungserheblichen Erwägungen des Gerichts in den Entscheidungsgründen kurz zu formulieren (BSGE 76, 233; Meyer-Ladewig, aaO § 136 Rdn. 7; Baumbach/Hartmann, ZPO, 56. Auflage, § 313 Rdn. 14). Das Gericht muss sich dazu zwar nicht mit jedem Beteiligtenvorbringen auseinandersetzen, insbesondere wenn es offensichtlich unerheblich ist oder wenn sich aus dem Urteil zweifelsfrei ergibt, dass das Gericht das Vorbringen auch ohne ausdrückliche Erwähnung für unerheblich hält. Mindestinhalt ist aber eine ausreichende Angabe der angewandten Rechtsnormen, der für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und der dafür ausschlaggebenden tatsächlichen oder rechtlichen Gründe (BSG, SozR 1500 § 136 Nr. 10; LSG NRW vom 30.10.1997 - L 7 Vs 41/97 -, vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - und vom 23.01.2002 - L 10 SB 150/01 -; Meyer-Ladewig, aaO § 136 Rdn. 7a; Baumbach/Hartmann, aaO § 313 Rdn. 14 ff).

Wesentlicher Teil der Entscheidungsgründe ist ferner die Beweiswürdigung. Ein grober Verfahrensfehler liegt vor, wenn eine Beweiswürdigung völlig fehlt (BGHZ 39, 333, 337; Meyer-Ladewig, aaO § 136 Rdn. 7f) oder wenn den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen ist, auf Grund welcher Tatsachen und Erwägungen das Gericht zu seinen Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Folgerungen gekommen ist (BGH vom 07.03.2001 - X ZR 176/99 -; BFHE 86, 219; Meyer-Ladewig aaO Rdn. 7f). Das SG hat nach § 202 SGG ivm § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Streitstoff in tatsächlicher Hinsicht erschöpfend zu prüfen und zu würdigen.

(1) Denn die Aufgabe des Sachverständigen ist darauf beschränkt, dem Richter auf Grund seines Erfahrungswissens die Kenntnis von Tatsachen zu verschaffen, zu denen dieser wegen seiner fehlenden - beispielsweise medizinischen Sachkunde - nicht kommen kann. Dem Richter obliegt es sodann, auf Grund seiner juristischen Kenntnisse zu entscheiden, ob die ihm vom Sachverständigen vermittelten Tatsachen den gesetzlichen Tatbestand erfüllen (BSG vom 24.06.1981 - 9 RVs 2/81 -). Von einer eigenen Bewertung ist das Gericht daher auch dann nicht enthoben, wenn es ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Dessen Ergebnisse dürfen nicht ohne weiteres übernommen werden; auch sachverständige Äußerungen sind eigenverantwortlich daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein vom erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen (BGH vom 07.03.2001 - X ZR 176/99 -). Dies gilt erst recht, wenn das SG sich - wie hier - auf ein von dem Beklagten eingeholtes Gutachten beruft.

(2) Hat der Beklagte gemäß § 21 SGB X Beweis durch einen Sachverständigen erhoben, der weder seinem ärztlichen Dienst angehört, noch die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, so kann das Gericht zwar von der Einholung eigener Sachverständigengutachten absehen und das eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwerten (BSG vom 10.08.1993 - 9/9a BV 185/92 - vgl. auch BSG vom 08.12.1998 - B 2 U 222/98 B -). Dabei hat das Gericht aber zu beachten, dass nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten erstellte ärztliche Gutachten grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft und somit eine andere Aussagekraft besitzen als gerichtliche Gutachten (BSG vom 26.05.2000 - B 2 U 90/00 B -; vgl. BSG vom 28.03.1984 - 9a RV 29/83 = SozR 1500 § 128 Nr. 24). Umso mehr ist es dann geboten, dass das Gericht das Ergebnis der Begutachtung im Verwaltungsverfahren nicht schlicht übernimmt, sondern nachvollziehbar und konkret darlegt, aus welchen Gründen es dem Gutachter folgt und warum eine weitere Beweiserhebung überflüssig ist.

All diesen Anforderungen genügen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtbescheides nicht.

Das SG hat sich auf die Benennung der anspruchsbegründenden Norm des § 48 SGB X beschränkt und sodann lediglich die von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C ... gestellten Diagnosen einschließlich dessen Bewertung wiederholt.

Es fehlen jegliche nachvollziehbare Ausführungen dazu, ob und inwieweit in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eine wesentliche, die Herabsetzung des GdB rechtfertigende Änderung eingetreten ist, und warum das SG der Beurteilung des Dr. Cxxxx gefolgt bzw. zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Gesamt-GdB nun mehr mit 40 zu bemessen sei. Lediglich der Hinweis darauf, dass Dr. Cxxxx auch als Sachverständiger des SG bekannt ist, ersetzt keine Beweiswürdigung; in Ermangelung eines weiteren Aussagegehalts kann dieser Hinweis des SG nicht einmal eine Hilfserwägung sein, die ein nach Beweiswürdigung gewonnenes Ergebnis ergänzend absichert.

Aufgabe des Gerichts ist die Prüfung, ob ein Sachverständiger - bzw. wie hier der von einem Beteiligten beauftragte Arzt - von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und diesen vollständig berücksichtigt hat. Sodann sind die medizinischen Befunderhebungen des Sachverständigen - soweit möglich - zu überprüfen. Im nächsten Schritt ist zu klären, welche Auswirkungen mit den vom Sachverständigen festgestellten Normabweichungen einhergehen. Aufgabe des Sachverständigen ist es, diese aus medizinischer Sicht unter Berücksichtigung von Anamnese und Befund zu beschreiben. Wiederum hat das Gericht die Äußerungen des Sachverständigen auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Stimmigkeit zu überprüfen und dies in seiner Entscheidung nachvollziehbar zu begründen. Dabei hat das Gericht auch zu klären, ob sich die Meinungsäußerungen und Bewertungen des Sachverständigen auf der Grundlage der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) bewegen. Die einzelnen Schritte der vorgenommenen Prüfung und Würdigung müssen in der Entscheidung zwar nicht in allen Einzelheiten dargelegt werden (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO); die Entscheidung muss jedoch erkennen lassen, dass das Gericht die erforderlichen Schritte vollzogen hat; es muss die tragenden Gründe nachvollziehbar darlegen (BGH vom 07.03.2001 - X ZR 176/99 -; Senatsurteile vom 05.09.2001 und 23.01.2002).

Dass es hieran in dem angefochtenen Gerichtsbescheid fehlt, bedarf keiner weiteren Darlegung.

Zu 2. Das SG hat den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Auf das Gutachten des Dr. Cxxxx hätte die Klageabweisung nicht gestützt werden dürfen. Das SG hätte sich zu einer weiteren Beweiserhebung gedrängt fühlen müssen.

Rechtsgrundlage des Verfahrens ist § 48 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Als Änderung iSd § 48 SGB X ist auch eine - von dem Beklagten zugrundegelegte - Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers seit Erlass des letzten bindenden Bescheides vom 17.05.1999 zu sehen. Die Prüfung einer solchen Änderung setzt im Wesentlichen einen Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen voraus, die bei Erlass des letzten bindenden Bescheides vorgelegen haben, und denen, die nunmehr - bzw. im Zeitpunkt der Herabsetzung - vorliegen.

Hinsichtlich dieses Fragenkomplexes gelangt Dr. Cxxxx in seinem Gutachten lediglich zu dem Ergebnis, dass in den mit "Restfolgen nach Schlaganfall" bezeichneten Gesundheitsstörungen eine Verschlimmerung eingetreten sei; die Frage, inwieweit eine Besserung, die allein die Entscheidung des Beklagten und des SG stützen könnte, eingetreten ist, lässt er ebenso wie das SG unbeantwortet. Dieser entscheidungserheblichen und aufklärungsbedürftigen Frage ist jedoch ebenso nach zugehen wie der Frage, ob und insbesondere in welchem Umfang eine - kompensatorische - Verschlimmerung in bestehenden Leiden eingetreten ist. Zu Recht weist der Kläger daraufhin, dass auf Grund des Gutachtens des Dr. Cxxxx - aber auch auf Grund der ansonsten vorliegenden Befundunterlagen - eine solche abschließende Beurteilung nicht möglich ist.

Darüber weist der Kläger ebenfalls berechtigt auf Zweifel an der Bewertung der zum Zeitpunkt der Untersuchung vorliegenden Gesundheitsstörungen durch Dr. Cxxxx hin.

So bestehen z.B. hinsichtlich der Beeinträchtigungen im Schulter-Arm-Bereich sowohl eine Fehlfunktion des Schultergelenkes als auch eine Schädigung des Nervus Axillaris sowie ggf. weiterer Nerven, deren Auswirkungen sich sowohl überschneiden als auch untereinander besonders nachteilig auswirken können. Es stellt sich u.a. die Frage, ob die bei dem Kläger daraus resultierende Beeinträchtigung z.B. der entspricht, die bei Versteifung eines Schultergelenks in günstiger Stellung bei gut beweglichem Schultergürtel besteht, oder ob die Beeinträchtigung stärker ist (z.B. wie bei einer Versteifung des Schultergelenkes in ungünstiger Stellung oder bei gestörter Beweglichkeit des Schultergürtels oder wie bei einer Instabilität des Schultergelenkes schweren Grades; vgl. dazu AHP Nr. 26.18, S. 143 f). Diese Frage ist auch in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.09.200 schon deshalb nicht hinreichend beantwortet worden, weil seinerzeit das tatsächliche Ausmaß der Beeinträchtigung des Klägers, wie es nachfolgend von Dr. Cxxxx beschrieben wurde, nicht bekannt war.

Gleichermaßen sind die Bedenken des Klägers gegen die Bewertung der Folgen des Schlaganfalls auf Grund der bisher erfolgten Sachverhaltsermittlung nicht auszuräumen, da z.B. in den AHP Nr. 26.3 für einen auch hier in Betracht kommenden Hirnschaden ein GdB von 30 vielfach bereits als Mindestsatz genannt wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Beklagte bereits früher - in der gutachtlichen Stellungnahme vom 01.09.1998 - den Schlaganfallfolgen einen GdB von 40 zugemessen hat und dass die im Bericht des Prof. Dr. Lxxxxxx vom 20.07.1999 angeführte völlige Wiederherstellung der Ausfallsymptomatik bezüglich des rechten Armes, rechten Beines und der Sprache von Dr. Cxxxx nicht bestätigt werden konnte und dass dieser sogar insoweit von einer Verschlimmerung ausgeht, wobei allerdings der Vergleichszeitpunkt seinem Gutachten nicht zu entnehmen ist.

III.

Der Senat hat zudem erwogen, den Rechtsstreit auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs an das SG zurückzuverweisen. Er sieht hiervon ab, denn er hat die Überzeugung gewonnen, dass die Anhörung der Klägers im vorliegen den Einzelfall noch den rechtlichen Anforderungen genügt. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG sind die Beteiligten als Ausfluss des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) vor Erlass eines Gerichtsbescheides anzuhören. Eine formularmäßige Mitteilung ohne Bezug auf den konkreten Fall genügt nicht (BVerwG DVBl. 1991, 156; LSG NW vom 17.09.1993 - L 4 J 109/93 -; LSG NW vom 14.09.1995 - L 2 Kn 69/95 -; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, VI Rdn. 220; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 207). Seine Rechtsauffassung muss das Gericht allerdings nicht mitteilen (BSG vom 16.03.1994 - 9 BV 151/93 - und vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - zu § 153 Abs. 4 SGG; Meyer-Ladewig, aaO § 105 Rdn. 10a mwN). Andererseits soll die Anhörungsmitteilung sicherstellen, dass die Beteiligten sachgerechte Einwendungen erheben können (Kummer aaO). Deshalb hält der Senat es für erforderlich, dass sowohl ein rechtsunkundiger Kläger als auch ein rechtskundig vertretener Kläger in der Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG zumindest darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt (vgl. dazu eingehend Senats urteile vom 05.09.2001 - L 10 SB 70/01 - sowie vom 07.11.2001 - L 10 SB 50/01 -).

Das an den Kläger gerichtete Schreiben des SG vom 18.07.2001 enthält die Mitteilung, dass eine Einholung eines Gutachtens von Amts nicht beabsichtigt sei und dass für einen Antrag nach § 109 SGG eine Frist gesetzt werde. Ferner wird lediglich auf § 105 SGG hingewiesen.

Dieser Hinweis auf § 105 SGG ist - für sich gesehen - unzureichend, denn er lässt nicht erkennen, wie das SG - falls es von der Möglichkeit des § 105 SGG Gebrauch macht - zu entscheiden beabsichtigt. Damit läge an sich ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 62 SGG vor. Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass der Gerichtsbescheid nicht aus diesem Grund aufzuheben ist. Grundsätzlich müssen die Beteiligten zwar darauf hingewiesen werden, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt; hiervon kann aber dann eine Ausnahme gemacht werden, wenn sich für die Beteiligten aus dem Sach- und Streitstand nur eine Entscheidung aufdrängt hat. So liegt es hier. Dem gleichzeitigen Hinweis auf ein Gutachten nach § 109 SGG ist nämlich, zumindest wenn er an einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten gerichtet ist, zu entnehmen, dass das SG die Abweisung der Klage beabsichtigt. Denn ein solcher, an den Kläger gerichteter Hinweis beinhaltet - bei ordnungsgemäßer Prozessleitung durch das Gericht - dessen Vorüberlegung und darauf beruhen de Auffassung, dass auf Grund des bisher bekannten medizinischen Sachverhalts dem Klageantrag nicht stattgegeben werden könne; ansonsten wäre der Hinweis nicht verständlich.

IV.

Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind wesentlich. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass das SG bei ordnungsgemäßer Beweisaufnahme und Beweiswürdigung eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Die trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorgeschriebene Zurückverweisung ist angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens und im Hinblick darauf, dass den Beteiligten eine weitere Tatsacheninstanz erhalten bleiben soll, geboten, zumal der Kläger selber seine Berufung auf die Verfahrensmängel stützt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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