Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 9/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 33/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 verurteilt, den Antrag der Klägerin vom 15.05.2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme des Eigenanteil für die Versorgung mit einem Hörgerät vom Fabrikat KIND Claro I 706, 20-kanalig, links, nebst Otoplastik.
Die am 00.00.1979 geborene Klägerin ist Sozialversicherungsfachangestellte im Dienst der E1 C. Nachdem die zuständige Krankenkasse (E2) eine Übernahme der Kosten für die streitige Hörgerätversorgung in Höhe von mehr als dem Festbetrag abgelehnt hatte, beantragte die Klägerin die Übernahme des Eigenanteils unter Verweis auf ein Schreiben der Firma L am 15.05.2003 bei der BfA (jetzt: DRV Bund), die den Antrag am 28.05.2003 an die Beklagte weiterleitete. Die Beklagte veranlasste eine amtsärztliche Untersuchung und eine Stellungnahme ihres technischen Beraters und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 02.10.2003 ab. Sie führte aus, es bestehe keine Notwendigkeit zur Beschaffung digitaler Hörgeräte aufgrund des speziellen Arbeitsplatzes der Klägerin. Darüberhinaus sei die Hörgeräteversorgung ausschließlich dem Bereich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen, der in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle.
Ihren am 03.11.2003 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Zuständigkeit der Krankenversicherung sei gerade dann nicht gegeben, wenn Hilfen ausschließlich der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit dienen sollten. Die Versorgung nach Krankenversicherungsrecht genüge den berufsspezifischen Erfordernissen nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.05.2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 24.05.2004 erhobene Klage. Die Klägerin ist von der E1 C auf ihren eigenen Antrag inzwischen von der Beratung in die Sachbearbeitung umgesetzt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 zu verurteilen, den Eigenanteil für die Versorgung mit einem Hörgerät Fabrikat KIND Claro I 760, 20-kanalig, links, inklusive Otoplastik zu übernehmen
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes T vom 19.10.2005. Der Sachverständige hat die Versorgung mit volldigitalen mehrkanaligen Hörgeräten beidseits für erforderlich gehalten, soweit die Klägerin Tätigkeiten ausübt, bei denen exaktes Sprachverstehen auch bei Nebengeräuschen von Sprachlautstärke geboten ist. Die Beklagte sieht hierin kein Erfordernis der Hörgeräteversorgung wegen einer bestimmten beruflichen Tätigkeit.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist insoweit rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als sich die Beklagte nicht allein auf ein fehlendes berufliches Erfordernis der Hörgeräteversorgung berufen durfte, sondern auch als zuständiger Leistungsträger über Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entscheiden musste. Das Gericht kann diese Entscheidung nicht abschließend treffen, da es das der Beklagten hierbei eingeräumte Ermessen nicht anstelle der Beklagten ausüben darf. Hält das Gericht die Unterlassung eines Verwaltungsaktes für rechtswidrig, so ist im Urteil lediglich die Verpflichtung auszusprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, § 131 Abs. 3 SGG.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils nach § 97 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) i.V.m. § 33 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Hiernach werden die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
Zweck von § 33 SGB IX ist es jedoch nicht, dem behinderten Menschen Zugang zu jedweder Ausprägung seines Berufsbildes zu verschaffen. Vielmehr zielt die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben - wie sich aus dem Regelbeispiel in § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ergibt - darauf ab, den Arbeitsplatz des Betroffenen zu erhalten. Vermag der Betroffene behinderungsbedingt nicht sämtliche Tätigkeiten, die zum einschlägigen Berufsbild gehören, auszuüben, so ist dies angesichts § 33 SGB IX nur dann relevant, wenn sich das Berufsbild bei Ausfall dieser Tätigkeiten als insgesamt verschlossen erweist. Dies ist bei der Klägerin, wie auch ihre konkrete berufliche Entwicklung während des Verfahrens zeigt, nicht der Fall. Auch dem Gutachten von T vermag die Kammer nicht zu entnehmen, dass die Klägerin ihren Beruf als Sozialversicherungsfachangestellte auf Dauer nur mit Hilfe des begehrten Hörgerätes wird ausüben können. Das Gutachten belegt überzeugend, dass die entsprechende Hörgeräteversorgung erforderlich ist, wenn die Klägerin Tätigkeiten ausübt, bei denen exaktes Sprachverstehen auch bei Nebengeräuschen von Sprachlautstärke geboten ist. Als Beispiel nennt der Sachverständige eine "komplexe Beratungstätigkeit wie bei der BfA", die deswegen einen möglichst vollkommenen Ausgleich des Hörschadens verlangten, weil in den Punkten Sprachtempo und Sprachpräzision hohe Anforderungen an das Verstehen gestellt würden. Auch bei Entfallen von Beratungstätigkeiten ist der Klägerin jedoch der Beruf der Sozialversicherungsfachangestellten, in dem sie erfolgreich ausgebildet worden ist und den sie seit mehr als sieben Jahren ausübt, nicht verschlossen. Dass der bei ihr vorliegende Hörschaden ein solches Ausmaß annimmt, dass sie überhaupt keine Tätigkeiten, in denen es auf das Sprachverstehen ankommt, mehr ausüben kann, ergibt sich aus dem Gutachten des T nicht.
Die Klage war jedoch nicht abzuweisen, denn die Beklagte kann sich nicht allein auf den fehlenden Bezug zum Arbeitsleben berufen, da sie nach § 14 SGB IX für die Erbringung auch der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig geworden ist. Ein Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils kann sich aus § 55 SGB IX ergeben, wonach als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft solche Leistungen erbracht werden, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden (§ 55 Abs. 1 SGB IX).
Die Beklagte ist auch für die Erbringung dieser Leistung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2; Abs. 2 Satz 1 SGB IX zuständig geworden. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, so stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Verneint er dies, so hat er den Antrag unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten, § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX. Leitet der Rehabilitationsträger den Antrag hingegen binnen der gesetzlichen Frist nicht weiter, so hat er unverzüglich den Rehabilitationsbedarf festzustellen, § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Verklausuliert ordnet das Gesetz hiermit nichts anderes an als eine Überlagerung der gesetzlichen Zuständigkeit kraft Fristablaufs: Der zuerst angegangene Rehabilitationsträger wird für die beantragte Leistung zuständig, wenn er den Antrag nicht binnen der in § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Frist an den seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterleitet (VGH München, Beschluss vom 01.12.2003 - 12 CE 03.2608; SG Koblenz, Urteile vom 29.09.2004, S 9 AL 329/03 und S 9 AL 251/02; SG Aachen, Urteil vom 11.02.2004, S 11 RJ 66/03 - Berufungsaktenzeichen des LSG Nordrhein-Westfalen L 14 RJ 28/04; Gagel, SGb 2004, 464, 465 ff m.w.N.). Die Vorschrift zeigt, dass im Gegensatz zur vorläufigen Leistung, die den zuständigen Leistungsträger nicht unmittelbar tangiert, eine nach außen verbindliche neue Zuständigkeit geschaffen worden ist (BSG, Urteil vom 26.10.2004, B 7 AL 16/04 R m.w.N.).
Die Voraussetzungen aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX sind im vorliegenden Fall erfüllt. Sowohl die Beklagte als auch die BfA (jetzt DRV Bund) sind Rehabilitionsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB IX und die DRV Bund hat den Antrag binnen der gesetzlichen Frist an die Beklagte weitergeleitet. Zuständigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Befugnis des Leistungsträgers, das Verfahren zu führen und den Antrag zu bescheiden, sondern verpflichtet ihn auch zur Erbringung der beantragten Leistung, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. § 14 SGB IX ordnet eine "besondere Leistungspflicht" (so die Formulierung von Gagel, a.a.O., S. 465 f) an, die die "grundsätzlichen" Zuständigkeitsregelungen (§ 6 SGB IX) verdrängt und den Zuständigkeitsbereich des nach § 14 SGB IX zuständig gewordenen Leistungsträgers auf sämtliche sozialrechtlichen Rehabilitationsleistungen ausdehnt. Der Leistungsträger darf es daher nicht bei einer Prüfung des Antrags anhand des für ihn einschlägigen Leistungsgesetzes belassen, sondern muss auch Anspruchsgrundlagen aus "fremden" Leistungsgesetzen prüfen und (wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind) auf dieser Grundlage leisten.
Die Kammer verkennt nicht, dass die - aus Sicht der Leistungsträger - überaus strenge Fristenregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX einen nicht unbeträchtlichen Anreiz darstellt, sich eines Antrags durch Weiterleitung zu entledigen. Auch bezweifelt die Kammer, ob es tatsächlich im Sinne einer schnellen und vor allem effektiven Rehabilitation ist, wenn Träger in Einzelfällen Leistungen zu gewähren haben, auf deren Erbringung sie personell und sachlich nicht eingestellt sind. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch. Ihnen steht der Normzweck von § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX entgegen, wonach sich die komplizierten Zuständigkeitsfragen des Sozialrechts im Allgemeinen und des Rehabilitationsrechts im Besonderen nicht zum Nachteil des Leistungsberechtigten auswirken dürfen (BT-Drs 14/5074, S. 85, 102; ausführlich auch VGH München, Beschluss vom 17.09.2002 - 12 CE 02.688 = FEVS 54, 264 ff) und dessen Antrag ohne weitere Streitigkeiten um Zuständigkeitsfragen kurzfristig beschieden werden muss (Gagel, a.a.O., S. 465). Das Gesetz nimmt um dieser Ziele willen eine Leistungserbringung durch einen unzuständigen Leistungsträger bewusst in Kauf. Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung (vgl. Mrozynski, SGB IX 1. Teil, § 14, Rn. 29) überzeugt die Kammer nicht: Hiernach soll in Fällen, in denen die beantragte Leistung nicht vom gesetzlichen Leistungskatalog des nach § 14 SGB IX zuständig gewordenen Trägers umfasst ist, zunächst überhaupt nicht geleistet werden können; der Antragsteller sei jedoch dahingehend zu beraten, dass er den Antrag erneut und nunmehr beim "richtigen Rehabilitationsträger" stellt (Mrozynski, a.a.O.). Dem ist bereits entgegen zu halten, dass sich auf diese Weise die Zuständigkeitsfragen des Rehabilitationsrechts gerade doch zu Lasten des Antragstellers auswirkten; insbesondere wird es regelmäßig nicht zu der von § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX beabsichtigten baldigen Bescheidung des Antrags kommen (Mrozynski, a.a.O., merkt an, bei der von ihm vertretenen Vorgehensweise handele es sich um ein praktisch nicht sehr sinnvolles, aber unvermeidliches Verfahren).
Die Kammer vermag nicht auszuschließen, dass Fallkonstellationen denkbar sind, in denen § 14 SGB IX eine einschränkende Auslegung erfahren muss. Dies könnte der Fall sein bei Weiterleitung des Antrags an eine Person, die nicht Leistungsträger nach dem SGB IX ist, bei offensichtlich rechtsmissbräuchlicher Antragstellung oder bei Weiterleitung etwa an einen Träger, zu dem der Leistungsberechtigte nie in irgendeiner Beziehung gestanden hat. Für den Regelfall einer Antragstellung bei einem nicht von vornherein erkennbar unzuständigen Leistungsträger muss es im Interesse des Leistungsberechtigten aber bei der Rechtsfolge aus § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Übernahme des Eigenanteil für die Versorgung mit einem Hörgerät vom Fabrikat KIND Claro I 706, 20-kanalig, links, nebst Otoplastik.
Die am 00.00.1979 geborene Klägerin ist Sozialversicherungsfachangestellte im Dienst der E1 C. Nachdem die zuständige Krankenkasse (E2) eine Übernahme der Kosten für die streitige Hörgerätversorgung in Höhe von mehr als dem Festbetrag abgelehnt hatte, beantragte die Klägerin die Übernahme des Eigenanteils unter Verweis auf ein Schreiben der Firma L am 15.05.2003 bei der BfA (jetzt: DRV Bund), die den Antrag am 28.05.2003 an die Beklagte weiterleitete. Die Beklagte veranlasste eine amtsärztliche Untersuchung und eine Stellungnahme ihres technischen Beraters und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 02.10.2003 ab. Sie führte aus, es bestehe keine Notwendigkeit zur Beschaffung digitaler Hörgeräte aufgrund des speziellen Arbeitsplatzes der Klägerin. Darüberhinaus sei die Hörgeräteversorgung ausschließlich dem Bereich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen, der in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle.
Ihren am 03.11.2003 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Zuständigkeit der Krankenversicherung sei gerade dann nicht gegeben, wenn Hilfen ausschließlich der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit dienen sollten. Die Versorgung nach Krankenversicherungsrecht genüge den berufsspezifischen Erfordernissen nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.05.2004 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 24.05.2004 erhobene Klage. Die Klägerin ist von der E1 C auf ihren eigenen Antrag inzwischen von der Beratung in die Sachbearbeitung umgesetzt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2004 zu verurteilen, den Eigenanteil für die Versorgung mit einem Hörgerät Fabrikat KIND Claro I 760, 20-kanalig, links, inklusive Otoplastik zu übernehmen
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes T vom 19.10.2005. Der Sachverständige hat die Versorgung mit volldigitalen mehrkanaligen Hörgeräten beidseits für erforderlich gehalten, soweit die Klägerin Tätigkeiten ausübt, bei denen exaktes Sprachverstehen auch bei Nebengeräuschen von Sprachlautstärke geboten ist. Die Beklagte sieht hierin kein Erfordernis der Hörgeräteversorgung wegen einer bestimmten beruflichen Tätigkeit.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist insoweit rechtswidrig im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als sich die Beklagte nicht allein auf ein fehlendes berufliches Erfordernis der Hörgeräteversorgung berufen durfte, sondern auch als zuständiger Leistungsträger über Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entscheiden musste. Das Gericht kann diese Entscheidung nicht abschließend treffen, da es das der Beklagten hierbei eingeräumte Ermessen nicht anstelle der Beklagten ausüben darf. Hält das Gericht die Unterlassung eines Verwaltungsaktes für rechtswidrig, so ist im Urteil lediglich die Verpflichtung auszusprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, § 131 Abs. 3 SGG.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils nach § 97 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) i.V.m. § 33 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Hiernach werden die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
Zweck von § 33 SGB IX ist es jedoch nicht, dem behinderten Menschen Zugang zu jedweder Ausprägung seines Berufsbildes zu verschaffen. Vielmehr zielt die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben - wie sich aus dem Regelbeispiel in § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX ergibt - darauf ab, den Arbeitsplatz des Betroffenen zu erhalten. Vermag der Betroffene behinderungsbedingt nicht sämtliche Tätigkeiten, die zum einschlägigen Berufsbild gehören, auszuüben, so ist dies angesichts § 33 SGB IX nur dann relevant, wenn sich das Berufsbild bei Ausfall dieser Tätigkeiten als insgesamt verschlossen erweist. Dies ist bei der Klägerin, wie auch ihre konkrete berufliche Entwicklung während des Verfahrens zeigt, nicht der Fall. Auch dem Gutachten von T vermag die Kammer nicht zu entnehmen, dass die Klägerin ihren Beruf als Sozialversicherungsfachangestellte auf Dauer nur mit Hilfe des begehrten Hörgerätes wird ausüben können. Das Gutachten belegt überzeugend, dass die entsprechende Hörgeräteversorgung erforderlich ist, wenn die Klägerin Tätigkeiten ausübt, bei denen exaktes Sprachverstehen auch bei Nebengeräuschen von Sprachlautstärke geboten ist. Als Beispiel nennt der Sachverständige eine "komplexe Beratungstätigkeit wie bei der BfA", die deswegen einen möglichst vollkommenen Ausgleich des Hörschadens verlangten, weil in den Punkten Sprachtempo und Sprachpräzision hohe Anforderungen an das Verstehen gestellt würden. Auch bei Entfallen von Beratungstätigkeiten ist der Klägerin jedoch der Beruf der Sozialversicherungsfachangestellten, in dem sie erfolgreich ausgebildet worden ist und den sie seit mehr als sieben Jahren ausübt, nicht verschlossen. Dass der bei ihr vorliegende Hörschaden ein solches Ausmaß annimmt, dass sie überhaupt keine Tätigkeiten, in denen es auf das Sprachverstehen ankommt, mehr ausüben kann, ergibt sich aus dem Gutachten des T nicht.
Die Klage war jedoch nicht abzuweisen, denn die Beklagte kann sich nicht allein auf den fehlenden Bezug zum Arbeitsleben berufen, da sie nach § 14 SGB IX für die Erbringung auch der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig geworden ist. Ein Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils kann sich aus § 55 SGB IX ergeben, wonach als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft solche Leistungen erbracht werden, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden (§ 55 Abs. 1 SGB IX).
Die Beklagte ist auch für die Erbringung dieser Leistung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2; Abs. 2 Satz 1 SGB IX zuständig geworden. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, so stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Verneint er dies, so hat er den Antrag unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten, § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX. Leitet der Rehabilitationsträger den Antrag hingegen binnen der gesetzlichen Frist nicht weiter, so hat er unverzüglich den Rehabilitationsbedarf festzustellen, § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Verklausuliert ordnet das Gesetz hiermit nichts anderes an als eine Überlagerung der gesetzlichen Zuständigkeit kraft Fristablaufs: Der zuerst angegangene Rehabilitationsträger wird für die beantragte Leistung zuständig, wenn er den Antrag nicht binnen der in § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Frist an den seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterleitet (VGH München, Beschluss vom 01.12.2003 - 12 CE 03.2608; SG Koblenz, Urteile vom 29.09.2004, S 9 AL 329/03 und S 9 AL 251/02; SG Aachen, Urteil vom 11.02.2004, S 11 RJ 66/03 - Berufungsaktenzeichen des LSG Nordrhein-Westfalen L 14 RJ 28/04; Gagel, SGb 2004, 464, 465 ff m.w.N.). Die Vorschrift zeigt, dass im Gegensatz zur vorläufigen Leistung, die den zuständigen Leistungsträger nicht unmittelbar tangiert, eine nach außen verbindliche neue Zuständigkeit geschaffen worden ist (BSG, Urteil vom 26.10.2004, B 7 AL 16/04 R m.w.N.).
Die Voraussetzungen aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX sind im vorliegenden Fall erfüllt. Sowohl die Beklagte als auch die BfA (jetzt DRV Bund) sind Rehabilitionsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB IX und die DRV Bund hat den Antrag binnen der gesetzlichen Frist an die Beklagte weitergeleitet. Zuständigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Befugnis des Leistungsträgers, das Verfahren zu führen und den Antrag zu bescheiden, sondern verpflichtet ihn auch zur Erbringung der beantragten Leistung, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. § 14 SGB IX ordnet eine "besondere Leistungspflicht" (so die Formulierung von Gagel, a.a.O., S. 465 f) an, die die "grundsätzlichen" Zuständigkeitsregelungen (§ 6 SGB IX) verdrängt und den Zuständigkeitsbereich des nach § 14 SGB IX zuständig gewordenen Leistungsträgers auf sämtliche sozialrechtlichen Rehabilitationsleistungen ausdehnt. Der Leistungsträger darf es daher nicht bei einer Prüfung des Antrags anhand des für ihn einschlägigen Leistungsgesetzes belassen, sondern muss auch Anspruchsgrundlagen aus "fremden" Leistungsgesetzen prüfen und (wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind) auf dieser Grundlage leisten.
Die Kammer verkennt nicht, dass die - aus Sicht der Leistungsträger - überaus strenge Fristenregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX einen nicht unbeträchtlichen Anreiz darstellt, sich eines Antrags durch Weiterleitung zu entledigen. Auch bezweifelt die Kammer, ob es tatsächlich im Sinne einer schnellen und vor allem effektiven Rehabilitation ist, wenn Träger in Einzelfällen Leistungen zu gewähren haben, auf deren Erbringung sie personell und sachlich nicht eingestellt sind. Diese Bedenken greifen jedoch nicht durch. Ihnen steht der Normzweck von § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX entgegen, wonach sich die komplizierten Zuständigkeitsfragen des Sozialrechts im Allgemeinen und des Rehabilitationsrechts im Besonderen nicht zum Nachteil des Leistungsberechtigten auswirken dürfen (BT-Drs 14/5074, S. 85, 102; ausführlich auch VGH München, Beschluss vom 17.09.2002 - 12 CE 02.688 = FEVS 54, 264 ff) und dessen Antrag ohne weitere Streitigkeiten um Zuständigkeitsfragen kurzfristig beschieden werden muss (Gagel, a.a.O., S. 465). Das Gesetz nimmt um dieser Ziele willen eine Leistungserbringung durch einen unzuständigen Leistungsträger bewusst in Kauf. Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung (vgl. Mrozynski, SGB IX 1. Teil, § 14, Rn. 29) überzeugt die Kammer nicht: Hiernach soll in Fällen, in denen die beantragte Leistung nicht vom gesetzlichen Leistungskatalog des nach § 14 SGB IX zuständig gewordenen Trägers umfasst ist, zunächst überhaupt nicht geleistet werden können; der Antragsteller sei jedoch dahingehend zu beraten, dass er den Antrag erneut und nunmehr beim "richtigen Rehabilitationsträger" stellt (Mrozynski, a.a.O.). Dem ist bereits entgegen zu halten, dass sich auf diese Weise die Zuständigkeitsfragen des Rehabilitationsrechts gerade doch zu Lasten des Antragstellers auswirkten; insbesondere wird es regelmäßig nicht zu der von § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 SGB IX beabsichtigten baldigen Bescheidung des Antrags kommen (Mrozynski, a.a.O., merkt an, bei der von ihm vertretenen Vorgehensweise handele es sich um ein praktisch nicht sehr sinnvolles, aber unvermeidliches Verfahren).
Die Kammer vermag nicht auszuschließen, dass Fallkonstellationen denkbar sind, in denen § 14 SGB IX eine einschränkende Auslegung erfahren muss. Dies könnte der Fall sein bei Weiterleitung des Antrags an eine Person, die nicht Leistungsträger nach dem SGB IX ist, bei offensichtlich rechtsmissbräuchlicher Antragstellung oder bei Weiterleitung etwa an einen Träger, zu dem der Leistungsberechtigte nie in irgendeiner Beziehung gestanden hat. Für den Regelfall einer Antragstellung bei einem nicht von vornherein erkennbar unzuständigen Leistungsträger muss es im Interesse des Leistungsberechtigten aber bei der Rechtsfolge aus § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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