S 9 AS 396/05 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 9 AS 396/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB 2 findet für einen Anspruch auf Sozialgeld nach §§ 28 Abs. 1, 7 Abs. 2 und 3 SGB 2 keine Anwendung. § 7 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB 2, wonach der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben muss. Eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG schließt die Bedürftigkeit nicht dem Grunde nach aus.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) ab 1. Juli 2005 vorläufig bis zur Entscheidung über den Widerspruch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Den Antragstellern wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung dem Grunde nach ab dem 5. Juli 2005 gewährt. Ihnen wird Rechtsanwalt xxx zur Wahrnehmung ihrer Interessen beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragstellers zur Gewährung von laufenden Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller zu 1) und 2) sind verlobt und leben seit 1. April 2005 gemeinsam in einer Wohnung in xxx. Der Hochzeitstermin wurde auf den 5. August 2005 festgelegt.

Der am xxxx geborene Antragsteller zu 1) ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 26. Februar 2003 in das Bundesgebiet ein. Er besaß vom 19. Februar 2003 bis 18. Mai 2003 ein befristetes Visum für die Bundesrepublik Deutschland. Am 14. Mai 2003 erteilte die Stadt xxxx eine Aufenthaltsbewilligung bis zum 13. Mai 2004, diese wurde bis 29. Januar 2005 verlängert. Aufgrund der Fiktionsbescheinigung des Landkreises xxxx gilt der Aufenthalt als fortbestehend gemäß § 81 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) bis 30. September 2005. Der Onkel des Antragstellers zu 1) hat sich am 15. April 2005 gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt xxxx verpflichtet, für die Zeit vom 19. Mai 2004 bis 18. Mai 2006 nach § 84 des Ausländergesetzes unter anderem die Kosten für den Lebensunterhalt zu tragen.

Die Antragstellerin zu 2) bezog seit dem 1. Januar 2005 vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von zuletzt 601,00 EUR.

Am 4. April 2005 teilten die Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller zu 1) in die Wohnung der Antragstellerin zu 2) eingezogen ist. Gleichzeitig stellten sie einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an den Antragsteller zu 1). Mit Bescheid vom 30. Juni 2005 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 2) Leistungen in Höhe von 433,00 EUR monatlich. Im Übrigen lehnte er den Antrag mit der Begründung ab, dass der Antragsteller zu 1) nicht die Voraussetzungen nach § 7 SGB II erfülle und somit kein Leistungsanspruch bestehe.

Am 5. Juli 2005 haben die Antragsteller bei dem Sozialgericht Dessau Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie begehren die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II auch für den Antragsteller zu 1). Zur Begründung führten sie aus, dass der Antragsgegner offenkundig davon ausgehe, dass die Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Es ergebe sich eine Leistungsberechtigung aus § 7 Abs. 2 SGB II. Es bestehe kein Grund, die Fiktion eines nicht bestehenden gewöhnlichen Aufenthaltes aufgrund des Fehlens der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 SGB II auch auf die abgeleitete Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 SGB II zu erstrecken, soweit sich der Leistungsausschluss nicht bereits aus dem Vorrang des AsylbLG ergebe. Der Antragsteller zu 1) unterfalle nicht dem AsylbLG. Ihm sei eine Aufenthaltsgenehmigung zu Ausbildungszwecken erteilt worden, die wegen der fehlenden Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung gemäß §§ 81 Abs. 4, 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG fortgelte. Hilfsweise machen die Antragsteller geltend, dass zumindest ein Anspruch aus § 23 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegeben sei. Wegen des Nichtvorhandenseins einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II wären der Antragstellerin zu 2) dann Leistungen nach dem SGB II in Höhe einer Regelleistung von 331,00 EUR zuzüglich der hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Die Antragsteller beantragen, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig zusätzliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Zugrundelegung eines ungedeckten Hilfebedarfs von monatlich 433,00 EUR zu zahlen, hilfsweise der Antragstellerin zu 2. vorläufig zusätzliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Zugrundelegung eines ungedeckten Hilfebedarfs von monatlich 33,00 EUR und dem Antragsteller zu 1. vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII unter Zugrundelegung eines ungedeckten Hilfebedarfs von monatlich 400,00 EUR zu zahlen und 2. den Antragstellern für das Eilrechtsschutzverfahren der ersten Instanz Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung von Rechtsanwalt xxx zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass der Antragsteller zu 1) kein leistungsberechtigter, erwerbsfähiger Hilfebedürftiger im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB III sei, da ihm eine Erwerbstätigkeit und eine Beschäftigung aufgrund der Fiktionsbescheinigung des Landkreises xxx vom 30. Juni 2005 ausdrücklich nicht gestattet sei. Der Antragsteller zu 1) habe auch keinen von der Antragstellerin zu 2) abgeleiteten Anspruch als weiterer Angehöriger der Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II, insoweit sei der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch auf die Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 2 SGB II zu erstrecken. Für den Antragsteller zu 1) habe sich Herr xxx verpflichtet, die Kosten des Lebensunterhaltes während des Aufenthaltes in Deutschland zu übernehmen. Ein Anspruch des Antragstellers zu 1) scheide nach § 28 SGB II aus. Aufgrund der Verpflichtungserklärung ergebe sich ebenfalls kein Anspruch nach dem SGB XII.

II.

Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Antragsteller zu 1) hat Erfolg.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür reicht es jedenfalls aus, dass ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden, so dass bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Erfolg des Begehrens in der Hauptsache zu erwarten ist. Umgekehrt kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung dann nicht beansprucht werden, wenn im Rahmen der im einstweiligen Verfahren allein möglichen summarischen Überprüfung das Vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann.

Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Dem Antragsteller zu 1) steht gemäß § 28 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ein Anspruch auf Sozialgeld zu. Gemäß § 28 Abs. 1 SGB II erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben.

Der Antragsteller zu 1) ist Angehöriger einer erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Die Antragstellerin zu 2) ist eine erwerbsfähige Hilfebedürftiger gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Dies ergibt sich ebenfalls aus der Bewilligung der Leistungen an die Antragstellerin zu 2). Der Antragsteller zu 2) ist ebenfalls Angehöriger. Angehöriger ist, wer zur Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 SGB II zählt. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB III gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Der Antragsteller zu 1) ist der Verlobte der Antragstellerin zu 1). Sie leben seit dem 1. April 2005 gemeinsam in einer Wohnung. Ein Hochzeitstermin wurde bereits auf den 5. August 2005 festgelegt. Nach Angabe des Prozessbevollmächtigten in der Sitzung unterhält die Antragstellerin zu 2) den Antragsteller zu 1). Nach dem Vortrag der Antragsteller ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander besteht und somit von einer eheähnlicher Gemeinschaft auszugehen ist.

Der Antragsteller zu 1) ist ebenfalls nicht erwerbsfähig, da er nicht zum Personenkreis des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II gehört. Dem Antragsteller wurde in seiner Fiktionsbescheinigung eine Arbeitsaufnahme nicht gestattet. Die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II ist damit nicht erfüllt.

Ein Ausschluss der Leistungen nach dem SGB II ist ebenfalls nicht gegeben. Der Antragsteller zu 1) ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG oder nach §§ 41 ff. SGB XII.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gilt, dass Ausländer ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben und Leistungen nach diesem Buch erhalten, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 vorliegen. Nach Auffassung des Gerichts findet § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II jedoch für einen Anspruch auf Sozialgeld nach §§ 28 Abs. 1, 7 Abs. 2 und 3 SGB II keine Anwendung. Dieser Ausschluss gilt nach der Gesetzessystematik nur für Personen, die unter § 7 Abs. 1 SGB II fallen. § 7 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 – wonach der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben muss. Aufgrund der Gesetzessystematik ist es daher auch nicht erforderlich, dass Empfänger von Leistungen nach § 7 Abs. 2 SGB II ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Eine solche Einschränkung sehen §§ 7 Abs. 2, § 28 SGB II nicht vor. Voraussetzung ist nur, dass sie z.B. in eheähnlicher Gemeinschaft leben, d.h. zusammen eine Wohnung bewohnen. Im Übrigen besitzt der Antragsteller zu 1) eine Aufenthaltsbewilligung, die zur Zeit fiktiv weiterbesteht, so dass man auch aufgrund dieses Aufenthaltstitels von einem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgehen kann.

Die Verpflichtungserklärung des Onkels des Antragstellers zu 1) führt nicht zum Wegfall der Hilfebedürftigkeit. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Verpflichtungserklärung gegenüber der Ausländerbehörde sämtliche öffentliche Mittel, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum u.s.w. aufgewendet werden, zu erstatten. Eine Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG (AuslG 1990, nunmehr § 68 AufenthG) würde dem Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur entgegenstehen, wenn der Leistungsberechtigte von demjenigen, der die Erklärung im Sinne von § 84 AuslG (AuslG 1990) abgegeben hat, tatsächlich Leistungen erhält. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat in der Sitzung vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) zumindest seit April 2005 keinerlei Leistungen von seinem Onkel erhält. Aufgrund summarischen Prüfung ist somit von einer Hilfebedürftigkeit auszugehen.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt nach Aktenlage nicht auf andere Weise sicherstellen können, so dass die von ihnen erstrebte Regelung auch eilbedürftig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gemäß §§ 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Raten waren nicht festzusetzen, da den Antragstellern nach Abzug der in § 115 Abs. 1 ZPO genannten Beträge kein einzusetzendes Einkommen verbleibt.
Rechtskraft
Aus
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