L 8/5 VG 2/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 VG 834/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8/5 VG 2/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9a VG 4/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein tätlicher Angriff i.S.v. § 1 Abs.1 OEG setzt eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung voraus.

Wird jemand in einer Wohnung eingesperrt und zieht sich bei dem Versuch, aus der Wohnung zu flüchten, gesundheitliche Schäden zu, so kommt eine Entschädigung nach dem OEG nur in Betracht, wenn ein körperlicher Angriff auf das Opfer auch aus der Sicht eines objektiven Dritten unmittelbar bevorstand. Es reicht nicht aus, dass der Täter durch sein der Flucht vorangehendes Verhalten das Opfer in Angst versetzt hat.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die Klägerin (1977) stellte am 30. September 2000 einen Antrag nach dem OEG. Sie gab an, am 21. September 2000 Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. S. (im folgenden K.S.) habe sie in seiner Wohnung (F.) eingesperrt und angefangen, sie zu belästigen und verbal zu bedrohen. Als einziger Fluchtweg sei ihr das Fenster erschienen. Sie sei dann vom 3. Stock abgeklettert/abgefallen und habe sich dabei die Wirbelsäule und den Arm gebrochen sowie den Ellenbogen ausgekugelt.

Der Beklagte zog die Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main in der Strafsache gegen K.S. (Az.: XXX Js XXXXX) bei. Mit Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Frankfurt am Main vom 16. August 2001 wurde K.S. wegen Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Entscheidung bestätigte die 24. kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main mit Urteil vom 10. Juli 2003. In den Strafurteilen wurden zum Sachverhalt folgende Feststellungen getroffen:

Die Klägerin sei in B. geboren, jedoch in A./Neuseeland bei ihrer Familie aufgewachsen und habe dort von 1996 bis 2000 Kunst studiert. Nach dem Abschluss des Studiums sei sie am 29. Juli 2000 zu ihrem Onkel nach I. gereist. Sie habe die Absicht gehabt, in Deutschland einen Beruf zu finden, vielleicht beim Film. Eine Woche vor dem Ereignis sei sie von I. nach K. gereist, um dort bei Verwandten bei der Weinlese zu helfen und um F. kennen zu lernen. Am 19. September 2000 sei sie erstmals nach F. gefahren und habe dort bei einem Stadtbummel auf der Zeil drei Personen – unter ihnen K.S. – kennen gelernt, die dort Tarotkarten gelegt hätten. Bei K.S. handele es sich um einen 1950 geborener Gelegenheitsarbeiter, der zwischen 1990 und 1998 in Südostasien, Australien und Neuseeland gelebt habe, wegen der Notwendigkeit einer Augenoperation aber 1998 nach Deutschland zurückgekehrt sei und seitdem in F. von Sozialhilfe gelebt habe; seine indonesische Ehefrau und sein zum Tatzeitpunkt etwa 1-jähriger Sohn hätten zu diesem Zeitpunkt noch in Indonesien gelebt. Der – in Deutschland nicht vorbestrafte – K.S. kam mit der Klägerin in englischer Sprache auf Neuseeland zu sprechen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte K.S., er sei Künstler und lud die Klägerin in sein Studio ein. Beide begaben sich darauf hin in die Wohnung von K.S., wo sie gemeinsam Marihuana rauchten und sich über Kunst und Film unterhielten. Bei diesem Gespräch weckte K.S. bei der Klägerin die Hoffnung, er werde ihr möglicherweise Arbeit verschaffen können und bot ihr an, während seines bevorstehenden Aufenthaltes in Malaysia in seiner Wohnung zu wohnen.

Am 21. September 2000 fuhr die Klägerin erneut nach F. und suchte dort K.S. wiederum in seiner Wohnung auf in der Absicht, in näher kennen zu lernen; außerdem hoffte sie nach wie vor auf einem Job beim Film. K.S. bot ihr wiederum Marihuana an, welches sie gemeinsam rauchten und sich dabei über die beruflichen Möglichkeiten der Klägerin beim Film unterhielten. Im Verlaufe dieses Gesprächs äußerte K.S., ihre Frisur sei für eine Filmkarriere nicht vorteilhaft und bot ihr an, ihr die Haare zu schneiden. In der Annahme, K.S. verfüge über entsprechende Fähigkeiten, erlaubte ihm dies die Klägerin. Mit dem Ergebnis des Haarschnittes war die Klägerin jedoch nicht einverstanden und äußerte gegenüber K.S., dass sie nun zum Friseur gehen wolle. Dieser bat sie jedoch, bei ihm in der Wohnung zu bleiben. Als die Klägerin daraufhin ihre Schuhe wieder anziehen und die Wohnung verlassen wollte, stellte K.S. sich ihr an der Tür in den Weg und drängte sie ins Zimmer zurück. Er erklärte ihr, sie sei jetzt zu nervös, um zum Friseur zu gehen und forderte sie auf, sich wieder zu setzen. Den Umstand, dass die Klägerin an Armen und Händen zitterte, interpretierte K.S. dahin, dass es sich um eine auf den kurz zuvor erfolgten Marihuanakonsum zurückzuführende nervöse Unruhe handele. Kurze Zeit später stand die Klägerin erneut auf, begann ihre Schuhe anzuziehen und machte, nachdem sie einen Schuh anhatte, Anstalten die Wohnung zu verlassen. Wieder trat ihr K.S. entgegen und verhinderte ein Verlassen der Wohnung, indem er die Klägerin zurückstieß. Er erklärte der Klägerin nunmehr, sie müsse noch eine halbe Stunde bleiben, dann könne sie die Wohnung verlassen. In diesem Zusammenhang drückte er ihr einen Wecker in die Hand, auf dessen Ziffernblatt sie die Zeit sehen konnte. Als die Klägerin sich dann auf einen neben der Tür stehenden Stuhl setzen wollte, lies K.S. dies nicht zu, sondern verlangte, dass sie sich auf eine Matratze setzte, während er auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Raumes Platz nahm. Inzwischen hatte die Klägerin ihren zweiten Schuh sowie ihre Jacke angezogen und ihre Handtasche an sich genommen. Aufgrund des von ihr als seltsam empfundenen Verhaltens von K.S. hatte sie inzwischen Angst bekommen, dieser werde ihr etwas antun. Diesen Umstand versuchte sie jedoch vor K.S. zu verbergen. Dies gelang ihr nur unvollkommen, weil sie zitterte und dies nicht vollständig unterdrücken konnte. K.S. habe dies wahrgenommen, jedoch so gedeutet, dass er das Zittern und die Nervosität der Klägerin dem genossenen Marihuana als Ursache zurechnete. Er versuchte die Klägerin zu beruhigen und bot ihr an, zur Beruhigung einen Brandy zu trinken, woraufhin die Klägerin sich selbst einen Brandy eingoss und trank. Währenddessen war die Klägerin aufgestanden und konnte aus dem offenen Fenster des großen Raumes blicken, wobei sie auf die Idee kam, sie könne vielleicht durch dieses Fenster aus der Wohnung springen. Sie sagte daraufhin zu K.S., dass sie aus dem Fenster springen werde, wenn er sie nicht aus der Wohnung lasse. Dieser lachte daraufhin und sagte, sie sei wohl verrückt. Zwischen der Klägerin und K.S. entwickelte sich sodann eine verbale Auseinandersetzung über die von K.S. vorgegebene Wartezeit von einer halben Stunde, von der inzwischen jedoch nur noch 10 Minuten übrigen waren. Wenig später erhob sich K.S. von einem Stuhl und äußerte, in 5 Minuten werde eine andere Frau kommen, der sie – die Klägerin – entweder gefallen werde oder die sie in Stücke reißen werde. K.S. trank sodann selbst einen Brandy, ging zu der Klägerin und drückte ihr in der Absicht, sie hierdurch zu beruhigen, seine Hand zunächst auf den Kopf und sodann auf ihren Nacken. Schließlich lockerte er den Griff, kündigte an, dass er die Klägerin massieren wolle und forderte diese auf, ihre Jacke auszuziehen, was die Klägerin auch tat. Das Handauflegen hatte die Klägerin jedoch nicht beruhigt, sondern im Gegenteil noch mehr geängstigt, so dass die Klägerin, der bewusst war, dass sie sich im dritten Obergeschoß des Hauses befand, als einzige Möglichkeit, um aus der Wohnung zu kommen, die Flucht aus dem Fenster ansah. Sie ging schnell in Richtung des offenen Fensters und kletterte hinaus, so dass sie sich mit ihren Händen am Fensterrahmen festhalten konnte. Ihre Absicht war, mit den Füßen auf ein Fenster des unteren Stockwerks zu gelangen, was jedoch misslang. Als K.S., der aufgestanden war um sich eine Zigarette zu holen, diesen Vorgang realisierte, lief er zum Fenster, an dessen Rahmen die Klägerin hing und rief "Bist du verrückt?". Die Klägerin ließ sich daraufhin freiwillig fallen, weil sie vor dem Angeklagten aus Angst flüchten wollte. Sie fiel 2 Stockwerke tief auf das Dach einer im Erdgeschoß befindlichen Passage, wobei ihr Hinterkopf auf eine in dem Dach befindliche Lichtkuppel fiel. Sie erlitt hierbei schwere Verletzungen an der Wirbelsäule, einen Bruch des Ellenbogens und des Handgelenks. Sie musste fast 2 Monate in der Berufgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt am Main und in einer Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Eine drohende Querschnittslähmung konnte durch das ärztliche Eingreifen verhindert werden.

In rechtlicher Hinsicht werteten sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Frankfurt am Main das Verhalten von K.S. als Freiheitsberaubung. Eine Verurteilung nach § 239 Abs. 3 Ziffer 2 Strafgesetzbuch, weil K.S. durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht habe, lehnten die Strafgerichte jedoch ab. Zwar habe die Klägerin K.S. vorher angekündigt, dass sie aus dem Fenster springen werde, wenn er sie nicht aus der Wohnung lasse, diese Äußerung habe K.S. jedoch erkennbar nicht ernst genommen. Er habe auch nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin diese Ankündigung wahr machen werde, da ihr bekannt gewesen sei, dass sich die Wohnung im dritten Stock des Hauses befand. K.S. könne auch nicht vorgeworfen werden, dass er nicht erkannt habe, dass die Klägerin panische Angst vor ihm gehabt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt seien die einzigen Übergriffe von K.S. das zweimalige Wegdrängen von der Tür und das Berühren des Hals- und Kopfbereichs der Klägerin zum Zweck der beruhigenden Massage gewesen. Weder diese konkreten Handlungen noch eine Gesamtschau der Ereignisse nach dem Betreten der Wohnung durch die Klägerin seien – so das Landgericht – objektiv geeignet, die Entstehung eines derart starken Angstzustandes nachvollziehbar erscheinen zu lassen, wie ihn die Klägerin erlebt und glaubhaft geschildert habe. Aus diesem Grunde habe K.S., der zudem den Grund für die Unruhe der Klägerin nicht auf Angst, sondern auf den Marihuanakonsum zurückgeführt habe, nicht damit rechnen müssen, dass diese tatsächlich aus dem Fenster klettern würde. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin nämlich weder um Hilfe gerufen noch einen weiteren Versuch unternommen, die Wohnung durch die Tür zu verlassen.

Durch Bescheid vom 25. Oktober 2002 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Versorgung nach dem OEG ab. Die von K.S. begangene Freiheitsberaubung stelle keinen tätlichen Angriff i. S. v. § 1 OEG dar. Bei der Beurteilung der Frage, ob bereits ein rechtswidriger tätlicher Angriff, zumindest ein unmittelbares Ansetzen einer zielgerichteten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben sei, sei auf die Sicht eines objektiven vernünftigen Dritten abzustellen (Hinweis auf Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 10. September 1997, 9 RVg 1/96). Zwar sei die Klägerin subjektiv durch das Verhalten des Täters in panische Angst versetzt worden, was sie schließlich veranlasst habe, aus dem Fenster im dritten Stock zu springen. Bei Würdigung des Sachverhaltes müsse diese Reaktion aber letztendlich als Überreaktion gewertet werden, weil sich aus dem Sachverhalt keine eindeutigen Anzeichen dafür ergäben, dass eine körperliche Misshandlung gedroht und diese Gefahr unmittelbar bevorgestanden habe. Den Widerspruch der Klägerin vom 22. November 2002 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2003 zurück.

Die Klägerin hat am 6. März 2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe es sich um einen tätlichen Angriff gehandelt. Angesichts der verschiedenen – auch körperlichen – Übergriffe von K.S. habe sie das Schlimmste befürchten müssen. Dies habe sie in panische Angst versetzt, weil sie einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf sich als Frau befürchtet habe. Zum Vorsatz genüge hier der Wille des Täters, sein rücksichtloses Vorgehen als ernstlich erscheinen zu lassen, also bei ihr den Eindruck hervorzurufen, eine gewalttätige Einwirkung auf sei stehe unmittelbar bevor. Freiwillig sei sie nicht aus dem zweiten bzw. dritten Stock gesprungen.

Mit Urteil vom 24. September 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung des Gerichts habe ein zu Leistungen nach dem OEG i. V. m. dem BVG verpflichtender tätlicher Angriff durch K.S. nicht vorgelegen. Nach dem OEG werde nicht jede Gewalttat entschädigt, sondern nur der wesentliche Bereich der so genannten Gewaltkriminalität, die zu Körperverletzung oder Tod führen könne. Ein rechtswidriger tätlicher Angriff i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setze eine grundsätzlich in feindseliger Willensrichtung und unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus. Unstreitig habe die Klägerin gegen ihren Willen mindestens eine halbe Stunde in der Wohnung des Täters verweilen müssen. Darin liege aber keine Gewalttat im Sinne des OEG. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Klägerin ihr Anliegen mit Nachdruck zum Ausdruck gebracht habe. Zwar sei sie von K.S. zweimal zurückgeschubst worden, als sie die Wohnung habe verlassen wollen. Jedoch habe sie den angebotenen Brandy wie auch die Marihuana-Zigarette angenommen und konsumiert. Aufgrund der Ankündigung, dass in einer halben Stunde eine Frau kommen werde, habe die Klägerin mit K.S. diskutiert, ob sie noch warten solle. Dass diese Diskussion, in der K.S. nach den Angaben der Klägerin geäußert habe, es werde in 5 Minuten eine Frau kommen, der die Klägerin gefallen müsse oder die sie anderenfalls in Stücke reißen werde, eine Wendung genommen habe, welche die Klägerin geängstigt habe, sei verständlich, von einem gewaltsamen Tätigwerden könne bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht ausgegangen werden. So habe die Klägerin nicht einmal ernsthaft versucht, sich dem offensichtlichen Anliegen des Täters, sie an dem Verlassen der Wohnung zu hindern, zu widersetzen und die Wohnungstür zu erreichen. Die Klägerin habe nicht einmal gewusst, ob die Wohnungstür abgeschlossen gewesen sei. Entsprechendes gelte für das Verhalten des Täters, welcher der Klägerin seine Hand von hinten auf den Kopf und anschließend auf ihren Nacken gedrückt habe, und seine anschließende Aufforderung, sie solle ihre Jacke ausziehen, damit er sie massieren könne. Insgesamt sei von einer Überreaktion der Klägerin auszugehen. Nach ihrem eigenen Vortrag sei sie selbst nicht der Ansicht gewesen, dass K.S. sie sexuell habe missbrauchen wollen. Es sei unverständlich, dass die Klägerin allein aufgrund des bis dahin gezeigten Verhaltens von K.S. in eine derartige Panik geraten sei, dass sie aus dem Fenster des dritten Stocks geklettert und sich dann habe fallen lassen, anstatt ernsthaft zu versuchen, sich gegen den Willen von K.S. zu behaupten, um aus der (möglicherweise nicht einmal abgeschlossenen) Flurtür zu gelangen. Ebenso unverständlich sei, dass die Klägerin keine Anstalten gemacht habe, durch das geöffnete Fenster andere Personen auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Dafür, dass die Klägerin die Situation verkannt habe, spreche auch der Konsum von Marihuana in Verbindung mit Alkohol.

Gegen dieses ihr am 2. Januar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Januar 2004 Berufung eingelegt.

Sie führt aus, sie gehöre keinesfalls zur Drogenszene. Das schließe nicht aus, dass sie gelegentlich Marihuana probiert habe. Hier sei ihr Marihuana und Alkohol aber vom Täter aufgedrängt worden, um sie leichter gefügig zu machen. Hierdurch sei sie in noch größere Panik geraten. Nachdem sie zweimal am Verlassen der Wohnung gehindert und von der Wohnungstür zurückgestoßen worden sei, seien ihr das weitere Verhalten des Täters als ernsthafte Bedrohung erschienen. Bei objektiver Betrachtung sei ein Angriff auf ihre sexuelle Ehre nicht nur geplant, sondern schon in Ausführung begriffen gewesen. Hierzu müsse in der Gesamtschau das zweimalige tätliche Zurückhalten und Zurückstoßen von der Wohnungstür, die Erwähnung der "fremden Frau", das dringliche Angebot der "Massage", die Aufforderung, die Jacke auszuziehen, die weitere Aufforderung, sich auf die Matratze zu setzen, und das feste Drücken auf Kopf und Nacken gewürdigt werden. Die Flucht aus dem Fenster sei ihr in dieser verzweifelten Situation als einziger Ausweg vorgekommen. Sie habe sich nicht hinausstürzen wollen, sondern sich zunächst festgehalten und auf einen erträglichen Aufprall gehofft. Bei dem Täter sei im Strafverfahren kein signifikanter Alkohol- oder Drogenkonsum festgestellt worden. Das beweise gleichzeitig, dass auch sie nicht unter erheblichen Rauschmitteleinfluss gestanden habe.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2003 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die gesetzlichen Entschädigungsleistungen nach dem OEG wegen der Folgen der Gewalttat vom 21. September 2000 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die erfolgte Sachaufklärung habe keine eindeutigen Anzeichen dafür erbracht, dass eine körperliche Misshandlung der Klägerin gedroht und diese Gefahr unmittelbar bevor bestanden habe.

Der Senat hat die Akten des Strafverfahrens beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Akten, den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG.

Zutreffend hat das Sozialgericht dargelegt, dass die Freiheitsberaubung, welche der Klägerin ausgesetzt war, keine Gewalttat i. S. v. § 1 Abs. 1 OEG ist. Denn nach der Rechtsprechung setzt ein "tätlicher Angriff" i. S. v. § 1 Abs. 1 OEG eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung voraus. Damit wollte der Gesetzgeber insbesondere Kraftentfaltung gegen Sachen und bloße Androhung von Gewalt ausgrenzen (BSG, SozR-3800, § 1 Nr. 4). Allerdings liegt ein gewaltsames Einwirken auf den Körper des Opfers bereits dann vor, wenn der Täter ein gewaltsames Einwirken auf den Körper des Opfers zwar erst angedroht, aber schon mit der gewaltsamen Beseitigung von Hindernissen für die Verwirklichung der Drohung begonnen hat, so dass auch ein objektiver Dritter mit der unmittelbar bevorstehenden Tötung oder ernstlichen Verletzung des Opfers rechnen würde (BSG, Urteil vom 10. September 1997, 9 RVg 1/96). In jedem Fall müssen aber die äußeren Tatumstände überzeugende Hinweise auf den Willen des Täters geben, unmittelbar gegen eine Person vorzugehen. Deshalb hat das BSG den Anspruch auf Versorgung nach dem OEG in einem Fall verneint, in dem jemand aus Furcht vor einem Einbrecher flüchtete und sich hierbei erheblich verletzte, ohne dass festzustellen war, dass der Einbrecher beabsichtigte, von ihm angetroffene Personen anzugreifen (BSG a. a. O.).

In dem vorliegenden Fall fehlt es, wie das Sozialgericht zu Recht dargelegt hat, an einer zielgerichteten Gewaltanwendung des Täters gegen die Klägerin. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass K.S. zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin zur Flucht aus dem Zimmer ansetzte, gegen sie körperliche Gewalt anwenden wollte. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für den Vortrag der Klägerin, zum Zeitpunkt ihrer Flucht habe ein Angriff auf ihre sexuelle Ehre unmittelbar bevorgestanden. Die Klägerin hat, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat, bei ihrer Vernehmung durch die Polizei am 27. September 2000 die Frage, ob der Täter Geschlechtsverkehr gewollt habe, ausdrücklich verneint, und auch bei ihrer Vernehmung durch das Amtsgericht am 16. August 2001 hat sie nichts derartiges erwähnt. Vielmehr hat sie nachvollziehbar auf die aufsteigende Angst hingewiesen, die dadurch entstand, dass sie der Täter nicht aus der Wohnung lies und ihr fest auf den Kopf fasste. Der Täter habe psychischen Druck auf sie ausgeübt (Bl. 5 der Zeugenvernehmung vom 27. September 2000). Die Ausübung eines derartigen psychischen Drucks stellt jedoch noch nicht den erforderlichen tätlichen Angriff auf eine Person dar. Es ist ungeklärt, welche Pläne der Täter in Bezug auf die Klägerin hatte, als diese aus dem Fenster flüchtete. Einen konkreten Anhaltpunkt dafür, dass K.S. zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte, der Klägerin körperliche oder sexuelle Gewalt anzutun, gibt es nicht. Dahingehende Erkenntnisse haben weder das Amtsgericht noch das Landgericht Frankfurt am Main gewinnen können. Beide Gerichte haben K.S. in Bezug auf die bei der Klägerin eingetretenen schweren Verletzungen selbst vom Vorwurf der Fahrlässigkeit freigesprochen, weil K.S. nicht damit habe rechnen müssen, dass die Klägerin ihre Ankündigung, aus dem Fenster im dritten Stock springen zu wollen, wahr machen würde. Wie das Landgericht hierzu im Urteil vom 10. Juli 2003 festgestellt hat, waren bis zu diesem Zeitpunkt die einzigen Übergriffe von K.S. das zweimalige Wegdrängen der Klägerin von der Tür und das Berühren des Hals- und Kopfbereichs zum Zweck einer beruhigenden Massage. Weder diese konkreten Handlungen von K.S. für sich genommen noch eine Gesamtschau der Ereignisse seit Betreten der Wohnung durch die Klägerin waren nach der Überzeugung des Landgerichts objektiv geeignet, die Entstehung eines derart starken Angstzustandes nachvollziehbar erscheinen zu lassen, wie es die Klägerin dem Landgericht glaubhaft geschildert hatte. Aus diesem Grunde – so das Landgericht – konnte und musste K.S., der zudem die Unruhe der Klägerin nicht auf Angst, sondern auf ihren Marihuanakonsum zurückführte, nicht damit rechnen, dass diese tatsächlich aus dem Fenster klettern würde. Der Senat schließt sich dem an.

Soweit die Klägerin meint, ein tätlicher Angriff habe bereits dadurch eingesetzt, dass sie von dem Täter zweimal am Verlassen der Wohnung gehindert und in das Zimmer zurückgedrängt worden sei sowie dadurch, dass dieser ihr von hinten seine Hand fest auf den Kopf gedrückt habe, ist dem nicht zu folgen. Denn hierbei handelte es sich nicht um tätliche Angriffe, die auf eine Verletzung der Klägerin zielten. Vielmehr sind diese Handlungen Teilaspekte der durch den Täter begangenen Freiheitsberaubung. Aus den bereits dargelegten Gründen sind sie aber keine ausreichenden Hinweise darauf, dass weitergehende tätliche Übergriffe gegen die Klägerin auch nur geplant waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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