B 10 LW 13/99 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 LW 13/99 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Juli 1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 2. und 6. März 1998 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Juni 1998 aufgehoben. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Anspruchs auf Beitragszuschuß für einen Zeitraum, während dessen die Kläger den letzten Einkommensteuerbescheid nicht vorgelegt hatten.

Die Kläger waren als Landwirt bzw dessen Ehegattin bei der beklagten Alterskasse versichert (§ 1 Abs 2, Abs 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG)) und erhielten Beitragszuschuß (§ 32 ALG). Ihrer Pflicht zur zeitgerechten Vorlage des sich auf das jeweils zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden Einkommensteuerbescheides (§ 32 Abs 4, Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG) hatten sie für den Einkommensteuerbescheid 1994 und einen für dasselbe Veranlagungsjahr ergangenen Änderungsbescheid erfüllt; ebenso rechtzeitig (am 17. Februar 1998) legten die Kläger den Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 27. Januar 1998 vor. Hingegen erhielt die Beklagte erst zum selben Zeitpunkt den bereits unter dem 22. Januar 1997 ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1995; diesen Steuerbescheid hatte der Steuerberater der Kläger nicht an sie weitergegeben.

Mit den angefochtenen Bescheiden vom 2. und 6. März 1998 und Widerspruchsbescheiden vom 16. Juni 1998 ordnete die Beklagte das Ruhen der Ansprüche auf Beitragszuschuß jeweils für den Zeitraum von März 1997 bis einschließlich Februar 1998 an und forderte die für jenen Zeitraum geleisteten Zuschüsse (2 x DM 2.782,00) zurück.

Das Sozialgericht Augsburg (SG) hat mit Urteil vom 12. Juli 1999 die Klagen abgewiesen: Den Klägern sei das Verschulden des Steuerberaters zuzurechnen.

Hiergegen richtet sich die (Sprung-)Revision der Kläger. Sie tragen vor, die Regelung des § 32 Abs 4 Satz 1 ALG sei verfassungskonform auszulegen und die Rechtsfolge des Ruhens der Beitragszuschüsse auf die Fälle zu begrenzen, in denen Beitragszuschüsse gezahlt worden seien, die in dieser Höhe nach den einschlägigen Steuerbescheiden nicht zugestanden hätten. Der Fall der Kläger sei jedoch umgekehrt gelagert. Bei rechtzeitiger Vorlage des Einkommensteuerbescheides vom 22. Januar 1997 für den Veranlagungszeitraum 1995 hätten sich höhere Beitragszuschüsse ergeben. Damit hätten sich die Kläger durch die nicht rechtzeitige Vorlage des Einkommensteuerbescheides selbst geschadet.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des SG Augsburg vom 12. Juli 1999 und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 123 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Kläger erweist sich auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (1) als begründet. Zwar liegen, wie vom SG zutreffend erkannt, die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für das Ruhen des Beitragszuschusses für die Zeit von März 1997 bis Februar 1998 vor (2); die angefochtenen Bescheide sind jedoch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt hat, ob die den Klägern gezahlten - und ihnen nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen zustehenden - Beitragszuschüsse in vollem Umfang oder nur teilweise ruhen und zurückzufordern sind (3).

(1)

Der Senat geht hierbei von folgenden Grundsätzen aus (vgl insoweit im einzelnen das Senatsurteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R, das den Beteiligten zur Kenntnis gegeben wurde):

Das mit dem ALG eingeführte Verfahren zur Berechnung des Beitragszuschusses (neue Anrechnungsmethode) stellt maßgeblich auf jene Einkünfte ab, die sich aus dem letzten (dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden) Einkommensteuerbescheid ergeben (wenn für eines der letzten vier Kalenderjahre eine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt ist): § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG. Damit ist die Alterskasse darauf angewiesen, jeweils die neuesten Einkommensteuerbescheide zu erhalten. Deshalb regelt § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 ALG, daß ihr der Einkommensteuerbescheid spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen ist (also bei Ausfertigung im November - wie hier - spätestens bis Ende Januar). Geschieht dies, so werden die sich hieraus ergebenden Änderungen vom ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats an berücksichtigt (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG; also bei Ausfertigung im Januar und rechtzeitiger Vorlage, je nach Vorlagemonat, ab 1. Februar, 1. März oder 1. April).

Wird der Einkommensteuerbescheid erst verspätet vorgelegt, so ergeben sich hieraus unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, ob sich nach den Feststellungen im Steuerbescheid ein niedrigerer (a) oder ein gleich hoher oder höherer (b) Beitragszuschuß errechnet als bisher gezahlt.

(a) Soweit sich die Festsetzungen in dem neuen, der Alterskasse verspätet vorgelegten Einkommensteuerbescheid negativ auf den Beitragszuschuß auswirken - also zu einem niedrigeren oder gar keinem Anspruch führen -, erfolgt ab dem Beginn des dritten Kalendermonats nach Ausfertigung des Einkommensteuerbescheides (vgl § 107a Satz 2 ALG, also bei Ausfertigung im Januar - wie hier - ab 1. April) eine Neufeststellung, und der Landwirt hat die entsprechende Überzahlung in jedem Fall zu erstatten. Dies folgt - auch ohne die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG - aus der Regelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG; nach der letztgenannten Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Beitragszuschuß maßgebenden Verhältnisse die bisherige Bewilligung vom Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben. Da diese Sonderregelung zu § 48 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) rückwirkende Neufeststellungen zu Lasten des Betroffenen erlaubt, ohne Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen (hierzu Senatsurteil vom 8. Oktober 1998, SozR 3-5868 § 32 Nr 2 S 14), kann der Betroffene jedenfalls keinen Vorteil daraus ziehen, daß der Alterskasse ein neuer, maßgeblicher Einkommensteuerbescheid erst verspätet bekannt wird. Der überzahlte Beitragszuschuß ist zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).

(b) Soweit nicht bereits nach den Grundsätzen zu (a) der gesamte Beitragszuschuß zurückzuzahlen ist, greift die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG ein: Hiernach ruht - wird der Einkommensteuerbescheid nicht rechtzeitig vorgelegt - der Beitragszuschuß vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid (gemeint: noch) fristgemäß hätte vorgelegt werden können (hier also ab 1. März) bis zum Ablauf des Monats der tatsächlichen Vorlage (bei Vorlage im Januar des Folgejahres also bis zum 31. Januar): Die Regelung setzt bereits vom Tatbestand her ein Verschulden voraus (s hierzu das Senatsurteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R unter II 1, S 8 des Umdrucks). Die Leistungsbewilligung ist insoweit aufzuheben. Dies geschieht naturgemäß stets rückwirkend, da der Alterskasse die Existenz eines neuen Einkommensteuerbescheides nicht bereits mit seinem Erlaß bekannt wird. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit (wegen des nachträglich festgestellten Ruhens) ist auch hier ohne weitere Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz möglich (§ 34 Abs 4 ALG); ein für den Ruhenszeitraum gezahlter Beitragszuschuß ist dann zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).

Der Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG kommt damit ein reiner Sanktionscharakter zu. Sie ist unter entsprechender Anwendung des § 67 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) verfassungskonform einschränkend auszulegen: Die Alterskasse hat ein Ermessen auszuüben, ob der im Ruhenszeitraum ausgezahlte und nach dem maßgeblichen Steuerbescheid auch zustehende Beitragszuschuß in voller Höhe ruht oder lediglich teilweise (Senatsurteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R unter II 3 und 4, S 13 ff des Umdrucks).

(2)

Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsmeinung kann das Ruhen gemäß § 34 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG nicht etwa deshalb von vornherein entfallen, weil - wie vorgetragen - den Klägern, hätten sie den Einkommensteuerbescheid für 1995 rechtzeitig vorgelegt, ein höherer Beitragszuschuß zugestanden hätte, als sie tatsächlich - weiterhin auf der Grundlage der steuerlichen Festsetzungen für das Veranlagungsjahr 1994 - erhalten haben (a). Ebensowenig wird das Ruhen dadurch beeinflußt, daß, wie vom SG festgestellt, die Kläger nicht etwa einen ihnen bekannten Einkommensteuerbescheid der Beklagten vorenthalten hätten, sondern die verspätete Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1995 vom 22. Januar 1997 darauf beruhte, daß der Steuerberater jenen Bescheid nicht an die Kläger weitergegeben hatte (b).

(a) Der Senat hat bereits im zitierten Urteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R - im einzelnen begründet, warum die in § 34 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG angeordnete Folge des Ruhens des Anspruchs auf Beitragszuschuß bei nicht rechtzeitiger Vorlage des jeweils zeitnächsten Einkommensteuerbescheides auch insoweit gerechtfertigt ist, als den Versicherten der ihnen gezahlte - oder gar ein höherer - Beitragszuschuß auch auf der Grundlage des maßgebenden, der Alterskasse jedoch nicht bekannten, Einkommensteuerbescheides zugestanden hätte. Es sei insoweit auf die Ausführungen zu II 1 der Gründe des dem Beteiligten zur Kenntnis gegebenen Senatsurteils vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R - (insbesondere S 7) verwiesen.

(b) Den Klägern ist weiterhin auch ein schuldhaftes, zumindest fahrlässigen Verhalten - als Voraussetzung für das Ruhen nach § 34 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG (s hierzu Senatsurteil vom 17. August 2000 - B 10 LW 8/00 R - unter II 1) - vorzuwerfen. Wie vom SG festgestellt, waren die Kläger sowohl mit den Bescheiden vom 24. April 1996 als auch jenen vom 21. bzw 22. Januar 1997 auf § 34 Abs 4 Satz 1 ALG und die hieraus folgenden Pflichten aufmerksam gemacht worden; auch in dem grünen Antragsformular auf Gewährung eines Beitragszuschusses haben beide Kläger unter dem 13. Januar 1997 unmittelbar oberhalb der von ihnen geleisteten Unterschriften erklärt, sie würden einen neuen Einkommensteuerbescheid spätestens bis zum Ablauf des zweiten auf das Datum des Bescheides folgenden Kalendermonats vorlegen.

Die Kläger können sich insoweit auch nicht mit dem Hinweis darauf entlasten, der hier streitige Einkommensteuerbescheid für 1995 vom 22. Januar 1997 sei von ihrem Steuerberater nicht an sie weitergegeben worden. Insoweit sind lediglich zwei Fallkonstellationen denkbar, die beide nichts an dem von § 34 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG vorausgesetzten Verschulden der Kläger ändern:

- Entweder die Kläger haben - in Kenntnis ihrer Pflicht zur Vorlage des jeweils neuesten Einkommensteuerbescheides an die Beklagte - ihren Steuerberater nicht gebeten, die ihm zugehenden Einkommensteuerbescheide direkt an die Beklagte oder aber an die Kläger, damit diese sie der Beklagten vorlegen können. Auch in einem derartigen Unterlassen wäre das für das Ruhen erforderliche zumindest fahrlässige Verhalten zu sehen.

- Oder aber der entsprechend instruierte Steuerberater seinerseits ist der ihn treffenden Verpflichtung nicht nachgekommen. Dann gälte im Ergebnis nichts anderes. Denn niemand kann sich einer Verantwortung, die ihm im Außenverhältnis obliegt, dadurch entledigen, daß er eigene Aufgaben einem anderen zur Erledigung überträgt (vgl Senatsurteil vom 29. Oktober 1992, BSGE 71, 213, 215 = SozR 3-4100 § 141e Nr 2).

(3)

Die angefochtenen Bescheide sind jedoch deshalb aufzuheben, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen (s oben unter 1) nicht ausgeübt hat, in welchem Umfang die den Klägern gezahlten Beitragszuschüsse ruhen (zu Einzelheiten siehe das Senatsurteil vom 17. August - B 10 LW 8/00 R -, zu II 4 der Gründe). Im Rahmen dieser noch ausstehenden Ermessensbetätigung kann die Berücksichtigung des Umstandes sachgerecht sein, daß die Kläger durch die nicht rechtzeitige Vorlage des Steuerbescheides für 1995 sich selbst geschadet haben, da ihnen auf der Grundlage der darin enthaltenen Festsetzungen im streitigen Zeitraum ein höherer Beitragszuschuß zugestanden hätte, als ihnen zunächst ausgezahlt wurde und dann - durch die angefochtenen Bescheide - zum Ruhen gekommen ist ("doppelte Bestrafung"). Eine Ermessens-Schrumpfung auf Null, die die Beklagte verpflichten würde, von einer Rückforderung abzusehen, kann hieraus jedoch nicht abgeleitet werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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