L 10 B 1263/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 7701/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 1263/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern zu 1 bis 4 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 797,00 Euro als Darlehen bis zum 28. Februar 2006 zu zahlen. Für den Monat Dezember erfolgt die Zahlung anteilig ab dem Tage des Zugangs dieses Beschlusses als Telefax bei der Antragsgegnerin. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1) bis 4) zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die ihnen im Hinblick auf den dem Antragsteller zu 2) gehörenden Immoblienbesitz versagt wurde.

Die Antragstellerin zu 1) beantragte am 1. September 2004 für die aus den Antragstellern zu 1) bis 4) bestehende Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Die Antragstellerin zu 1) gab an, selbst laufend Arbeitslosenhilfe zu beziehen. Der Antragsteller zu 2) beziehe ein Gehalt von 750,00 Euro monatlich von der KGmbH. Geschäftsführer der K GmbH ist der Antragsteller zu 2). Der Antragsteller zu 2) reichte Unterlagen ein über das selbst genutzte Einfamilienhaus W in B und weitere 14 nicht selbst genutzte und teilweise vermieteten Eigentumswohnungen. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 führte der Antragsteller zu 2) aus, dass er seit 14 Jahren beruflich mit Immobilien zu tun habe. Zur Altersvorsorge habe er auf Kredit mehrere Eigentumswohnungen erworben. Seine Schulden beliefen sich auf über 1 Million Euro.

Mit Bescheid vom 24. November 2004 wies die Antragsgegnerin den Antrag zurück. Die nicht selbst genutzten Eigentumswohnungen seien vorrangig durch Verkauf oder Beleihung verwertbar zu machen. Mit den nachgewiesenen Vermögensverhältnissen liege keine Hilfebedürftigkeit vor. Mit Schreiben vom 28. November 2004 legte die Antragstellerin zu 1) Widerspruch ein. Die Eigentumswohnungen sein nicht verwertbar. Der gesamte Immobilienbestand sei global an die Bank verpfändet worden. Eine Ausweitung des Kreditengagements habe die Hausbank abgelehnt. Dem Wert der Eigentumswohnungen seien die bestehenden Kredite gegenüber zu stellen. Eine Überschreitung der Vermögensschongrenzen liege nicht vor.

Mit Bescheid vom 1. August 2005 wies die Widerspruchsstelle bei der Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Eine Gegenüberstellung der Kaufpreise der 14 nicht selbst genutzten Eigentumswohnungen mit den darauf lastenden Kreditverbindlichkeiten ergebe einen verwertbaren Betrag i.H.v. 125.402,62 Euro. Nach Abzug des gesetzlichen Freibetrages von 20.900 Euro verbleibe ein Vermögen von 104.502,62 Euro. Hilfebedürftigkeit liege nicht vor.

Die Antragsteller haben am 16. August 2005 hiergegen Klage erhoben und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Aufgrund der mit der Landesbank Berlin (LBB) geschlossenen umfassenden Zweckerklärung würden sämtliche Grundschulden für alle von der LBB zur Verfügung gestellten Darlehen haften. Die Kreditraten würden weitestgehend durch die an die LBB abgetretenen Mietforderungen ausgeglichen.

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2005 hat das Sozialgericht (SG) Berlin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Entweder liege der Fall so dramatisch, dass im Rahmen der Selbsthilfe der Verkauf der Immobilien gefordert und wegen der Kreditverbindlichkeiten das Privatinsolvenzverfahren betrieben werden müsse. Oder es müsse mit der finanzierenden Bank vereinbart werden, dass die Mieteinnahmen vorrangig zur Sicherung des Lebensunterhalts verwendet werden müssten. Der Antragsteller zu 2 habe sich im laufenden Bewilligungsverfahren greifbarer Einnahmen begeben, indem er im April 2005 im Hinblick auf die Mieteinnahmen Abtretungserklärungen unterzeichnet habe. Daher komme auch eine Darlehensgewährung nicht in Betracht.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller. Mittlerweile sei der Verkauf von zwei Wohnungen in O realisiert worden. Der Kaufpreis betrage 125.000,00 Euro. Da der Valutastand des Darlehens 189.729,79 Euro betrage, belaufe sich die Unterdeckung auf 64.729,79 Euro. Bei dem eigengenutzten Einfamilienhaus sei die Zwangsversteigerung durch Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung der Grundschuld vorbereitet worden. Der Valutastand der Kredite für das selbstgenutzte Haus betrage 342.724 Euro. Der Antragsteller zu 2) sei dabei, die Wohnungen zu verkaufen. Verkaufserlöse würden indes direkt an die Bank fließen. Ihnen sei zumindest ein Darlehen zu gewähren.

Die Antragsteller beantragen,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 5. Oktober 2005 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, den Antragstellern zu1, 2), 3) und 4 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und die Gerichtsakte zum Klageverfahren lagen vor und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.

II.

Das Passivrubrum war von Amts wegen zu berichtigen, da die Arbeitsgemeinschaft des Landes Berlin und der Bundesagentur für Arbeit für den örtlichen Bereich des Verwaltungsbezirks Steglitz-Zehlendorf, bezeichnet als JobCenter Steglitz-Zehlendorf, vertreten durch den Geschäftsführer, nach Auffassung des Senats im Sinne des § 70 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig ist (für die Arbeitsgemeinschaft für den örtlichen Bereich des Verwaltungsbezirks Lichtenberg-Hohenschönhausen, Beschluss des Senats vom 14. Juni 2005, als vormals 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin, L 10 B 44/05 AS ER).

Dem Antrag war in Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG allein deshalb teilweise stattzugeben, weil der Senat die Tatsachenlage im einstweiligen Verfahren nicht vollständig durchdringen kann und eine Folgenabwägung (Leistung/Nichtleistung) zugunsten der Antragsteller zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung zum SGB II (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats) entwickelt hat.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung ((vorläufige und möglicherweise teilweise) Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative - gestützt werden, wobei Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne.

Der Senat kann hier im Ergebnis nicht nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage (siehe oben, 2. Alternative) entscheiden. Der Anspruch der Antragsteller auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 Abs. 1 SGB II hängt davon ab, dass sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 9 SGB II sind, hier insbesondere von der Frage, ob der Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann. Die dazu nach §§ 11, 12 SGB II notwendige Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung hat das Verwaltungsverfahren nicht geleistet und nach dem präsenten (in Verwaltungs- und Gerichtsakte dokumentierte) Sachstand, auf den sich der Senat im einstweiligen Verfahren beschränkt, kann nicht mit hinreichender Sicherheit entschieden werden, dass der erhobene Anspruch nicht besteht. Soweit die Antragsgegnerin durch Gegenüberstellung der Kaufpreise der fremd genutzten Wohnungen des Antragstellers zu 2) und der Belastungen ein die Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen errechnet hat, steht diese Verfahrenweise bereits im Widerspruch zu den Vorgaben der eigenen Durchführungsanweisungen, die vorsehen - und dies ist im Hinblick auf die Wertschwankungen am Immobilienmarkt als sachgerecht anzusehen - dass nur auf Preise in zeitnah abgeschlossenen Kaufverträge zurückzugreifen ist (vgl. Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zum SGB II Rdnr. 12.40: "Als Nachweis für den Verkehrswert von Immobilien sind nur Kaufverträge oder Verkehrswertgutachten zu akzeptieren, die nicht älter als drei Jahre sind"). Zudem ist die Antragsgegnerin den Angaben des Antragstellers zu 2) zum Bestehen eines Haftungsverbundes (aller Wohnungen für alle Kredite) nicht nachgegangen. Einer solchen Abrede - sofern sie unanfechtbar zustande gekommen und nicht kündbar ist - kommt entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Vermögenssituation des Antragstellers zu, da sie darüber entscheidet, ob die Werthaltigkeit und Verwertbarkeit der Wohnungen einzeln (wie von der Antragsgegnerin angenommen) oder bezogen auf die Gesamtheit der Immobilien zu beurteilen ist. Gänzlich außer Betracht geblieben ist überdies bisher das Einkommen des Antragstellers zu 2) zum einen aus seiner Erwerbstätigkeit (auch aus eventuellen Gewinnen der K GmbH), zum anderen aus Vermietung- und Verpachtung, wobei auch die Wirksamkeit der erst im April 2005 (also bezogen auf einen Zeitpunkt zu dem der Antragsteller zu 2) sich für erheblich überschuldet hält) erfolgten Abtretung der Mieteinnahmen an das finanzierende Kreditinstitut zu beurteilen ist. Im Hinblick auf diese Abtretung und da offen ist, welche Absetzungen von dem angegebenen Einkommen vorzunehmen sind, ist aber auch insoweit nicht die Feststellung möglich oder nahe liegend, dass der erhobene Anspruch nicht besteht.

Ob Leistungen vorläufig zu gewähren sind, hängt damit von der Folgenabwägung (dazu oben, 1. Alternative) ab, die zugunsten der Antragsteller zu treffen ist, denen – dies ist hier zu Grunde zu legen - zur Zeit kein anspruchsausschließendes Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht. Einer möglichen Rechtsverletzung der Antragsteller (gegeben für den Fall, dass ihnen ein Leistungsanspruch zusteht, was der Senat ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht entscheiden kann) für die Dauer des Verfahrens stehen, abgesehen vom Ausfallrisiko im Rückforderungsfalle, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich gestützte Position der Antragsteller nicht.

Zu Leistungsart, -höhe und –dauer sind für den Senat folgende Gesichtspunkte maßgeblich: Die Leistung ist nur als Darlehen zu gewähren, da die Situation des § 9 Abs. 4 SGB II gegeben ist. Danach - dies sollte die Antragsgegnerin auch im weiteren Verfahren beachten - ist hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich oder unter Härtegesichtspunkten nicht zumutbar ist; Folge ist die Erbringung der Leistung als Darlehen. Der Antragsteller zu 2) verfügt mit seinen selbst genutzten und den fremd genutzten Immobilien über Vermögen. Soweit sie über ihren Wert hinaus belastet sind, schließt dies allenfalls ihre Verwertbarkeit, nicht aber ihre Eigenschaft als Vermögen aus (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12 RdNr 32). Die monatliche Höhe der Leistung wird auf 797,00 EUR bestimmt. Als Regelleistung für die Bedarfsgemeinschaft ergibt sich ein Betrag von 1.139,00 EUR (345,00 Euro + 311,00 Euro + 276,00 Euro + 207 Euro = 1.139 Euro), von dem als Einnahme das Kindergeld in Höhe von 308,00 EUR abzusetzen ist. Da die Leistung als Ergebnis der Folgenabwägung zugesprochen wird, also ohne dass beurteilt werden könnte, ob den Antragstellern die Leistung "wirklich zusteht", ist eine nur beschränkte Gewährung angemessen, die auf das unabdingbar Notwendige beschränkt bleibt. Dies setzt die Entscheidung nicht durch eine Minderung der Regelsätze um, sondern dadurch, dass auf eine Berücksichtigung der "angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" (vgl. § 19 Abs 1 Nr 1 SGB II) bewusst verzichtet wird, obwohl derartige Kosten auch in einem Eigentumsobjekt zumindest im Umfang der berücksichtigungsfähigen Bewirtschaftungskosten anfallen. Der Senat begrenzt die Verpflichtung ausgehend vom Zeitpunkt der Entscheidung im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des Verwaltungsverfahrens auf zwei Monate ab dem nächsten Monatsersten. Für vergangene Zeiträume war die Antragsgegnerin im einstweiligen Verfahren nicht zu verpflichten, da für ein besonderes Nachholungsbedürfnis nichts dargetan war. Soweit die Beschwerde mehr als die zugesprochene Leistung zum Gegenstand hatte, war sie daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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