S 3 KR 23/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 23/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 5/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erhebung von vollen Krankenversicherungsbeiträgen auf eine Kapitalauszahlung einer Direktversicherung.

Die am 00.00.1939 geborene Klägerin ist seit August 1999 als Rentnerin bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Am 24.02.1984 wurde bei der F-AG eine Kapitalversicherung zu Gunsten der Klägerin abgeschlossen. Versicherungsnehmer war der damalige Arbeitgeber der Klägerin, die Firma E AG, X. Das Ende der Versicherung wurde auf den 01.01.2004 festgelegt. Bis zum 31.07.1999 wurden die Beiträge zur Versicherung durch den Arbeitgeber getragen; ab dem 01.08.1999 durch die Klägerin allein. Der Klägerin wurde am 16.12.2003 von der F-AG ein Betrag in Höhe von 23.163,73 EUR aus der Versicherung ausgezahlt. Hierüber wurde die Beklagte im März 2004 informiert.

Mit Bescheid vom 08.04.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Versicherungsleistung der Beitragspflicht der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliege. Für die Beitragsberechnung werde die Kapitalauszahlung auf 120 Monate umgelegt und ergebe so eine monatliche Zahlung von 196,02 EUR. Unter Berücksichtigung eines allgemeinen Beitragssatzes zur Krankenversicherung von 13,6 v. H. und dem Beitragssatz zur Pflegeversicherung von 1,7 v. H. seien monatliche Beiträge von 26,26 EUR für die Krankenversicherung und 3,28 EUR für die Pflegeversicherung zu leisten.

Hiergegen hat die Klägerin Widerspruch eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, dass die Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen auf Auszahlungen einer Kapitalversicherung gegen Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Ebenso sei der Vertrauensschutzgrundsatz des Art. 20 GG verletzt. Die am 01.01.2004 in Kraft getretene Gesetzesänderung widerspreche dem Willen des Gesetzgebers zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Kapitalleistung sei als Rente der betrieblichen Altersvorsorge zu sehen, die nach § 229 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) beitragspflichtig sei. Da die Lebensversicherung zum 01.01.2004 fällig geworden sei, müsse auch eine Einmalzahlung in die Beitragspflicht einbezogen werden. Irrelevant wäre, dass die Klägerin ab August 1999 die Beiträge zur Lebensversicherung alleine getragen habe.

Am 27.07.2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 229 SGB V in der ab dem 01.01.2004 geltenden Fassung.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.04.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2004 aufzuheben, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren. Der Einlegung und Zulassung der Sprungrevision werde zugestimmt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässig Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.04.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.

Die Beklagte hat die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 22.07.2004 zutreffend dargelegt und unter Anwendung dieser Grundlagen rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Kapitalauszahlung der F-AG in Höhe von 23.163,73 EUR einen beitragspflichtigen Versorgungsbezug darstellt.

Versorgungsbezüge sind gemäß § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung. Die Versicherung bei der F-AG diente der betrieblichen Altersversorgung der Klägerin. Eine Direktversicherung liegt vor, wenn für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen ist und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistung des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind.

Bedenken gegen die Berücksichtigung der Versicherungssumme bei der Beitragsberechnung ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich um eine einmalige Zahlung handelt. Nach § 229 Abs. 1 S. 3 SGB V gilt 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, wenn an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung tritt oder eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden ist, längstens jedoch für 120 Monate. Die Voraussetzung dieser mit Wirkung zum 01.01.2004 durch Art. 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz-GMG-) vom 14.11.2003 (Bundesgesetzblatt I, 2190) eingeführten Norm liegen vor. Unerheblich ist dabei, dass die Versicherungssumme bereits Ende Dezember 2003 an die Klägerin ausgezahlt worden ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Versicherung zum 01.01.2004 - und damit mit Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung - fällig geworden ist. Danach ist nunmehr jede Kapitalleistung, die als Versorgungsbezug zu werten ist, weil sie an Stelle von Arbeitseinkommen oder -entgelt tritt, beitragspflichtig. Damit unterliegen - im Unterschied zur früheren Rechtslage - ab dem 01.01.2004 auch Versicherungsleistungen, die von vorn herein als einmalige Kapitalabfindungen vereinbart oder zugesagt worden sind, der Beitragspflicht zur Krankenversicherung.

Für die Eigenschaft als betriebliche Altersversorgung ist es unerheblich, wenn die Klägerin geltend macht, die Beiträge zu der Lebensversicherung ab August 1999 selbst finanziert zu haben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der das erkennende Gericht folgt, hat diese vielmehr den Begriff der betrieblichen Altersversorgung nach § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V von Anfang an eigenständig verstanden und gegen die Definition in § 1 Abs. 1 Betriebliches Altersvermögensgesetz abgegrenzt. Wegen der Entgeltersatzfunktion der Versorgungsbezüge sollten nur die Einnahmen unberücksichtigt bleiben, die nicht unmittelbar auf frühere Erwerbstätigkeit zurückzuführen waren. Es reichte aus, wenn sie sich als Bestandteil einer betrieblichen Gesamtversorgung darstellten. Dies galt selbst für den Fall, dass der Versicherte allein die Mittel hierfür aufgebracht hat (BSG, Urteil vom 11.10.2001, B 12 KR 4/00 R).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die durch den Gesetzgeber vorgenommene Gleichstellung von regelmäßig wiederkehrenden und nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistungen bestehen nicht. Insbesondere ist kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 3 GG ersichtlich. Der Gesetzgeber hat vielmehr gerade aus den Gründen der Gleichbehandlung aller Betroffenen die zuvor noch bestehende Regelungslücke geschlossen. Die Heranziehung von Lebensversicherungsbezügen aus einer betrieblichen Direktversicherung zur Beitragsbemessung hinsichtlich bereits vor dem Inkrafttreten des GMG geschlossener Verträge ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Lebensversicherung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes fällig wird (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.05.2005, L 5 ER 7/05 KR). Art. 3 GG enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln und ist insbesondere dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sich die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten und sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (Bundesverfassungsgericht, Amtliche Entscheidungssammlung, Band 71, 255; Band 102, 68; Band 103, 271). Der Gesetzgeber wollte mit der beitragsrechtlichen Erfassung der Kapitalabfindungen, das heißt der einmaligen Zahlungen zur Abgeltung an sich zustehender laufender Leistungen, gemäß § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eine Gleichbehandlung aller Kapitalabfindungen erreichen, die Versorgungsbezüge sind. Nach der bis zum 31.12.2003 geltenden gesetzlichen Regelung waren Versorgungsleistungen, die von vorn herein als einmalige Kapitalleistungen zu erbringen waren, nicht beitragspflichtig. Das BSG hat die Beitragspflicht auch dann verneint, wenn innerhalb einer bestimmten Frist vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbarungsgemäß an Stelle einer laufenden Leistung eine Kapitalabfindung beantragt werden konnte (BSG, SozR 3-2500, § 229 Nr. 10). Mit der Änderung des § 229 Abs. 1 SGB V ist jede Kapitalleistung, die als Versorgungsbezug zu werten ist, weil sie an Stelle von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus früherer Beschäftigung oder Tätigkeit gewährt wird, beitragspflichtig. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob an sich zugesagte oder vereinbarte laufende Versorgungsbezüge kapitalisiert werden, ein Wahlrecht zwischen einer laufenden oder einer einmaligen Leistung bestand und wann ggf. die Entscheidung für eine Kapitalleistung getroffen wurde oder zu treffen war. Denn die Regelung erfasst auch originäre Kapitalleistungen und soll hierdurch aus Gründen der Gleichbehandlung verhindern, dass die Beitragspflicht durch entsprechende Vereinbarungen umgangen werden kann. Der Gleichheitssatz ist auch nicht dadurch verletzt, dass in der privaten Krankenversicherung Versorgungsbezüge bei der Beitragsbemessung nicht erfasst werden. Denn die Beitragsgestaltung in der privaten Krankenversicherung beruht auf anderen Prinzipien als in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot liegt nicht vor. Während die echte Rückwirkung voraussetzt, dass eine Rechtsnorm nachträglich ändernd in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, ist von unechter Rückwirkung dann auszugehen, wenn die Rechtsfolgen eines Gesetzes erst nach Verkündung einer Norm eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die bereits zum Teil vor der Verkündung ins Werk gesetzt worden sind. Zwar trat vorliegend die Gesetzesänderung vor Fälligkeit der Lebensversicherung in Kraft, sie schmälert aber den Wert der Altersversorgung dadurch, dass die daraus resultierenden Kapitalleistungen verbeitragt werden müssen. Gleichwohl liegt hierin keine Verletzung von Verfassungsrecht. Denn die unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Ebenso wie im Steuerrecht ist im Sozialversicherungsrecht die allgemeine Erwartung auf fortbestehende Regelungen nicht geschützt. Nur soweit Betroffene nicht damit zu rechnen brauchten, ist ihnen ein schutzwürdiges Vertrauen zuzusprechen. Hier erwies sich ein Vertrauen in den Fortbestand der für die betroffenen Personenkreis günstigen Regelung jedoch nicht als geschützt und kann von diesen billigerweise weiterhin nicht beansprucht werden. Gerade im Hinblick auf die durch die Reformdiskussion in der gesetzlichen Krankenversicherung und deren prekäre Finanzlage bestehende Unsicherheit, auch was künftige Leistungen und Ansprüche betrifft, war ein diesbezügliches Vertrauen nicht schützenswert. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mussten aufgrund der seit langer Zeit eingeleiteten Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer stärkeren Heranziehung zur Finanzierung der Leistungen rechnen. Außerdem ist das Anliegen des Gesetzgebers ein höheres Maß an Beitragsgerechtigkeit bei der Behandlung von Kapitalabfindungen zu erreichen, mit dem Grundsatz der solidarischen Finanzierung und dem Versicherungsprinzip zu vereinbaren. Wegen der dramatischen Entwicklung der Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und dem Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen sind, und die zu einer erheblichen Verschuldung der Krankenkassen geführt haben, bestand auch keine Verpflichtung zum Erlass einer Übergangsregelung, zu mal diese die umgehend erforderliche Entlastung der Krankenkassen erschwert hätten. Unter dem Gesichtspunkt der Beitragsgerechtigkeit und der beabsichtigten Verhinderung von Umgehungsmöglichkeiten ist insoweit ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG nicht zu erkennen.

Die Klägerin kann dem nicht mit Erfolg die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes entgegen halten. Nach Art. 14 Abs. 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Unter "Eigentum" im Sinne der Vorschrift gelten nicht nur private Rechte und Rechtsstellungen, sondern auch im öffentlichen Recht wurzelnde Rechtspositionen, wenn diese ihrer Funktion nach dem privaten Eigentum entsprechen. Dies gilt auch für Rechtspositionen aus dem Recht der Sozialversicherung. Eine Enteignung oder enteignungsgleiche Wirkung nach Art. 14 Abs. 3 GG liegt nicht vor. Die Verbeitragung von Einmalzahlungen beeinträchtigt weder grundlegend Vermögenswerte der Klägerin, noch bewirkt sie einen Eingriff in die Kapitalsubstanz. Die Eigentumsgarantie wäre erst dann verletzt, wenn die Beitragspflichten den Betroffenen übermäßig belasteten. Dessen Vermögensverhältnisse müssten so grundlegend beeinträchtigt werden, dass sie erdrosselnde Wirkung haben (Bundesverfassungsgericht, Amtliche Entscheidungssammlung, Band 95, 267). Eine "Erdrosselungswirkung" kommt der Verbeitragung der Zahlungen aus der Europa-Lebensversicherungs-AG indes nicht zu, denn der Gesetzgeber hat die Verbeitragung auf insgesamt 10 Jahre begrenzt. Im vorliegenden Fall führte das zu einem zusätzlichen Beitrag von weniger als 30,00 EUR monatlich. Ob Beitragslast und Leistungen hierbei in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, bedurfte keiner näheren Erörterung. Das Solidaritätsprinzip und das vom Grundsatz des sozialen Ausgleichs beherrschte Recht der gesetzlichen Krankenversicherung setzen eine Gleichwertigkeit nicht voraus (BSG, Urteil vom 18.12.1984, 12 RK 42/83).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Sprungrevision war auf Antrag der Beteiligten zuzulassen, da nach Maßgabe des § 161 Abs. 2 S. 1 SGG die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 vorliegen. Die Kammer misst der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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