S 26 KA 15/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
26
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KA 15/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 60.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Auflage zur Verlegung des Wohnsitzes in den Bereich des Praxissitzes.

Der im Jahre 0000 geborene Kläger ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut. Er erhielt durch Beschluss des Zulassungsausschusses vom 00.00.2001 im Wege der Praxisnachfolge die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für den Praxissitz E, I 00 verbunden mit der Auflage, seinen Wohnsitz in C, S 00 binnen sechs Monaten in den Bereich des Praxissitzes zu verlegen. Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Auflage. Sie sei in der Verhandlung des Ausschusses so nicht ausgesprochen worden. Die Praxis sei nach P, X 00 verlegt worden. Sein Wohnsitz befinde sich nunmehr in T, I1weg 00 und damit im Bereich des Praxissitzes. Im übrigen seien Psychotherapeuten nicht in den Notfalldienst einbezogen. In Notfällen bestehe eine ausschließliche Zuständigkeit der Psychiatrischen Krankenhäuser. Inanspruchnahmen außerhalb der Sprechzeiten seien anders als bei niedergelassenen Ärzten undenkbar. Die Anwesenheit des Psychotherapeuten an dem Vertragsarztsitz sei deshalb zur ordnungsgemäßen Versorgung der Versicherten nicht erforderlich.

Mit Beschluss vom 21.01.2002 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der schriftlich niedergelegte Beschluss des Zulassungsausschusses enthalte die streitige Auflage. In der Sache diene die Auflage der Sicherstellung der Residenzpflicht des Psychotherapeuten und sei deshalb nicht zu beanstanden. Die Residenzpflicht werde erfüllt, wenn der Therapeutensitz vom Wohnsitz aus innerhalb von 25 bis 30 Minuten erreicht werden könne. Die Entfernung zur Wohnung in T betrage 70 Km, wobei der CityNavigator eine Fahrtdauer von 54 Minuten angebe, was den tatsächlichen Verhältnissen entspreche.

Gegen den am 26.02.2002 zugestellten Beschluss des Beklagten richtet sich die am 04.03.2002 erhobene Klage. Zur Begründung stellt der Kläger darauf ab, dass er nicht berechtigt sei, in Notfällen Überweisungen in psychiatrische Kliniken auszustellen. Sein persönliches Erscheinen am Praxissitz außerhalb der Sprechzeiten werde nicht erforderlich. Die Wegstrecke sei innerhalb von 45 Minuten zu bewältigen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers als Klinikärztin in C gebunden sei.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Beklagten vom 21.01.2002 insoweit aufzuheben, als er eine Auflage zur Wohnsitzverlegung beinhaltet.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 3), 6) bis 8) beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Beschluss weiterhin für rechtmäßig.

In der mündlichen Verhandlung am 07.03.03 hat der Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass der Kläger nach Auskünften der zuständigen Einwohnermeldeämter weiterhin in C, S 00 seinen 1. Wohnsitz habe und dort auch einen Telefonanschluss betreibe. Für die Adresse T, I1weg 00 existiere eine Anmeldung als Nebenwohnsitz, aber nach Auskunft der Deutschen Telekom kein Telefonanschluss. Der Bevollmächtigte des Klägers hat daraufhin zu Protokoll erklärt, der Kläger habe weiterhin seien Familienwohnsitz in C. Darüber hinaus unterhalte er eine Wohnung in T, in der er sich wochentags aufhalte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat zu Recht die Auflage im Zulassungsbescheid zur Wohnsitzverlegung in den Bereich des Praxissitzes in P bestätigt. Der Kläger ist verpflichtet, seinen Wohnsitz in den Bereich des Praxissitzes zu verlegen, weil weder ein Wohnsitz in C noch ein solcher in T seiner Residenzpflicht genügt. Anderenfalls kann der Zulassungsausschuss die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung widerrufen (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X).

Nach § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Mit der Auflage (Legaldefinition: § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X) zur Wohnsitzverlegung wird der Kläger in zulässiger Weise verpflichtet, für die Versorgung der Versicherten an seinem Praxissitz in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung zu stehen.

Die Zulassung von Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt für den Ort der Niederlassung (§ 95 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, § 24 Abs. 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte - ÄrzteZV - i.V.m. § 1 Abs. 3 Ärzte-ZV). Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Zulassung gehört neben der persönlichen Eignung nach den §§ 20 f. Ärzte-ZV auch die Wahl einer Wohnung, von der aus der künftige Vertragsarzt für die Versorgung der Versicherten an seinem Vertragsarztsitz zur Verfügung steht (§ 24 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Dies gilt nach § 1 Abs. 3 Ärzte-ZV auch für Psychotherapeuten, was konsequente Folge der Einbeziehung von Psychotherapeuten in die vertragsärztliche Versorgung ist.

Entgegen der Auffassung von Schallen, Ärzte-ZV, Kommentar, 3. Aufl. 2000, § 24 Rn. 435 und des SG Gelsenkirchen, Urteil vom 01.02.2001, Az.: S 16 KA 4/00 handelt es sich bei der Residenzpflicht um eine Zulassungsvoraussetzung, deren Erfüllung die Zulassungsgremien gem. § 32 Abs. 1 SGB X zum Gegenstand einer Auflage machen können (offengelassen in LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2002, Az.: L 5 KA 4356/01). Die Residenzpflicht ist nicht lediglich eine allgemeine vertragsärztliche (Neben-)Pflicht, deren Einhaltung allein die Beigeladene zu 8) im Rahmen ihrer Disziplinargewalt (§ 81 Abs. 5 SGB V) zu überwachen hätte. Die Normierung der Residenzpflicht in Abschnitt VI der Ärzte-ZV (Zulassung und Kassenarztsitz, §§ 19 ff.) und ihr Sachzusammenhang mit der Zulassung für den Ort der Niederlassung weisen auf den statusbegründenden Charakter der Residenzpflicht.

Die Residenzpflicht beinhaltet die Wahl einer Wohnung, von der aus der Arzt oder Psychotherapeut in der Lage ist, auch außerhalb der Sprechstundenzeiten in angemessener Zeit an dem Vertragsarztsitz für seine Patienten zur Verfügung zu stehen. Der Beklagte setzt bei Psychotherapeuten eine Fahrzeit von maximal einer halben Stunde an. Dies hält die Kammer für sachgerecht. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass der Kläger meint, für seine Patienten in akuten Krisensituationen nicht erreichbar seien zu müssen und diese auf eine etwaige Einweisung in psychiatrische Krankenhäuser verweisen will. Vielmehr erscheint es gerade bei Patienten mit seelischen Krankheiten als geboten, dass der vertraute Therapeut mit Kenntnis der Krankengeschichte in einer akuten Krisensituation erreichbar ist und in angemessener Zeit für ein persönliches Gespräch und ggfs. Anregung weitergehender Maßnahmen wie einer freiwilligen stationären Behandlung zur Verfügung steht. Im Übrigen soll die Residenzpflicht sicherstellen, dass der Vertragsarzt und der Psychotherapeut nicht auf Grund einer möglicherweise weiten Entfernung von seiner Wohnung nur ein- bis zwei mal pro Woche Sprechstunde hält, sondern möglichst jeden Tag in ausreichendem Umfang (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.11.2002, Az.: L 5 KA 4356/01). Dies ist bei den Entfernungen zum Praxissitz in P von den Wohnsitzen in T (ca. 70 Km) und C (ca. 95 Km) nicht gewährleistet.

Ein Umzug an den Ort seiner Niederlassung als Psychologischer Psychotherapeut ist dem Kläger auch zuzumuten. Er hat die Zulassung im Sauerland beantragt und reagiert damit auf die infolge der Bedarfsplanung für Ärzte wie für Psychologen (§§ 99 ff. SGB V) geringeren Chancen einer Zulassung in Ballungsgebieten und insbesondere in einer Universitätsstadt wie C. Zu Beginn einer vertragsärztlichen bzw. vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit kann von dem Kläger wie von jedem anderen Berufsanfänger oder Arbeitsplatzwechsler die nach den Belangen der künftigen Tätigkeit erforderliche räumliche Flexibilität verlangt werden. Von daher kommt die Berücksichtigung familiärer Umstände wie der Berufstätigkeit der Ehefrau in C nicht in Betracht. Eine Interessenabwägung zwischen privaten Belangen des Klägers und der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Patienten am Praxissitz findet nicht statt.

Soweit der Kläger behauptet, er könne die Anreise von T zur Praxis in P schneller als von dem Beklagten angenommen, nämlich in 45 Minuten bewerkstelligen, bedarf es keiner näheren Betrachtung seiner Fahrweise. Auch dieser Wert liegt deutlich über einer halben Stunde. Zudem ist auf eine Durchschnittsfahrzeit unter Berücksichtigung der Verkehrsdichte und der Wetterverhältnisse abzustellen, so dass die Angaben des Tourenplaners als sachgerechte Entscheidungsgrundlage erscheinen (Fahrzeit nach www. reiseplanung.de: 50 Min.). Es ist offenkundig und bedarf keiner näheren Erläuterung, dass die Entfernung des Familienwohnsitzes in C zum Praxissitz in P der Residenzpflicht nicht gerecht wird (Fahrzeit nach www.reiseplanung.de: 1,15 Stunden).

Es kann somit dahinstehen, ob sich der Kläger tatsächlich wochentags wie nunmehr vorgetragen in einer Zweitwohnung in T aufhält. Allerdings ist festzuhalten, dass der Kläger mit der Angabe der Wohnsitzverlegung nach T unter Verschweigen des fortbestehenden Familienwohnsitzes in C gegenüber dem Beklagten und dem Gericht den unzutreffenden Eindruck erweckt hat, er sei nach T umgezogen. Dies ist nicht akzeptabel, zumal dem Kläger aus der Begründung der angefochtenen Entscheidungen bekannt ist, dass es um die Sicherstellung der Residenzpflicht auch während der Sprechstunden freien Zeiten einschließlich der Wochenenden geht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der nach Anhörung der Beteiligten erfolgten Festsetzung des Streitwertes gem. § 13 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) liegt ein geschätzter Jahresumsatz des Klägers aus der Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Patienten i.H.v. 60000,- Euro zu Grunde.
Rechtskraft
Aus
Saved