Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 71/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 263/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 R 35/06 R und B 13 R 1/08 RH
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der Rev.
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 6. Dezember 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung überzahlter Witwenrente.
Auf ihren Antrag vom 03.12.1993 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.02.1994 große Witwenrente nach dem am 00.11.1993 verstorbenen Ehemann C I (Versicherter) ab 01.12.1993 in Höhe von netto 957,56 DM. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, für die Waisenrente gezahlt wurde.
Der Bescheid vom 15.02.1994 enthält unter der Überschrift "Mitteilungspflichten" u.a. folgende Hinweise:
"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind - Arbeitsentgelt - Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, - vergleichbares Einkommen - oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen ... Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung."
Bei einer im März 2004 vorgenommenen Prüfung ("Akit-Sonderaktion") stellte die Beklagte folgende Entgelte der Klägerin aus der Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung fest:
1997: 52.448,00 DM,
1998: 56.626,00 DM,
1999: 58.044,00 DM,
2000: 51.187,00 DM,
2001: 28.781,00 DM
Nach entsprechender Anhörung nahm die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2004 den Bescheid vom 15.02.1994 für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 30.06.2001 nach § 48 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurück und forderte gemäß § 50 SGB X die entstandene Überzahlung in Höhe von 11.617,49 Euro zurück: die Klägerin habe nach Erlass des Bewilligungsbescheides anrechenbares Einkommen erzielt, welches sich ab Juli 1997 rentenmindernd auswirke. Sie habe auch die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt, denn sie habe die ihr obliegende erforderliche Sorgfalt im besonderen Maße verletzt: Sie habe die Beklagte trotz der entsprechenden Hinweise im Rentenbescheid nicht von ihrer Beschäftigungsaufnahme in Kenntnis gesetzt.
Zur Begründung ihres Widerspruchs bemängelte die Klägerin eine unterbliebene Ermessensentscheidung. Der Rücknahmebescheid sei wegen Ungenauigkeit bereits aus formalen Gründen aufzuheben. Jedenfalls habe sie, die Klägerin, nicht grob fahrlässig gehandelt, denn sie habe sich gerade nach dem im Bescheid vom 15.02.1994 enthaltenen Hinweis gerichtet, dass sich die Meldung von Veränderungen bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige. Ein mit rechtlichen Fragen nicht täglich befasster Laie könne diesen Hinweise nur dahingehend auslegen.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 03.11.2004 mit, sie beabsichtige nun, den Bescheid vom 13.07.2004 zurückzunehmen und den Bescheid vom 15.02.1994 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X teilweise aufzuheben, soweit er die Rentenhöhe betreffe sowie die überzahlten Leistungen zurückzufordern. Dementsprechend nahm sie mit Bescheid vom 09.12.2004 den Bescheid vom 13.07.2004 zurück und hob den Bescheid vom 15.02.1994 nach § 48 SGB X teilweise auf, soweit er die Rentenhöhe betrifft. Zugleich forderte sie nach § 50 SGB X die Klägerin zur Erstattung der in der Zeit vom 01.07.1997 bis 30.06.2001 in Höhe von 11.617,49 Euro zu Unrecht erbrachten Leistungen auf. Zur Begründung führte sie aus, dass der Rentenbewilligungsbescheid aufgehoben werde, weil die Klägerin nach Erlass des Bescheides anrechenbares Einkommen erzielt habe, welches zur Minderung des Witwenrentenanspruchs geführt habe. Das von ihr erzielte Einkommen sei als wesentliche Änderung der Verhältnisse auf die Rente insoweit anzurechnen, als es den jeweiligen Freibetrag übersteige. Da die Änderung der Verhältnisse durch die Aufnahme der Beschäftigung im März 1996 eingetreten sei, werde die 10-Jahres-Frist gemäß Abs. 4 Satz 1 des § 48 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 - 5 SGB X eingehalten. Auch die Jahresfrist werde beachtet: Die Beklagte habe im März 2004 erstmals Kenntnis von der Aufnahme der Beschäftigung im März 1996 erlangt. Eine Ermessensausübung sei nicht erforderlich, weil kein atypischer Fall vorliege. Die rückwirkende Aufhebung stelle zudem keine unbillige Härte dar. In ihrem Widerspruch bezog sich die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen und wies darauf hin, dass ihre Einkommenslage sowie ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihrer 1986 geborenen Tochter K höchstens Rückzahlungsraten i.H.v. 50,00 Euro monatlich ermöglichten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23.02.2005 zurück und führte zur Begründung insbesondere aus, der Tenor des Bescheides vom 13.07.2004 sei korrekt gewesen, jedoch die Begründung nicht. Daher sei er mit Bescheid vom 09.12.2004 zurückgenommen und der ursprüngliche Rentenbescheid nur bezüglich der Rentenhöhe aufgehoben worden. Grobe Fahrlässigkeit oder Bösgläubigkeit der Klägerin seien nicht zu prüfen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie hat weiterhin der Ansicht vertreten, die Beklagte habe eine Ermessensentscheidung treffen müssen und der Tenor des angefochtenen Bescheides sei nicht korrekt. Grobe Fahrlässigkeit sei ihr nicht anzulasten.
Das SG hat nach Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 06.12.2005 antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 09.12.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei ab dem 01.07.1997 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse insofern eingetreten, als die Klägerin Einkommen erzielt habe, welches gemäß § 97 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Es habe jedoch ein atypischer Fall vorgelegen, so dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Die Atypik begründe sich vorliegend dadurch, dass die Klägerin nicht habe erkennen müssen, dass sie das von ihr erzielte Einkommen der Beklagten habe anzeigen müssen. Diese verweise insoweit zu Unrecht auf die im Bewilligungsbescheid unter den Mitteilungspflichten erfolgte Belehrung. Denn dort heiße es ausdrücklich auch, dass die Mitteilung von Veränderungen sich bei Einkommen aus einer ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige. Eine solche habe die Klägerin aufgenommen. Insoweit habe eine Änderung der Verhältnisse vorgelegen, welche die Klägerin nach dem Wortlaut der Belehrung nicht habe als meldepflichtig habe ansehen müssen. Soweit die Beklagte den Hinweis auf die Mitteilungspflicht lediglich auf Änderungen in der Höhe verstanden wissen wolle, sei der Wortlaut nicht eindeutig. Eine unklare und missverständliche Belehrung könne aber nicht einmal eine leichte Fahrlässigkeit durch die Klägerin begründen. Damit habe die Klägerin gutgläubig davon ausgehen können, dass sie ihr Arbeitseinkommen nicht anzuzeigen brauche und sie zu Recht Witwenrente in der gezahlten Höhe erhalten habe und diese auch verbrauchen durfte. Damit fehle auch die rechtliche Grundlage für eine Rückforderung.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 15.12.2005 zugestellten Gerichtsbescheid am 23.12.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ausführt, ein atypischer Fall liege nicht vor. Bei der Fallgruppe des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB X komme es auf Bösgläubigkeit, sonstiges Verschulden oder Vertrauensschutz nämlich nicht an.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 6. Dezember 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist aufzuheben. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 09.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 den Bewilligungsbescheid vom 15.02.1994 zu Recht mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufgehoben und den überzahlten Betrag zurückgefordert. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3).
Der Witwenrentenbescheid vom 15.02.1994 ist ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. In den tatsächlichen Verhältnissen, welchen bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist durch die Aufnahme der Erwerbstätigkeit mit dem erzielten hohen Verdienst, welcher die Anrechnung bewirkt, eine Änderung eingetreten. Diese Änderung ist auch wesentlich. Nach § 97 Sozialgesetzbuch, 6. Teil (SGB VI) wird Einkommen von Berechtigten, dass mit einer Witwenrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Anrechenbar ist das Einkommen, welches monatlich bei Witwenrenten das 26,4-fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt, wobei das nicht anrechenbare Einkommen sich um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwerts für jedes Kind der Berechtigten, welches Anspruch auf Waisenrente hat, erhöht. Nach § 18b des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) ist maßgebend das für denselben Zeitraum erzielte monatliche Einkommen. Dies ist nach Absatz 5 zu kürzen bei Arbeitsentgelt um 35 v.H.(in der Zeit bis zum 31.12.2001) und 40 v.H. in der Zeit seit dem 01.01.2002 (§ 18b Abs.5 SGB IV in der vom 01.01.1997 bis 30.06.2001 geltenden Fassung vom 12.12.1996 bzw. § 18b Abs. 5 SGB IV in der ab 01.07.2001 bis 31.12.2001 geltenden Fassung vom 21.12.2000 und in der vom 01.01.2002 bis 31.12.2003 geltenden Fassung vom 26.06.2001). Von dem so berechneten danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden nach § 97 Abs. 2 S. 3 SGB VI 40 v.H. auf die Witwenrente angerechnet. Diesen Vorgaben ist die Beklagte nachgekommen. Insoweit wird auf die von den Beteiligten nicht bestrittene Berechnung in den Anlagen 1 und 8 zur Anhörung vom 26.03.2004 Bezug genommen. Insbesondere hat sie das nicht anrechenbare Einkommen zutreffend um das 5,6-fache des jeweils aktuellen Rentenwerts erhöht, weil ein waisenrentenberechtigtes Kind vorhanden war.
Die Beklagte war berechtigt, den Witwenrentenbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs.1 S. 2 Nr. 3 SGB VI aufzuheben. Entgegen der Auffassung des SG musste sie bei ihrer Entscheidung auch kein Ermessen ausüben; denn es liegt kein sog. atypischer Fall im Sinne des § 48 Abs.1 S. 2 SGB X vor. Nach dieser Vorschrift "soll" der Verwaltungsakt unter den nachfolgenden Voraussetzungen der Nummern 1 bis 4 aufgehoben werden. Der Begriff "soll" bedeutet nach der einschlägigen Rechtsprechung und Kommentierung, dass dies in aller Regel zu geschehen hat, allerdings dann nicht, wenn ein atypischer Fall vorliegt (vgl. u.a. Wiesner in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Auflage 2005, Rdnr. 20 ff. mwN.). Ob ein atypischer Fall vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Atypik kommt nur in Betracht, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall des Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, der die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigt, signifikant abweicht. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung gerichtlich zu überprüfen und zu entscheiden (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29,.04.1992, Az.: 7 RAr 4/91). Diese Frage kann zudem nicht losgelöst davon beurteilt werden, welcher der in den Nummern 2 bis 4 angeführten Tatbestände des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X erfüllt ist (vgl. Wiesner aa0.). Insoweit macht die Beklagte zunächst zutreffend geltend, dass die Frage, ob die Klägerin die ihr obliegende Pflicht, das erzielte Einkommen der Beklagten anzuzeigen, zumindest grob nachlässig nicht beachtet hat, hier nicht entscheidend sein kann, weil sie ihren Verwaltungsakt auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt hat. Aber auch bei dessen Anwendung ist ein atypischer Fall von der Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann angenommen worden, wenn der Betroffene die zu erstattende Leistung verbraucht hat und ohne die entfallende Sozialleistung im nachhinein vermehrt sozialhilfebedürftig geworden wäre. Die unbillige Härte liege in diesen Fällen darin, dass der Betroffenen die Sozialhilfeansprüche, die ihm bei rechtzeitiger Erklärung zugestanden hätten, für die Vergangenheit nicht mehr geltend machen könne und er im Ergebnis wegen der Pflicht zur Rückzahlung aus seinem gegenwärtigen Einkommen und Vermögen solche Leistungen zu ersetzen hätte, die ihm in der Vergangenheit als weitere Hilfe zum Lebensunterhalt zugestanden hätten (Urteil BSG vom 12.12.1995, Az.: 10 RKg 9/95 in SozR 3-1300 § 48 Nr. 42). Eine solch atypische Fallgestaltung ist hier aber keineswegs gegeben. Vielmehr handelt sich hier gerade um die typische, dem § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X entsprechende Sachlage, nach der dem Betroffenen die bewilligte Leistung gerade insoweit nicht belassen werden soll, als später Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das an ihre Stelle treten kann. Zudem hat das BSG einen gutgläubigen Verbrauch auch noch in den Fällen berücksichtigt, in welchen der Leistungsempfänger zum Zeitpunkt des Verbrauchs des erzielten Einkommens mit einer Erstattungsforderung nicht rechnete oder zu rechnen hatte, insbesondere, wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit einer von einem Bediensteten einer hierfür zuständigen Behörde ihm gegebenen Information das erzielte Einkommen verbraucht hat (vgl. Urteil des BSG vom 26.08.1994, 13 RJ 29/93). Insofern mag auch die Frage der Gutgläubigkeit der Klägerin beim Empfang der ungeschmälerten Witwenrente hier eine gewisse Bedeutung haben. Die Klägerin konnte sich jedoch weder auf eine Zusage von seiten des Versicherungsträgers verlassen noch konnte sie dem Bewilligungsbescheid vom 15.02.1994 ohne weitere Rückversicherung entnehmen, dass ihr die Witwenrente trotz des Erwerbseinkommens auch weiterhin ungekürzt zustand.
Zunächst hält der Senat im Gegensatz zur Auffassung des SG die im Bescheid vom 15.02.1994 gegebenen Hinweise zu den obliegenden Mitteilungspflichten nicht unbedingt für missverständlich; denn darin wird deutlich zwischen einem "Hinzutreten" und einer "Veränderung von Erwerbseinkommen" differenziert. Nur bei einer Veränderung erübrige sich die Meldung. Bei der Klägerin ist aber nach Erteilung des Witwenrentenbescheides das Erwerbseinkommen hinzugetreten. Ein bei der Rentenbewilligung bereits erzieltes und somit der Beklagten dem Grunde nach auch bekanntes laufendes Erwerbseinkommen hat sich nicht verändert. Nur in diesem Falle ist die Beklagte darauf vorbereitet, Änderungen in der Höhe selbst beachten zu müssen. Aber selbst dann, wenn die Klägerin, aufgrund eines möglicherweise missverständlichen Hinweises im Bewilligungsbescheid davon ausgegangen sein sollte, das Neuhinzutreten von Erwerbseinkommen müsse dem Rentenversicherungsträger nicht mitgeteilt werden, kann dies nicht das Vorliegen einer Atypik begründen. Insoweit müsste zumindest feststehen, dass der Klägerin auch bei sorgfältigsten Überlegungen nicht Zweifel hätten kommen können, dass das neu von ihr erzielte Erwerbseinkommen zu irgendeiner Minderung der bewilligten Witwenrente führen würde. Sie hat dem Senat gegenüber bekundet, dass sie die günstigere Rechtsposition aus ihrer Auslegung der erteilten Mitteilungspflichten hergeleitet habe. Sie habe es als ausreichend angesehen, dass ihr die Witwenrente trotz des hinzugetretenen Erwerbseinkommens ungekürzt weiter gezahlt worden sei. Sie habe dabei die Vorstellung gehabt, dass die Versicherungsträger das untereinander regeln würden. Auch die Tatsache, dass die Ausbildungsvergütung bei der Waisenrente ihrer Tochter zu berücksichtigen war, habe sie nicht zu einer Rückfrage veranlasst. Wenn sich aber, wie hier, der Rentenbezieher nur auf eine vermeintlich günstige Rechtsposition verlässt, kann er sich im Nachhinein nicht auf ein irgendwie geartetes Vertrauen beim Verbrauch der Leistungen berufen.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass einer Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegenüber derjenigen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X bzw. auch Nr. 4 keine besondere Bedeutung mehr hätte, wenn allein das Nichtvorliegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Leistungsempfänger eine Atypik begründen würde.
Die Beklagte hat auch sowohl die 10-Jahres-Frist als auch die Kenntnisnahmefrist eingehalten. Nach § 48 Abs. 4 iVm. § 45 Abs. 3 S. 3 bis 5 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen bzw. aufgehoben werden. Im Rahmen der Prüfung dieser Frist ist weder Bösgläubigkeit noch grobe Fahrlässigkeit der Klägerin zu prüfen. § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X verweist allein auf die in § 45 Abs. 3 S: 3 bestimmte Rechtsfolge (Stärkung der Rechtsstellung des Begünstigten nach Ablauf von 10 Jahren), nicht auch auf die in dem Wenn-Satz dieser Vorschrift enthaltenen Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge (vgl. hierzu u.a. Urteil des BSG vom 11.12.1992, 9a RV 20/90 in SozR 3-1300 § 48 Nr. 22 mwN.). Diese Frist hat die Beklagte eingehalten, auch wenn man zu Gunsten der Klägerin als Eintritt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die erneute Aufnahme einer Beschäftigung im März 1996 annimmt, denn der Rückforderungsbescheid datiert aus dem Jahr 2004.
Die Behörde bzw. der Sozialversicherungsträger muss den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, zudem innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt (§ 48 Abs. 4 S. 1 iVm. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X). Auch diese Frist ist eingehalten. Die Beklagte hat erstmals durch die Akit-Sonderaktion im März 2004 Kenntnis vom rentenschädlichen Einkommen der Klägerin nehmen können. Der Rücknahmebescheid datiert vom 13.07.2004 bzw. 09.12.2004.
Da sonach die Aufhebung der Bewilligung rechtmäßig ist, durfte der Beklagte die überzahlte Leistung nach § 50 Abs 1 SGB X zurückfordern. Diese Vorschrift setzt eine rechtmäßige Aufhebung der Bewilligungsbescheide zwingend voraus (vgl. BSG SozR 1300 § 50 Nr 21).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, wann ein sog. atypischer Fall im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X überhaupt vorliegen kann, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rückforderung überzahlter Witwenrente.
Auf ihren Antrag vom 03.12.1993 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.02.1994 große Witwenrente nach dem am 00.11.1993 verstorbenen Ehemann C I (Versicherter) ab 01.12.1993 in Höhe von netto 957,56 DM. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, für die Waisenrente gezahlt wurde.
Der Bescheid vom 15.02.1994 enthält unter der Überschrift "Mitteilungspflichten" u.a. folgende Hinweise:
"Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind - Arbeitsentgelt - Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, - vergleichbares Einkommen - oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen ... Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung."
Bei einer im März 2004 vorgenommenen Prüfung ("Akit-Sonderaktion") stellte die Beklagte folgende Entgelte der Klägerin aus der Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung fest:
1997: 52.448,00 DM,
1998: 56.626,00 DM,
1999: 58.044,00 DM,
2000: 51.187,00 DM,
2001: 28.781,00 DM
Nach entsprechender Anhörung nahm die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2004 den Bescheid vom 15.02.1994 für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 30.06.2001 nach § 48 Abs.1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurück und forderte gemäß § 50 SGB X die entstandene Überzahlung in Höhe von 11.617,49 Euro zurück: die Klägerin habe nach Erlass des Bewilligungsbescheides anrechenbares Einkommen erzielt, welches sich ab Juli 1997 rentenmindernd auswirke. Sie habe auch die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt, denn sie habe die ihr obliegende erforderliche Sorgfalt im besonderen Maße verletzt: Sie habe die Beklagte trotz der entsprechenden Hinweise im Rentenbescheid nicht von ihrer Beschäftigungsaufnahme in Kenntnis gesetzt.
Zur Begründung ihres Widerspruchs bemängelte die Klägerin eine unterbliebene Ermessensentscheidung. Der Rücknahmebescheid sei wegen Ungenauigkeit bereits aus formalen Gründen aufzuheben. Jedenfalls habe sie, die Klägerin, nicht grob fahrlässig gehandelt, denn sie habe sich gerade nach dem im Bescheid vom 15.02.1994 enthaltenen Hinweis gerichtet, dass sich die Meldung von Veränderungen bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige. Ein mit rechtlichen Fragen nicht täglich befasster Laie könne diesen Hinweise nur dahingehend auslegen.
Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 03.11.2004 mit, sie beabsichtige nun, den Bescheid vom 13.07.2004 zurückzunehmen und den Bescheid vom 15.02.1994 nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X teilweise aufzuheben, soweit er die Rentenhöhe betreffe sowie die überzahlten Leistungen zurückzufordern. Dementsprechend nahm sie mit Bescheid vom 09.12.2004 den Bescheid vom 13.07.2004 zurück und hob den Bescheid vom 15.02.1994 nach § 48 SGB X teilweise auf, soweit er die Rentenhöhe betrifft. Zugleich forderte sie nach § 50 SGB X die Klägerin zur Erstattung der in der Zeit vom 01.07.1997 bis 30.06.2001 in Höhe von 11.617,49 Euro zu Unrecht erbrachten Leistungen auf. Zur Begründung führte sie aus, dass der Rentenbewilligungsbescheid aufgehoben werde, weil die Klägerin nach Erlass des Bescheides anrechenbares Einkommen erzielt habe, welches zur Minderung des Witwenrentenanspruchs geführt habe. Das von ihr erzielte Einkommen sei als wesentliche Änderung der Verhältnisse auf die Rente insoweit anzurechnen, als es den jeweiligen Freibetrag übersteige. Da die Änderung der Verhältnisse durch die Aufnahme der Beschäftigung im März 1996 eingetreten sei, werde die 10-Jahres-Frist gemäß Abs. 4 Satz 1 des § 48 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 - 5 SGB X eingehalten. Auch die Jahresfrist werde beachtet: Die Beklagte habe im März 2004 erstmals Kenntnis von der Aufnahme der Beschäftigung im März 1996 erlangt. Eine Ermessensausübung sei nicht erforderlich, weil kein atypischer Fall vorliege. Die rückwirkende Aufhebung stelle zudem keine unbillige Härte dar. In ihrem Widerspruch bezog sich die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen und wies darauf hin, dass ihre Einkommenslage sowie ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihrer 1986 geborenen Tochter K höchstens Rückzahlungsraten i.H.v. 50,00 Euro monatlich ermöglichten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23.02.2005 zurück und führte zur Begründung insbesondere aus, der Tenor des Bescheides vom 13.07.2004 sei korrekt gewesen, jedoch die Begründung nicht. Daher sei er mit Bescheid vom 09.12.2004 zurückgenommen und der ursprüngliche Rentenbescheid nur bezüglich der Rentenhöhe aufgehoben worden. Grobe Fahrlässigkeit oder Bösgläubigkeit der Klägerin seien nicht zu prüfen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen wiederholt und vertieft. Sie hat weiterhin der Ansicht vertreten, die Beklagte habe eine Ermessensentscheidung treffen müssen und der Tenor des angefochtenen Bescheides sei nicht korrekt. Grobe Fahrlässigkeit sei ihr nicht anzulasten.
Das SG hat nach Anhörung mit Gerichtsbescheid vom 06.12.2005 antragsgemäß den Bescheid der Beklagten vom 13.07.2004 in der Gestalt des Bescheides vom 09.12.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei ab dem 01.07.1997 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse insofern eingetreten, als die Klägerin Einkommen erzielt habe, welches gemäß § 97 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Es habe jedoch ein atypischer Fall vorgelegen, so dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen. Die Atypik begründe sich vorliegend dadurch, dass die Klägerin nicht habe erkennen müssen, dass sie das von ihr erzielte Einkommen der Beklagten habe anzeigen müssen. Diese verweise insoweit zu Unrecht auf die im Bewilligungsbescheid unter den Mitteilungspflichten erfolgte Belehrung. Denn dort heiße es ausdrücklich auch, dass die Mitteilung von Veränderungen sich bei Einkommen aus einer ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige. Eine solche habe die Klägerin aufgenommen. Insoweit habe eine Änderung der Verhältnisse vorgelegen, welche die Klägerin nach dem Wortlaut der Belehrung nicht habe als meldepflichtig habe ansehen müssen. Soweit die Beklagte den Hinweis auf die Mitteilungspflicht lediglich auf Änderungen in der Höhe verstanden wissen wolle, sei der Wortlaut nicht eindeutig. Eine unklare und missverständliche Belehrung könne aber nicht einmal eine leichte Fahrlässigkeit durch die Klägerin begründen. Damit habe die Klägerin gutgläubig davon ausgehen können, dass sie ihr Arbeitseinkommen nicht anzuzeigen brauche und sie zu Recht Witwenrente in der gezahlten Höhe erhalten habe und diese auch verbrauchen durfte. Damit fehle auch die rechtliche Grundlage für eine Rückforderung.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 15.12.2005 zugestellten Gerichtsbescheid am 23.12.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie ausführt, ein atypischer Fall liege nicht vor. Bei der Fallgruppe des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB X komme es auf Bösgläubigkeit, sonstiges Verschulden oder Vertrauensschutz nämlich nicht an.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 6. Dezember 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der den Versicherten betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist aufzuheben. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 09.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2005 den Bewilligungsbescheid vom 15.02.1994 zu Recht mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aufgehoben und den überzahlten Betrag zurückgefordert. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3).
Der Witwenrentenbescheid vom 15.02.1994 ist ein solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. In den tatsächlichen Verhältnissen, welchen bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist durch die Aufnahme der Erwerbstätigkeit mit dem erzielten hohen Verdienst, welcher die Anrechnung bewirkt, eine Änderung eingetreten. Diese Änderung ist auch wesentlich. Nach § 97 Sozialgesetzbuch, 6. Teil (SGB VI) wird Einkommen von Berechtigten, dass mit einer Witwenrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Anrechenbar ist das Einkommen, welches monatlich bei Witwenrenten das 26,4-fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt, wobei das nicht anrechenbare Einkommen sich um das 5,6-fache des aktuellen Rentenwerts für jedes Kind der Berechtigten, welches Anspruch auf Waisenrente hat, erhöht. Nach § 18b des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) ist maßgebend das für denselben Zeitraum erzielte monatliche Einkommen. Dies ist nach Absatz 5 zu kürzen bei Arbeitsentgelt um 35 v.H.(in der Zeit bis zum 31.12.2001) und 40 v.H. in der Zeit seit dem 01.01.2002 (§ 18b Abs.5 SGB IV in der vom 01.01.1997 bis 30.06.2001 geltenden Fassung vom 12.12.1996 bzw. § 18b Abs. 5 SGB IV in der ab 01.07.2001 bis 31.12.2001 geltenden Fassung vom 21.12.2000 und in der vom 01.01.2002 bis 31.12.2003 geltenden Fassung vom 26.06.2001). Von dem so berechneten danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden nach § 97 Abs. 2 S. 3 SGB VI 40 v.H. auf die Witwenrente angerechnet. Diesen Vorgaben ist die Beklagte nachgekommen. Insoweit wird auf die von den Beteiligten nicht bestrittene Berechnung in den Anlagen 1 und 8 zur Anhörung vom 26.03.2004 Bezug genommen. Insbesondere hat sie das nicht anrechenbare Einkommen zutreffend um das 5,6-fache des jeweils aktuellen Rentenwerts erhöht, weil ein waisenrentenberechtigtes Kind vorhanden war.
Die Beklagte war berechtigt, den Witwenrentenbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs.1 S. 2 Nr. 3 SGB VI aufzuheben. Entgegen der Auffassung des SG musste sie bei ihrer Entscheidung auch kein Ermessen ausüben; denn es liegt kein sog. atypischer Fall im Sinne des § 48 Abs.1 S. 2 SGB X vor. Nach dieser Vorschrift "soll" der Verwaltungsakt unter den nachfolgenden Voraussetzungen der Nummern 1 bis 4 aufgehoben werden. Der Begriff "soll" bedeutet nach der einschlägigen Rechtsprechung und Kommentierung, dass dies in aller Regel zu geschehen hat, allerdings dann nicht, wenn ein atypischer Fall vorliegt (vgl. u.a. Wiesner in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Auflage 2005, Rdnr. 20 ff. mwN.). Ob ein atypischer Fall vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Atypik kommt nur in Betracht, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall des Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, der die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigt, signifikant abweicht. Ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung gerichtlich zu überprüfen und zu entscheiden (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 29,.04.1992, Az.: 7 RAr 4/91). Diese Frage kann zudem nicht losgelöst davon beurteilt werden, welcher der in den Nummern 2 bis 4 angeführten Tatbestände des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X erfüllt ist (vgl. Wiesner aa0.). Insoweit macht die Beklagte zunächst zutreffend geltend, dass die Frage, ob die Klägerin die ihr obliegende Pflicht, das erzielte Einkommen der Beklagten anzuzeigen, zumindest grob nachlässig nicht beachtet hat, hier nicht entscheidend sein kann, weil sie ihren Verwaltungsakt auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt hat. Aber auch bei dessen Anwendung ist ein atypischer Fall von der Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann angenommen worden, wenn der Betroffene die zu erstattende Leistung verbraucht hat und ohne die entfallende Sozialleistung im nachhinein vermehrt sozialhilfebedürftig geworden wäre. Die unbillige Härte liege in diesen Fällen darin, dass der Betroffenen die Sozialhilfeansprüche, die ihm bei rechtzeitiger Erklärung zugestanden hätten, für die Vergangenheit nicht mehr geltend machen könne und er im Ergebnis wegen der Pflicht zur Rückzahlung aus seinem gegenwärtigen Einkommen und Vermögen solche Leistungen zu ersetzen hätte, die ihm in der Vergangenheit als weitere Hilfe zum Lebensunterhalt zugestanden hätten (Urteil BSG vom 12.12.1995, Az.: 10 RKg 9/95 in SozR 3-1300 § 48 Nr. 42). Eine solch atypische Fallgestaltung ist hier aber keineswegs gegeben. Vielmehr handelt sich hier gerade um die typische, dem § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X entsprechende Sachlage, nach der dem Betroffenen die bewilligte Leistung gerade insoweit nicht belassen werden soll, als später Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das an ihre Stelle treten kann. Zudem hat das BSG einen gutgläubigen Verbrauch auch noch in den Fällen berücksichtigt, in welchen der Leistungsempfänger zum Zeitpunkt des Verbrauchs des erzielten Einkommens mit einer Erstattungsforderung nicht rechnete oder zu rechnen hatte, insbesondere, wenn er im Vertrauen auf die Richtigkeit einer von einem Bediensteten einer hierfür zuständigen Behörde ihm gegebenen Information das erzielte Einkommen verbraucht hat (vgl. Urteil des BSG vom 26.08.1994, 13 RJ 29/93). Insofern mag auch die Frage der Gutgläubigkeit der Klägerin beim Empfang der ungeschmälerten Witwenrente hier eine gewisse Bedeutung haben. Die Klägerin konnte sich jedoch weder auf eine Zusage von seiten des Versicherungsträgers verlassen noch konnte sie dem Bewilligungsbescheid vom 15.02.1994 ohne weitere Rückversicherung entnehmen, dass ihr die Witwenrente trotz des Erwerbseinkommens auch weiterhin ungekürzt zustand.
Zunächst hält der Senat im Gegensatz zur Auffassung des SG die im Bescheid vom 15.02.1994 gegebenen Hinweise zu den obliegenden Mitteilungspflichten nicht unbedingt für missverständlich; denn darin wird deutlich zwischen einem "Hinzutreten" und einer "Veränderung von Erwerbseinkommen" differenziert. Nur bei einer Veränderung erübrige sich die Meldung. Bei der Klägerin ist aber nach Erteilung des Witwenrentenbescheides das Erwerbseinkommen hinzugetreten. Ein bei der Rentenbewilligung bereits erzieltes und somit der Beklagten dem Grunde nach auch bekanntes laufendes Erwerbseinkommen hat sich nicht verändert. Nur in diesem Falle ist die Beklagte darauf vorbereitet, Änderungen in der Höhe selbst beachten zu müssen. Aber selbst dann, wenn die Klägerin, aufgrund eines möglicherweise missverständlichen Hinweises im Bewilligungsbescheid davon ausgegangen sein sollte, das Neuhinzutreten von Erwerbseinkommen müsse dem Rentenversicherungsträger nicht mitgeteilt werden, kann dies nicht das Vorliegen einer Atypik begründen. Insoweit müsste zumindest feststehen, dass der Klägerin auch bei sorgfältigsten Überlegungen nicht Zweifel hätten kommen können, dass das neu von ihr erzielte Erwerbseinkommen zu irgendeiner Minderung der bewilligten Witwenrente führen würde. Sie hat dem Senat gegenüber bekundet, dass sie die günstigere Rechtsposition aus ihrer Auslegung der erteilten Mitteilungspflichten hergeleitet habe. Sie habe es als ausreichend angesehen, dass ihr die Witwenrente trotz des hinzugetretenen Erwerbseinkommens ungekürzt weiter gezahlt worden sei. Sie habe dabei die Vorstellung gehabt, dass die Versicherungsträger das untereinander regeln würden. Auch die Tatsache, dass die Ausbildungsvergütung bei der Waisenrente ihrer Tochter zu berücksichtigen war, habe sie nicht zu einer Rückfrage veranlasst. Wenn sich aber, wie hier, der Rentenbezieher nur auf eine vermeintlich günstige Rechtsposition verlässt, kann er sich im Nachhinein nicht auf ein irgendwie geartetes Vertrauen beim Verbrauch der Leistungen berufen.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass einer Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegenüber derjenigen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X bzw. auch Nr. 4 keine besondere Bedeutung mehr hätte, wenn allein das Nichtvorliegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Leistungsempfänger eine Atypik begründen würde.
Die Beklagte hat auch sowohl die 10-Jahres-Frist als auch die Kenntnisnahmefrist eingehalten. Nach § 48 Abs. 4 iVm. § 45 Abs. 3 S. 3 bis 5 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen bzw. aufgehoben werden. Im Rahmen der Prüfung dieser Frist ist weder Bösgläubigkeit noch grobe Fahrlässigkeit der Klägerin zu prüfen. § 48 Abs. 4 S. 1 SGB X verweist allein auf die in § 45 Abs. 3 S: 3 bestimmte Rechtsfolge (Stärkung der Rechtsstellung des Begünstigten nach Ablauf von 10 Jahren), nicht auch auf die in dem Wenn-Satz dieser Vorschrift enthaltenen Voraussetzungen für den Eintritt der Rechtsfolge (vgl. hierzu u.a. Urteil des BSG vom 11.12.1992, 9a RV 20/90 in SozR 3-1300 § 48 Nr. 22 mwN.). Diese Frist hat die Beklagte eingehalten, auch wenn man zu Gunsten der Klägerin als Eintritt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die erneute Aufnahme einer Beschäftigung im März 1996 annimmt, denn der Rückforderungsbescheid datiert aus dem Jahr 2004.
Die Behörde bzw. der Sozialversicherungsträger muss den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, zudem innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsache zurücknehmen, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigt (§ 48 Abs. 4 S. 1 iVm. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X). Auch diese Frist ist eingehalten. Die Beklagte hat erstmals durch die Akit-Sonderaktion im März 2004 Kenntnis vom rentenschädlichen Einkommen der Klägerin nehmen können. Der Rücknahmebescheid datiert vom 13.07.2004 bzw. 09.12.2004.
Da sonach die Aufhebung der Bewilligung rechtmäßig ist, durfte der Beklagte die überzahlte Leistung nach § 50 Abs 1 SGB X zurückfordern. Diese Vorschrift setzt eine rechtmäßige Aufhebung der Bewilligungsbescheide zwingend voraus (vgl. BSG SozR 1300 § 50 Nr 21).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, wann ein sog. atypischer Fall im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X überhaupt vorliegen kann, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved