L 10 SB 167/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 7 (16,19) SB 144/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 SB 167/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 26.10.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für den zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1953 geborene Klägerin, von Beruf Industriekauffrau, begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilnahme behinderter Menschen -.

Erstmalig im Dezember 1996 stellte sie unter Beifügung von Berichten des Chirurgen Dr. N und des Radiologen Dr. W einen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten. Sie gab an, unter Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule, im Bereich des Darms und der Kniegelenke sowie an einem Beckenschiefstand und Schwindel zu leiden. Der Beklagte holte Befundberichte der HNO- Ärztin Dr. D, des Arztes für Orthopädie/Chirurgie Dr. C, der Ärzte für Allgemeinmedizin Dres. I sowie des Arztes für Innere Medizin Dr. X, dem weitere Arztbriefe beigefügt waren, ein und ließ diese von der praktischen Ärztin Dr. K gutachtlich auswerten. Mit Bescheid vom 25.06.1997 stellte der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 fest.

Auf ihren Widerspruch, mit dem die Klägerin unter Beifügung eines weiteren Berichtes der HNO-Ärztin Dr. D einen höheren GdB geltend machte, holte der Beklagte einen weiteren Befundbericht der Dres. I/L und ein Gutachten des Sozialmediziners Dr. H ein (vom 04.03.1999). Darauf gestützt half der Beklagte mit Bescheid vom 18.03.1999 dem Widerspruch insoweit ab, als er den GdB nunmehr mit 40 feststellte und dabei folgende Funktionsstörungen berücksichtigte:

1.Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Nervenreizungen
2.Funktionseinschränkung der Kniegelenke
3.Vegetative Regulationsstörungen
4.Verdauungsstörungen.

Der Funktionsstörung zu 1) hatte Dr. H unter Berücksichtigung der wiederholten hartnäckigen Beschwerden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule mit jedoch nicht durchgängigen funktionellen Auswirkungen einen Einzel-GdB von 30, der Funktionsstörung zu 2) einen Einzel-GdB von 20 und den Gesundheitsstörungen zu 3) und 4) jeweils einen solchen von 10 zugemessen. Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht, weil die von Dr. D bescheinigten gravierenden gesundheitlichen Beschwerden auf neurootologischem Fachgebiet, wie Drehschwindel, Stirnkopfschmerzen, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche, Reaktionsstörungen, Gleichgewichtsfunktions-, Hör- und Sehstörungen usw.) nicht berücksichtigt worden seien. Nach Einholung einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.1999 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.06.1999 Klage erhoben und unter Beifügung von weiteren Berichten der Dr. D sowie eines Arztbriefes der H Krankenanstalten, C, über eine im November 1995 durchgeführte Coloskopie vorgetragen, zwar habe der Beklagte die Funktionsstörungen an der Wirbelsäule und den Knien richtig bewertet; die auf eine Darmkrankheit zurückzuführenden Verdauungsstörungen bedingten jedoch einen höheren GdB als 10. Ferner hat die Klägerin bemängelt, dass der Beklagte nicht eine neurootologische Untersuchung veranlasst habe; diese könne nur in der Praxis der Dr. D durchgeführt werden. Außerdem hat sie unter Beifügung eines Informationsblattes der Landesärztekammer Hessen über häufige hno-ärztliche und neurootologische Symptome und Erkrankungen sowie einer Bescheinigung der Technikerkrankenkasse, wonach das Fachgebiet der Neurootologie schulmedizinisch anerkannt sei, darauf hingewiesen, dass ein erheblicher Unterschied zwischen dem neurologischen und neurootologischen Fachgebiet bestehe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 25.06.1997 sowie des Teilabhilfebescheides vom 18.03.1999, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.05.1999, zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von mehr als 40 ab Dezember 1996 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage ab zuweisen.

Das Sozialgericht (SG) hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten von Dr. D und Dr. X, dessen Bericht zahlreiche ärztliche Unterlagen beigefügt waren, die bereits in Verwaltungsverfahren vorgelegen hatten, sowie eines fachorthopädischen Gutachtens des Dr. P (04.07.2001), eines neurologischen Zusatzgutachtens der Dr. C1 (02.06.2001) und eines fachinternistischen Zusatzgutachtens des Dr. A (17.04.2001). Die Klägerin hatte gegen die Beweisanordnung eingewandt, ihre diversen Beschwerden könnten nur durch eine neurootologische Begutachtung geklärt werden. Auf ihre Mitwirkungspflicht hingewiesen hat sie erklärt, sollte ihr Einwand nicht berücksichtigt werden, solle eine Entscheidung nach Aktenlage ergehen.

Die neurologische Sachverständige C1 hat den Gleichgewichtsstörungen ohne nennenswerte Abweichungen beim Gehen und Stehen sowie den leichten psychovegetativen Störungen jeweils einen GdB von 10 beigemessen. Der internistische Sachverständige A hat die Gesundheitsstörungen im Bereich des Darms (Dickdarmfunktionsstörung, Schleimhautreizung, Ausstülpungen) und die vegetativen Regulationsstörungen mit Schwindelerscheinungen jeweils mit einem GdB von 10 bewertet. Der orthopädische Sachverständige P hat die Funktionseinschränkungen an der Wirbelsäule mit Nervenreizungen mit einem GdB 30 sowie die Funktionsstörungen beider Kniegelenke mit einem GdB von je 10 und den Gesamt-GdB unter Einbeziehung des Ergebnisses der neurologischen und internistischen Begutachtung mit 30 beurteilt.

Das SG ist den Sachverständigen gefolgt und hat mit Urteil vom 26.10.2001 die Klage abgewiesen.

Gegen das am 27.11.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.12.2001 Berufung eingelegt. Unter Übersendung eines Befundberichtes und einer Stellungnahme des Facharztes für HNO-Heilkunde, Allergologie/Umweltmedizin Dr. N1, der sich mit den im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Aktengutachten auseinandergesetzt hat, einer Bescheinigung der Dr. D sowie weiterer medizinischer Unterlagen, die bereits in den Akten enthalten waren, hat die Klägerin vorgetragen, mit der Beurteilung des Wirbelsäulenleidens mit einem GdB von 30 sei sie einverstanden, nicht jedoch mit der Bewertung der Funktionsstörungen an den Knien mit 10; dafür sei vielmehr ein GdB von 20 angemessen. Auch müssten die Funktionsstörungen im Magen-Darmbereich mit einem höheren GdB bewertet werden, ebenso die neurootologischen Störungen.

Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 26.10.2001 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 25.06.1997 und 18.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.1999 zu verurteilen, ab Dezember 1996 den GdB mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 26.10.2001 zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T und des Arztes für Innere Medizin Dr. B sowie eines nervenärztlichen Gutachtens des Dr. U (21.07.2003), eines orthopädischen Zusatzgutachtens des Dr. B1 (01.04.2004), eines internistischen Zusatzgutachtens des Dr. C2 (16.05.2003) und deren ergänzender Stellungnahmen (12.12.2003, 30.01.2004, 25.06.2004, 07.03.2004). Der orthopädische Sachverständige B1 hat die funktionellen Auswirkungen der Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen einzelner Halswirbelsäulensegmente, Fehlstatik und degenerativen Veränderungen im Lendenwirbelsäulenabschnitt als gering bis gelegentlich mittelgradig beschrieben und ihnen, da sie zwei Wirbelsäulenabschnitte beträfen, einen Einzel-GdB von 30 sowie der Funktionseinschränkung der Kniegelenke bei Retropatellararthrose und Patelladysplasie beiderseits einen Einzel-GdB von 20 beigemessen. Der Sachverständige C2 hat eine Sigmadivertikulose mit Z.n. Divertikulitis mit beginnenden Adhaesionen festgestellt und diese mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Teilweise seien die Verdauungsstörungen im Zusammenhang mit der ebenfalls diagnostizierten Fibromyalgie zu sehen. Das Fibromyalgie-Syndroms sei entsprechend den psychischen und psychovegetativen Störungen zu bewerten. Schilddrüsenknoten und Sinustachykardie bedingten keinen GdB. Für die geklagte Schwindelsymptomatik finde sich auf internistischem Gebiet keine Ursache. Der Sachverständige U hat die von der Klägerin geklagten vielfältigen Beschwerden als Ausdruck einer somatoformen Störung gewertet. Hinsichtlich der Schwindelsymptomatik sei eine potentiell folgenschwere iatrogene Fixierung durch die nicht haltbaren Diagnosen der Dr. D und die Formulierungen in den Ausführungen des Dr. N1 eingetreten. Somatoforme Beschwerden seien mit Gesprächstherapie ggf. in Kombination mit einer medikamentösen Therapie behandelbar. An körperlichen Störungen auf nervenärztlichem Gebiet bestünden ein Verdacht auf Spannungskopfschmerz; fakultativ liege ein atypischer Gesichtsschmerz vor. Diesen Gesundheitsstörungen hat der Sachverständige jeweils einen Einzel-GdB von 10 beigemessen. Außerdem hat er einen Verdacht auf restless legs-Syndrom, der jedoch keinen GdB bedinge, geäußert. Unter Einbeziehung des Ergebnisses der orthopädischen und internistischen Zusatzbegutachtungen hat der Sachverständige U einen Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen.

Dagegen hat die Klägerin unter Beifügung gehefteter Internetausdrucke über die bei ihr vorliegenden Erkrankungen und über Untersuchungsmethoden sowie weiterer ärztlicher Berichte und Internetauszüge zu Fibromyalgie und Reizdarm eingewandt, die anlässlich der nervenärztlichen Begutachtung erfolgten apparativen Untersuchungen seien nicht für eine Diagnostik der Schwindelbeschwerden geeignet gewesen. Das Ergebnis der gutachtlichen Untersuchung stehe in Widerspruch zu den Untersuchungsergebnissen und Therapiemaßnahmen ihrer behandelnden Ärzte. Ebenso seien die von diesen mitgeteilte Diagnose "Reizdarm", die festgestellten Bandscheibenvorfälle sowie die Spondylarthrose und die damit verbundenen Beschwerden außer Acht gelassen worden. Die dazu ergänzend gehörten Sachverständigen sind bei ihren gutachlichen Beurteilungen geblieben. Der Sachverständige U hat darauf hingewiesen, dass das Beharren auf der organischen Begründung von körperlich erlebten Symptomen bei somatoformen Störungen nicht ungewöhnlich sei und im Falle der Klägerin erheblich iatrogen fixiert werde. Der Sachverständige B1 hat hervorgehoben, dass nicht patho-morphologische Befunde, sondern deren Auswirkungen für die Beurteilung der Gesundheitsstörungen maßgebend seien. Der Sachverständige C2 hat ergänzend ausgeführt, die bei der Klägerin bestehenden Darmstörungen seien sowohl durch die Divertikulose bzw. intermittierende Divertikulitis als auch durch das mit der Fibromyalgie assoziierte Colon irritable zu erklären und mit einem GdB von 20 angemessen bewertet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin auf Grund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden können. Die Klägerin ist von diesem Termin mit dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; denn die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 25.06.1997, 18.03.1999 und 12.05.1999 nicht beschwert. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.

Das Vorliegen einer Behinderung und den GdB stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des Behinderten fest. Dabei kommt es nicht auf Diagnosen an, sondern darauf, ob die Gesundheitsstörungen zu Funktionsbeeinträchtigungen führen und diese die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch -SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei ist der GdB unter Heranziehung der vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) 1996, seit Mai 2004 die nahezu inhaltsgleichen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX )" (AHP) 2004, festzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 -, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19); Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R -, Breithaupt 2004, 293 ff.) haben die AHP normähnlichen Charakter und sind von den Sozialgerichten in der Regel wie untergesetzliche Normen anzuwenden.

Die Teilhabebeeinträchtigung der Klägerin ist mit einem GdB von 40 zu bewerten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den von ihm eingeholten medizinischen Gutachten der Sachverständigen U, B1 und C2. Deren nunmehr auf ambulanten Untersuchungen gründenden Beurteilungen haben zu keinem von den im erstinstanzlichen Verfahren nach Aktenlage erfolgten Begutachtungen abweichenden Ergebnis geführt.

Die im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule vorliegenden Funktionsstörungen rechtfertigen keinen höheren Einzel-GdB als 30. Denn bei ihnen handelt es sich um Wirbelsäulenschäden mit gering - bis gelegentlich mittelgradigen funktionellen Auswirkungen. In beiden Wirbelsäulenabschnitten bestehen degenerative Veränderungen. Eine Einschränkung der Beweglichkeit ist jedoch nur im Bereich der Lendenwirbelsäule festgestellt worden. Allerdings erfolgten die endgradigen Bewegungen der Halswirbelsäule unter Angaben von Schmerzen, die im wesentlichen durch eine muskuläre Fehlsteuerung bedingt waren. Nervenwurzelkompressionen oder Nervenirritationen sind nicht nachgewiesen; jedoch kommt es zu zeitweilig auftretenden Nervenwurzelreizungen, die durch die aktenkundigen orthopädischen Befunde belegt sind. Ausgehend von diesem Befund ist unter Zugrundelegung der Vorgaben der AHP Nr. 26.18, die für - dauerhafte - mittelgradige funktionelle Auswirkungen (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung und Instabilität mittleren Grades oder häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 vorsehen, der von dem Gutachter Güth im Verwaltungsverfahren und den im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen angenommene GdB von 30 eher großzügig bemessen. Ein höherer GdB kommt jedenfalls nicht in Betracht.

Das gleiche gilt für die an den Kniegelenken bestehenden Funktionsstörungen. Auch für diese ist eher ein GdB von 10 als der von dem Sachverständigen B1 angesetzte GdB von 20 gerechtfertigt. Ausgehend von den für die bei der Bewertung von Funktionsstörungen der Knie zu beachtenden Vorgaben der AHP Nr. 26.18 sind - worauf das SG zurecht hingewiesen hat - weder wesentliche Beeinträchtigungen der Beweglichkeit noch ausgeprägte Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen, die erst einen GdB von 20 rechtfertigten, gegeben. Denn außer der radiologisch nachgewiesenen mäßig starken Fehlform der Kniescheiben (Patelladysplasie) mit arthrotischen Veränderungen (Retropartellararthrose), die die geklagten belastungsabhängigen Schmerzen - z. B. beim Treppenabwärtsgehen - erklären und die für das Vorliegen eines Knorpelschadens sprechen, liegen keine wesentlichen Beeinträchtigungen vor. Sowohl der im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachter H als auch der Sachverständige B1 haben den Kniebandapparat als fest beschrieben. Eine Einschränkung der Beweglichkeit sowie Zeichen einer Entzündung, wie z. B. einen Erguss, haben sie verneint. Desgleichen waren die Kniegelenke reizfrei. Auch sind Reizerscheinungen, insbesondere anhaltende, nicht dokumentiert.

Hinsichtlich der Bewertung der bei der Klägerin bestehenden chronische Darmstörungen mit einem GdB von 20 schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C2 an. Ob, wie der Sachverständige zunächst in seinem Gutachten ausgeführt hat, diese Störungen Ausdruck einer Diverticulose mit Z. n. Divertikulitis mit beginnenden Verwachsungen sind oder ob daneben, wie der Sachverständige auf den Einwand der Klägerin ergänzt hat, auch ein Reizdarm für die Beschwerden verantwortlich ist, ist für die Einschätzung des GdB nicht maßgebend. Dafür sind nicht die Diagnosen von Bedeutung. Maßgebend ist vielmehr, ob die Gesundheitsstörungen zu Funktionsbeeinträchtigungen führen und diese die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigen. Für chronische Darmstörungen, ob sie nun durch einen irritablen Darm, eine Divertikulose, Divertikulitis oder auch eine Darmteilresektion verursacht werden, geben die AHP Nr. 26.10 einen GdB von 20 bis 30 vor, sofern die Störungen mit stärkeren und häufig rezidivierenden oder anhaltenden Symptomen einhergehen. Das ist vorliegend der Fall. Denn die Klägerin leidet unter gehäufter Stuhlfrequenz, wechselnden Stühlen mit Durchfällen mehrmals am Tag, Blähungen und Spasmen. Anhaltspunkte für ein entzündliches Geschehen hat die Begutachtung nicht ergeben. Angesichts dessen, dass weder eine medikamentöse Dauertherapie noch eine konsequente Diät durchgeführt werden und der Ernährungszustand nicht gemindert sondern - wie vom Sachverständigen C2 beschrieben - gut ist, kann ein höherer GdB als 20 nicht angesetzt werden. Weitere einen GdB von wenigstens 10 bedingende Funktionsstörungen auf internistischem Fachgebiet bestehen bei der Klägerin nicht. Der Schilddrüsenknoten bei normal großer Schilddrüse bedingt - wie der Sachverständige C2 überzeugend dargelegt hat - ebenso wenig einen messbaren GdB wie die festgestellte Sinustachykardie. Beide Gesundheitsstörungen sind nicht mit Leistungseinbußen verbunden.

Ob bei der Klägerin - wie schon 1995 von den behandelnden Ärzte Dres. I diagnostiziert und von dem Sachverständigen C2 nach Feststellung von 11 positiven Schmerzpunkten bestätigt worden ist - ein Fibromyalgiesyndrom oder - wie der Sachverständige U diagnostiziert hat - eine somatoforme Störung vorliegt, kann letztlich dahin gestellt bleiben. Denn allein die Diagnose einer Fibromyalgie rechtfertigt noch keinen GdB. Für die Bewertung des GdB ist allein maßgeblich das Erkrankungsbild einer Fibromyalgie mit ihren Begleiterscheinungen. Nach den AHP Nr. 26.18 kommt es für die Bewertung des GdB nicht auf die Diagnose an; entscheidend ist vielmehr das tatsächliche Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung unter Berücksichtigung der jeweiligen Organbeteiligung und der Auswirkungen auf den Allgemeinzustand. Dabei sehen die AHP für die Bewertung eines Fibromyalgiesyndroms keine konkreten GdB-Werte vor, so dass sich der GdB hierfür in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen beurteilt (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - LSG NRW -, Urteil vom 12.03.2002 - L 6 SB 137/01 -), wonach als Vergleichsmaßstab am ehesten die in Ziffer 26.3 der AHP genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen in Betracht kommen. Die dort genannten Vorgaben gelten gleichermaßen für somatoforme Störungen.

Diese sind nicht selten vergesellschaftet mit psychischen Beschwerden wie Verstimmung, Reizbarkeit und Konzentrationsschwäche. Sie umfassen nicht nur Schmerzzustände sondern auch die geklagte Schwindelsymptomatik. Zu deren Diagnostik bedurfte es keiner weiteren Untersuchungen, insbesondere nicht der von der Klägerin geforderten neurootologischen Untersuchung. Bis auf die zur Überprüfung der Standregulation durchgeführte Posturographie, die ein etwas vermehrtes Schwankungsverhalten zeigte, ergaben die anlässlich der Begutachtung durch den Sachverständigen U durchgeführten neurologischen Untersuchungen im Hinblick auf die Schwindelsymptomatik keinen relevanten wesentlichen krankhaften Befund. Insbesondere ergab die Ableitung der akustisch evoziierten Potentiale anders als bei der von Dr. D durchgeführten Untersuchung, keine Hinweise für eine Schädigung des Gleichgewichtsnerven oder des Hirnstammes. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung dürften aber auch Ärztin Dr. D und Dr. N1, nach dessen Bericht vom 17.06.2002 die Diagnose einer "Kombinierten zentral-peripheren Gleichgewichtsfunktionsstörung bei Kopfgelenksdissoziation und cervico-enzephaler Symptomatik" offenbar lediglich auf Anamnese und Beschwerdeschilderung der Klägerin basiert, nicht angenommen haben; denn eine weitere Abklärung durch bildgebende Darstellung der als geschädigt behaupteten Hirnstrukturen ist nicht erfolgt. Vielmehr hat Dr. D lediglich eine Behandlung mit gegen Durchblutungsstörungen gerichteten Medikamenten - Magnesium verla, Dusodril retard - angeordnet, wobei bei dem letztgenannten Medikament laut "Bittere Pillen", Ausgabe 2002-2004, Nebenwirkungen wie Übelkeit, Magen- Darmstörungen, Schwindel, Schlafstörungen bekannt sind. Die Schwindelsymptomatik tritt auch nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin in wechselnder Häufigkeit und Intensität auf. Selbst im Beruf kann beim Auftreten von Schwindel die Arbeit nach einer Pause von ein paar Minuten fortgesetzt werden.

Ausgehend von den vorstehend aufgeführten Schmerz- und Schwindelsymptomen ist unter Berücksichtigung der Vorgaben der AHP Nr. 26.3, die für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 - 40 vorsehen, ein GdB von 30 nicht zu beanstanden. Bei der Klägerin bestehen derartige stärker behindernden Störungen. Die sozialen Kontakte haben sich verringert; Einsatzfähigkeit und Aktivitäten sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich haben sich vermindert. Ein Einzel-GdB von 40 wird jedoch nicht erreicht. Denn die Klägerin ist trotz ihrer vielfältigen Beschwerden und dadurch bedingten Einschränkungen in der Lage, ihren Beruf als Industriekauffrau auszuüben. Durch die Beeinträchtigungen bedingte wesentliche familiäre Probleme bestehen nicht. Sie führt - wie sie gegenüber dem Sachverständigen U erklärt hat - eine glückliche Ehe. Belegt sind Kopfschmerzen und eine Trigeminusneuralgie. Die Kopfschmerzen, die sowohl von den behandelnden Ärzten als auch der Klägerin im Zusammenhang mit der Schwindelsymptomatik und den Funktionsstörungen an der Halswirbelsäule gesehen werden und bei denen es sich am ehesten um einen Spannungskopfschmerz handelt, sind unter Heranziehung der Vorgaben der AHP für die Beurteilung einer Migräne bzw. Gesichtsneuralgie (AHP Nr. 26.2) zu beurteilen. Dabei sind Häufigkeit, Dauer und Intensität von Bedeutung. Für eine Migräne leichter Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) ist ein GdB von 0 - 10 und eine solche mittelgradiger Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) ein GdB von 20 - 40, für eine leichte Trigeminusneuralgie (leichte, seltene Schmerzen) ein GdB von 0 bis 10 und für eine mittelgradige (häufigere, leichte bis mittelgradige Schmerzen, schon durch geringe Reize auslösbar) ein GdB von 20 bis 40 vorgegeben. Ausgehend von den Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen U im Juli 2003, sie habe ständig von der Halswirbelsäule ausstrahlende Kopfschmerzen, der Schwindel, der unterschiedlich häufig auftrete, manchmal täglich, manchmal 2 - 3 mal wöchentlich, sei an manchen Tagen mit Übelkeit und starken Kopfschmerzen verbunden, ein mehrere Tage andauernder Schwindel sei im vergangenen Jahr aufgetreten, dürfte der vom Sachverständigen U angenommene GdB von 10 knapp bemessen sein, ein höherer GdB als 20 indes nicht in Betracht kommen.

Erstmalig im Mai 2001 ist eine Trigeminusneuralgie diagnostiziert worden. Die nach der Beschreibung der Klägerin in die rechte Schläfe einschießenden Schmerzen, die eine Reizung der Kopfhaut in diesem Bereich verursachten, hat der Sachverständige U als atypischen Gesichtsschmerz beurteilt. Angesichts dessen, dass die Klägerin weder schriftsätzlich noch im Erörterungstermin gegenüber dem Senat insoweit eine Funktionsstörung geltend gemacht hat und der Schmerz nach ihrem eigenen Vorbringen gegenüber dem Sachverständigen U unterschiedlich häufig auftritt ("Es gebe Phasen häufigeren und solche selteneren Auftretens"), stimmt der Senat unter Berücksichtigung der vorstehend wiedergegebenen Vorgaben zur Beurteilung einer Trigeminusneuralgie (AHP Nr. 26.2) der vom Sachverständigen U abgegebenen Bewertung dieser Funktionsstörung mit einem GdB von 10 zu. Ob es sich bei dem Kopfschmerz und der Trigeminusneuralgie - wie der Sachverständige U meint - um fakultativ vorliegende oder um zwei eigenständige Krankheitsbilder handelt, ob diese nun einen GdB von 10 oder 20 bedingen, ist nicht entscheidungserheblich. Denn zum einen führen nach den AHP Nr. 19 Abs. 4 - von Ausnahmefällen abgesehen - leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Dieses Erhöhungsverbot ist durch das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 13.12.2000 - Az.: B 9 V 8 /00 R - (SozR 3-3100 § 30 Nr. 24) ausdrücklich bestätigt worden. Zum anderen ist es nach den AHP Nr. 19 Abs. 4 aber auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Selbst ein durch den Kopf- oder den atypischen Gesichtsschmerz bedingter GdB von 20 führte vorliegend nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Denn die Auswirkungen der Funktionsstörung somatoforme Störung/Fibromyalgiesyndrom, die im wesentlichen durch Schmerzzustände gekennzeichnet sind, überschneiden sich vollständig mit dem Kopf- und atypischen Gesichtsschmerz.

Die gleichen Überlegungen treffen auf die Beurteilung des im Hinblick auf die Klagen der Klägerin über unruhige Beine gegen Abend bereits von dem behandelnden Arzt B mitgeteilten und ebenfalls vom Sachverständigen U geäußerten Verdachts auf "Restless-Legs-Syndrom" zu. Selbst wenn diesem wegen des geklagten schlechten Schlafs und des morgendlichen Unausgeruhtseins unter Heranziehung der Vorgaben der AHP Nr. 26.8 zur Beurteilung des Schlafapnoe-Syndroms entgegen der Einschätzung des Sachverständigen U ein GdB von 10 zuzumessen wäre, wäre ein solcher angesichts der AHP Nr. 19 Ziffer 4 und der oben zitierten Rechtsprechung des BSG zu vernachlässigen.

Die Einschätzung des Gesamt-GdB mit 40 ist nicht zu beanstanden. Der Gesamt-GdB lässt sich nicht rechnerisch aus den Einzel-GdB-Werten ermitteln; sowohl eine Addition der einzelnen Werte als auch jegliche Anwendung von mathematischen Formeln sind unzulässig. Vielmehr ergibt sich der Gesamt-GdB aus der Gesamtschau der funktionellen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen. Nach Nr. 19 Abs. 3 der AHP ist von dem höchsten Einzel-GdB-Wert auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit durch weitere Funktionsbeeinträchtigungen das Ausmaß der mit dem höchsten Einzel-GdB bewerteten Funktionsbeeinträchtigung vergrößert wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Dabei ist der oben zitierte Grundsatz der AHP Nr. 19 Abs. 4 zu berücksichtigen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind außerdem unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle der AHP feste GdB-Werte angegeben sind (AHP Nr. 19 Abs. 2). Davon ausgehend besteht kein Ansatzpunkt, von dem Vorschlag des Sachverständigen U, den Gesamt-GdB mit 40 zu bewerten, abzuweichen. Die im wesentlichen in Schmerzuständen bestehenden, das Allgemeinbefinden und die Bewegungsfähigkeit beeinträchtigenden Auswirkungen der mit einem GdB von 30 beurteilten somatoformen Störung/Fibromyalgiesyndrom, der einen GdB von maximal 20 bedingenden Funktionsstörungen an der Wirbelsäule sowie der ebenfalls maximal mit einem GdB von 20 zu bemessenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Kniegelenke überschneiden sich weitgehend. Indes führen Auswirkung der mit einem GdB von 20 bewerteten chronischen Darmstörung zu einer Vergrößerung des Ausmaßes der Behinderung; denn sie bewirken hinsichtlich der episodischen Akzentuierung weitere Einschränkungen des täglichen Lebens. Dass die Auswirkungen des Kopfschmerzes und/oder des atypischen Gesichtsschmerzes selbst bei einer Bewertung mit einem GdB von 20 auf die Höhe des Gesamt-GdB keinen Einfluss habe, ist bereits dargelegt worden. Dass ein höherer GdB als 40 nicht gerechtfertigt ist, ergibt auch ein Vergleich der bei der Klägerin bestehenden Teilhabebeeinträchtigung mit einer Funktionsstörung, die nach den Vorgaben der AHP mit einem GdB von 50 bewertet wird. So ist die Gesamtauswirkung der bei ihr festgestellten Gesundheitsstörungen nicht so erheblich wie z. B. bei einer schweren Zwangskrankheit, die nach den Vorgaben der AHP Nr. 26.3 mit einem GdB von 50 bewertet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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