B 9 V 11/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
9
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 V 11/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 1999 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungs- und im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin Witwenbeihilfe gemäß § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren hat.

Der 1924 geborene und am 8. Dezember 1990 verstorbene Ehemann der Klägerin (B.) wurde als Soldat im Zweiten Weltkrieg verletzt. Durch die Schädigungsfolgen war seine Erwerbsfähigkeit - seit 1968 unverändert - um 60 vH gemindert (MdE). Schädigungsunabhängig litt er unter einer arteriellen Verschlußkrankheit und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule. Die Auswirkungen der aus diesen Krankheiten folgenden Funktionsstörungen schätzte der Beklagte mit (Einzel-)Graden der Behinderung (GdB) von 50 und 20 ein. Unter Einschluß der MdE um 60 vH stellte er bei B. einen (Gesamt-)GdB von 100 fest. Ende 1984 schied B. aus dem Erwerbsleben aus und bezog ab 1. Januar 1985 flexibles Altersruhegeld nach § 1248 Abs 1 Reichsversicherungsordnung.

Nach dem Tod des B. beantragte die Klägerin Witwenversorgung. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, die Versorgung der Klägerin sei nicht schädigungsbedingt gemindert (Bescheid vom 22. März 1991; Widerspruchsbescheid vom 27. November 1991). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen den Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 1991 Witwenbeihilfe zu gewähren. Die Versorgung der Klägerin gelte als gemindert, weil B. für die ersten fünf Jahre des Bezuges von Altersruhegeld bis Ende 1989 offensichtlich Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSchA) gehabt habe.

Der Beklagte macht mit der Revision geltend, das LSG habe § 48 Abs 1 Satz 6 BVG verletzt. Ein Anspruch auf BSchA habe nicht offensichtlich bestanden. Denn der Einkommensverlust durch vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben sei bei B. nicht schädigungsbedingt gewesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 1999 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 1995 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenbeihilfe, weil ihre Versorgung nach dem verstorbenen Beschädigten - unstreitig - nicht gemindert ist und auch nicht nach § 48 Abs 1 Satz 6 BVG als gemindert gilt.

Das LSG hat zu Unrecht angenommen, die Forderung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG nach einer durch schädigungsbedingte Erwerbsbeeinträchtigung des Ehemannes geminderten Hinterbliebenenversorgung gelte hier als erfüllt, weil B. wenigstens fünf Jahre lang Anspruch auf BSchA gehabt habe (§ 48 Abs 1 Satz 6 BVG). Ein solcher Anspruch auf einen BSchA ist ohne eine Gewährung dieser Leistung zwar auch dann als gegeben anzusehen, wenn beim Beschädigten die gesetzlichen Voraussetzungen für einen BSchA nach dem Inhalt der über ihn geführten Versorgungsakten auf den ersten Blick für jeden Kundigen klar erkennbar während wenigstens fünf Jahren bestanden haben und wenn sich dies der Verwaltung aufdrängen mußte (BSGE 71, 68, 69 = SozR 3-3100 § 48 Nr 4 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt.

Nach § 30 Abs 3 und 4 Satz 1 BVG hat ein rentenberechtigter Beschädigter, dessen Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, einen Anspruch auf BSchA. Die danach erforderliche Einkommensdifferenz hat das LSG festgestellt, indem es - bezogen auf die Jahreswende 1984/1985 - den Betrag des Altersruhegeldes (1.664,00 DM) als "derzeitiges Bruttoeinkommen" mit dem Durchschnittseinkommen eines Fachhilfsarbeiters im Druckereigewerbe (3.046,00 DM) verglichen hat. Dieser ohne weiteres erkennbare Einkommensverlust soll nach Auffassung des LSG auch schädigungsbedingt sein, weil B. als Schwerbeschädigter unter Inanspruchnahme flexiblen Altersruhegeldes vorzeitig mit 60 Jahren aus dem Berufsleben ausgeschieden sei. Das trifft nicht zu.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind die Schädigungsfolgen zwar schon dann für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und einen dadurch eingetretenen Einkommensverlust ursächlich, wenn der Beschädigte sich auf eine wesentlich durch Schädigungsfolgen bedingte Schwerbehinderung berufen muß, um mit seinem Ausscheiden eine Altersversorgung zu erlangen (BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10 unter Bestätigung der seit SozR 3100 § 30 Nr 78 entwickelten Judikatur). Der Senat hat aber außerdem bereits entschieden, daß der Beweis eines schädigungsbedingten Endes beruflicher Tätigkeit nicht erbracht ist, wenn der Beschädigte außer unter Berufung auf die Schädigungsfolgen auch aus einem anderen Grund seine Erwerbstätigkeit sozial gesichert beenden konnte. Das ist dann der Fall, wenn der nicht schädigungsbedingte Anteil am (Gesamt-)GdB allein zur Schwerbehinderung führt (BSG SozR 3-3642 § 8 Nr 5; BSGE 74, 195, 198 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10) oder wenn der Beschädigte nicht nur wegen der schädigungsbedingten Schwerbehinderung, sondern auch wegen einjähriger Arbeitslosigkeit unter Inanspruchnahme flexiblen Altersruhegeldes ausscheiden konnte (BSG SozR 3-3100 § 30 Nr 9; BSGE 74, 175, 198 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10; BSGE 81, 150, 155 = SozR 3-3100 § 30 Nr 18). Da B. auch schon wegen der mit einem (Einzel-)GdB von 50 eingeschätzten schädigungsfremden Gefäßerkrankung schwerbehindert war, läßt sich hier nicht allein durch die mit einer MdE um 60 vH bewerteten Schädigungsfolgen nachweisen, daß er sein Berufsleben schädigungsbedingt vorzeitig beendet hat und sein Einkommen von da an durch die Schädigungsfolgen gemindert gewesen ist.

Das LSG hat entgegen dieser Rechtsprechung des BSG angenommen, der festgestellte Einkommensverlust des B. sei auf Schädigungsfolgen zurückzuführen gewesen. Dazu genüge die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs; und möglicherweise wegen der Schädigungsfolgen scheide ein schwerkriegsbeschädigter Rentenberechtigter auch dann vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus, wenn er sich - wie B. - zugleich auf eine Schwerbehinderung allein wegen schädigungsfremder Leiden berufen könne. Das LSG begründet seine abweichende Auffassung mit einem andernfalls bestehenden Wertungswiderspruch. Für die Prüfung der Voraussetzungen nach § 48 Abs 1 Satz 6 BVG, die vorbehaltlos auf die Regelung über den BSchA verwiesen, könnten keine anderen Grundsätze gelten, als für die Prüfung der Voraussetzungen auf BSchA nach § 30 Abs 3 und Satz 1 BVG.

Der vom LSG erkannte Wertungswiderspruch besteht nicht. Ein Anspruch auf BSchA, wie er nach § 48 Abs 1 Satz 6 BVG offenkundig sein muß, ist stets nach denselben Beweismaßstäben zu prüfen. Welche Maßstäbe das sind und weshalb auf eine Beweiserhebung über den Grund für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben verzichtet werden muß, wenn der Beschädigte nur wegen der schädigungsbedingten Schwerbehinderung flexibles Altersruhegeld beanspruchen kann, hat der Senat ausführlich in der bereits genannten Entscheidung dargelegt (vgl BSGE 74, 195 = SozR 3-3100 § 30 Nr 10 und zur Unanwendbarkeit dieser Grundsätze bei Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit BSGE 77, 147, 150 = SozR 3-3100 § 30 Nr 15). Auf diese Entscheidung wird verwiesen, und an ihr hält der Senat auch unter Berücksichtigung des weiteren vom LSG für seine abweichende Auffassung ins Feld geführten Gesichtspunktes fest, daß nach der neueren Rechtsprechung des Senats zum Schwerbehindertenrecht nicht mehrere "Behinderungen" festzustellen seien, sondern ein Gesamtzustand der Behinderung mit dem daraus folgenden GdB (BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Anders als das LSG befürchtet führt diese Rechtsprechung im Regelfall nicht zu Schwierigkeiten bei der hier notwendigen Unterscheidung zwischen Schädigungsfolgen einerseits und schädigungsfremden Leiden mit einem allein darauf beruhenden GdB andererseits. Welche Schädigungsfolgen bestehen und in welchem Grade sie die Erwerbsfähigkeit des Beschädigten mindern, regelt der Bescheid der Versorgungsverwaltung nach dem BVG. Welche weiteren Gesundheitsstörungen, welche damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen und mit welchen Einzelgraden der Behinderung bei dem Beschädigten darüber hinaus vorliegen, ergibt sich aus dem Feststellungsbescheid nach § 4 Abs 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG), zwar nicht aus seinem Verfügungssatz aber aus seiner Begründung. Denn ungeachtet des Auftrages, nur eine (Gesamt-)Behinderung und deren Grad festzustellen (vgl BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24), hat die Versorgungsverwaltung den Bescheid nach § 4 Abs 1 SchwbG zu begründen und dazu für mehrere zugleich bestehende Funktionsbeeinträchtigungen jeweils einen Einzel-GdB "anzugeben" (vgl Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG 1996, Nr 19 Abs 1, S 36). Erst dadurch wird die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar und damit überprüfbar (BSGE 81, 50, 53 f = SozR 3-3870 § 3 Nr 7).

B. hatte auch nicht etwa deshalb offensichtlich ab 1. Januar 1985 Anspruch auf BSchA, weil er zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt und unabhängig vom Bezug flexiblen Altersruhegeldes aus dem Berufsleben ausgeschieden wäre, und zwar wegen Art und Entwicklung der Schädigungsfolgen, die eine weitere Berufstätigkeit nicht mehr zugelassen hätten. Für eine solche Annahme fehlt es nach den Feststellungen des LSG im angefochtenen Berufungsurteil und nach dem Vortrag der Klägerin an jedem Anhaltspunkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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