Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 178/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 KN 22/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2005 wird aufgehoben.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 05.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2003 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Beginn der dem Kläger von der Beklagten gewährten Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Der 1941 geborene Kläger bezog vom 22.06.2000 bis 31.12.2000 Krankengeld und ab 01.08.2001 Arbeitslosengeld in Höhe von 614,00 Euro monatlich. Bis zum 31.07.2001 stand er noch in einem Beschäftigungsverhältnis als Möbelverkäufer.
Am 27.08.2002 beantragte der Kläger rückwirkend Altersrente für Schwerbehinderte bei der Beklagten. Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung (AVF) vom 25.07.2002 sei in Korrektur eines Bescheides vom 19.01.2000 (mit der Feststellung eines Grads der Behinderung - GdB - von 30 ab 11.11.1999) nach § 44 SGB X die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend festgestellt worden. Im Vertrauen auf die Richtigkeit des Bescheids des Versorgungsamtes vom 19.01.2000 habe er nicht schon bei Vollendung des 60. Lebensjahres seinen Rentenantrag gestellt.
Mit Bescheid vom 05.02.2003 zahlte die Beklagte dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst ab 01.08.2002 in Höhe von 861,00 Euro monatlich. Den hiergegen erhobene Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2003 zurück.
Wegen der Verweigerung eines Rentenbeginns ab 01.05.2001 hat der Kläger zum Sozialgericht München (SG) Klage erhoben, zur Begründung seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches hingewiesen. Insbesondere hat er darauf abgestellt, dass das AVF seinen Bescheid wegen anfänglicher Unrichtigkeit von Amts wegen berichtigt und den gleichzeitig gestellter Verschlimmerungsantrag abgelehnt habe. Er sei im Ergebnis so zu stellen, wie wenn das AVF von vorneherein eine rechtmäßige Entscheidung getroffen hätte.
Durch Urteil vom 18.05.2005 hat das SG die Beklagte verurteilt dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 37 SGB VI bereits ab 01.05.2001 zu zahlen. Er habe ab 01.05.2001 Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 37 SGB VI, weil bereits ab diesem Zeitpunkt die Feststellung als Schwerbehinderter wirke. Die objektiv unrichtige und pflichtwidrige Entscheidung des AVF habe den Kläger davon abgehalten, schon früher einen Rentenantrag zu stellen. Es liege durch unzutreffende Auswertung medizinischer Befunde eine Pflichtverletzung des AVF mit der Folge vor, dass zu Unrecht nur ein GdB von 30 statt von 50 festgestellt worden sei. Derartige objektiv unrichtige Ausführungen in einem Bescheid seien einer falschen Belehrung oder Auskunft gleichzusetzen und würden die Annahme einer Pflichtverletzung als Grundvoraussetzung eines sozialen Herstellungsanspruchs rechtfertigen. Dies sei auch der Beklagten zuzurechnen, die im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit dem zuständigen AVF in einer Funktionseinheit stehe. Wenn der Gesetzgeber mehrere Behörden arbeitsteilig mit einer Aufgabe betraut habe, wie hier die Versorgungsverwaltung mit einer vorrangigen Feststellung, dürften die unterschiedlichen Zuständigkeiten die Annahme eines einheitlichen Rechtsverhältnisses nicht hindern. Der Kläger sei damit im Sinne einer wesentlichen Ursache zu einem für ihn aus sozialrechtlicher Sicht ungünstigen Verhalten, nämlich dem Unterlassen eines Rentenantrags, veranlasst worden. Deshalb sei er so zu stellen, als ob das AVF von Anfang an, also bereits im Januar 2000, einen GdB von 50 festgestellt hätte.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Neben der fehlenden Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bringt sie auch noch die Nichtbeachtung der Hinzuverdienstgrenzen nach § 34 SGB VI vor, soweit es den Zeitraum der Verurteilung bis Juli 2001 betrifft.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.05.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das LSG hat die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamts M. beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG) und hat auch in der Sache Erfolg.
Mit dem Urteil vom 08.05.2005 hat das SG zu Unrecht den Bescheid vom 05.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2003 abgeändert und die Beklagte zu einer höheren Leistung verurteilt.
Die Beklagte hat zurecht den Antragseinwand nach § 99 Abs. 1 SGB VI (bei dem weit nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 gestellten Antrags gem. § 300 Abs. 1 SGB VI anwendbar) beachtet. Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung - wie hier - wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.
Die Voraussetzungen für die Rente als Schwerbehinderter lagen objektiv bereits ab dem Monat der Vollendung des 60. Lebensjahres, dem 01.04.2001 vor. Denn nach dem Bescheid des AVF vom 25.07.2002 ist mit Wirkung vom 11.11.1999 ein GdB von 50 festgestellt worden. Damit ist der am 27.08.2002 bei der Beklagten gestellte Antrag wesentlich später als drei Monate nach dem Versicherungsfall angebracht worden. Dies bewirkt als Rechtsfolge eine Leistung erst ab Beginn des Monats (August 2002), in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und der Antrag gestellt worden ist.
Eine frühere Antragstellung, etwa gleichzeitig mit dem zur Korrektur des Bescheides des Versorgungsamtes vom 19.01.2000 gestellten Verschlimmerungsantrag vom 30.04.2001, ist nicht ersichtlich. Zwar gilt ein bei einer anderen Stelle als dem zuständigen Träger (hier der Rentenversicherung) gestellter Antrag gemäß § 16 SGB I als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei der unzuständigen Stelle eingegangen ist. Beim AVF hat der Kläger, obwohl er damals bereits von einem Rentenberater vertreten war, aber keinen Antrag auf Altersrente gestellt. Der Klägerbevollmächtigte hatte das Amt lediglich gebeten, bei der BfA vorhandene Unterlagen in die Beurteilung mit einfließen zu lassen.
Eine Wiedereinsetzung (§ 27 SGB X) ist nicht gegeben. Der Kläger war außer durch den unbeachtlichen Rechtsirrtum, einen Rentenantrag bereits ohne förmliche Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft stellen zu können, nicht gehindert, rechtzeitig einen Rentenantrag wegen Schwerbehinderung zu stellen. Im Übrigen ist nach zutreffender herrschender Ansicht (a. A. Hauck/Haines § 39 SGB VI Rdnr. 5) bei "verspäteter" Antragstellung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (BSGE 21, 129). Denn es handelt sich um eine Ausschlussfrist (vgl. BSGE 64, 153). Durch § 99 Abs. 2 S. 3 SGB VI kommt aber zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber, abgesehen von den in dieser Vorschrift gesondert geregelten Hinterbliebenenrenten, grundsätzlich keine Ausnahme von der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung hat zulassen wollen; denn andernfalls wäre § 99 Abs 2 S 3 SGB VI überflüssig. § 28 SGB X ist thematisch nicht einschlägig.
Eine Verpflichtung der Beklagten im Sinne von § 115 Abs. 5 SGB VI, den Kläger nach Vollendung des 60. Lebensjahres aufzufordern, einen Antrag auf Schwerbehindertenrente zu stellen, ist nicht ersichtlich. Es handelt sich hier um keinen in Richtlinien geregelten oder sonst dazu geeigneten Fall. Es war für die Beklagte auch nicht im Rahmen der Prüfung der Vertrauensschutzvorschriften, die im Sommer 2001 stattgefunden hat, erkennbar, dass beim Kläger Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz erfolgt sind, aus denen rückwirkend die Schwerbehinderteneigenschaft hergeleitet werden könnte. Damals hat der Kläger das Vorliegen einer Schwerbehinderung ausdrücklich verneint.
Auch vermittels eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann der Kläger nicht so gestellt werden, als habe er bei Vollendung seines 60. Lebensjahres bereits einen Rentenantrag ge-stellt. Ohne Zweifel kann der Beklagten selbst kein Fehlverhalten nachgewiesen werden, denn auch über § 115 Abs. 5 SGB VI hinausgehend bestand keine allgemeine Hinweisverpflichtung im Rahmen der §§ 12 ff. SGB I. Insbesondere ist keine Beratungspflicht im Sinne von § 14 SGB I aus einem konkreten Verwaltungskontakt zur Beklagten verletzt worden. Auch im Zusammenhang mit §§ 109, 149 SGB VI bestand kein entsprechender Verwaltungskontakt.
Aus der im Rahmen von § 44 SGB X vorzunehmenden Folgenbeseitigung wegen der unrichtigen Feststellung des AVF im Bescheid vom 09.01.2000 lässt sich weder unmittelbar noch mittelbar eine weitere Begünstigung des Klägers herleiten. Das Gesetz bestimmt als Rechtsfolge des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lediglich die Aufhebung des fehlerhaften Verwaltungsaktes und zusätzlich gemäß § 44 Abs. 4 SGB X die Erstattung vorenthaltener Sozialleistungen für längstens bis zu 4 Jahren. Das Erstattungsverhältnis ist dabei im Zusammenhang mit § 44 Abs. 1 SGB X beschränkt auf die Beteiligten des Verwaltungsrechtsverhältnisses, in welchem die unrichtige Entscheidung ergangen ist. Dabei gelten für Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz die Abs. 1 und 4 des § 44 SGB X ohnehin nicht (vgl. v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, Rdnr. 4 zu § 44). Die Aufhebung geschieht hier nach § 44 Abs. 2 SGB X. Darüber hinaus besteht lediglich ein Anspruch auf Neuverbescheidung (v. Wulffen a.a.O., Rdnr. 13), der sich naturgemäß nur auf das originäre geregelte Verwaltungsrechtsverhältnis beziehen kann.
Eine Zurechnung des fehlerhaften Verwaltungshandelns des AVF zum Verantwortungsbereich der Beklagten findet auch nicht vermittels eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs statt. Eine derartige besondere Zusammenarbeit beider sozialen Institutionen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens besteht entgegen der Annahme des SG nicht.
Ein derartiger Zusammenhang bestehen im Wesentlichen nur im Verhältnis der Sozialversicherung zu den Versicherungsämtern als staatlicher Sozialverwaltung. Diesen ist im Rahmen der Auskunftserteilung und Beratungsverpflichtung (§§ 12 ff. SGB I) bzw. der Antragsaufnahme (§§ 60 ff. SGB I, 93 SGB IV) vom Gesetzgeber eine besondere Aufgabe zuerkannt. Die einzige bekannte höchstrichterliche Entscheidung zum Verhältnis der Rentenversicherung und Entschädigungsverwaltung verneint einen entsprechenden Zusammenhang (SozR 3-3100 § 60 Nr. 3, BSG 9. Senat, Urteil vom 15.08.2000, Az.: B 9 VG 1/99 R). Danach kann zwar ein Herstellungsanspruch auch auf Fehler anderer Behörden gestützt werden, wenn diese in einer Sozialrechtsangelegenheit einen Bürger nicht oder fehlerhaft beraten oder nicht auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten für einen bestimmten sozialrechtlichen Anspruch hingewiesen haben. Dies setzt nach den Ausführungen des BSG jedoch voraus, dass der betreffende Leistungsträger jedenfalls arbeitsteilig bzw. funktionell in den Verwaltungsablauf bzw. in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist nach den zutreffenden Ausführungen des BSG selbst dann zu verneinen, wenn man den im Urteil des BSG vom 25.08.1993 (BSGE 73, 56, 60) entwickelten Grundsätzen folgen wollte. Denn die Rentenversicherungsträger sind nicht so eng mit der Versorgungsverwaltung verbunden, wie dies das BSG für Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung angenommen hat.
Die für einen Funktionszusammenhang im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs notwendige rechtliche Verbindung kann entgegen der Ansicht des SG nicht darin bestehen, dass die Versorgungsverwaltung dafür zuständig ist, Tatbestandsvoraussetzungen festzustellen, die für spezielle Anspruchsgrundlagen in der gesetzlichen Rentenversicherung erforderlich sein können. Dadurch erfolgt noch keine Einbeziehung in ein Sozialversicherungsverhältnis, dass nur zwischen dem Versicherten und dem Träger der Sozialversicherung besteht. Die Feststellungen von Behinderungen und eines GdB erfolgt im Rahmen des allgemeinen Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, der im Rahmen staatlicher Förderung einen Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile erfahren soll. § 1 SGB IX stellt daher ausdrücklich nur darauf ab, dass Leistungen nach diesem Gesetzbuch (SGB IX) und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen erbracht werden. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen (§ 7 SGB IX). Damit ist keine erweiterte Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden für die Feststellung von Behinderungen geschaffen worden. Auch in den besonderen Rechtsvorschriften zur Teilhabe schwer behinderter Menschen (§§ 68 ff. SGB IX) finden sich keine weitergehenden Zuständigkeiten über die Feststellung der Behinderungen und des GdB hinaus.
Wegen des Fehlens einer der Beklagten zuzurechnen Pflichtverletzung kommt es auf die weiteren Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, wie z.B. eine eventuell wesentlich mitwirkende Verursachung der verspäteten Antragstellung durch den Fehler des AVF und nicht etwa durch fehlende Erkundigungen des Klägers, nicht an.
Die Beklagte hat damit dem Kläger zu Recht die ihm nach § 236a SGB VI (nicht gem. § 37 SGB VI, wonach eine solcher Rente erst ab Vollendung des 63. Lebensjahres zusteht) ab Vollendung des 60. Lebensjahres zustehende Rente für schwer behinderte Menschen nach § 99 Abs. 1 SGB VI erst ab August 2002 gezahlt. Insoweit war dann auch ein möglicher Anspruchsausschluss nach § 34 Abs. 2 SGB VI wegen der Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum 31.07.2001 nicht mehr zu prüfen.
Das Urteil des SG hat damit keinen Bestand und ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, da der Kläger unterlegen ist (§ 193 SGG).
Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 05.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2003 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Beginn der dem Kläger von der Beklagten gewährten Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Der 1941 geborene Kläger bezog vom 22.06.2000 bis 31.12.2000 Krankengeld und ab 01.08.2001 Arbeitslosengeld in Höhe von 614,00 Euro monatlich. Bis zum 31.07.2001 stand er noch in einem Beschäftigungsverhältnis als Möbelverkäufer.
Am 27.08.2002 beantragte der Kläger rückwirkend Altersrente für Schwerbehinderte bei der Beklagten. Mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung (AVF) vom 25.07.2002 sei in Korrektur eines Bescheides vom 19.01.2000 (mit der Feststellung eines Grads der Behinderung - GdB - von 30 ab 11.11.1999) nach § 44 SGB X die Schwerbehinderteneigenschaft rückwirkend festgestellt worden. Im Vertrauen auf die Richtigkeit des Bescheids des Versorgungsamtes vom 19.01.2000 habe er nicht schon bei Vollendung des 60. Lebensjahres seinen Rentenantrag gestellt.
Mit Bescheid vom 05.02.2003 zahlte die Beklagte dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst ab 01.08.2002 in Höhe von 861,00 Euro monatlich. Den hiergegen erhobene Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2003 zurück.
Wegen der Verweigerung eines Rentenbeginns ab 01.05.2001 hat der Kläger zum Sozialgericht München (SG) Klage erhoben, zur Begründung seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches hingewiesen. Insbesondere hat er darauf abgestellt, dass das AVF seinen Bescheid wegen anfänglicher Unrichtigkeit von Amts wegen berichtigt und den gleichzeitig gestellter Verschlimmerungsantrag abgelehnt habe. Er sei im Ergebnis so zu stellen, wie wenn das AVF von vorneherein eine rechtmäßige Entscheidung getroffen hätte.
Durch Urteil vom 18.05.2005 hat das SG die Beklagte verurteilt dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 37 SGB VI bereits ab 01.05.2001 zu zahlen. Er habe ab 01.05.2001 Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 37 SGB VI, weil bereits ab diesem Zeitpunkt die Feststellung als Schwerbehinderter wirke. Die objektiv unrichtige und pflichtwidrige Entscheidung des AVF habe den Kläger davon abgehalten, schon früher einen Rentenantrag zu stellen. Es liege durch unzutreffende Auswertung medizinischer Befunde eine Pflichtverletzung des AVF mit der Folge vor, dass zu Unrecht nur ein GdB von 30 statt von 50 festgestellt worden sei. Derartige objektiv unrichtige Ausführungen in einem Bescheid seien einer falschen Belehrung oder Auskunft gleichzusetzen und würden die Annahme einer Pflichtverletzung als Grundvoraussetzung eines sozialen Herstellungsanspruchs rechtfertigen. Dies sei auch der Beklagten zuzurechnen, die im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit dem zuständigen AVF in einer Funktionseinheit stehe. Wenn der Gesetzgeber mehrere Behörden arbeitsteilig mit einer Aufgabe betraut habe, wie hier die Versorgungsverwaltung mit einer vorrangigen Feststellung, dürften die unterschiedlichen Zuständigkeiten die Annahme eines einheitlichen Rechtsverhältnisses nicht hindern. Der Kläger sei damit im Sinne einer wesentlichen Ursache zu einem für ihn aus sozialrechtlicher Sicht ungünstigen Verhalten, nämlich dem Unterlassen eines Rentenantrags, veranlasst worden. Deshalb sei er so zu stellen, als ob das AVF von Anfang an, also bereits im Januar 2000, einen GdB von 50 festgestellt hätte.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Neben der fehlenden Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bringt sie auch noch die Nichtbeachtung der Hinzuverdienstgrenzen nach § 34 SGB VI vor, soweit es den Zeitraum der Verurteilung bis Juli 2001 betrifft.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.05.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das LSG hat die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamts M. beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG) und hat auch in der Sache Erfolg.
Mit dem Urteil vom 08.05.2005 hat das SG zu Unrecht den Bescheid vom 05.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2003 abgeändert und die Beklagte zu einer höheren Leistung verurteilt.
Die Beklagte hat zurecht den Antragseinwand nach § 99 Abs. 1 SGB VI (bei dem weit nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 gestellten Antrags gem. § 300 Abs. 1 SGB VI anwendbar) beachtet. Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung - wie hier - wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.
Die Voraussetzungen für die Rente als Schwerbehinderter lagen objektiv bereits ab dem Monat der Vollendung des 60. Lebensjahres, dem 01.04.2001 vor. Denn nach dem Bescheid des AVF vom 25.07.2002 ist mit Wirkung vom 11.11.1999 ein GdB von 50 festgestellt worden. Damit ist der am 27.08.2002 bei der Beklagten gestellte Antrag wesentlich später als drei Monate nach dem Versicherungsfall angebracht worden. Dies bewirkt als Rechtsfolge eine Leistung erst ab Beginn des Monats (August 2002), in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt und der Antrag gestellt worden ist.
Eine frühere Antragstellung, etwa gleichzeitig mit dem zur Korrektur des Bescheides des Versorgungsamtes vom 19.01.2000 gestellten Verschlimmerungsantrag vom 30.04.2001, ist nicht ersichtlich. Zwar gilt ein bei einer anderen Stelle als dem zuständigen Träger (hier der Rentenversicherung) gestellter Antrag gemäß § 16 SGB I als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei der unzuständigen Stelle eingegangen ist. Beim AVF hat der Kläger, obwohl er damals bereits von einem Rentenberater vertreten war, aber keinen Antrag auf Altersrente gestellt. Der Klägerbevollmächtigte hatte das Amt lediglich gebeten, bei der BfA vorhandene Unterlagen in die Beurteilung mit einfließen zu lassen.
Eine Wiedereinsetzung (§ 27 SGB X) ist nicht gegeben. Der Kläger war außer durch den unbeachtlichen Rechtsirrtum, einen Rentenantrag bereits ohne förmliche Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft stellen zu können, nicht gehindert, rechtzeitig einen Rentenantrag wegen Schwerbehinderung zu stellen. Im Übrigen ist nach zutreffender herrschender Ansicht (a. A. Hauck/Haines § 39 SGB VI Rdnr. 5) bei "verspäteter" Antragstellung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (BSGE 21, 129). Denn es handelt sich um eine Ausschlussfrist (vgl. BSGE 64, 153). Durch § 99 Abs. 2 S. 3 SGB VI kommt aber zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber, abgesehen von den in dieser Vorschrift gesondert geregelten Hinterbliebenenrenten, grundsätzlich keine Ausnahme von der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung hat zulassen wollen; denn andernfalls wäre § 99 Abs 2 S 3 SGB VI überflüssig. § 28 SGB X ist thematisch nicht einschlägig.
Eine Verpflichtung der Beklagten im Sinne von § 115 Abs. 5 SGB VI, den Kläger nach Vollendung des 60. Lebensjahres aufzufordern, einen Antrag auf Schwerbehindertenrente zu stellen, ist nicht ersichtlich. Es handelt sich hier um keinen in Richtlinien geregelten oder sonst dazu geeigneten Fall. Es war für die Beklagte auch nicht im Rahmen der Prüfung der Vertrauensschutzvorschriften, die im Sommer 2001 stattgefunden hat, erkennbar, dass beim Kläger Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz erfolgt sind, aus denen rückwirkend die Schwerbehinderteneigenschaft hergeleitet werden könnte. Damals hat der Kläger das Vorliegen einer Schwerbehinderung ausdrücklich verneint.
Auch vermittels eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann der Kläger nicht so gestellt werden, als habe er bei Vollendung seines 60. Lebensjahres bereits einen Rentenantrag ge-stellt. Ohne Zweifel kann der Beklagten selbst kein Fehlverhalten nachgewiesen werden, denn auch über § 115 Abs. 5 SGB VI hinausgehend bestand keine allgemeine Hinweisverpflichtung im Rahmen der §§ 12 ff. SGB I. Insbesondere ist keine Beratungspflicht im Sinne von § 14 SGB I aus einem konkreten Verwaltungskontakt zur Beklagten verletzt worden. Auch im Zusammenhang mit §§ 109, 149 SGB VI bestand kein entsprechender Verwaltungskontakt.
Aus der im Rahmen von § 44 SGB X vorzunehmenden Folgenbeseitigung wegen der unrichtigen Feststellung des AVF im Bescheid vom 09.01.2000 lässt sich weder unmittelbar noch mittelbar eine weitere Begünstigung des Klägers herleiten. Das Gesetz bestimmt als Rechtsfolge des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X lediglich die Aufhebung des fehlerhaften Verwaltungsaktes und zusätzlich gemäß § 44 Abs. 4 SGB X die Erstattung vorenthaltener Sozialleistungen für längstens bis zu 4 Jahren. Das Erstattungsverhältnis ist dabei im Zusammenhang mit § 44 Abs. 1 SGB X beschränkt auf die Beteiligten des Verwaltungsrechtsverhältnisses, in welchem die unrichtige Entscheidung ergangen ist. Dabei gelten für Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz die Abs. 1 und 4 des § 44 SGB X ohnehin nicht (vgl. v. Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, Rdnr. 4 zu § 44). Die Aufhebung geschieht hier nach § 44 Abs. 2 SGB X. Darüber hinaus besteht lediglich ein Anspruch auf Neuverbescheidung (v. Wulffen a.a.O., Rdnr. 13), der sich naturgemäß nur auf das originäre geregelte Verwaltungsrechtsverhältnis beziehen kann.
Eine Zurechnung des fehlerhaften Verwaltungshandelns des AVF zum Verantwortungsbereich der Beklagten findet auch nicht vermittels eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs statt. Eine derartige besondere Zusammenarbeit beider sozialen Institutionen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens besteht entgegen der Annahme des SG nicht.
Ein derartiger Zusammenhang bestehen im Wesentlichen nur im Verhältnis der Sozialversicherung zu den Versicherungsämtern als staatlicher Sozialverwaltung. Diesen ist im Rahmen der Auskunftserteilung und Beratungsverpflichtung (§§ 12 ff. SGB I) bzw. der Antragsaufnahme (§§ 60 ff. SGB I, 93 SGB IV) vom Gesetzgeber eine besondere Aufgabe zuerkannt. Die einzige bekannte höchstrichterliche Entscheidung zum Verhältnis der Rentenversicherung und Entschädigungsverwaltung verneint einen entsprechenden Zusammenhang (SozR 3-3100 § 60 Nr. 3, BSG 9. Senat, Urteil vom 15.08.2000, Az.: B 9 VG 1/99 R). Danach kann zwar ein Herstellungsanspruch auch auf Fehler anderer Behörden gestützt werden, wenn diese in einer Sozialrechtsangelegenheit einen Bürger nicht oder fehlerhaft beraten oder nicht auf naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten für einen bestimmten sozialrechtlichen Anspruch hingewiesen haben. Dies setzt nach den Ausführungen des BSG jedoch voraus, dass der betreffende Leistungsträger jedenfalls arbeitsteilig bzw. funktionell in den Verwaltungsablauf bzw. in die Wahrnehmung der Aufgaben des zuständigen Leistungsträgers eingebunden sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist nach den zutreffenden Ausführungen des BSG selbst dann zu verneinen, wenn man den im Urteil des BSG vom 25.08.1993 (BSGE 73, 56, 60) entwickelten Grundsätzen folgen wollte. Denn die Rentenversicherungsträger sind nicht so eng mit der Versorgungsverwaltung verbunden, wie dies das BSG für Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung angenommen hat.
Die für einen Funktionszusammenhang im Sinne des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs notwendige rechtliche Verbindung kann entgegen der Ansicht des SG nicht darin bestehen, dass die Versorgungsverwaltung dafür zuständig ist, Tatbestandsvoraussetzungen festzustellen, die für spezielle Anspruchsgrundlagen in der gesetzlichen Rentenversicherung erforderlich sein können. Dadurch erfolgt noch keine Einbeziehung in ein Sozialversicherungsverhältnis, dass nur zwischen dem Versicherten und dem Träger der Sozialversicherung besteht. Die Feststellungen von Behinderungen und eines GdB erfolgt im Rahmen des allgemeinen Verhältnisses zwischen Staat und Bürger, der im Rahmen staatlicher Förderung einen Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile erfahren soll. § 1 SGB IX stellt daher ausdrücklich nur darauf ab, dass Leistungen nach diesem Gesetzbuch (SGB IX) und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen erbracht werden. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen (§ 7 SGB IX). Damit ist keine erweiterte Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden für die Feststellung von Behinderungen geschaffen worden. Auch in den besonderen Rechtsvorschriften zur Teilhabe schwer behinderter Menschen (§§ 68 ff. SGB IX) finden sich keine weitergehenden Zuständigkeiten über die Feststellung der Behinderungen und des GdB hinaus.
Wegen des Fehlens einer der Beklagten zuzurechnen Pflichtverletzung kommt es auf die weiteren Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, wie z.B. eine eventuell wesentlich mitwirkende Verursachung der verspäteten Antragstellung durch den Fehler des AVF und nicht etwa durch fehlende Erkundigungen des Klägers, nicht an.
Die Beklagte hat damit dem Kläger zu Recht die ihm nach § 236a SGB VI (nicht gem. § 37 SGB VI, wonach eine solcher Rente erst ab Vollendung des 63. Lebensjahres zusteht) ab Vollendung des 60. Lebensjahres zustehende Rente für schwer behinderte Menschen nach § 99 Abs. 1 SGB VI erst ab August 2002 gezahlt. Insoweit war dann auch ein möglicher Anspruchsausschluss nach § 34 Abs. 2 SGB VI wegen der Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum 31.07.2001 nicht mehr zu prüfen.
Das Urteil des SG hat damit keinen Bestand und ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, da der Kläger unterlegen ist (§ 193 SGG).
Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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