L 3 KN 11/01 U

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KN 157/00 U
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 KN 11/01 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 KN 7/03 U B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.10.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte ihren früheren Bescheid vom 14.08.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.03.1992, mit dem sie die Anerkennung und Entschädigung der Kniegelenkserkrankung rechts beim Kläger als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ablehnte, zurückzunehmen und die vorgenannte BK anzuerkennen und zu entschädigen hat.

Der 1940 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.08.1955 bis 03.08.1960 und vom 01.07.1964 bis 31.05.1966 im Saarbergbau vorwiegend als Zurichter beschäftigt. Seine nach eigenen Angaben seit 1989 in Erscheinung getretenen und 1990 operierten Kniegelenksveränderungen führt er auf diese Tätigkeit, bei der er - auch nach Meinung der Beklagten - kniebelastende Arbeiten zu verrichten hatte, zurück. Bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) hatte er 1989 einen Antrag gestellt, seine zu diesem Zeitpunkt aufgetretenen Kniegelenksbeschwerden als Folge eines Stolpervorgangs, zu dem es während einer Gymnastikstunde im Rahmen einer Umschulungsmaßnahme gekommen war, als Schäden nach einem Arbeitsunfall anzuerkennen. In einem von der VBG veranlaßten Gutachten kam Dr.L. am 27.03.1991 zum Ergebis, ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Ereignis vom 06.03.1989 sei unwahrscheinlich. Traumafolgen ließen sich nicht erkennen. Bei der im Klinikum G. der Ludwig-Maximilians-Universität M. (LMU) am 11.04.1990 durchgeführten Arthroskopie sei eine Innenmeniskusteilresektion vorgenommen worden. Dabei seien degenerative Veränderungen an der Rückseite der Patella gefunden worden, welche als Chondropathie aufzufassen seien. Mit Bescheid vom 08.05.1991 lehnte die VBG eine Unfallentschädigung ab.

Ebenfalls ablehnend beschied die Berufsgenossenschaft (BG) der chemischen Industrie einen Antrag des Klägers auf Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als BK der Nr. 2301 (Bescheid vom 04.05.1994; Widerspruchsbescheid vom 27.06.1994; Urteil SG Landshut vom 10.05.1995; Urteil BayLSG vom 17.07.1996); der Käger führte seine Hörstörung auf Tätigkeiten in Mitgliedsbetrieben dieser BG zwischen 1986 und 1990 zurück.

Die Äußerungen des Dr.L. im oben genannten Gutachten für die VBG, wonach es sich nicht um traumatisch bedingte sondern um degenerative Veränderungen handle, veranlaßten den Kläger, bei der Beklagten am 02.12.1990 einen Antrag wegen einer BK der Nr. 2102 zu stellen. Er meinte, seine Kniegelenksbeschwerden kämen von seiner früheren Untertagearbeit im Saar-Bergbau. Die Beklagte zog die Berichte über die Arthroskopie vom 11.04.1990 bei. Dabei teilte der Operateur mit, anläßlich dieses Eingriffs sei eine histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes unterblieben. Ferner zog die Beklagte einen Bericht über eine im Auftrag der VBG vorgenommene diagnostische Arthroskopie am 19.06.1991 in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. bei. Bei diesem Eingriff nahmen die Operateure eine Innenmeniskushinterhornglättung vor; sie stellten daneben 2. gradige Knorpelschäden im Kniebinnenraum fest. Mit Bescheid vom 14.08.1991 lehnte die Beklagte eine Entschädigung der Kniegelenkserkrankung als BK der Nr. 2102 ab. Es sei nicht wahrscheinlich, dass, unterstellt es läge ein Meniskusschaden vor, so lange Zeit nach Aufgabe der bergmännischen Tätigkeit erst 1989 ein Knieschaden am rechten Knie auftreten würde und auf diese Tätigkeit zurückzuführen sei. Die Beschwerden seien vielmehr Ausdruck einer schicksalhaften Chondropathie der Kniescheibe. In dem nach erfolglosem Widerspruch betriebenen Klageverfahren holte das SG München ein Gutachten des Chirurgen Dr.L. , Städtisches Krankenhaus M. ein. Der Sachverständige führte am 21.03.1994 aus, die vom Kläger geschilderten Beschwerden seien Folge einer Achsenfehlstellung, einer Fehlbildung der Kniescheibe, einer unfallunabhängigen Stoffwechselstörung sowie einer unphysiologischen Druckbelastung des mittleren Kniespalts. Vor allem der lange Zeitraum zwischen dem Ende der kniebelastenden Tätigkeit im Bergbau 1966 und dem ersten Auftreten von Kniebeschwerden im Jahre 1989 spreche gegen eine berufliche Verursachung; eine BK könne nicht anerkannt werden. Dr.L. äußerte unter anderem sein Bedauern darüber, dass bei der Arthroskopie am 11.04.1990 keine histologische Untersuchung durchgeführt worden sei. Auf den Vorhalt des Klägers, das Gutachten sei nicht verwertbar, weil eine histologische Untersuchung vom Gutachter nicht durchgeführt worden war, erwiderte Dr.L. am 20.07.1994, die histologische Aufarbeitung des seinerzeit entnommenen Materials sei unterblieben und deshalb nicht nachholbar. Eine Gewebsentnahme im Rahmen einer Begutachtung zum Zwecke einer histologischen Untersuchung würde den Rahmen einer gutachterlichen Tätigkeit sprengen und könne wegen des damit verbundenen Risikos auch nicht empfohlen werden. Mit Urteil vom 04.08.1994 wies das SG München die Klage ab. Im anschließenden Berufungsverfahren forderte der Kläger ein histologisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Senat wies ihn darauf hin, dass ein solches Gutachten mangels entnommenen Materials nicht möglich sei. Mit Urteil vom 26.03.1996 wies das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) die Berufung zurück.

Am 03.01.2000 beantragte der Kläger eine Überprüfung nach § 44 des 10. Sozialgesetzbuchs (SGB X). Er bezog sich auf einen Arztbrief von Dr.K. vom 09.02.2000. Seiner Meinung nach werde darin die Behauptung der Vorgutachter, bei ihm liege eine O-Beinstellung vor, welche für die Kniegelenksveränderungen verantwortlich sei, widerlegt. Dr.K. bescheinige ein flüssiges Gangbild, Becken- und Beinachsengeradstand und lediglich eine beginnende Gonarthrose. Die Kniegelenksveränderungen könnten daher ausschließlich von seiner Tätigkeit im Saar-Berbau kommen.

Mit Bescheid vom 06.04.2000 lehnte die Beklagte eine erneute Überprüfung ab. Das Attest bescheinige nur Dinge, die bekannt seien. Es enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass die 25 Jahre zurückliegende Bergwerkstätigkeit Ursache der späteren Kniegelenksbeschwerden sei. Den Widerspruch, in dem sich der Kläger ausschließlich auf das vorgelegte Attest berief, wies die Beklagte am 04.07.2000 zurück.

Dagegen hat der Kläger - unter Bezug auf das erwähnte Attest von Dr.K. - beim SG München Klage erhoben. Dieses hat die Klage mit Urteil vom 26.10.2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Vorgutachten gestützt und darauf hingewiesen, das Attest von Dr.K. sei nicht geeignet diese zu widerlegen.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und diese am 07.02.2002 begründet: die Vorgutachten seien falsch; das SG habe es verabsäumt eine histologische Untersuchung durchzuführen und habe seinem Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht stattgegeben. Dieser werde wiederholt; er beantrage Prof.H. , W. oder Dr.D. zum Sachverständigen zu ernenen. Der Senat hat den Kläger im Schreiben vom 18.02.2002 daraufhingewiesen, es sei nicht beabsichtigt, ein Gutachten von Amts wegen eizuholen; dem Antrag nach § 109 SGG könne nur insoweit entsprochen werden, als ein inländischer Arzt, nämlich Dr.D. benannt sei. Zudem müsse es dem Sachverständigen überlassen bleiben, ob dieser eine Arthroskopie mit eventueller histologischer Untersuchung von dabei entnommenem Material für notwendig erachte. Der Kläger hat daraufhin Dr.D. benannt, der es jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt hat, ein Gutachten nach § 109 SGG zu erstellen. Der daraufhin vom Kläger benannte Orthopäde Dr.B. hat am 19.09.2002 erklärt, Verschleißschäden infolge beruflicher Belastung würden histologisch absolut identische Veränderungen aufweisen wie solche infolge einer Achsfehlstellung oder infolge anders gearteter Verschleißschäden. Von einer histologischen Unersuchung und einer nochmaligen Begutachtung seien keine neuen Erkenntnissse zu erwarten. Der Kläger hat eine Begutachtung durch Dr.S. , Chefarzt der Klinik R. B. , beantragt, nachdem bei ihm am 16.09.2002 eine Arthroskopie mit Gewebeentnahme erfolgt war. Der Senat ist diesem Antrag gefolgt. In seinem Gutachten vom vom 21.11.2002 hat Dr.S. allgemeine medizinische Erkenntnisse über die Entstehungsmechanismen von Meniskusschäden wiedergegeben. Er hat darauf hingewiesen, durch die Histologie habe nicht direkt bewiesen werden können, ob der Knieschaden durch die Bergbautätigkeit entstanden sei oder ob dieser vorher schon vorhanden gewesen sei. Die Gelenkabnützung im Bereich des Retropatellarknorpels beidseits könne allerdings nicht als Argument gegen die berufliche Entstehung ins Feld geführt werden. Die Beschäftigung des Klägers als Bergmann habe nur für einen kurzen Zeitraum von 1953 (richtig 1955) bis 1960 und von 1963 bis 1966 kniebelastende Tätigkeiten abverlangt, insofern sei es nicht leicht, zu entscheiden, ob eine BK vorliege. Er ist dann zum Ergebnis gekommen, eine Entstehung durch die Tätigkeit im Bergbau sei "im Vergleich mit den Vorberichten und dem heutigen Ergebnis" wahrscheinlicher. Es spreche eher mehr dafür als dagegen, dass die Voraussetzungen einer BK der Nr. 2102 vorlägen. Die MdE betrage 20 vH.

Während sich der Kläger in seiner Auffassung durch das Gutachten von Dr.S. bestätigt gesehen hat, hat die Beklagte im Schreiben vom 23.04.2003 auf die ihrer Meinung nach gravierenden Mängel in dessen Gutachten hingewiesen. Der Sachverständige habe eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" zwischen der beruflichen Tätigkeit und den viele Jahre später verifizierten Knieschäden nicht begründen können. Seine Formulierung, es spreche eher mehr dafür als dagegen, reiche nicht aus, um einen zumindest wahrscheinlichen Kausalzusammenhang zu belegen. Durch die Histologie habe eine berufliche Verursachung nicht bewiesen werden können. Wenn Dr.S. gleichwohl einen Zusammenhang für wahrscheinlich halte, so sei seine Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 26.10.2001 sowie des Bescheids vom 06.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2000 zu verurteilen, ihren Bescheid vom 14.08.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.03.1992 zurückzunehmen und ihn wegen einer Berufskrankheit nach der Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKVO zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.10.2001 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der im Text erwähnten beigezogenen Akten des SG München und des BayLSG sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz des jetzigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Neufeststellung nach § 44 SGB X und Anerkennung seiner Kniegelenksbeschwerden als BK nach der Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKVO hat. Denn die Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend und ausführlich dargestellt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von weiteren Ausführungen ab.

Entgegen der Meinung des Klägers konnte das Gutachten des vom Kläger nach § 109 SGG benannten Sachverständigen Dr.S. zu keinem anderen Ergebnis führen. Von Bedeutung sind insoweit vor allem seine Ausführungen, die - zwischenzeitlich vorgenommene - Histologie sei nicht geeignet, Verschleißschäden durch kniebelastende berufliche Tätigkeit von anlagebedingten zu unterscheiden. Dies stellte der ebenfalls vom Kläger nach § 109 SGG benannte Dr.B. bereits in aller Klarheit heraus. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Senat nur deshalb dem Antrag, ein zweites Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, entsprochen hat, weil in der Zwischenzeit eine histologische Untersuchung nach erneuter Arthroskopie durchgeführt worden war und nicht auszuschließen war, dass dabei neue Erkenntnisse gewonnen würden. Im Übrigen hält der Senat die Einwände der Beklagten im Schreiben vom 23.04.2003 für zutreffend. Dr.S. konnte keine Erkenntnisse liefern, die noch nicht bekannt und von dem Vorgutachter Dr.L. im früheren sozialgerichtlichen Verfahren noch nicht berücksichtigt worden waren. Entscheidend ist insoweit, dass die kniebelastende Tätigkeit im Bergbau nur bis zum Jahr 1966 reichte und medizinisch dokumentierte Beweise eines Meniskusschadens erst ab dem Jahr 1989 vorliegen. Ein Kniebefund zeitnah zur kniebelastenden Beschäftigung fehlt hingegen. Somit ist weder beweisbar, dass der Knieschaden - wie Dr.S. auf Seite 8 seines Gutachtens spekuliert - vor der Bergmannstätigkeit bestanden hatte, noch dass er sich in unmittelbarem oder zumindest nicht allzu langem zeitlichen Abstand nach dem Ende der als schädlich anzusehenden Tätigkeit eingestellt hatte. Da Brückensymptome zwischen 1966 und 1989 fehlen, ist auch die Möglichkeit miteinzubeziehen, dass sich die Meniskuserkrankung schicksalhaft ohne Bezug zur Bergmannstätigkeit allmählich entwickelte und erst ab 1989 einen behandlungsbedürftigen Zustand erreichte. Diese drei Ursachen sind gleich gut möglich, keine davon ist auszuschließen. Dr.S. führt auf Seite 9 seines Gutachtens aus, nach dem Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft sei davon auszugehen, dass berufsbedingte chronische Meniskopathien früher auftreten würden als in der beruflich nicht belasteten Bevölkerung. Daraus folgt zum einen, dass Meniskopathien auch ohne Berufsbelastung entstehen können, und zum anderen, dass sie bei beruflicher Kniebeanspruchung früher als in der Allgemeinbevölkerung üblich auftreten. Wie mehrfach erwähnt liegen gesicherte Befunde einer Meniskuserkrankung erst ab 1989 vor, zu einem Zeitpunkt als der Kläger bereits das 58. Lebensjahr vollendet und 23 Jahre lang nicht mehr kniebelastend gearbeitet hatte. Trotz dieser von ihm akzeptierten medizinischen Erkenntnisse erklärt Dr.S. nicht, aus welchen Gründen mehr für als gegen eine berufliche Verursachung sprechen solle. Insoweit sieht der Senat den Beweis, die früheren, eine BK ablehnenden Bescheide vom 14.08.1991 und 10.03.1992 würden der Sach- und Rechtslage nicht entsprechen, als nicht erbracht an. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der bergmännischen Tätigkeit des Klägers und seiner Kniegelenkserkrankung hält er nicht für belegt. Er kommt daher zum Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Neufeststellung mit der Folge der Anerkennung und Entschädigung seiner Kniegelenkserkrankung als BK hat. Seine Berufung gegen das Urteil des SG München vom 26.10.2001 war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG besteht kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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