L 3 AR 57/05 KR

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KR 211/04
Datum
-
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AR 57/05 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
I. Die Verfahren betreffend die Ablehnungsgesuche L 3 AR 57/05 KR und L 3 AR 130/05 KR werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Ablehnung der Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, Richterin am Sozialgericht Chemnitz E ..., ist unbegründet.

Gründe:

I.

Die Klägerin und Antragstellerin (Ast.) führt vor der 11. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, deren Vorsitzende Richterin am SG E ... ist, Klageverfahren, in welchen sie gegenüber der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Sachsen – Die Gesund-heitskasse – die Gewährung einer Maßnahme zur künstlichen Befruchtung geltend macht.

Den Antrag auf Bewilligung einer solchen Maßnahme lehnte die Beklagte erstmalig mit Bescheid vom 11.12.2003 bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 07.05.2004, noch-mals mit Bescheid vom 06.04.2004 bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom (?) Ju-ni 2004 sowie erneut mit Bescheiden vom 20.10.2004 und vom 22.12.2004 bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 06.04.2005 ab. Hiergegen hat die Klägerin am 04. Juni 2004 (Az.: S 11 KR 211/04), am 29.07.2004 (Az.: S 11 KR 546/04) und am 25.04.2005 (Az.: S 11 KR 249/05) jeweils Klage erhoben. Zur Klärung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse und Prüfung der Anspruchsvor-aussetzungen hat die Vorsitzende der zuständigen 11. Kammer des Sozialgerichts die Ein-holung umfangreicher ärztlicher Befundunterlagen veranlasst. Von der Ast. wurden im Laufe des Verfahrens ebenfalls umfangreiche Unterlagen sowohl über vorausgegangene als auch während des Klageverfahrens erfolgte weitere Antragstellungen vorgelegt und in diesem Zusammenhang u.a. eine nicht sachbezogene und auf wahrheitswidrigen Feststel-lungen beruhende Bearbeitungsweise sowie Verstöße gegen den Datenschutz durch die Beklagte gerügt.

Mit Beschluss vom 01.03.2005 hat das Sozialgericht die beiden bis dahin anhängig gewor-denen Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung (unter Fortfüh-rung unter dem Az: S 11 KR 211/04) verbunden.

Am 21.04.2005 sowie 02.05.2005 hat die Ast. Akteneinsicht in die Prozessakten des Ge-richts sowie in die "vollständigen" Verwaltungsakten der Beklagten beantragt. In der hierzu vom Gericht unter Hinweis auf § 128 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an-geforderten Stellungnahme vom 13.05.2005 beantragte die Beklagte, über die Aktenein-sicht eine richterliche Entscheidung nach § 120 Abs. 3 SGG zu treffen und der Klägerin Bl. 24 und Bl. 64 der Beklagtenakte nicht zur Verfügung zu stellen. Bei der im Verwal-tungsverfahren erfolgten Akteneinsicht seien die genannten Blätter der Ast. nicht zur Ver-fügung gestellt worden, da sie "persönliche Notizen der jeweiligen Sachbearbeiter" bzw. "die persönliche Auffassung einer die Klägerin behandelnden Ärztin" wiedergäben. Beide Blätter hätten jedoch "in keiner Weise Einfluss auf den vorliegenden Rechtsstreit".

Bei der daraufhin am 23.05.2005 bei Gericht erfolgten Akteneinsicht durch die Ast. ent-hielten die ihr zur Verfügung gestellten Unterlagen Bl. 24 und Bl. 64 der Beklagtenakte nicht.

Mit Schreiben vom gleichen Tage hat die Ast. daraufhin die für das Verfahren zuständige Vorsitzende der 11. Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auf Grund der von der Richterin bezüglich der Akteneinsichtgewährung verfügten Einholung einer Stel-lungnahme der Beklagten sei bei ihr (der Ast.) der Eindruck erweckt worden, dass die Be-klagte sich bei Gericht eindeutig Vorteile verschaffe. Sie (die Ast.) verlange "auf Grund des Inhalts der Seite 502", ihr den Haftpflicht-Versicherer des Sozialgerichts zu benennen" und ihr "bis 02.06.05. eine Kopie der Seite 24 und 64" zur Verfügung zu stellen. Lägen solche Kopien ihr bis zu dem genannten Datum nicht vor, werde sie "weitere rechtliche Schritte" einleiten und außerdem einen Strafantrag stellen.

In der zu dem Befangenheitsgesuch abgegebenen dienstlichen Stellungnahme (vom An-fang Juni 2005) hat die abgelehnte Richterin sich für nicht befangen erklärt. Die Beschrän-kung der Akteneinsicht sei entsprechend dem Antrag der Beklagten zunächst durch ihre (geschäftsplanmäßige) Vertreterin als Kammervorsitzende und dann unmittelbar vor der Akteneinsicht von ihr selbst beschränkt worden. Die fraglichen Seiten der Beklagtenakte seien zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs und für die Entscheidung nicht relevant. Nach Zuleitung eines Abdruckes dieser dienstlichen Äußerung mit einem Hinweisschrei-ben des Senats vom 10.06.2005 hat die Ast. mit Schreiben vom 12.06.2005 das Ableh-nungsgesuch ausdrücklich aufrechterhalten und zur Begründung im Wesentlichen vorge-tragen. Die von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Blätter der Verwaltungsakte seien für den Rechtsstreit "sehr wohl relevant", da hier "seitens der ehemaligen Ärztin eine un-wahre Tatsache" hinsichtlich des Grundes der zu Lasten der Beklagten "im Zeitraum Ok-tober 03 – März 04" verordneten Medikamente behauptet werde. Die Beklagte habe diese unwahre Tatsache in Schriftsätzen vom 07.12.04 angeführt und sich "im Verfahren S 11 KR 211/04 und S 11 KR 546/04 (sowie auch in S 11 KR 249/05) darauf gestützt. Dadurch, dass die zuständige Richterin ausweislich ihrer Stellungnahme (Bl. 2 LSG-Akte) die "strei-tigen Seiten für die Entscheidung nicht als relevant" ansehe, werde ihr Ablehnungsgesuch bekräftigt. Im Übrigen könne es nicht den Tatsachen entsprechen, dass die Beklagte einen Antrag auf Akteneinsichtbeschränkung gestellt habe. Aus den in der Klageakte enthaltenen Unterlagen über den schriftlichen und telefonischen Verkehr mit der Beklagten sei ersichtlich, dass "die Richterin mit der Beklagten einen Kontakt pfleg(e) um Ihr Vorteile zu verschaffen". Nach diesen nachweislichen Tatsachen stehe "die Richterin im telefonischen Kontakt ... mit der Beklagten" und lasse "sich Anweisungen erteilen ... um Vorteile für die Beklagte zu verschaffen". In der vom Senat angeforderten ergänzenden dienstlichen Äußerung hat die Vorsitzende der 11. Kammer des SG Chemnitz ausgeführt, dass sie keinen Kontakt mit der Beklagten pflege, um dieser Vorteile zu verschaffen und auch mit dieser nicht im telefonischem Kon-takt stehe und sich von dieser Anweisungen erteilen lasse, um ihr (der Beklagten) Vorteile zu verschaffen. Die (in der Klageakte schriftlich enthaltene) "Verfügung von 06.05.2005 einschließlich der Rücksprache mit der Beklagten" sei während ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit durch die (geschäftsplanmäßige) Vertreterin erfolgt. In der Stellungnahme hierzu vom 10.07.2005 hat die Ast. demgegenüber geltend gemacht, dass die Beschränkung der Akteneinsicht unmittelbar vor der Einsichtnahme schließlich von der abgelehnten Richterin als Vorsitzende der Kammer verfügt worden sei. Das bedeu-te, dass diese Richterin – ebenso wie zuvor ihre Vertreterin – "genau linientreu den Wei-sungen der Beklagten" gefolgt sei. Darüber hinaus sei in diesem Zusammenhang "die Hil-feschreie des Gerichts" deutlich geworden, die die "Richterin E ... und die Richterin M ..." an die Rechtsanwältin E. B. abgesandt hätten.

Mit Schreiben vom 10.08.2005 hat die Ast. ihr Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der 11. Kammer des SG Chemnitz auf das weitere Verfahren S 11 KR 249/05 erstreckt.

II.

Die Ablehnungsgesuche der Ast. sind zulässig, jedoch nicht begründet.

Der 3. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts ist gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialge-richtsgesetz (SGG) i.V.m. dem richterlichen Geschäftsverteilungsplan A ? Rechtsprechung – (2005) des Sächsischen Landessozialgerichts zur Entscheidung über Ablehnungsgesuche gegen Richter der Sozialgerichte zuständig. Er entscheidet darüber durch Beschluss ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§§ 33, 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Wür-digung der Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstel-lung des für die Bearbeitung und Entscheidung des Verfahrens zuständigen Richters zu zweifeln. Das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters muss jedoch aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich und nachvoll-ziehbar sein.

Hiervon ausgehend besteht für die Ast. unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhal-tes sowie ihres eigenen Vorbringens zur Stützung ihrer Gesuche kein objektiv nachvoll-ziehbarer Grund an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der für die Bearbeitung ihrer Klageverfahren zuständigen Vorsitzenden der 11. Kammer des SG Chemnitz, Richterin am SG E ..., zu zweifeln. Die gesetzlichen Regelungen besagen vielmehr, dass für die Anerkennung einer Besorgnis der Befangenheit vorausgesetzt wird, dass vom Standpunkt einer ruhig und besonnen den-kenden Verfahrensbeteiligten – also aus objektivierter Sicht – ein nachvollziehbarer Grund für das gegen den zuständigen Richter/die zuständige Richterin gehegte Misstrauen vorlie-gen muss. Für die Begründetheit eines solchen Gesuches reicht demgemäß ebenso wenig allein der subjektive Eindruck bzw. die subjektive Wertung der Sachlage durch den ableh-nenden Verfahrensbeteiligten aus, wie diese andererseits auch nicht davon abhängt, ob sich der abgelehnte Richter/die abgelehnte Richterin selbst für befangen hält oder gar tatsäch-lich befangen ist.

Nach übereinstimmender Rechtsprechung in sämtlichen Fachgerichtsbarkeiten folgt dar-aus, dass bei der Prüfung von Ablehnungsgesuchen zu beachten ist, dass allein unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Richter/der Richterin einerseits und dem betreffenden Verfahrensbeteiligten in materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Fragen ohne besondere Anhaltspunkte keinen Anlass zu einer begründeten Besorgnis der Befangenheit darstellen. Ein an der maßgeblichen Prozessordnung orientiertes Handeln des zuständigen Richters bei der Bearbeitung des Verfahrens bietet daher selbst dann keinen anzuerkennenden Ablehnungsgrund, wenn dem Richter/der Richterin einzelne prozessual fehlerhafte Entscheidungen, oder verfahrensrechtlich nicht zweckmäßige oder sachgerech-te Maßnahmen entgegengehalten werden können, so lange daraus keine konkrete Anhalts-punkte für eine gegenüber den Verfahrensbeteiligten unsachliche Einstellung oder fehlende Unparteilichkeit abzuleiten sind (vgl. dazu etwa BFH, Beschluss vom 05.02.1993 – I. B 116/92, juris-Rechtsprechung StRE 935039860; Beschluss des LSG Niedersachsen vom 26.06.2001 – L 3 B 133/01 KA, juris-Rechtspr. Nr. KSRE 04481 1527; Ständ. Rechtspr. des Senats, zuletzt Beschluss vom 09.01.2004 – L 3 AL 77/03 RA m.w.N.).

Die Ast. stützt ihr Ablehnungsgesuch gegen Richterin am SG E ... allein auf eine ihrer Ansicht unrechtmäßige Beschränkung der Einsichtnahme in die Akten der Beklagten bzw. die Verweigerung der zur Verfügungstellung einzelner von ihr benannter Aktenteile. So-weit sich die Ast. hierbei auf ein Recht aus "ZPO § 299 Abs. 1" beruft, übersieht sie, dass die sozialgerichtliche Verfahrensordnung hierzu eine eigenständige Regelung beinhaltet. In § 120 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nämlich ausdrücklich das Recht der am Ver-fahren beteiligten Behörde, die Einsicht in ihre Akten ganz oder teilweise auszuschließen, ausdrücklich vorgesehen. In einem solchen Fall kann gegen die darüber vom Vorsitzenden der zuständigen Kammer zu treffende Entscheidung nach § 120 Abs. 3 Satz 2 SGG das Gericht angerufen werden, welches endgültig darüber entscheidet. An dieser gesetzlichen Grundlage hat sich die von der abgelehnten Richterin entsprechend dem Ansuchen der Beklagten getroffene Entscheidung über die Beschränkung der Akten-einsicht gegenüber der Ast. orientiert. Der Senat hat im Rahmen des Ablehnungsgesuches nicht zu prüfen, ob diese Entscheidung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Um-stände verfahrensrechtlich fehlerfrei und zweckmäßig war. Für die Prüfung des Ableh-nungsgesuches der Ast. ist vielmehr allein maßgeblich, dass weder von dieser bei besonne-ner und ruhiger Betrachtungsweise nachvollziehbare Hinweise darauf, dass das Verfahren der Richterin auf mangelnder Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit beruhen könn-te, nicht gegeben worden sind, noch sich solche aus den Verfahrensakten entnehmen las-sen. Gegen eine die Ast. benachteiligende Haltung spricht vielmehr mit Deutlichkeit der von der Richterin gegenüber der Beklagten erteilte Hinweis darauf, dass der Inhalt der von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Aktenteile bei einer Entscheidung des Rechtsstreites als Konsequenz nicht zu Lasten der Ast. verwertet werden könne (§ 128 Abs. 2 SGG). Die von der Ast. behauptete Kontaktpflege der Richterin mit der Beklagten beruht auf Unter-stellungen, für die der Akteninhalt auch nicht geringste Anhaltspunkte bietet. Nach den gesamten Unterlagen besteht keinerlei Anhalt dafür, dass die zuständige Richte-rin im weiteren Verfahren sich an dieses gesetzliche Gebot nicht halten würde. Sollte ein solcher Fall dennoch eintreten, könnte die Ast. dies im Rechtsmittelverfahren als Verfah-rensmangel rügen.

Den Ablehnungsgesuchen der Ast. war somit nach Würdigung der gesamten Verhältnisse nicht stattzugeben.

Diese Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 193 SGG). Sie ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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