L 23 B 1071/05 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 SO 27/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 1071/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -, nämlich die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.

Der 1934 geborene Antragsteller bezog ab Mitte 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG -. Ein Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18. September 2003 wegen fehlender Mitwirkung ab. Die Bedürftigkeitsprüfung habe nicht erfolgen können, da das Einkommen seiner Vermieterin und Mitbewohnerin der seit Jahren bestehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht angegeben worden sei.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2004 zurück. Der Antragsteller verfolgte sein Anliegen zunächst mit einer hiergegen gerichteten Klage vor dem Verwaltungsgericht Potsdam weiter. Wegen Nichtbetreibens des Verfahrens über eine Dauer von über zwei Monaten stellte das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom 1. Juli 2005 fest, dass diese Klage als zurückgenommen gilt, und stellte das Verfahren ein.

Am 11. April 2005 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Potsdam beantragt, den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, "seinen Krankenkassenbeitrag von 124,50 EUR zu übernehmen". Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Potsdam an das Sozialgericht Neuruppin verwiesen. Der Antragsteller hat vorgetragen, mit seiner Vermieterin lediglich eine Wohngemeinschaft zu bilden, mit ihr aber nicht in eheähnlicher Gemeinschaft oder in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenzuleben.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Antragsteller wohne seit Jahren mit seiner Vermieterin in einem Einfamilienhaus zusammen. Im Dezember 1996 habe er dem Sohn seiner Vermieterin ein Darlehen von 47.873,42 DM gewährt, das nie zurückgezahlt worden sei. Wegen fehlender Angaben zum Einkommen und Vermögen der Vermieterin habe er den Antrag auf Grundsicherungsleistungen abgelehnt.

Mit Beschluss vom 4. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller habe das Vorliegen eines Anspruchs nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die aktenkundigen Indizien sprächen für das Vorliegen einer Lebenspartnerschaft mit seiner Vermieterin, so dass deren Einkommen und Vermögen mit zu berücksichtigen sei. Für das Vorliegen einer Lebenspartnerschaft spreche das seit Jahren bestehende Zusammenwohnen, zunächst in einer Wohnung, dann in einem Einfamilienhaus. Der Antragsteller verfüge dabei nicht über eine abgeschlossene Wohnung, sondern bewohne nach seinen Angaben ein Zimmer im Erdgeschoss und ein Zimmer im Keller unter gemeinsamer Benutzung von Küche und Bad. Für das Bestehen einer engeren Gemeinschaft als in einer Wohngemeinschaft spreche auch, dass der Antragsteller bis April 2005 über kein eigenes Konto verfügte und seine Rente auf das Konto seiner Vermieterin eingezahlt wurde. Weiterhin spreche dafür, dass er die Zahlung von 300,00 EUR Miete angebe, vertraglich aber mehr schulde. Eine Bedürftigkeitsprüfung des Antragstellers sei nicht durchführbar, da er keine Angaben zu Einkommen und Vermögen seiner Partnerin mache. Da der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, habe der Antragsgegner die Leistungen zu Recht versagt. Der diesbezügliche Bescheid sei mit der Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bestandskräftig geworden. Darüber hinaus dürfte die Kreditgewährung im Jahre 1996 an den Sohn seiner Vermieterin einen Ausschlussgrund gemäß § 41 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - darstellen.

Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 19. Oktober 2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Zur Begründung gibt der Antragsteller an, dass mit seiner Vermieterin eine reine Wohngemeinschaft bestehe und diese nicht verpflichtet sei, Auskunft über ihr Einkommen oder ihre finanzielle Lage zu geben. Er bewohne zwei Zimmer, einen Schlafraum und einen Raum, in dem er sich tagsüber aufhalte. Er habe eine eigene Toilette und teile sich das Bad und die Küche mit seiner Vermieterin. Das deren Sohn gewährte Darlehen von 47.873,42 DM zur Entrichtung fälliger Steuern könne dieser ihm nicht mehr zurückzahlen. Er habe zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen können, dass dieser in die Pleite getrieben werde. Ein eigenes Konto habe er deswegen nicht besessen, weil man ihm dieses sonst gesperrt hätte. Es sei ihm nicht möglich, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, wenn er neben der Miete auch die Krankenkassenbeiträge zu entrichten habe. Er habe nur eine monatliche Rente von 529,20 EUR.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. Oktober 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig seine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von 124,50 EUR monatlich zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (zwei Halbhefter), insbesondere auf den darin enthaltenen Hausbesuchsbericht vom 27. November 2002 sowie den Vermerk über eine Vorsprache im Sozialamt am 14. Februar 2005, Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung.

Es kann dahingestellt bleiben, ob einem Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen gemäß §§ 41, 42 Nr. 4 SGB XII bereits die Bestandskraft des auf die fehlende Mitwirkung (§ 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) gestützten Bescheids über die Ablehnung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz entgegensteht. Denn es fehlt jedenfalls deswegen an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches durch den Antragsteller, weil dieser bisher nicht glaubhaft gemacht hat, dass er bedürftig ist. Er hat nämlich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der mit ihm zusammenlebenden Frau Sch (im Folgenden "Frau Sch."), die gemäß §§ 20, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in die Bedarfsberechnung einzubeziehen sind, nicht offenbart. Hierzu war er jedoch verpflichtet, denn nach dem Gesamtbild der feststellbaren Indizien muss von einer eheähnlichen Gemeinschaft des Antragstellers mit Frau Sch. ausgegangen werden.

Eine "eheähnliche Gemeinschaft" im Sinne des § 20 SGB XII liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zur Vorgängervorschrift § 122 BSHG) dann vor, wenn sie als eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und von den Partnern einer solchen Gemeinschaft gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (BVerwGE 98, 195). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bedarf einer umfassenden Würdigung aller Umstände des einzelnen Falles und ist vorliegend zu bejahen. Neben den im Wesentlichen bereits vom Sozialgericht dargelegten und gewürdigten Umständen des seit Jahren bestehenden Zusammenwohnens, zunächst in einer Wohnung, seit 1998 in einem Einfamilienhaus, in dem der Antragsteller nicht über eine abgeschlossene Wohnung verfügt, der Benutzung des Kontos der Frau Sch. durch den Antragsteller, der Zahlung von 300,00 EUR Miete, obwohl vertraglich mehr geschuldet wird, sowie des Umstandes, dass der Mietvertrag über den Beginn eines Mietverhältnisses am 1. August 1998 vom 9. September 2002 datiert, sprechen die folgenden weiteren Indizien dafür, dass das Zusammenleben des Antragstellers mit Frau Sch. über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Ausweislich eines Vermerks über ein Gespräch des Antragstellers beim Sozialamt am 14. Februar 2005 bezeichnete der Antragsteller Frau Sch. und sich wiederholt mit "wir" ("Wir brauchen das Geld.", "Das zahlen wir dann schon wieder zurück.") und soll ferner angegeben haben, mit Frau S. zusammen den Feuerwehrball zu besuchen. Anlässlich eines Hausbesuches im November 2002 wurde festgestellt, dass der Antragsteller ein Auto fährt, das angeblich Frau S. gehört, aber auf den Namen des Antragstellers zugelassen war. Sowohl anlässlich des Hausbesuches im Jahre 2002 als auch bei der Vorsprache im Sozialamt im Februar 2005 und im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Potsdam gab der Antragsteller an, dass Frau S. seine Räume reinige, "einige Gänge" für ihn erledige und ihm einige Gefälligkeiten abnehme, so dass er keine Ansprüche auf Pflegeleistungen geltend zu machen brauche. Auch der Umstand, dass der Antragsteller im Jahre 1996 dem Sohn der Frau Sch. einen erheblichen Geldbetrag zur Deckung von Steuerschulden geliehen hat, für dessen Rückzahlung er - angeblich wegen Aussichtslosigkeit - keine Anstrengungen unternimmt, spricht für eine enge Beziehung zwischen dem Antragsteller und Frau Sch. im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Der Vielzahl dieser Indizien kann der Antragsteller nicht mit Erfolg mit der bloßen Behauptung begegnen, mit seiner Vermieterin bestehe eine reine Wohngemeinschaft.

Ob daneben die Darlehensgewährung in Höhe von 47.873,42 DM an den Sohn der Frau Sch. im Jahre 1996 grob fahrlässig die Bedürftigkeit des Antragstellers herbeigeführt hat und er somit gemäß § 41 Abs. 3 SGB XII keinen Anspruch auf Leistungen hat, kann dahinstehen.

Nach alledem hat das Sozialgericht zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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