S 10 AS 165/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 165/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab Antragstellung vom 13.10.2005 Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlich anfallender Höhe nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit bis Ende März 2006 zu bewilligen. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung), § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG.

Erforderlich ist in beiden Fällen, dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund zustehen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 86 b Rdnr. 27 ff). Ein Anordnungsanspruch setzt die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruches voraus, vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Zu berücksichtigen ist dabei, dass wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens die endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen werden darf. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Interessen des Antragstellers an einer vorläufigen Verpflichtung des Antragsgegners zum begehrten Verwaltungsakt oder zur Feststellung eines Anspruches abzuwägen mit denen des Antragsgegners, ein möglicherweise unberechtigtes Verwaltungshandeln zu verweigern. Daher ist vorläufiger Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn dem Antragsteller anderenfalls schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung auch die Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage ist.

Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund sind nach der im vorliegenden Verfahren notwendigen summarischen Prüfung gegeben.

Dem Antragsteller stehen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und der Heizung zu.

Diese Kosten belaufen sich beim Antragsteller derzeit ausweislich des Kontoauszugs auf Blatt 3 der Gerichtsakte auf 411,25 EUR im Monat.

Die Antragsgegnerin hält diese Kosten für nicht angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz SGB II. Sie trägt insoweit vor, den Antragsteller bereits mit Schreiben vom 22.03.2005 auf die Unangemessenheit der Kosten hingewiesen und zur Reduzierung aufgefordert zu haben (Bl. 18 ff der Verwaltungsakte).

Allerdings sieht § 22 Abs. 1 Satz 2 vor, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und die Heizung so lange weiter von der Antragsgegnerin zu tragen sind, wie es dem Antragsteller nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die von der Antragsgegnerin als angemessen angesetzten Kaltmietkosten für die Wohnung des Antragstellers in der Gemeinde L mit 3,68 EUR je m² zutreffen. Wie diese Zahlen ermittelt wurden und dass sie in statistisch ausreichender Weise untermauert sind, hat die Antragsgegnerin allerdings bisher nicht dargelegt. Dem Antragsteller war aber zumindest bisher der Wechsel in eine nach Auffassung der Antragsgegnerin angemessene Wohnung nicht möglich. Ausweislich der Anlage zu seinem Schriftsatz vom 13.10.2005 hat er sich insoweit durch Eintragung als Wohninteressent bei der X eG bemüht. Mit Schriftsatz vom 25.10.2005 hat er darüber hinaus sieben weitere erfolglose Bemühungen um angemessenen Wohnraum im Monat Oktober glaubhaft gemacht. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass vom Antragsteller keine (ausreichenden) Bemühungen für die Monate von März bis September nachgewiesen wurden. Den von der Antragsgegnerin vorgelegten Kleinanzeigen bezüglich des in M angebotenen Wohnraums ist jedoch zu entnehmen, dass in diesen sieben Monaten gerade einmal fünf Angebote vorlagen, die Kriterien der Antragsgegnerin bezüglich einer angemessenen Wohnung erfüllten, nämlich eine Kaltmiete von gerade einmal 165,50 EUR im Monat und einer Quadratmeterzahl von 45 m².Selbst bei diesen Angeboten steht allerdings nicht fest, ob nicht die von der Antragsgegnerin als angemessen angesehene Grenze für die gesamten Kosten der Unterkunft i.H.v. 270,42 EUR monatlich überschritten wurden. Zur Überzeugung des Gerichtes spricht danach mehr dafür als dagegen, dass der Wohnungsmarkt bezüglich von Wohnungen zu den von der Antragsgegnerin zugestandenen Konditionen derzeit verschlossen ist. Dabei ist die Vielzahl von Singelhaushalten zu berücksichtigen, die allesamt potenzielle Mietkonkurenten darstellen. Weiterhin zu berücksichtigen sind auch die weiteren Verfahren vor dem Sozialgericht Detmold, in denen die Antragsgegnerin andere Antragsteller auf dieselben Wohnungen verweist.

Ob und wie lange der Anspruch des Antragstellers auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft noch besteht, kann erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

Im vorliegenden Eilverfahren ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller glaubhaft mit den derzeit gewährten Leistungen in Höhe von insgesamt 640,98 EUR monatlich nicht zugleich seinen Lebensunterhalt sichern, für den 345,- EUR im Monat anzusetzen sind, und die Kosten der Unterkunft tragen kann, die sich auf rund 411,- EUR im Monat belaufen. Zahlt er die volle Miete, wäre der Lebensunterhalt nicht sichergestellt. Stellt er den Lebensunterhalt sicher, so droht der Verlust der Wohnung durch Räumungsklage, weil dann dem Vermieter gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ein außerordentliches Kündigungsrecht zusteht. Aus dieser Überlegung ergibt sich einerseits ein Anordnungsgrund (vgl. insoweit auch Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 01.08.2005, Az L 19 B 33/05 AS ER bezüglich des Anordnungsgrundes bei drohender Räumungsklage). Insoweit hat der Antragsteller im Erörterungstermin vom 06.10.2005 im Verfahren S 10 AS 61/05 auch auf die insoweit tatsächlich drohende Kündigung hingewiesen. Andererseits ergibt sich aus der nicht hinreichenden Sicherstellung des Lebensunterhaltes bzw. der drohenden Räumungsklage, dass das Interesse des Antragstellers an der Fortgewährung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe der tatsächlichen Kosten der Unterkunft das Interesse der Antragsgegnerin an der Nichtbelastung mit u.U. zu hohen und nicht zurückzuerlangenden Leistungen überwiegt. Bei seiner Interessenabwägung hat das Gericht berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller in ihrem Hinweis vom 22.03.2005 bezüglich der Notwendigkeit der Senkung der Kosten der Unterkunft nicht mitgeteilt hat, dass er sich ggf. auch um Wohnungen mit mehr als 45 m² bemühen kann, wenn die Gesamtkosten der Unterkunft insgesamt angemessen sind. Vielmehr hat die Antragsgegnerin damals nur auf die einzuhaltende Wohnflächengrenze von 45 m² und die ebenfalls einzuhaltende Nettokaltmietegrenze von 165,60 EUR im Monat hingewiesen. Weiterhin berücksichtigt hat das Gericht bei seiner Entscheidung, dass nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Richtlinien zur Prüfung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II die Kosten der Unterkunft im Bezirk der Antragsgegnerin nicht einheitlich sind. So liegen die Kosten der Unterkunft für den Bezirk T1 bzw. T2 für Ein-Personen-Haushalte in Wohnungen mit Baujahr 1992 oder später bei 280,- EUR im Monat. Berücksichtigt man weiter die von der Antragsgegnerin maximal für angemessenen Nebenkosten von 45 m² x 2,5 EUR je m², d.h. von 112,50 EUR, so ergeben sich im Bezirk der Antragsgegnerin noch für von ihr selbst als (maximal) angemessen erachtete (Gesamt-) Kosten der Unterkunft in Höhe von 392,50 EUR im Monat. Diese belaufen sich fast auf das 1 ½-fache der von ihr im Bescheid vom 22.09.2005 als angemessen bezeichneten Kosten der Unterkunft des Antragstellers. Das ist in sich nicht stimmig. Der Betrag erreicht zudem fast die tatsächlichen Mietaufwendungen des Antragstellers in Höhe von rund 411,- EUR im Monat. Die Antragsgegnerin kann den Antragsteller in diesem Verfahren nicht einerseits auf nach ihrer Auffassung angemessene Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt nur 270,42 EUR im Monat verweisen und insofern Mietangebote aus ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich vorlegen, andererseits für andere Städte ihres Zuständigkeitsbereiches deutlich höhere angemessene Kosten der Unterkunft akzeptieren.

Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung war zeitlich zu befristen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller nämlich in diesem Verfahren Anbieter von (Sozial-) Wohnungen namhaft gemacht, die nach ihrer Auffassung angemessene und freie Wohnungen anbieten. Es handelt sich dabei um die Firma I mit der Telefon-Nr. 000000000, die E GmbH mit der Telefon-Nr. 00000-00000, die H mbH mit der Telefon-Nr. 00000-00000, die I2 AG mit der Telefon-Nr. 0000-0000000, die X2 eG mit der Telefon-Nr. 00000-000000, die T mit der Telefon-Nr. 00000-00000, die S GmbH mit der Telefon-Nr. 0000-000000, die X eG mit der Telefon-Nr. 0000-00000, die X3 eG mit der Telefon-Nr. 00000-0000, der P GmbH mit der Telefon-Nr. 00000-0000, die T GmbH mit der Telefon-Nr. 00000-00000, die T GmbH mit der Telefon-Nr. 00000-00000 sowie L mit der Telefon-Nr. 00000-00000. Bei der Vielzahl dieser dem Antragsteller zum ersten Mal namhaft gemachten potentiellen Vermieter ist nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller nun kurzfristig eine Wohnung findet mit angemessenen Kosten im Sinne des § 22 SGB II. Unter Berücksichtigung der dann einzuhaltenden Kündigungsfrist von drei Monaten für die alte Wohnung wäre ein Umzug wahrscheinlich bis zum Ende des Monats März 2006.

Dem Antrag des Antragstellers auf unbefristete Weitergewährung der tatsächlichen Mietkosten war daher nicht stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem § 183, 193 SGG. Der Antragsteller obsiegt mit seinem Begehren im Wesentlichen. Das Unterliegen in einem geringen Teil rechtfertigt nicht, dass er die Kosten des Verfahrens auch nur teilweise zu tragen hat.
Rechtskraft
Aus
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