Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 RJ 7/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RJ 123/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 R 315/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB B 4 R 315/06 B Rücknahme der NZB
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.08.2004 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden in beiden Rechtszügen nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten wegen einer Beschäftigung im Ghetto Schaulen in der Zeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943.
Der am 00.00.1925 in S (Lettland) geborene Kläger ist Jude und anerkannter Verfolgter nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Er hielt sich seit September 1941 im Ghetto Schaulen (Litauen) auf. Im Juni 1944 wurde der Kläger in das Konzentrationslager Stutthoff deportiert. Am 01.05.1945 wurde er aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Anschließend hielt sich der Kläger in verschiedenen DP-Lagern auf. Im Juli 1948 wanderte er nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Im Entschädigungsverfahren erhielt der Kläger eine Entschädigung für erlittenen Freiheitsschaden im Umfang von 44 Kalendermonaten.
Im Februar 2001 beantragte der Kläger Leistungen wegen Zwangsarbeit im "Konzentrationslager Dachau-Lager 10, 1944" nach dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). Dem Kläger wurden Leistungen nach dem EVZStiftG gewährt.
Im November 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von ARG, die Anerkennung von Arbeitszeiten im Ghetto als Beitragszeiten sowie die Zulassung zum Nachentrichtungsverfahren. Im am 14.12.1998 unterzeichneten Rentenantrag gab er an, dass er dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe. Er habe in der Zeit von Juli bis September 1941 Schwarzarbeiten für die deutsche Armee in Schaulen ausgeführt. Er habe 6 Tage in der Woche ca. 10 bis 12 Stunden täglich Plätze der Deutschen Armee gereinigt und unterhalten und dann dafür ein Gehalt erhalten. Ab September 1941 habe er sich im Ghetto Schaulen aufgehalten. In der Zeit von September 1941 bis Mai 1942 sei er auf dem Flugplatz der Luftwaffe beschäftigt gewesen. Er habe 6 Tage wöchentlich, 10 Stunden täglich Straßenbauarbeiten und verschiedene schwere Arbeiten gegen Gehalt verrichtet. In der Zeit von Mai bis August 1942 sei er bei S in der Torfangrabung beschäftigt gewesen. Er habe 8 Stunden täglich im Dreischichtbetrieb 6 Tage wöchentlich Torf ausgegraben und ein Gehalt erhalten. Anschließend habe er in der Zeit von September 1942 bis August 1943 bei der Firma T Tankholz-Holzstelle gearbeitet. Die Arbeitszeit habe 9 Stunden täglich, 6 Tage wöchentlich betragen, er habe ein Gehalt erhalten. In der Zeit von September 1943 bis Juli 1944 sei er in einer Leder- und Schuhfabrik C 8 Stunden täglich, 6 Tage wöchentlich gegen Gehalt beschäftigt gewesen. In der Zeit von August 1944 bis April 1945 habe er im Konzentrationslager Dachau Lager 10 für die Firma E GmbH 14 Stunden täglich, 6 Tage in der Woche gegen Erhalt von Nahrung und Kleidung gearbeitet. Im Fragebogen zum dSK gab der Kläger unter dem 28. 01.1999 an, dass er mit seinen Eltern im Ghetto Schaulen unter gräulichen Umständen gelebt habe und sie zu verschiedenen Arbeiten außerhalb des Ghettos geschleppt worden seien. Nach Beiziehung der Entschädigungsakten des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. 03.1999 den Antrag ab. Die behaupteten Arbeitszeiten von Juli 1941 bis April 1945 könnten nicht als Beitragszeiten anerkannt werden, da es sich um Zwangsarbeiten im Rahmen von Verfolgungsmaßnahmen handele. Aus dem Inhalt der Entschädigungsakten ergebe sich, dass der Kläger während der Zeit von Juli 1941 bis April 1945 zu schweren physischen Zwangsarbeiten herangezogen worden sei. Es sei daher nicht glaubhaft, dass es sich um ein freiwillig eingegangenes Arbeitsverhältnis gehandelt habe.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 13.01.2000 als unbegründet zurück.
Im Oktober 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von ARG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten in der Zeit vom 01.07.1941 bis 31.07.1944 nach dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2002 ab.
Mit der am 28.01.2000 erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung von ARG unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG begehrt. Der Kläger hat vorgetragen, seine Heimatstadt Schaulen sei am 26.06.1941 von der Wehrmacht besetzt worden. Anfang Juli 1941 habe er begonnen zu arbeiten. Er habe Mitte September 1941 vom Ghetto aus angefangen zu arbeiten. Er habe auf dem Flughafen A, nahe der Stadt gearbeitet. Das Ghetto Schaulen sei im August 1941 entstanden und habe unter denselben Arbeitsbedingungen und Gewohnheiten fortbestanden, bis er im Juli 1944 in das Konzentrationslager Stutthoff deportiert worden sei. Im Jahre 1943 seien einige Personen aus dem Ghetto genommen und in kleine abgeschlossene Lager in die Umgebung von Schaulen verbracht worden, er sei aber mit seiner Familie im Ghetto geblieben, wo alles wie gewohnt weitergelaufen sei. Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger die Erklärungen von Herrn Q vom 30.11.2000 und Herrn L vom 19.12.2000 sowie Auszüge aus Lagin, Under Soviet Rule and in Ghetto Shavli zu den Akten gereicht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2000 und des Bescheides vom 29.10.2002 zu verurteilen, ihm Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren.
Die Beklagt hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 11.08.2004 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2000 und des Bescheides vom 29.10.2002 verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 sowie Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Es sei glaubhaft, dass der Kläger die Beschäftigungen innerhalb und außerhalb des Ghettos aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass im Entschädigungsverfahren seine Beschäftigungen zum Teil als "Zwangsarbeit" bezeichnet worden seien. Die Furcht vor Deportationen und die wirtschaftliche Not habe auf die jüdische arbeitsfähige Bevölkerung einen massiven mittelbaren Druck ausgeübt. Dem Kläger sei es auf einem noch bestehenden "Arbeitsmarkt" im Ghetto Schaulen nach der Tätigkeit auf dem Flughafen gelungen, auf Arbeitsplätze innerhalb des Ghettos zu wechseln. Der Arbeitsplatzwechsel des Klägers belege die Existenz einer Arbeitsvermittlung im Ghetto Schaulen, in dem bis Herbst 1943 eine Zivilverwaltung bestanden habe. Im Rahmen der zivilen Verwaltung des Ghettos habe ein Arbeitsamt bestanden, das mit der Organisation und der Verteilung von Arbeit befasst gewesen sei. Angesichts der Organisation der Arbeitsvermittlung sei es zur Überzeugung der Kammer glaubhaft, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, aus freiem Willensentschluss im Rahmen bestehender Möglichkeiten einen Arbeitsplatz anzunehmen bzw. zu wechseln. Erst mit der Übernahme der Verwaltung des Ghettos durch die SS sei die Arbeitsaufnahme und die Beschäftigung im Ghetto als Zwangsarbeit zu bewerten. Dahinstehen könne, ob der Kläger eine Entlohnung in Bargeld erhalten habe. Die dem Kläger gewährten zusätzlichen Lebensmittelrationen seien unter Berücksichtigung der historischen Umstände als Entgelt im Sinne des ZRBG zu qualifizieren. Die Entgeltlichkeit der Beschäftigung im Ghetto Schaulen werde auch durch die Erlasse des Reichskommissars Ostland vom 02.08.1941 und vom 27.08.1942 belegt, wonach die Arbeitgeber von jüdischen Arbeitskräften im Ghetto Schaulen ein angemessenes Entgelt an die Kasse des Gebietkommissars entrichten mussten. Aus dieser Vergütungsregelung ergebe sich, dass die Beschäftigung des Klägers gegen Entgelt ausgeübt worden sei.
Gegen das am 19.10.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.11.2004 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des SG Düsseldorf sei davon auszugehen, dass bei der Aufnahme der Tätigkeit des Klägers im streitbefangenen Zeitraum nicht die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem hierfür typischen Merkmalen im Vordergrund gestanden habe. Es scheitere schon an dem fehlenden freien und eigenen Willen des Klägers selbst. Eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung setze die Vereinbarung zwischen einem konkreten Arbeitgeber und einem Beschäftigten über den Austausch von Arbeit und Lohn sowie das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablauf des Betriebes voraus. Der Kläger habe selbst unter dem 28.01.1999 angegeben, zu verschiedenen Tätigkeiten außerhalb des Ghettos verschleppt worden zu sein. Auch in den vorgelegten Zeugenerklärungen sei bestätigt worden, dass der Kläger zu Arbeiten eingeteilt worden sei. Allein der Umstand, dass der Kläger seine Arbeit möglicherweise durch das jüdische Komitee zugewiesen erhalten habe, nachdem er sich um eine Arbeit beworben habe, reiche nicht aus, um die Freiwilligkeit der verrichteten Tätigkeit zu bejahen. Auch vor dem Hintergrund der bekannten historischen Erkenntnisse sei nicht von einer freiwilligen Beschäftigungsausübung auszugehen. Denn nach § 1 der Verordnung über die Einführung des Arbeitszwanges für die jüdische Bevölkerung am 16.08.1941 hätten die in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts im Alter vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr dem Arbeitszwang unterlegen. Nach den vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden im Gebiet des Reichskommissariats Ostland seien die arbeitsfähigen Juden nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranzuziehen gewesen. Die Zwangsarbeit habe danach in Arbeitskommandos außerhalb des Ghettos, im Ghetto oder in einer sich im Ghetto befindlichen Werkstätten geleistet werden müssen. Die Vergütung habe nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen gehabt, sondern nur der Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes für die Zwangsarbeiter gedient. Auch sei eine Beschäftigung gegen Entgelt im rentenversicherungsrechtlichen Sinne nicht überwiegend wahrscheinlich.
Der Kläger habe im Rahmen der Antragstellung angegeben, für die von ihm geleistete Arbeit ein Gehalt erhalten zu haben. Nach den Ausführungen des Zeugen Q habe der Kläger die übliche Ghettoentlohnung sowie zusätzliche Lebensmittelrationen und Arbeitskleidung bekommen. Der Zeuge L habe ausgeführt, dass sie ihre Tätigkeiten gegen einen Hungerlohn sowie zusätzliche Lebensmittelrationen verrichtet hätten. Die Entlohnung sei im Ghetto üblicherweise durch die Aushändigung von Coupons erfolgt und habe kaum zum Überleben gereicht. Dies als Entgelt im Sinne der ZBRG anzusehen, erscheine zweifelhaft. Sie gehe von der Zugehörigkeit des Klägers zum dSK zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Heimatgebiet aus. Die Voraussetzungen des § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), § 17 a 2 Alt. Fremdrentengesetz (FRG) lägen vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.08.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Historiker Dr. Tauber als Sachverständigen zur Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Beschäftigungen im Ghetto Schaulen anzuhören.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Im Schreiben vom 25.01.2006 hat der Kläger ausgeführt, er wisse nicht, wer seine Arbeitgeber gewesen seien. Er habe keinen unmittelbaren Kontakt mit den Arbeitgebern zur Beschäftigungsaufnahme gehabt und habe mit ihnen keine Arbeitsverträge abgeschlossen. Die Arbeit auf dem Flughafen und in Radviliskis sei ihm durch das Arbeitsamt im Ghetto vermittelt wurden. Die Beschäftigungsaufnahme im Tankholzwerk T sei entweder durch das Arbeitsamt im Ghetto oder den Judenrat geregelt worden. Die Arbeit in der Lederfabrik sei ihm durch den Judenrat vermittelt worden. Während seiner Arbeit auf dem Flughafen habe er ein Mittagessen und Sachbezüge von den Behörden im Ghetto erhalten. Für seine Arbeit in Radviliskis habe er kein Bargeld, sondern Sachbezüge erhalten. Die Sachbezüge, die u. a. auch aus Lebensmittelgutscheinen bestanden hätten, seien bei der Ghettoverwaltung verteilt worden, damit man die nötigen Produkte habe einkaufen können. Für die Arbeit im Tankholzwerk T und in der Lederfabrik habe er Sachbezüge erhalten. Er habe gewusst, dass er sich in den geschäftlichen Teil der Arbeitverteilung nicht einmischen durfte. Er habe keine Ahnung, wie die Bezahlung für seine Arbeit während der Ghettozeit funktioniert habe. Es sei alles zentralisiert gewesen. Im April/Mai 1942 seien junge Männer für das Torfstechen gesucht worden, wobei bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht gestellt worden seien. Deshalb sei der Arbeitsplatzwechsel erfolgt. Da die saisonale Arbeit im Torf im August/September 1942 beendet gewesen sei, sei der Arbeitsplatzwechsel zum Tankholzwerk erfolgt. Aufgrund der "Kasernierung" im Ghetto sei im August/September 1943 der Wechsel des Arbeitsplatzes zur Lederfabrik erfolgt. Er denke, dass sich weder die Arbeitsbedingungen noch das Entgelt geändert haben, als die SS die Verwaltung des Ghettos übernommen habe. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Merkmale eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nur rudimentär vorgelegen haben müssten, um die Voraussetzungen des ZRBG zu erfüllen. Aus dem im Berufungsverfahren beigezogenen Material, insbesondere den Ausführungen des Historikers Dr. Tauber, könne die Feststellung getroffen werden, dass allein der Wille zum Überleben jeden Ghettoinsassen veranlasst habe, einen Arbeitsplatz inne zu haben, so dass der "eigene Willensentschluss", auf den das ZRBG abstelle, nicht geleugnet werden könne. Auf eine Freiwilligkeit der Beschäftigung werde im Gesetzestext des ZRBG nicht abgestellt. Aufgrund der Verordnungen stehe fest, dass die Ghettobewohner neben Sachbezügen Anspruch auf Barlohn hatten. Das Merkmal der Entgeltlichkeit nach dem ZRBG werde allein aufgrund der Innehabung eines Barlohnanspruches erfüllt. Der Entgeltanspruch der Ghettobewohner führe nach der schon vom Reichsversicherungsamt vertretenen Rechtsanspruchstheorie dazu, dass er für den Bereich der Rentenversicherung so zu stellen sei, als sei ihm das Monatsgehalt tatsächlich ausgezahlt worden. Denn nach der Rechtsanspruchstheorie sei für die Berechnung des Beitrags nicht auf das tatsächlich ausgezahlte Monatsgehalt, sondern auf das Gehalt abzustellen, auf dessen Fälligkeit ein Rechtsanspruch bestehe. Trotz der Nichtzahlung des tariflichen Entgelts handele es sich bei seinen streitbefangenen Beschäftigungen aus der Sicht der Sozialversicherung um entgeltliche Beschäftigungen, die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften versicherungspflichtig gewesen seien und für die aus Verfolgungsgründen die Beiträge nicht abgeführt worden seien und die deshalb nach § 2 Abs. 1 ZRBG fingiert würden. Diesem Umstand stehe auch nicht die praktizierte Lohnzahlung an den Judenrat entgegen, da die Entgeltzahlung an Dritte den Bestand eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht tangiere.
Auf Anforderung des Senats hat die Bevollmächtigte des Klägers die vollständige Fassung von Lagin, Under Soviet Rule and in Ghetto Shavli zu den Akten gereicht (Beiakte Bl. 294; S.22-25 des Berichts = Bl. 290-293 GA, Übersetzung S. 335-337 GA). Der Senat hat den Artikel über den Ort Schaulen aus Pinkas Hakehillot, "Lithuania", Yad Vashem Jehova, 1996 (S. 170-186 GA, Übersetzung S. 160-169 GA), die Veröffentlichung "Das Tagebuch von A. Jeruschalmi", abgedruckt in Arno Lustiger, "Das Schwarzbuch", 1990 (S. 187 -207 GA), den Artikel "Schaulen" aus Jäckel/Longerich/Schoeps, "Enzylopädie des Holocaust", München/Zürich (S. 208/209 GA), Benz/Kwiet/Matthäus, " Einsatz im Reichskommissariat Ostland", Berlin, 1998 (S. 210-221 GA), Valstybinis Vilniaus Gaono Zydu Muziejus," The Siauliai Ghetto: List of Prisoners", Vilnius, 1996, das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68, veröffentlicht in Justiz und NS-Verbrechen Bd. XXXIII, Amsterdam 2005, S.347 ff, das Gutachten des Historikers Dr. Tauber über die Ghettos in Litauen, Kaunas, Wilnius und Siauliai vom 22.11.2005, erstattet im Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg S 6 RJ 730/04 beigezogen. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft der Conference on Jewish Material Claims Against Germany INC, des Center For Advanced Holocaust Studies, US. Holocaust Memorial Museum, der ein Artikel des Historikers Dr. Bubny über das Ghetto Schaulen beigefügt gewesen ist (S. 279-289 GA, Übersetzung: S. 328-334 GA), und von Yad Vashem (S. 290-314 GA) über die Arbeitsbedingungen in und außerhalb des Ghettos Schaulen, welcher Auszüge aus Pinkas Hakehillot, "Lithuania" über das Ghetto Schaulen, der Artikel "The History of the Siualai Ghetto, 1941-1944" von Itsikas (Beiakte Bl. 274 GA, Übersetzung von S. 205 -213 auf S. 355-374, 388-391 GA) und Auszüge aus Yerushalmi, "The Shavli Register" (Übersetzung S. 346 -354 GA) beigefügt gewesen sind, eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Entschädigungsakten des Klägers und der Akte des Landgerichts München, EK No. 619/53, Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das SG hat zu Unrecht die Beklagte zur Gewährung von ARG unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 sowie Ersatzzeiten verurteilt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf ARG gegenüber der Beklagten nach §§ 35, 300 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) inne. Die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorliegen. Entgegen der Auffassung des SG ist die von dem Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit im Ghetto Schaulen vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 nicht als Beitragszeit zu berücksichtigen. Anrechenbare Ersatzzeiten liegen nicht vor.
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der Kläger vollendete im Dezember 1990 das 65. Lebensjahr. Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sind nach § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Beitragszeiten sind nach §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwilliger Beiträge gezahlt worden sind oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Ersatzzeiten werden nach § 250 Abs. 1 SGB VI nur bei Versicherten als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt. Die Versicherteneigenschaft liegt vor, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt.
Der Kläger legte in der Zeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 keine Versicherungszeiten nach dem Reichsversicherungsgesetzen (§ 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI) zurück. Die Stadt Schaulen lag bis 1940 auf litauischem Staatsgebiet. Im August 1940 wurde Litauen als sozialistische Sowjetrepublik in die UdSSR aufgenommen und war sowjetisches Staatsgebiet. Nach der Besetzung durch die deutschen Truppen im Juni 1941 wurde Litauen dem Deutschen Reich nicht ein- oder angegliedert, sondern war als besetztes Gebiet während des streitbefangenen Zeitraums dem Deutschem Reich gegenüber Ausland. Als ehemaliger litauischer und später sowjetischer Staatsangehöriger gehörte der Kläger nicht zu dem von der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfassten Personenkreis. Zuständig war nach dem damaligen Rechtszustand zunächst allein der sowjetische Sozialversicherungsträger bzw. ab August 1943 der vom Generalkommissar in Kaunas errichtete Sozialversicherungsträger. Denn nach der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten vom 04.08.1941 (RGBl. I, 486) unterlagen nur die in Litauen beschäftigten deutschen Staatangehörigen und deutschen Volkszugehörigen den Vorschriften der RVO. Auch durch die Verordnung des Generalkommissars in Kaunas über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 (abgedruckt in Plön, Die gesetzliche Rentenversicherung im Ausland, S. 256) wurde die "einheimische" Bevölkerung, zu der alle nichtdeutschen Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge mit Ausnahme der Ostarbeiter und nicht im Reichskommissariat beheimateten Ausländer gehörten (§ 1 Abs. 3 der Verordnung), nicht in die RVO miteinbezogen. Vielmehr war die Ersetzung des bisherigen sozialen Sicherungssystems für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen, eingeführt durch die Sowjetunion, durch den Aufbau einer eigenständigen Sozialversicherung beabsichtigt, die nicht der Reichsversicherung an- oder eingegliedert wurde (BSG, Urteil vom 01.12.1966, - 4 RJ 401/64 - ; Urteil vom 17.05.1963, - 4 RJ 305/63 -).
Die vom Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 ist nicht als Zeit nach dem FRG Bundesgebietsbeitragszeiten gleichgestellt. Dahinstehen kann, ob der Kläger dem dSK angehörte und damit die persönlichen Voraussetzungen der §§ 17a FRG, 20 WGSVG für die Berücksichtigung von Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 FRG erfüllt. Jedenfalls sind die sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Beschäftigungszeit im Ghetto Schaulen als Beschäftigungs- oder Beitragszeiten nach dem FRG nicht gegeben.
Die streitbefangenen Beschäftigungszeit stellt keine Beitragszeit bei einem nichtdeutschen Rentenversicherungsträger im Sinne von § 15 Abs. 1 FRG dar. Die Entrichtung von Beiträgen zum Rentenversicherungsträger, der während der deutschen Besatzung für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen zuständig war, ist weder erwiesen noch glaubhaft gemacht worden. Der Kläger hat die Entrichtung von Beiträgen für die im streitbefangenen Zeitraum geleistete Arbeit an einen Sozialversicherungsträger nicht vorgetragen. Auch in den im Verfahren beigezogenen Dokumenten und der beigezogenen Literatur ist eine Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für von jüdischen Arbeitskräften während der deutschen Besatzungszeit in Litauen geleistete Arbeit nicht belegt. In den Anordnungen des Reichskommissars Lohse über die Arbeit von jüdischen Ghettobewohnern ist zwar festgelegt, dass die jüdischen Arbeitskräfte eine Vergütung erhielten und private Dritte für die Inanspruchnahme von jüdischen Arbeitskräften ein angemessenes Entgelt bzw. eine Miete an den Gebietskommissar als Vertreter der deutschen Besatzungsmacht zu zahlen hatten (siehe Ziffer 5 e) der Vorläufigen Richtlinien des Reichskommissars für die Behandlung der Juden vom 02.08.1941, Ziffer 5 des Erlasses des Reichskommissars vom 27.08.1942 betreffend die "Verwaltung der jüdischen Ghettos"). Eine Verpflichtung zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen ist diesen Anordnungen nicht zu entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus der Verordnung des Generalkommissars in Kaunas, über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 des Generalkommissars in Kaunas, der für die Verwaltung des Generalkommissariats Litauen zuständig war, dass die jüdische Bevölkerung nicht in die Sozialversicherung einbezogen werden sollte. § 2 Abs. 1 der Verordnung sah vor, dass alle gegen Entgelt in einem Dienstverhältnis stehenden Beschäftigten, die zu der in § 1 definierten einheimischen Bevölkerung gehörten, grundsätzlich der Sozialversicherung unterlagen. Juden und Zigeuner standen in keinem Dienstverhältnis im Sinne dieser Vorschriften (§ 2 Abs. 3).
Eine Gleichstellung der streitbefangenen Beschäftigungszeit mit nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Voraussetzung für eine Gleichstellung mit deutschen Beitragszeiten ist u. a., dass die ausländische Beschäftigung, für die eine Beitragsgleichstellung erfolgen soll, einer nach deutschem Recht dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung entsprechen muss (BSG, Urteil vom 07.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -). Nach § 1226 Abs. 1 RVO a.F. wurden in der Arbeiterrentenversicherung insbesondere Arbeiter versichert. Unter einem Arbeiter war nach damaligem Recht eine Person zu verstehen, die als solche beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war wie eine Person im Sinne der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs. 1 RVO (in der bis Ende 1991 geltenden Fassung), die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt war, d. h. nicht selbständige Arbeit verrichtete (§ 7 Abs. 1 SGB VI). Diese Beschäftigung musste nach 1226 Abs. 1 RVO in der bis zum 23.05.1945 geltenden Fassung gegen Entgelt erfolgen.
Unter Zugrundelegung dieser Vorschriften ist die Ausübung einer nach deutschem Recht versicherungspflichtigen Beschäftigungen durch den Kläger ab September 1941 weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht wurden. Eine Tatsache ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie er behauptet wird. Gleichzeitig muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unbeachtlich. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 28.10.2005, - L 13 R 47/05 -). Die Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung setzt somit voraus, dass ein hinsichtlich seines Inhaltes und zeitlichen Verlaufs sowie auch der tatsächlichen Entlohnung hinreichend konturiertes und konkretisiertes Beschäftigungsverhältnis die überwiegende Sachverhaltsvariante darstellt (LSG NW, Urteil vom 08.11.2004, - L 3 (18) RJ 82/02 -).
Der Senat sieht als glaubhaft gemacht an, dass der Kläger in der Zeit von September 1941 bis Juni 1944, dem Zeitpunkt der Deportation, verschiedene Beschäftigungen in Schaulen ausübte. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger die Beschäftigung an vier verschiedenen Arbeitsstätten unter Angabe der Dauer der Beschäftigung, des Umfangs der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten und eines Entgelts in Form eines "Gehalts" in der Zeit vom September 1941 bis August 1944 angegeben. Diese Angaben hat der Kläger im Berufungsverfahren in der Erklärung vom 25.01.2006 bestätigt und hinsichtlich der Umstände der Arbeitsaufnahme, den Arbeitsbedingungen und der Art und Höhe des "Gehalts" konkretisiert. Den Einsatz des Klägers an den von ihm angebenen Arbeitsstätten bestätigen die Zeugen Q und L in ihren schriftlichen Erklärungen insoweit, als sie zusammen mit dem Kläger gearbeitet haben und den Einsatz an verschiedenen Arbeitsstätten, u.a. am Flughafen, in einem Tankholzwerk und einer großen Leder- und Schuhfabrik schildern. Die Angaben des Klägers stimmen mit den Eintragungen über den Kläger in der Volkszählungsliste aus dem Jahr 1942, die in " The Siauliai Ghetto: List of Prisoners" veröffentlicht ist, überein, wonach der Kläger "Kristalis, Simonas, Sohn, 30.12.1925, Geburtsort S, Ausbildung mittlere Reife," die Berufsbezeichnung "Arbeiter" führte und als Arbeitsstelle "Tagesarbeiter, vorübergehend im Torfbruch in Radviliskis " eingetragen war. Die vom Kläger angebenen Arbeitsstätten - Flughafen, Torflager S, Firma T Tankholz-Holzstelle und Leder- und Schuhfabrik C - werden auch in der vom Senat beigezogenen Literatur erwähnt (zur Verkehrsgesellschaft T siehe Jeruschalmi, S. 347 GA; zur Schuhfabrik C siehe Jeruschalmi S. 349 GA und Seite 47 des Gutachten von Dr. Tauber, zum Flughafen und zum Torflager Radviliskis siehe u.a. Enzyklopädie des Holocaust S. 208/209 GA). Des weiteren sind die Angaben des Klägers und der beiden Zeugen Q und L über das erhaltene Entgelt in Form eines "Gehalts " bzw. von Sachbezügen (Kläger) bzw. eines "Hungerlohns/üblichen Ghettoentlohnung" und zusätzlichen Lebensmittelrationen (Zeugen Q und L) mit den Erkenntnissen des Senats über die Entlohnung von jüdischen Arbeitskräften im Ghetto Schaulen vereinbar. Jüdische Arbeitskräfte erhielten eine Vergütung vom Judenrat ausgezahlt; ihnen wurden zusätzliche Lebensmittelrationen ausgeteilt.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stellten aber die vom Kläger im streitbefangenen Zeitraum ausgeübten Beschäftigungen keine freie und entgeltliche Beschäftigungen und damit keine versicherungspflichtige Arbeiten dar, sondern es handelte sich um "unfreie" und damit nichtversicherte Beschäftigungsverhältnisse. Die Ausübung irgendeiner Beschäftigung reicht zur Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht aus. Es existiert kein Grundsatz, dass die Beschäftigung eines Ghettobewohners, vorliegend in Schaulen, grundsätzlich als freies und entgeltliches und damit versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu werten ist. Vielmehr sind die konkreten Umstände eines jeden Einzelfalles zu berücksichtigen.
Zwischen den jüdischen Bewohnern des Reichskomissiariat Ostland, das u. a. das Gebiet von Litauen umfasste, und den deutschen Besatzungsbehörden bestand zumindest seit August 1941 ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis, dass unter anderem durch Einschränkung der Freizügigkeit und der wirtschaftlichen Betätigung, Registrierung, Kennzeichnungspflicht, Beschlagnahme und Enteignung des Vermögens, Ortsgebundenheit, Arbeitszwang, Isolierung und Ausgrenzung von der übrigen Bevölkerung, gekennzeichnet war (siehe LSG NRW, Urteil vom 13.01.2006, - L 4 RJ 113/04 -; Urteil vom 06.03.2006, - L 3 (18) R 98/05 -; Urteil vom 20.02.2006, - L 3 R 140/05 -). Dies ergibt sich aus den Bestimmungen der Verordnung des Reichsministers für die besetzten Gebiete Rosenberg vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 36 f) und den Vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden des Reichskommissars Lohse vom 02.08.1941 (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 38 ff). Damit handelte es sich bei den jüdischen Bewohnern der Stadt Schaulen um sogenannte "unfreie" Personen.
Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG ist bei "unfreien" Personen für die Frage, ob sie im Einzelfall eine Beschäftigung im Rahmen eines freien oder eines unfreien Arbeitsverhältnisses ausgeübt haben, nicht auf die sonstigen Lebensumstände, unter denen die Beschäftigten leben mussten, abzustellen. Vielmehr ist das Beschäftigungsverhältnis als solches und für sich zu untersuchen, ob es "frei" war ( BSG, Urteil vom 06.04.1960, - 2 RU 40/58 -, Urteil vom 17.03.1993, - 8 RKnU 1/91 -; Urteil vom 18.06.1997, - 5 RJ 20/96 -; Urteil vom 14.07.1999, - B 13 RJ 61/98 -). Ein freies Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn die Beschäftigten aus dem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis insoweit entlassen sind, als sie in einem Betrieb nach den Regeln des Arbeitsrechts tätig sind und ein Einfluss dritter Stellen auf die Gestaltung des Verhältnisses nicht stattfindet (BSG, Urteil vom 06.04.1960, - 2 RU 40/58 -; Urteil vom 17.03.1993, - 8 RKnU 1/91 -). Die Beschäftigten müssen aus eigenem Willen ein konkretes Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis durch zweiseitige Vereinbarung eingegangen sein, tatsächlich die von ihnen auf der Grundlage des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Vertrags geforderte Arbeit geleistet haben und ihnen muss dafür im Austausch eine den Umständen nach angemessene Gegenleistung als Bar- oder Sachlohn gewährt worden sein (BSG, Urteil vom 18.06.1997, - 5 RJ 20/96 -; LSG NW, Urteil vom 23.10.2000, - L 3 RJ 60/99 - ). Dies gilt auch, soweit die Arbeit unter den allgemeinen Bedingungen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verrichtet wurde (BSG, Urteil vom 23.08.2001, - B 13 RJ 59/00 R -).
Zur Abgrenzung zwischen einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einem "unfreien" Arbeitsverhältnis, zu dem auch die Zwangsarbeit zählt, sind solche Kriterien untauglich, die für beide Tätigkeitsformen charakteristisch sind, wie z. B. Ausübung eines Direktionsrechts. Auch das bloße Abstellen auf Arbeit im Sinne einer Erwerbsarbeit oder wirtschaftlich nützlichen Tätigkeit kann diese beiden Typen nicht voneinander abgrenzen. Das Merkmal Arbeit ist beiden Tätigkeitstypen eigen, was eine nähere Abgrenzung überhaupt erst erfordert. "Unfreie" Arbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichen (hoheitlichen) bzw. gesetzlichen Zwang.
Typisch für die "unfreie" Arbeit ist die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitskräften an bestimmte Unternehmen ohne dass der Betroffene dies beeinflussen kann. Indizien gegen ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis können auch die Arbeitsbedingungen, wie z. B. die Bewachung von Arbeitskräften während der Arbeit, um zu verhindern, dass sie sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können, die Bewachung von Arbeitskräften auf dem Weg zur Arbeitsstätte, eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit am Ort der Arbeitsstätte, keine oder geringe Auszahlung eines Entgelts für individuell geleistete Arbeit an den Beschäftigen und Innehabung eines anderen Status als die übrigen Arbeitnehmer sein. Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, dass sich eine verrichtete Arbeit um so mehr vom Typus des freien Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der "unfreien" Arbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. Maßgebend für die Beurteilung ist das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit (BSG, Urteile vom 14.7.1999, - B 13 RJ 61/98 R -; Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R - m.w.N.). Hingegen erfordert ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältniss, dass ein wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt erkennbar wird. Zwar ist die Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte geben, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Entlohnung für die geleistete Arbeit oder zu anderen Zwecken, etwa als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft" der zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr. (BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -; Urteil vom 22.09.1988, - 7 RAr 13/87 -; Urteil vom 07.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -; Seewald in Kasseler Kommentar, § 4 SGB IV Rdnr.17).
Allein die Angabe des Klägers in der Erklärung vom 25.01.2006, dass ihm die vier Arbeitstätten durch das Arbeitsamt im Ghetto und/oder den Judenrat vermittelt bzw. die Arbeitsaufnahme von Institutionen im Ghetto geregelt wurde, genügt unter Berücksichtigung der Organisation und Ausgestaltung des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen zur Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit der Arbeit nicht. Denn der Kläger hat angegeben, dass er weder seine Arbeitgeber kannte noch mit ihnen Arbeitsverträge abgeschlossen hatte. Daher bestehen schon allein aufgrund der Angaben des Klägers über das Zustandekommen der Beschäftigungen erhebliche Zweifel, dass er die Beschäftigungen auf Grundlage einer zweiseitigen Vereinbarung mit dem jeweiligen Betriebsinhabern ausübte. Der Umstand allein, dass die Arbeit vom Judenrat zugewiesen oder vermittelt wurde, nachdem sich ein Verfolgter bei ihm um Arbeit beworben hat, reicht nicht aus, um die Freiwilligkeit der verrichteten Arbeit bereits zu bejahen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -). Vielmehr ist die Organisation und Durchführung des Arbeitseinsatzes entscheidend, insbesondere ob das Verhältnis der Verfolgten zum "Arbeitgeber" in erheblichem Umfang von Regeln geprägt war, die durch einen zweiseitigen Vertrag mit einem "Arbeitgeber" vereinbart waren oder aber durch Regeln, die von Dritten aufgestellt waren.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt, dass aufgrund der Organisation und der Durchführung des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen das Verhältnis zwischen dem Kläger und seinen verschiedenen "Arbeitgeber" fremdbestimmt war, da die deutschen Besatzungsbehörden, vorliegend der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen, überragenden Einfluss auf die Gestaltung dieses Verhältnisses hatten. Seit Mitte August 1941 ist der Einsatz von jüdischen Arbeitskräften im Reichskomissiariat Ostland als "unfreie" Beschäftigung zu charakterisieren. Denn die jüdischen Arbeitskräfte wurden zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis entlassen, sondern die Organisation und die Ausgestaltung der Arbeit war von hoheitlichen Eingriffen überlagert, denen sich weder die jüdischen Arbeitskräfte noch ihre "Arbeitgeber" entziehen konnten. Dabei geht der Senat nach Auswertung der beigezogenen Dokumente, der Sekundärliteratur und des Gutachtens des Historikers Dr. Tauber von folgenden Verhältnissen in Litauen aus:
Nach dem Einmarsch der deutschen Armee im Juni 1941 wurde Litauen Teil des Reichskomissiariat Ostland, in dem ab Juli 1941 eine Zivilverwaltung errichtet wurde. Dem Reichskommissariat Ostland stand Reichskommissar Lohse vor, der dem Reichsminister für die besetzten Gebiete Rosenberg in Berlin unterstellt war. Das Reichskommissariat Ostland war in vier Generalbezirke unterteilt, die Generalkommissaren unterstanden. Für Litauen wurde Dr. von Renteln zum Generalkommissar mit Sitz in Kaunas ernannt. Das Generalkommissariat Litauen war in sechs Gebietskommissariate unterteilt, die von Gebiets- und Stadtkommissare verwaltet wurden. Für das Gebietskommissariat Siauliai (Schaulen) war Gebietskommissar Kreisleiter Gewecke zuständig.
Durch die Verordnung vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung ordnete der Reichsminister für die besetzten Gebiete Rosenberg an, dass die in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr dem Arbeitzwang unterlagen und die Juden zu diesem Zweck in Zwangsarbeitsabteilungen zusammengefasst werden sollten (§ 1). Die Entziehung des Arbeitszwangs war strafbewehrt. Die zur Durchführung der Verordnung erforderlichen Vorschriften sollten die Reichskommissare erlassen (§ 3) (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 36 f). Reichskommissar Lohse übersandte mit Schreiben vom 18.08.1941 jedem Generalkommissar eine Fassung der "Vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden" vom 2.08.1941 (Vorläufige Richtlinien, abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 38 ff). Diese Richtlinien galten für die Generalkommissariate nach der Übernahme der Zivilverwaltung und sahen u.a. vor:
" ...
5 ...
d)
Die Juden sind tunlichst in Städten oder in Stadtteilen größerer Städte zu konzentrieren, die bereits eine überwiegende jüdische Bevölkerung besitzen. Dort sind Ghettos zu errichten. Den Juden ist das Verlassen der Ghettos zu verbieten.
In den Ghettos sind ihnen so viel an Nahrungsmittel zu überlassen, wie die übrige Bevölkerung entbehren kann, jedoch nicht mehr, als zur notdürftigen Ernährung der Insassen der Ghettos ausreicht. Das gleiche gilt für die Versorgung mit anderen lebenswichtigen Gütern.
Die Insassen des Ghettos regeln ihre inneren Verhältnisse in Selbstverwaltung, die vom Gebiets-/Stadtkommissar oder seinem Beauftragten beaufsichtigt wird ...
e)
Die arbeitsfähigen Juden sind nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Die wirtschaftlichen Interessen förderungswerter Landeseinwohner dürfen durch die jüdische Zwangsarbeit nicht geschädigt werden. Die Zwangsarbeit kann im Arbeitskommando außerhalb der Ghettos, im Ghetto oder, wo Ghettos "noch nicht errichtet sind, auch einzeln außerhalb der Ghettos" (z.B. in der Werkstatt des Juden) geleistet werden. Die Vergütung hat nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen, sondern nur der Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhaltes für die Zwangsarbeiter und seine nicht arbeitsfähigen Familienmitglieder unter Berücksichtigung seiner anderen Barmittel zu dienen ...
Diejenigen privaten Einrichtungen und Personen, zu deren Gunsten die Zwangsarbeit erfolgt, zahlen ein angemessenes Entgelt an die Kasse des Gebietskommissars, die wiederum die Vergütung an die Zwangsarbeiter auszahlt. Über die Verrechnung der eingegangenen Geldbeträge ergeht besondere Anordnung.
6.
Es bleibt den Generalkommissaren überlassen, die unter Ziffer V genannten Maßnahmen einheitlich für ihr Gebiet anzuordnen oder ihre Anordnung den einzelnen Gebietskommissaren zu überlassen. Ebenso sind die Generalkommissare berechtigt, im Rahmen dieser Richtlinien nähere Anordnungen zu treffen, oder ihre Gebietskommissare dazu zu ermächtigen ..."
Der Generalkommissar Dr. von Renteln leitete die "Vorläufigen Richtlinien" mit Schreiben vom 26.08.1941 an die ihm unterstellten Gebiets- und Stadtkommissare weiter.
In einem weiteren Erlass des Reichskommissars, Abteilung Finanzen (Vialon), an die Generalkommissare vom 27.08.1942 über die "Verwaltung der jüdischen Ghettos" ist zum Arbeitseinsatz jüdischer Arbeitskräfte ausgeführt:
" ...
III.
2.
Gegenstand der Vermögensverwaltung ist hiernach in erster Linie das vorhandene Mobiliarvermögen. Hierzu tritt die Ausnutzung der Arbeitskraft der Juden, die insoweit als angefallenes Vermögen gilt.
Die Vermögensverwaltung ist durch den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete den Finanzabteilungen übertragen, die diese Aufgaben unmittelbar oder über die Stadt- und Gebietskommissare erfüllen ...
4.
Die Nutzung der Arbeitskraft der Juden geht in zweierlei Form vor sich:
a)
durch Vermietung an öffentliche oder private Arbeitgeber,
b)
durch Betrieb von Werkstätten (Regiebetrieb)
5.
Die Vermietung der jüdischen Arbeitskräfte wird im Auftrag des Stadt- und Gebietskommissars durch das örtliche Arbeitsamt durchgeführt. Dieses weist dem Arbeitgeber die angeforderten Juden zu und teilt dies der Vermögensverwaltung des Ghettos (Stadt- oder Gebietskommissar) mit. Der Stadt- oder Gebietskommissar erteilt hierauf dem Arbeitgeber eine Rechnung, deren Begleichung zu überwachen ist.
6.
Unter der Voraussetzung, dass die zugewiesenen jüdischen Arbeitskräfte voll arbeitsfähig sind, ist für die Miete von Facharbeitern der übliche Lohn zu entrichten. Die Generalkommissare erlassen über die Höhe der Löhne für Fachkräfte und Ungeschulte nähere Bestimmungen. Es muss vermieden werden, dass die Unternehmer aus der Beschäftigung von Juden zusätzliche Vorteile beziehen ..."
(abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 153 ff).
Seit dem Einmarsch der deutschen Truppen operierten die mobilen Einsatzkommandos der SS in Litauen und ermordeten systematisch Juden. Die jüdische Bevölkerung wurde im Sommer/Herbst 1941 in Ghettos konzentriert. Ende Dezember 1941 wurden die "Aktionen" eingestellt. Am 21.06.1943 wurden auf Befehl Himmlers alle Ghettos im Reichskommissariat Ostland, auch in Litauen, mit Wirkung zum 01.08.1943 unter SS-Verwaltung gestellt. Er befahl die Auflösung der Ghettos, die Deportierung der arbeitsfähigen Ghettobewohner in Konzentrationslager und die Ermordung der übrigen Bewohner.
Demnach setzte der für das Reichskomissiariat Ostland zuständige Reichskommissar Lohse den durch die Verordnung vom 16.08.1941 eingeführten, strafbewehrten Arbeitszwang für alle in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr in den Vorläufigen Richtlinien dahingehend um, dass alle arbeitsfähigen Juden im Alter von 14 - 60 Jahren nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranziehen waren. In den Vorläufigen Richtlinien wird weder nach Geschlecht (Männer/Frauen), Aufenthaltsort (innerhalb oder außerhalb eines Ghettos), Lage der Arbeitsstätte (innerhalb oder außerhalb des Ghettos) oder Arbeitgeber (privater oder öffentlicher) unterschieden, sondern sämtliche Beschäftigungen von Juden werden von den Vorläufigen Richtlinien erfasst.
Aus der Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeiter" schließt der Senat, dass der Reichskommissar die Verwendung von jüdischen Arbeitskräften in freiwilligen Beschäftigungsverhältnissen ausschloss, also die jüdischen Arbeitskräfte zwecks Arbeitsaufnahme nicht aus dem bestehenden öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis entlies. Der Senat folgt nicht der vom Historiker Dr. Tauber im Gutachten vom 22.11.2005 vertretenen Auffassung, wonach allein die Tatsache, dass die Arbeit von Ghettobewohnern geleistet worden sei, weder von vorneherein Entgeltzahlungen noch die "Freiwilligkeit" der Arbeit auszuschließe, auch wenn sowohl aus der Sicht der deutschen Täter als auch der jüdischen Opfer von "Zwangsarbeit" gesprochen wurden sei. Auch unter den Bedingungen der Ghettos in Litauen sei jüdische Arbeitsleistung teilweise "entgolten" worden und es hätte die Einzelperson gewissen Einfluss auf die eigene Arbeitssituation nehmen können (Seite 4 des Gutachtens). Der Senat lässt dabei offen, ob der Historiker Dr. Tauber bei seiner Bewertung der historischen Verhältnisse den Begriff "Entgelt" im Sinne eines rentenversicherungsrechtlich relevanten Entgelts verwandt hat. Die Überlagerung der Beziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den jeweiligen "Arbeitgebern" wird insbesondere aus den Bestimmungen des Erlasses vom 27.08.1942 deutlich, in denen die Arbeitskraft der Juden als "Vermögen" angesehen wird, dessen Verwaltung der Reichskommissar wahrnimmt, und wo die Form dieser "Vermögensverwaltung" - Vermietung der Arbeitskraft oder Betrieb von Werkstätten (Regiebetrieb) - festgelegt wird. Nach der Konzeption des Erlasses vom 27.08.1942 handelt es bei dem Einsatz von jüdischen Arbeitskräften außerhalb des Ghettos um eine Arbeitnehmerüberlassung, die von den deutschen Arbeitsämtern im Auftrag der jeweils zuständigen örtlichen deutschen Besatzungsstellen organisiert wurde und die öffentlich-rechtlich geregelt war. Nach Ziffer 5 des Erlasses wies das Arbeitsamt dem jeweiligen " Arbeitgeber" die angeforderten jüdischen Arbeitskräfte zu, eine Vereinbarung der Beteiligten - jüdische Arbeitskraft und Arbeitgeber - über das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses war nicht vorgesehen. Dabei wird zwischen privaten und öffentlichen Arbeitgebern nicht unterschieden.
Dies wird insbesondere aus Ziffer III. 5 des Erlasses deutlich, wonach der Stadt- oder Gebietskommissar dem jeweiligen Arbeitgeber eine Rechnung über den Arbeitseinsatz der Ghettobewohner erteilt. Ein Wille des Reichskommissars, den jüdischen Arbeitskräften im Reichskommissariat Ostland einen Freiraum der wirtschaftlichen Betätigung durch Aufnahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses einzuräumen, ist auch nicht aus den Vorläufigen Richtlinien erkennbar. Die Tatsache, dass die jüdischen Arbeitskräfte nach den Vorläufigen Richtlinien eine Vergütung, deren Form nicht festgelegt war, erhalten sollten, begründet kein wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen der von ihnen geleisteten Arbeit und dem gezahltem Entgelt, was unabdingbarer Bestandteil eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses ist. Denn nach dem Willen des Reichskommissars sollte die Vergütung keine angemessene Entlohnung für die geleistete Arbeit darstellen, sondern nur geeignet sein, den notdürftigen Lebensunterhalt des Zwangsarbeiters und seiner nicht arbeitsfähigen Familienangehörigen zu sichern, und damit als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten gedacht sein. Leistungen, die nicht der Entlohnung einer geleisteten Arbeit, sondern anderen Zwecken dienen, stellen kein Entgelt im Sinne des Rentenversicherungsrechts dar (siehe BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -). Die von den privaten/öffentlichen "Arbeitgebern", die die Leistungen von jüdischen Arbeitskräften in Anspruch nahmen, zu erbringenden Zahlungen an die Kasse des Gebietskommissars sind entgegen der Auffassung des SG nicht als Entgelt werten, da ein Arbeitsentgelt dem Beschäftigten selbst zufließen muss. Die Abführung von Beträgen des Arbeitgebers für geleistete Arbeit an Dienststellen des Staates stellt keine Entlohnung dar (BSG, Urteil vom 10.12.1974, - 4 RJ 379/73 -).
Gegen das Bestehen einer Gegenseitigkeitsbeziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den privaten Dritten in Form des Austausches von Arbeit gegen Lohn spricht auch, dass die Vergütung nicht direkt von den jeweiligen "Arbeitgebern" an die jüdischen Arbeitskräfte ausgezahlt werden sollte, sondern die Zahlungen sollten durch die Kasse des Gebietskommissars erfolgen, wobei diese die Höhe der an die jüdischen Arbeitskräfte auszuzahlende Vergütung bestimmte, der jeweilige "Arbeitgeber" hatte keinen Einfluss darauf, ob und in welcher Form die von ihm in Anspruch genommene Arbeitskraft ein Entgelt für die geleistete Arbeit erhielt. Die in den Vorläufigen Richtlinien festgelegte Dreiecksbeziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften, den privaten Dritten und dem jeweiligen Gebietskommissar lässt sich zusammenfassend als öffentlich-rechtlich organisierte Dienstverschaffung zugunsten privater Unternehmen charakterisieren, wobei zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den privaten Dritten keine arbeitsrechtlichen Beziehungen bestanden. Dafür spricht auch, dass die in der Allgemeinen Anordnung des Reichskommissars Lohse vom 21.11 1941 für die einheimischen Arbeiter im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft (abgedruckt in Verkündungsblatt des Reichskommissars für das Ostland, 1941 S. 75) festgelegten Stundensätze für einheimische Arbeiter nicht für jüdische Arbeitskräfte galten, sondern die Bestimmungen der Anordnung auf jüdische Arbeitskräfte keine Anwendung fanden (§ 10). Die Höhe der Vergütung, welche die jüdischen Arbeitskräfte erhielten, sowie die Höhe der Zahlungen der privaten Arbeitgeber wurden jeweils von dem zuständigen Gebiets- oder Stadtkommissar festgelegt (Ziffer 5e der Vorläufigen Richtlinien; Ziffer 6 des Erlasses vom 27.08.1942). Ein Indiz für einen Sonderstatus der jüdischen Arbeitskräfte im Vergleich zu dem der einheimischen Arbeiter ist weiterhin, dass der Generalkommissars in Kaunas in der Verordnung über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 die Dienstverhältnisse von Juden als nicht sozialversicherungspflichtig ansah. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass nach den Darlegungen des Historikers Dr. Tauber "die Beziehungen zwischen den "Arbeitgebern" und den jüdischen Arbeitern oftmals nicht einmal den minimalen Forderungen der deutschen Verwaltung entsprachen. Unterschlagung von Lohn, Vorenthalten von Nahrung oder Misshandlung usw. sicher keine Ausnahmen waren, sondern eher die Regel" (Seite 21 des Gutachtens). Auch dies spricht nicht für das Bestehen regulärer Beschäftigungsverhältnisse.
Entsprechend den Vorgaben der Vorläufigen Richtlinien setzte der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen den Arbeitszwang auch tatsächlich um. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass neben der Ausführung von Arbeiten in "unfreien" Beschäftigungsverhältnissen für jüdische Arbeitskräfte in der Stadt Schaulen die Möglichkeit bestand, eine Beschäftigung in Form eines freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses auszuüben. Die Angaben des Klägers in seinem Schreiben vom 25.01.2006 erhalten keinerlei Anhaltspunkte für das Bestehen eines freiwilligen und entgeltlichen Entschädigungsverhältnisses. Sowohl die Arbeit auf dem Flughafen als auch die Arbeiten beim Torfstecken in Radviliskis, im Tankholzwerk T und anschließend in der Lederfabrik verrichtete der Kläger nach seinen Angaben nicht aufgrund einer irgendwie gearteten individuellen Vereinbarung mit einem Arbeitgeber. Vielmehr wurden ihm die Arbeiten nach Vermittlung durch das Arbeitsamt im Ghetto und dem Judenrat zugewiesen. Er hatte keinerlei Kenntnis darüber, welche Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Arbeitgebern und dem Arbeitsamt, dem Judenrat und sonstigen Stellen bestanden. Auf die Frage nach der Zahlung von Entgelt führte er aus, "wir wussten und durften uns nicht in das geschäftliche Teil der Arbeitsverteilung rein mischen" und an anderer Stelle: "Ich habe keine Idee wie diese Zahlungen für die Arbeit in der Ghettozeit funktionierten - nur eines ist sicher - alles wurde zentralisiert - Deutsche, Litauische Arbeitgeber wurden durch Judenräte und Arbeitsämtern in den Ghettos, haben es nicht in Officieller Weise geführt." Als an ihn zu entrichtendes Entgelt gibt der Kläger lediglich Sachbezüge in der Form von Mittagessen während der Arbeitszeit und als Lebensmittel und Gutscheine für Lebensmittel, die im Ghetto verteilt werden, an. Dies bestätigt die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse des Senats. Nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und der Literatur sowie des Gutachtens von dem Historiker Dr. Tauber stellen sich die Verhältnisse in der Stadt Schaulen wie folgt dar:
Am 26.06.1941 wurde Schaulen von der Deutschen Wehrmacht besetzt. In den ersten zwei Wochen der Besatzung wurden von Deutschen und Litauern ca. 1.000 jüdische Einwohner Schaulens ermordet. Zwischen dem 25.07 und 31.08.1941 wurde in den Stadtbezirken Kaukazas und Trakai ein Ghetto eingerichtet. Ab dem 01.09.1941 wurde das Ghetto als "geschlossenes" Ghetto geführt. Das Ghetto konnte nur mit einer Sondergenehmigung verlassen werden. Die Tore wurden von litauischen Wachtposten bewacht. (Pinkas Hakehillot, S. 163 GA; Bubny, S. 331 GA; Jeruschalmi, S. 351/352 GA). Die Ghettobevölkerung betrug ca. 4.500 bis 5.000 Personen, davon waren ca. 65 % Frauen. Es wurde ein Judenrat eingerichtet und eine jüdische Polizei aufgestellt. Der Judenrat überwachte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Ghetto, den Arbeitseinsatz der Arbeiter, die Nahrungsmittelversorgung und deren Verteilung innerhalb des Ghettos, sanitäre Einrichtungen und sonstige Aktivitäten des Alltags. Er war Adressat der Anordnungen des Gebietskommissars für die Ghettobewohner und Repräsentant der Ghettobewohner mit der Pflicht, die Weisungen des Gebietskommissars weiterzugeben und deren Erledigung zu beaufsichtigen (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68 S. 528 GA; Bubny S. 332 GA; Dr. Tauber S. 22 des Gutachtens). Die " Aktionen", bei denen Ghettobewohner selektiert und ermordet wurden, endeten Ende September 1941. Ab dem 15.08.1942 galt das Verbot von Geburten im Ghetto, es wurden Zwangsabtreibungen durchgeführt (Pinkas Hakehillot, S. 165 GA; Bubny S. 333 GA).
Den "arbeitsfähigen" Ghettobewohnern wurden gelbe Arbeitskarten ausgeteilt. Die Zuweisung der Ghettobewohner zu bestimmten Arbeitsstellen nahm das Arbeitsamt vor, das zunächst eine selbständige Behörde war und vom Jahr 1942 als Abteilung des Gebietskommissars geführt wurde. Wehrmachtsdienststellen und andere deutsche " Bedarfsträger" forderten beim Arbeitsamt jüdische Arbeitskräfte an. Das Arbeitsamt stellte mittels eines im Ghetto eingerichteten und von einem Litauer geleiteten Büros mit jüdischen Hilfskräften, das ihm unterstellt war, die entsprechende Zahl der Ghettobewohner zusammen und wies sie der anfordernden Stelle zu. Ghettobewohner waren innerhalb und außerhalb des Ghettos beschäftigt. Wichtige Arbeitsstellen waren der bei Schaulen gelegene Flugplatz, das Bekleidungs- und Verpflegungssamt, ein Verpflegungslager der Wehrmacht, Einrichtungen der Reichsbahn, die Lederfabrik Frenkel sowie die Schuhfabrik C (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68 S.518/519 GA; Jeruschalmi S. 347/352 GA). Der Tageslohn für jüdische Arbeitskräfte soll nach den Darlegungen des Historikers Dr. Tauber (Seite 47 des Gutachtens) 1,50 RM für Männer und 1,30 RM für Frauen betragen haben. Entsprechend den Vorgaben in den Vorläufigen Richtlinien zahlten die "Bedarfsträger" 50 % der Vergütung an das Arbeitsamt für die Kasse des Gebietskommissars. Die jüdischen Arbeitskräfte erhielten keinen Lohn direkt von den "Bedarfsträgern" ausgezahlt, sondern eine Vergütung wurde durch den Judenrat ausgezahlt. Mit der Vergütung konnte die Arbeitskräfte in den Geschäften des Ghettos Lebensmittel kaufen (siehe Lipshitz, The Siauliai Ghetto in "The Siauliai Ghetto: Lists of Prisoners, S. 201 ff, S. 212; Bubny S. 332 GA).
Für die Verpflegung der Ghettobewohner legte der Reichskommissar Rationen in Höhe der Hälfte der für die litauischen Bevölkerung vorgeschriebenen Zuteilungen fest. Nach diesen Sätzen stellte die Behörde des Gebietskommissars Großbezugsscheine aus, aufgrund derer die litauische Stadtverwaltung dem Ghetto Nahrungsmittel zu liefern hatte. Die für eine angemessene Versorgung der Juden unzureichenden Rationen wurden infolge von Versäumnissen der litauischen Stellen oft nicht im vollen Umfang zur Verfügung gestellt. Im Ghetto herrschte Hungersnot. Die jüdischen Arbeitskräfte versuchten deshalb, auf den außerhalb des Ghettos gelegenen Arbeitstätten zusätzliche Lebensmittel zu erwerben und in das Ghetto zu schmuggeln (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27 01.1970, 2 Ks 1/68 S.520 GA). Erwerbstätige Ghettobewohner erhielten vom Judenrat höhere Rationen als die übrigen Ghettobewohner. Die zusätzlichen Rationen finanzierte der Judenrat nach Angaben von Herrn Jeruschalmi, der Sekretär des Judenrats war, aus Gewinnen von Lebensmittelverkäufen (siehe Jeruschalmi S. 346 GA).
Am 17.09.1943 übernahm die SS die Verwaltung des Ghettos und das Ghetto erhielt den Status eines Konzentrationslagers (Dr. Tauber, Seite 14 des Gutachtens).
Selbst wenn noch von einem gewissen Maß an eigener Entscheidungsfreiheit des Klägers zur Beschäftigungsaufnahme ausgegangen wird (siehe zur deutlich eingeschränkten Entscheidungsfreiheit der Ghettobewohner zur Beschäftigungsaufnahme Dr. Tauber, Seite 30 des Gutachtens), hatte der Kläger keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse. Vielmehr war aufgrund der Organisation des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen das Verhältnis zwischen dem Kläger und seinen"Arbeitgeber" fremdbestimmt, hatte der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen überragenden Einfluss auf die Gestaltung dieses Verhältnisses. Der in der Stadt Schaulen konkretisierte und tatsächlich umgesetzte Arbeitseinsatz von Ghettobewohnern entsprach den Vorgaben über den Arbeitseinsatz in den Vorläufigen Richtlinien und im Erlass vom 27.08.1942 und war dadurch gekennzeichnet, dass die Ghettobewohner, die zur Arbeitsaufnahme bereit und vorgesehen waren, durch die Ausgabe von Arbeitsausweisen vom Arbeitsamt erfasst waren, das Arbeitsamt, welches eine Dienststelle des Gebietskommissars war, alleinzuständig für die Zuweisung von jüdischen Arbeitskräften war, die Arbeitsabteilung im Ghetto dem Arbeitsamt direkt unterstellt war und sich die potentiellen Arbeitgeber an das Arbeitsamt zwecks Zuweisung von Arbeitskräften wandten. Aus den Angaben des Klägers sowie der Zeugen Q und L über die Organisation und die Bedingungen der Beschäftigungen ergibt sich nichts abweichendes. Der Kläger und die beiden Zeugen Q und L berichten übereinstimmend, dass die Beschäftigungen der Ghettobewohner durch den das Arbeitsamt im Ghetto bzw. dem Judenrat organisiert und vermittelt wurden. Der Kläger hat ergänzend in der Erklärung vom 25.01.2006 dargelegt, dass er seine Arbeitgeber nicht kannte und ein Entgelt für geleistete Arbeit im Form von Sachbezügen und Lebensmittelcoupons nicht von den Arbeitgebern, sondern von den Behörden/Verwaltung im Ghetto ausgezahlt erhalten habe. Für die Fremdbestimmtheit der Tätigkeiten schon vor dem 17.09.1943, dem Zeitpunkt der Umwandlung des Ghettos in ein Konzentrationslager, spricht auch insbesondere die Einlassung des Klägers im Schreiben vom 05.11.2002, wonach das Ghetto Schaulen unter "denselben Arbeitsbedingungen und Gewohnheiten" fortbestanden habe, bis er im Juli 1944 ins KZ Stutthof deportiert worden sei und dass er und seine Familie im Jahr 1943 im Ghetto geblieben seien, wo "alles weiterlief wie gewohnt". Aus dieser Erklärung wie auch der Erklärung vom 25.09.2006 ist zu entnehmen, dass sich nach Einschätzung des Klägers sich die Verhältnisse im Ghetto nach der Übernahme der Verwaltung durch die SS im September 1943 und der Umwandlung in ein Konzentrationslager - auch in Hinblick auf den Arbeitseinsatz - nicht wesentlich änderten. In der folgenden Zeit, als der Kläger in einer Lederfabrik arbeitete, beschreibt er seine Lebensbedingungen sogar als "viel leichter" als vorher. Deshalb folgt der Senat nicht der Auffassung des SG , dass erst ab Übernahme der Verwaltung des Ghettos durch die SS die Beschäftigung der Ghettobewohner als Zwangsarbeit bewertet werden kann.
Entgegen der Auffassung des SG existierte im Ghetto Schaulen kein Arbeitsmarkt neben dem Arbeitsamt, einer Dienststelle des Gebietskomisssars, der sich über Angebot und Nachfrage regulierte. Aus den Arbeitsplatzwechseln des Klägers kann nicht geschlossen werden, dass im Ghetto eine Arbeitsvermittlung bestand und deshalb der Kläger die Möglichkeit hatte, aus freiem Willensentschluss im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten einen Arbeitsplatz anzunehmen bzw. zu wechseln. Dabei geht das SG zunächst unzutreffend davon aus, dass der Kläger ab Mai 1942 nur noch Arbeiten innerhalb des Ghettos verrichtet habe und das Arbeitsamt im Ghetto für die Organisation und Verteilung der Arbeit zuständig war. Sämtlich von Kläger angebenen Arbeitsstätten lagen außerhalb des Ghettos. Das Büro im Ghetto, das den Arbeitseinsatz organisierte, wurde nicht vom Judenrat geleitet, sondern von einem Litauer, wobei das Büro direkt dem Arbeitsamt unterstellt war. Soweit die Ghettobewohner durch persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern der Arbeitsabteilung einen Arbeitsplatzwechsel erreichten, nutzten diese nur eine Möglichkeit, die ihnen das System bot, sie konnten aber den Arbeitsplatz ohne Einschaltung des Arbeitsamts nicht frei wählen. Auch aus der Vielzahl der Arbeitstätten außerhalb und innerhalb des Ghettos, an denen Ghettobewohner eingesetzt waren, lässt sich nicht ableiten, dass ein sich selbst regulierender Arbeitsmarkt bestand. Vielmehr ist dies nur ein Indiz dafür, dass das von den deutschen Besatzungsbehörden verfolgte Konzept der Ausbeutung der Arbeitskraft der Juden im Form von Zwangsarbeit erfolgreich umgesetzt wurde. Insoweit sind die Verhältnisse im Ghetto Schaulen nicht vergleichbar mit den Verhältnissen im Ghetto Lodz, die u.a. durch das Bestehen eines "Ghetto-Arbeitsmarktes" gekennzeichnet waren, der durch die Nachfrage nach Arbeitskräften aufgrund branchenspezifischer Anforderungen entstanden war und auf dem durch den Judenrat, der einer eigenen Stadtverwaltung mit umfangreicher Verwaltungsbürokratie entsprach, Arbeitskräfte je nach Arbeitsmarktlage in verschiedene Betriebe vermittelt wurden (siehe BSG, Urteil vom 18.06.1997, - B 5 RJ 66/95 -; Urteil vom 21.09.1999, -. B 5 RJ 48/98 R -). In Schaulen forderten die Betriebsinhaber beim Arbeitsamt, einer Dienststelle des Gebietskommissars, jüdische Arbeitskräfte an, diese Stelle wies die Arbeitskräfte nach eigenem Ermessen zu, das Büro für Arbeit im Ghetto handelte im Auftrag des (deutschen) Arbeitsamts, ein eigenständiger Arbeitsmarkt entwickelte sich im Ghetto Schaulen nicht.
Aus den Angaben des Klägers sowie der Zeugen Q und L ergibt sich nichts Abweichendes. Insbesondere waren für die Arbeitsplatzwechsel nach den Angaben des Klägers nicht nur sein Wunsch, eine Arbeit unter besseren Bedingungen zu erhalten, sondern auch äußere Umstände - Beendigung einer saisonalen Arbeit im Herbst 1942 und "Kasernierung im Ghetto" im Sommer 1943 -entscheidend, wobei er nach eigenen Angaben wusste, dass er sich in den "geschäftlichen Teil der Arbeitsverteilung nicht reinmischen" durfte. Auch aus dem von der Klägerbevollmächtigten erstinstanzlich vorgelegten Auszug aus den Erinnerungen von Frau Lagin über ihr Leben im Ghetto Schaulen wird deutlich, dass auch bei Arbeitsplätzen innerhalb des Ghettos nicht die Absprache zwischen einer Arbeitskraft und dem jeweiligen Arbeitgeber für den Erhalt einer Arbeitsstelle entscheidend war, sondern die Entscheidung des Arbeitsamts, an welcher Stelle eine Arbeitskraft eingesetzt wird. Frau Lagin schildert den Verlust einer Arbeitsstelle in einer Apotheke im Ghetto, in dem ohne ihr Wissen ihr Arbeitsplatz einer anderen Ghettobewohnerin vom Arbeitsamt zugewiesen wurde, wobei ihre Arbeitgeberin keinen Einspruch erhob. Des weiteren suchte sich Frau Lagin einen neuen Arbeitsplatz nicht selbst, sondern wandte sich an das Büro im Ghetto zwecks Zuweisung eines neuen Arbeitsplatzes.
Auch die Tatsache, dass die jüdischen Arbeitskräfte nicht nur Sachbezüge in Form von Essen am Arbeitsplatz und Zuteilung von erhöhten Lebensmittelrationen durch den Judenrat, deren Erhalt der Kläger in der Erklärung vom 25.01.2006 angibt, sondern nach den Angaben in der Sekundärliteratur auch ein Barentgelt - dessen Erhalt der Kläger in der Erklärung vom 25.01.2006 verneint - ausgezahlt erhielten, spricht nicht gegen die Annahme eines "unfreien" Beschäftigungsverhältnisses. Denn weder die Sachbezüge noch die Barvergütung wurden nach der beigezogenen Literatur von den jeweiligen "Arbeitgebern", sondern von einem Dritten - dem Judenrat - ausgezahlt. Dies entspricht den Angaben des Klägers in der Erklärung vom 25.01.2006, wonach die Auszahlung von Sachbezügen und Lebensmittelgutsheinen durchgehend durch die Verwaltung im Ghetto erfolgte. Der Judenrat handelte bei der Ausgabe der Sachbezüge oder Auszahlung des Barentgelts nicht als Zahlstelle der Arbeitgeber bzw. nahm die Vergütung für die geleistete Arbeit nicht als Beauftragter oder Treuhänder der Ghettobewohner im Empfang. Denn der Judenrat erhielt die Zahlungen nicht von den jeweiligen "Arbeitgebern" zwecks Weiterleitung an die Beschäftigten, sondern es handelte sich um Leistungen der Kasse des Gebietskommissars, der bestimmte, ob und in welchem Umfang ein Teil der an ihn für die "Miete von Arbeitskräften" geleisteten Zahlungen der "Arbeitgeber" an die Beschäftigten über den Judenrat weitergeben wurden. Dabei waren die zusätzlichen Lebensmittelrationen, die vom Judenrat an Erwerbstätige ausgegeben wurden, nicht Bestandteil der in den Vorläufigen Richtlinien vorgesehenen Vergütung, sondern es handelte sich um eine zusätzliche Leistung des Judenrats (siehe Jeruschalmi S. 246 GA). Werden Sachbezüge lediglich im Zusammenhang mit der Beschäftigung, aber nicht mit der Zweckbestimmung einer Gegenleistung für erbrachte Dienst- und Arbeitsleistungen - wie im vorliegenden Fall - gewährt, fehlt den Sachbezügen der Rechtscharakter eines Entgelts (siehe BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -).
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt auch nicht aus dem von der Rechtsprechung vertretenen Entstehungsprinzip (siehe dazu BSG, Urteil vom 14.072004, - B 12 KR 7/04 R - m.w.N.), dass die Beschäftigung von Bewohnern des Ghettos Schaulen, also auch die des Klägers, als entgeltliche und damit auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bewerten ist. Das Entstehungsprinzip gilt zwar für die Feststellung der Versicherungspflicht (Überschreiten der Grenzen einer versicherungsfreien Beschäftigung) und die Beitragshöhe. Es stellt für die Entstehung, den Fortbestand und die Berechnung einer Beitragsforderung nicht auf das tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt, sondern auf die Höhe des Arbeitsentgelts ab, auf das dem Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch zusteht (siehe dazu BSG, Urteil vom 14.07.2004, - B 12 KR 7/04 R - m.w.N.). Aus dem Entstehungsprinzip lässt sich aber nicht das Bestehen einer freien Beschäftigung ableiten. Denn es setzt das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund von arbeitsvertraglichen Beziehungen sowie einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt voraus und regelt die Folgen einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber im Beitragsrecht (siehe Seewald in Kasseler Kommentar, § 4 SGB VI Rz. 50 ff, 56; BSG, Urteil vom 14.072004, - B 12 KR 7/04 R - ). Es lässt keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses zu.
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Eine Anerkennung als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG scheidet für die Zeit vom 01.09.1941 bis zum 25.12.1942 aus, da der Kläger in diesem Zeitraum noch nicht das 17. Lebensjahr vollendet hatte. Auch kann die Zeit vom 26.12.1942 bis zum 16.09.1943 nicht als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG berücksichtigt werden, da die Beschäftigung in diesem Zeitraum nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht keine Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik ohne dass Beitrittsgebiet verrichtet worden wäre (§ 16 Abs. 1 S. 2 1 Halbsatz FRG).
Die Beklagte hat auch zutreffend die Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nach § 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) durch Bescheid vom 29.10.2002 abgelehnt.
Nach § 1 Abs.1 gilt das ZRBG für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr.1 ) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt war (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Eine Beschäftigung im Sinne von § 1 Abs.1 S. 1 Nr. 1 ZRBG ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Bei den vom Kläger in der Zeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 ausgeübten Beschäftigungen handelt es sich nicht um aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigungen im Sinne von § 1 Abs. 1, S. 1 Nr. 1 ZRBG. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1Nr. 1 ´ZRBG nicht, dass die Merkmale einer versicherungspflichtigen Beschäftigung rudimentär vorgelegen haben. Bei der Auslegung der in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZRBG verwandten Begriffe "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen" und "gegen Entgelt ausgeübt" ist auf die Kriterien der Rechtsprechung des Bundssozialgerichts (BSG) zur Frage der versicherungsrechtlichen Einordnung und Abgrenzung von Zwangsarbeit zu versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in einem Ghetto abzustellen (vgl. Urteile vom 14.07.1999, - B 13 RJ 75/98 R - und - B 13 RJ 61/98 R -). Denn das ZRBG knüpft nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über die von der "Ghetto-Rechtsprechung" Begünstigten hinaus ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die in § 1 ZRBG genannten Kriterien folgen der Rechtsprechung des BSG und verdeutlichen die Abgrenzung einer von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmten Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, gegenüber der nichtversicherten Zwangsarbeit, also unfreien Beschäftigungsverhältnissen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -; Urteil vom 20.07.2005, - B 13 RJ 37/04 -; LSG NRW, Urteil vom 27.01.2006, - L 4 RJ 126/04 -).
Da keine Beitragszeiten glaubhaft gemacht worden sind, können wegen Fehlens der Versicherteneigenschaft keine Ersatzzeiten zur Erfüllung der Wartezeit berücksichtigt werden.
Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht geboten. Der Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Der Senat verfügt unter Berücksichtigung der vom Senat vertretenen Auslegung des Begriffs einer " freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung" und der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG sowie nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und den beigezogenen Abhandlungen mehrerer Historiker über die Verhältnisse in Litauen bzw. im Ghetto Schaulen über eigene Sachkunde, um Feststellungen über die Verhältnisse in Schaulen in den Jahren 1941 bis 1943 treffen und ihre rechtliche Relevanz beurteilen zu können. Der Senat hat sich daher nicht gedrängt gefühlt, entsprechend dem Beweisantrag des Klägers ein historisches Gutachten von Dr. Tauber über die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit von Beschäftigungen im Ghetto Schaulen einzuholen. Der Senat hat das im Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg, S 6 RJ 730/04, erstattete Gutachten von Dr. Tauber über die Ghettos in Litauen, Kaunas, Wilnius und Siauliai vom 22.11.2005 beigezogen und verwertet. Soweit Dr. Tauber auf Seite 4 des Gutachtens ausführt, dass allein die Tatsache, dass die Arbeit von Ghettobewohnern geleistet wurde, weder Entgeltzahlungen noch die "Freiwilligkeit" der Arbeit von vorneherein ausschließe, auch wenn sowohl aus der Sicht der deutschen Täter als auch der jüdischen Opfer von "Zwangsarbeit" gesprochen wurden sei und auch unter den Bedingungen der Ghettos in Litauen jüdische Arbeitsleistungen teilweise "entgolten" worden seien und die Einzelperson einen gewissen Einfluss auf die eigenen Arbeitssituation hätten nehmen können, kann dies hier offenbleiben. Denn der Senat hat unter Würdigung der Angaben des Klägers über seine Beschäftigungen zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines freien beziehungsweise unfreien Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Rentenversicherung vorliegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Altersruhegeld (ARG) unter Berücksichtigung von Beitragszeiten wegen einer Beschäftigung im Ghetto Schaulen in der Zeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943.
Der am 00.00.1925 in S (Lettland) geborene Kläger ist Jude und anerkannter Verfolgter nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Er hielt sich seit September 1941 im Ghetto Schaulen (Litauen) auf. Im Juni 1944 wurde der Kläger in das Konzentrationslager Stutthoff deportiert. Am 01.05.1945 wurde er aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Anschließend hielt sich der Kläger in verschiedenen DP-Lagern auf. Im Juli 1948 wanderte er nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Im Entschädigungsverfahren erhielt der Kläger eine Entschädigung für erlittenen Freiheitsschaden im Umfang von 44 Kalendermonaten.
Im Februar 2001 beantragte der Kläger Leistungen wegen Zwangsarbeit im "Konzentrationslager Dachau-Lager 10, 1944" nach dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). Dem Kläger wurden Leistungen nach dem EVZStiftG gewährt.
Im November 1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von ARG, die Anerkennung von Arbeitszeiten im Ghetto als Beitragszeiten sowie die Zulassung zum Nachentrichtungsverfahren. Im am 14.12.1998 unterzeichneten Rentenantrag gab er an, dass er dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe. Er habe in der Zeit von Juli bis September 1941 Schwarzarbeiten für die deutsche Armee in Schaulen ausgeführt. Er habe 6 Tage in der Woche ca. 10 bis 12 Stunden täglich Plätze der Deutschen Armee gereinigt und unterhalten und dann dafür ein Gehalt erhalten. Ab September 1941 habe er sich im Ghetto Schaulen aufgehalten. In der Zeit von September 1941 bis Mai 1942 sei er auf dem Flugplatz der Luftwaffe beschäftigt gewesen. Er habe 6 Tage wöchentlich, 10 Stunden täglich Straßenbauarbeiten und verschiedene schwere Arbeiten gegen Gehalt verrichtet. In der Zeit von Mai bis August 1942 sei er bei S in der Torfangrabung beschäftigt gewesen. Er habe 8 Stunden täglich im Dreischichtbetrieb 6 Tage wöchentlich Torf ausgegraben und ein Gehalt erhalten. Anschließend habe er in der Zeit von September 1942 bis August 1943 bei der Firma T Tankholz-Holzstelle gearbeitet. Die Arbeitszeit habe 9 Stunden täglich, 6 Tage wöchentlich betragen, er habe ein Gehalt erhalten. In der Zeit von September 1943 bis Juli 1944 sei er in einer Leder- und Schuhfabrik C 8 Stunden täglich, 6 Tage wöchentlich gegen Gehalt beschäftigt gewesen. In der Zeit von August 1944 bis April 1945 habe er im Konzentrationslager Dachau Lager 10 für die Firma E GmbH 14 Stunden täglich, 6 Tage in der Woche gegen Erhalt von Nahrung und Kleidung gearbeitet. Im Fragebogen zum dSK gab der Kläger unter dem 28. 01.1999 an, dass er mit seinen Eltern im Ghetto Schaulen unter gräulichen Umständen gelebt habe und sie zu verschiedenen Arbeiten außerhalb des Ghettos geschleppt worden seien. Nach Beiziehung der Entschädigungsakten des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. 03.1999 den Antrag ab. Die behaupteten Arbeitszeiten von Juli 1941 bis April 1945 könnten nicht als Beitragszeiten anerkannt werden, da es sich um Zwangsarbeiten im Rahmen von Verfolgungsmaßnahmen handele. Aus dem Inhalt der Entschädigungsakten ergebe sich, dass der Kläger während der Zeit von Juli 1941 bis April 1945 zu schweren physischen Zwangsarbeiten herangezogen worden sei. Es sei daher nicht glaubhaft, dass es sich um ein freiwillig eingegangenes Arbeitsverhältnis gehandelt habe.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 13.01.2000 als unbegründet zurück.
Im Oktober 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von ARG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten in der Zeit vom 01.07.1941 bis 31.07.1944 nach dem Gesetz über die Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2002 ab.
Mit der am 28.01.2000 erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung von ARG unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG begehrt. Der Kläger hat vorgetragen, seine Heimatstadt Schaulen sei am 26.06.1941 von der Wehrmacht besetzt worden. Anfang Juli 1941 habe er begonnen zu arbeiten. Er habe Mitte September 1941 vom Ghetto aus angefangen zu arbeiten. Er habe auf dem Flughafen A, nahe der Stadt gearbeitet. Das Ghetto Schaulen sei im August 1941 entstanden und habe unter denselben Arbeitsbedingungen und Gewohnheiten fortbestanden, bis er im Juli 1944 in das Konzentrationslager Stutthoff deportiert worden sei. Im Jahre 1943 seien einige Personen aus dem Ghetto genommen und in kleine abgeschlossene Lager in die Umgebung von Schaulen verbracht worden, er sei aber mit seiner Familie im Ghetto geblieben, wo alles wie gewohnt weitergelaufen sei. Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger die Erklärungen von Herrn Q vom 30.11.2000 und Herrn L vom 19.12.2000 sowie Auszüge aus Lagin, Under Soviet Rule and in Ghetto Shavli zu den Akten gereicht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2000 und des Bescheides vom 29.10.2002 zu verurteilen, ihm Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 und Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren.
Die Beklagt hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 11.08.2004 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.03.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2000 und des Bescheides vom 29.10.2002 verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 sowie Ersatzzeiten nach Maßgabe des ZRBG zu gewähren. Es sei glaubhaft, dass der Kläger die Beschäftigungen innerhalb und außerhalb des Ghettos aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Der Annahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses stehe nicht entgegen, dass im Entschädigungsverfahren seine Beschäftigungen zum Teil als "Zwangsarbeit" bezeichnet worden seien. Die Furcht vor Deportationen und die wirtschaftliche Not habe auf die jüdische arbeitsfähige Bevölkerung einen massiven mittelbaren Druck ausgeübt. Dem Kläger sei es auf einem noch bestehenden "Arbeitsmarkt" im Ghetto Schaulen nach der Tätigkeit auf dem Flughafen gelungen, auf Arbeitsplätze innerhalb des Ghettos zu wechseln. Der Arbeitsplatzwechsel des Klägers belege die Existenz einer Arbeitsvermittlung im Ghetto Schaulen, in dem bis Herbst 1943 eine Zivilverwaltung bestanden habe. Im Rahmen der zivilen Verwaltung des Ghettos habe ein Arbeitsamt bestanden, das mit der Organisation und der Verteilung von Arbeit befasst gewesen sei. Angesichts der Organisation der Arbeitsvermittlung sei es zur Überzeugung der Kammer glaubhaft, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, aus freiem Willensentschluss im Rahmen bestehender Möglichkeiten einen Arbeitsplatz anzunehmen bzw. zu wechseln. Erst mit der Übernahme der Verwaltung des Ghettos durch die SS sei die Arbeitsaufnahme und die Beschäftigung im Ghetto als Zwangsarbeit zu bewerten. Dahinstehen könne, ob der Kläger eine Entlohnung in Bargeld erhalten habe. Die dem Kläger gewährten zusätzlichen Lebensmittelrationen seien unter Berücksichtigung der historischen Umstände als Entgelt im Sinne des ZRBG zu qualifizieren. Die Entgeltlichkeit der Beschäftigung im Ghetto Schaulen werde auch durch die Erlasse des Reichskommissars Ostland vom 02.08.1941 und vom 27.08.1942 belegt, wonach die Arbeitgeber von jüdischen Arbeitskräften im Ghetto Schaulen ein angemessenes Entgelt an die Kasse des Gebietkommissars entrichten mussten. Aus dieser Vergütungsregelung ergebe sich, dass die Beschäftigung des Klägers gegen Entgelt ausgeübt worden sei.
Gegen das am 19.10.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.11.2004 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des SG Düsseldorf sei davon auszugehen, dass bei der Aufnahme der Tätigkeit des Klägers im streitbefangenen Zeitraum nicht die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem hierfür typischen Merkmalen im Vordergrund gestanden habe. Es scheitere schon an dem fehlenden freien und eigenen Willen des Klägers selbst. Eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung setze die Vereinbarung zwischen einem konkreten Arbeitgeber und einem Beschäftigten über den Austausch von Arbeit und Lohn sowie das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablauf des Betriebes voraus. Der Kläger habe selbst unter dem 28.01.1999 angegeben, zu verschiedenen Tätigkeiten außerhalb des Ghettos verschleppt worden zu sein. Auch in den vorgelegten Zeugenerklärungen sei bestätigt worden, dass der Kläger zu Arbeiten eingeteilt worden sei. Allein der Umstand, dass der Kläger seine Arbeit möglicherweise durch das jüdische Komitee zugewiesen erhalten habe, nachdem er sich um eine Arbeit beworben habe, reiche nicht aus, um die Freiwilligkeit der verrichteten Tätigkeit zu bejahen. Auch vor dem Hintergrund der bekannten historischen Erkenntnisse sei nicht von einer freiwilligen Beschäftigungsausübung auszugehen. Denn nach § 1 der Verordnung über die Einführung des Arbeitszwanges für die jüdische Bevölkerung am 16.08.1941 hätten die in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts im Alter vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr dem Arbeitszwang unterlegen. Nach den vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden im Gebiet des Reichskommissariats Ostland seien die arbeitsfähigen Juden nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranzuziehen gewesen. Die Zwangsarbeit habe danach in Arbeitskommandos außerhalb des Ghettos, im Ghetto oder in einer sich im Ghetto befindlichen Werkstätten geleistet werden müssen. Die Vergütung habe nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen gehabt, sondern nur der Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes für die Zwangsarbeiter gedient. Auch sei eine Beschäftigung gegen Entgelt im rentenversicherungsrechtlichen Sinne nicht überwiegend wahrscheinlich.
Der Kläger habe im Rahmen der Antragstellung angegeben, für die von ihm geleistete Arbeit ein Gehalt erhalten zu haben. Nach den Ausführungen des Zeugen Q habe der Kläger die übliche Ghettoentlohnung sowie zusätzliche Lebensmittelrationen und Arbeitskleidung bekommen. Der Zeuge L habe ausgeführt, dass sie ihre Tätigkeiten gegen einen Hungerlohn sowie zusätzliche Lebensmittelrationen verrichtet hätten. Die Entlohnung sei im Ghetto üblicherweise durch die Aushändigung von Coupons erfolgt und habe kaum zum Überleben gereicht. Dies als Entgelt im Sinne der ZBRG anzusehen, erscheine zweifelhaft. Sie gehe von der Zugehörigkeit des Klägers zum dSK zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Heimatgebiet aus. Die Voraussetzungen des § 20 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), § 17 a 2 Alt. Fremdrentengesetz (FRG) lägen vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.08.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise den Historiker Dr. Tauber als Sachverständigen zur Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Beschäftigungen im Ghetto Schaulen anzuhören.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Im Schreiben vom 25.01.2006 hat der Kläger ausgeführt, er wisse nicht, wer seine Arbeitgeber gewesen seien. Er habe keinen unmittelbaren Kontakt mit den Arbeitgebern zur Beschäftigungsaufnahme gehabt und habe mit ihnen keine Arbeitsverträge abgeschlossen. Die Arbeit auf dem Flughafen und in Radviliskis sei ihm durch das Arbeitsamt im Ghetto vermittelt wurden. Die Beschäftigungsaufnahme im Tankholzwerk T sei entweder durch das Arbeitsamt im Ghetto oder den Judenrat geregelt worden. Die Arbeit in der Lederfabrik sei ihm durch den Judenrat vermittelt worden. Während seiner Arbeit auf dem Flughafen habe er ein Mittagessen und Sachbezüge von den Behörden im Ghetto erhalten. Für seine Arbeit in Radviliskis habe er kein Bargeld, sondern Sachbezüge erhalten. Die Sachbezüge, die u. a. auch aus Lebensmittelgutscheinen bestanden hätten, seien bei der Ghettoverwaltung verteilt worden, damit man die nötigen Produkte habe einkaufen können. Für die Arbeit im Tankholzwerk T und in der Lederfabrik habe er Sachbezüge erhalten. Er habe gewusst, dass er sich in den geschäftlichen Teil der Arbeitverteilung nicht einmischen durfte. Er habe keine Ahnung, wie die Bezahlung für seine Arbeit während der Ghettozeit funktioniert habe. Es sei alles zentralisiert gewesen. Im April/Mai 1942 seien junge Männer für das Torfstechen gesucht worden, wobei bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht gestellt worden seien. Deshalb sei der Arbeitsplatzwechsel erfolgt. Da die saisonale Arbeit im Torf im August/September 1942 beendet gewesen sei, sei der Arbeitsplatzwechsel zum Tankholzwerk erfolgt. Aufgrund der "Kasernierung" im Ghetto sei im August/September 1943 der Wechsel des Arbeitsplatzes zur Lederfabrik erfolgt. Er denke, dass sich weder die Arbeitsbedingungen noch das Entgelt geändert haben, als die SS die Verwaltung des Ghettos übernommen habe. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Merkmale eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nur rudimentär vorgelegen haben müssten, um die Voraussetzungen des ZRBG zu erfüllen. Aus dem im Berufungsverfahren beigezogenen Material, insbesondere den Ausführungen des Historikers Dr. Tauber, könne die Feststellung getroffen werden, dass allein der Wille zum Überleben jeden Ghettoinsassen veranlasst habe, einen Arbeitsplatz inne zu haben, so dass der "eigene Willensentschluss", auf den das ZRBG abstelle, nicht geleugnet werden könne. Auf eine Freiwilligkeit der Beschäftigung werde im Gesetzestext des ZRBG nicht abgestellt. Aufgrund der Verordnungen stehe fest, dass die Ghettobewohner neben Sachbezügen Anspruch auf Barlohn hatten. Das Merkmal der Entgeltlichkeit nach dem ZRBG werde allein aufgrund der Innehabung eines Barlohnanspruches erfüllt. Der Entgeltanspruch der Ghettobewohner führe nach der schon vom Reichsversicherungsamt vertretenen Rechtsanspruchstheorie dazu, dass er für den Bereich der Rentenversicherung so zu stellen sei, als sei ihm das Monatsgehalt tatsächlich ausgezahlt worden. Denn nach der Rechtsanspruchstheorie sei für die Berechnung des Beitrags nicht auf das tatsächlich ausgezahlte Monatsgehalt, sondern auf das Gehalt abzustellen, auf dessen Fälligkeit ein Rechtsanspruch bestehe. Trotz der Nichtzahlung des tariflichen Entgelts handele es sich bei seinen streitbefangenen Beschäftigungen aus der Sicht der Sozialversicherung um entgeltliche Beschäftigungen, die nach den allgemeinen Rechtsvorschriften versicherungspflichtig gewesen seien und für die aus Verfolgungsgründen die Beiträge nicht abgeführt worden seien und die deshalb nach § 2 Abs. 1 ZRBG fingiert würden. Diesem Umstand stehe auch nicht die praktizierte Lohnzahlung an den Judenrat entgegen, da die Entgeltzahlung an Dritte den Bestand eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nicht tangiere.
Auf Anforderung des Senats hat die Bevollmächtigte des Klägers die vollständige Fassung von Lagin, Under Soviet Rule and in Ghetto Shavli zu den Akten gereicht (Beiakte Bl. 294; S.22-25 des Berichts = Bl. 290-293 GA, Übersetzung S. 335-337 GA). Der Senat hat den Artikel über den Ort Schaulen aus Pinkas Hakehillot, "Lithuania", Yad Vashem Jehova, 1996 (S. 170-186 GA, Übersetzung S. 160-169 GA), die Veröffentlichung "Das Tagebuch von A. Jeruschalmi", abgedruckt in Arno Lustiger, "Das Schwarzbuch", 1990 (S. 187 -207 GA), den Artikel "Schaulen" aus Jäckel/Longerich/Schoeps, "Enzylopädie des Holocaust", München/Zürich (S. 208/209 GA), Benz/Kwiet/Matthäus, " Einsatz im Reichskommissariat Ostland", Berlin, 1998 (S. 210-221 GA), Valstybinis Vilniaus Gaono Zydu Muziejus," The Siauliai Ghetto: List of Prisoners", Vilnius, 1996, das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68, veröffentlicht in Justiz und NS-Verbrechen Bd. XXXIII, Amsterdam 2005, S.347 ff, das Gutachten des Historikers Dr. Tauber über die Ghettos in Litauen, Kaunas, Wilnius und Siauliai vom 22.11.2005, erstattet im Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg S 6 RJ 730/04 beigezogen. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft der Conference on Jewish Material Claims Against Germany INC, des Center For Advanced Holocaust Studies, US. Holocaust Memorial Museum, der ein Artikel des Historikers Dr. Bubny über das Ghetto Schaulen beigefügt gewesen ist (S. 279-289 GA, Übersetzung: S. 328-334 GA), und von Yad Vashem (S. 290-314 GA) über die Arbeitsbedingungen in und außerhalb des Ghettos Schaulen, welcher Auszüge aus Pinkas Hakehillot, "Lithuania" über das Ghetto Schaulen, der Artikel "The History of the Siualai Ghetto, 1941-1944" von Itsikas (Beiakte Bl. 274 GA, Übersetzung von S. 205 -213 auf S. 355-374, 388-391 GA) und Auszüge aus Yerushalmi, "The Shavli Register" (Übersetzung S. 346 -354 GA) beigefügt gewesen sind, eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte sowie der beigezogenen Entschädigungsakten des Klägers und der Akte des Landgerichts München, EK No. 619/53, Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das SG hat zu Unrecht die Beklagte zur Gewährung von ARG unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 sowie Ersatzzeiten verurteilt. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf ARG gegenüber der Beklagten nach §§ 35, 300 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) inne. Die für den Rentenanspruch erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 35 Nr. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) ist nicht erfüllt, weil auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten nicht vorliegen. Entgegen der Auffassung des SG ist die von dem Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit im Ghetto Schaulen vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 nicht als Beitragszeit zu berücksichtigen. Anrechenbare Ersatzzeiten liegen nicht vor.
Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der Kläger vollendete im Dezember 1990 das 65. Lebensjahr. Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sind nach § 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Beitragszeiten sind nach §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwilliger Beiträge gezahlt worden sind oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Ersatzzeiten werden nach § 250 Abs. 1 SGB VI nur bei Versicherten als rentenrechtliche Zeiten berücksichtigt. Die Versicherteneigenschaft liegt vor, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt.
Der Kläger legte in der Zeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 keine Versicherungszeiten nach dem Reichsversicherungsgesetzen (§ 247 Abs. 3 S. 1 SGB VI) zurück. Die Stadt Schaulen lag bis 1940 auf litauischem Staatsgebiet. Im August 1940 wurde Litauen als sozialistische Sowjetrepublik in die UdSSR aufgenommen und war sowjetisches Staatsgebiet. Nach der Besetzung durch die deutschen Truppen im Juni 1941 wurde Litauen dem Deutschen Reich nicht ein- oder angegliedert, sondern war als besetztes Gebiet während des streitbefangenen Zeitraums dem Deutschem Reich gegenüber Ausland. Als ehemaliger litauischer und später sowjetischer Staatsangehöriger gehörte der Kläger nicht zu dem von der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfassten Personenkreis. Zuständig war nach dem damaligen Rechtszustand zunächst allein der sowjetische Sozialversicherungsträger bzw. ab August 1943 der vom Generalkommissar in Kaunas errichtete Sozialversicherungsträger. Denn nach der Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten Gebieten vom 04.08.1941 (RGBl. I, 486) unterlagen nur die in Litauen beschäftigten deutschen Staatangehörigen und deutschen Volkszugehörigen den Vorschriften der RVO. Auch durch die Verordnung des Generalkommissars in Kaunas über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 (abgedruckt in Plön, Die gesetzliche Rentenversicherung im Ausland, S. 256) wurde die "einheimische" Bevölkerung, zu der alle nichtdeutschen Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge mit Ausnahme der Ostarbeiter und nicht im Reichskommissariat beheimateten Ausländer gehörten (§ 1 Abs. 3 der Verordnung), nicht in die RVO miteinbezogen. Vielmehr war die Ersetzung des bisherigen sozialen Sicherungssystems für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen, eingeführt durch die Sowjetunion, durch den Aufbau einer eigenständigen Sozialversicherung beabsichtigt, die nicht der Reichsversicherung an- oder eingegliedert wurde (BSG, Urteil vom 01.12.1966, - 4 RJ 401/64 - ; Urteil vom 17.05.1963, - 4 RJ 305/63 -).
Die vom Kläger geltend gemachte Beschäftigungszeit vom 01.09.1941 bis zum 16.09.1943 ist nicht als Zeit nach dem FRG Bundesgebietsbeitragszeiten gleichgestellt. Dahinstehen kann, ob der Kläger dem dSK angehörte und damit die persönlichen Voraussetzungen der §§ 17a FRG, 20 WGSVG für die Berücksichtigung von Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach §§ 15, 16 FRG erfüllt. Jedenfalls sind die sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der geltend gemachten Beschäftigungszeit im Ghetto Schaulen als Beschäftigungs- oder Beitragszeiten nach dem FRG nicht gegeben.
Die streitbefangenen Beschäftigungszeit stellt keine Beitragszeit bei einem nichtdeutschen Rentenversicherungsträger im Sinne von § 15 Abs. 1 FRG dar. Die Entrichtung von Beiträgen zum Rentenversicherungsträger, der während der deutschen Besatzung für die "einheimische" Bevölkerung in Litauen zuständig war, ist weder erwiesen noch glaubhaft gemacht worden. Der Kläger hat die Entrichtung von Beiträgen für die im streitbefangenen Zeitraum geleistete Arbeit an einen Sozialversicherungsträger nicht vorgetragen. Auch in den im Verfahren beigezogenen Dokumenten und der beigezogenen Literatur ist eine Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für von jüdischen Arbeitskräften während der deutschen Besatzungszeit in Litauen geleistete Arbeit nicht belegt. In den Anordnungen des Reichskommissars Lohse über die Arbeit von jüdischen Ghettobewohnern ist zwar festgelegt, dass die jüdischen Arbeitskräfte eine Vergütung erhielten und private Dritte für die Inanspruchnahme von jüdischen Arbeitskräften ein angemessenes Entgelt bzw. eine Miete an den Gebietskommissar als Vertreter der deutschen Besatzungsmacht zu zahlen hatten (siehe Ziffer 5 e) der Vorläufigen Richtlinien des Reichskommissars für die Behandlung der Juden vom 02.08.1941, Ziffer 5 des Erlasses des Reichskommissars vom 27.08.1942 betreffend die "Verwaltung der jüdischen Ghettos"). Eine Verpflichtung zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen ist diesen Anordnungen nicht zu entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus der Verordnung des Generalkommissars in Kaunas, über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 des Generalkommissars in Kaunas, der für die Verwaltung des Generalkommissariats Litauen zuständig war, dass die jüdische Bevölkerung nicht in die Sozialversicherung einbezogen werden sollte. § 2 Abs. 1 der Verordnung sah vor, dass alle gegen Entgelt in einem Dienstverhältnis stehenden Beschäftigten, die zu der in § 1 definierten einheimischen Bevölkerung gehörten, grundsätzlich der Sozialversicherung unterlagen. Juden und Zigeuner standen in keinem Dienstverhältnis im Sinne dieser Vorschriften (§ 2 Abs. 3).
Eine Gleichstellung der streitbefangenen Beschäftigungszeit mit nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 Abs. 3 S. 1 FRG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Voraussetzung für eine Gleichstellung mit deutschen Beitragszeiten ist u. a., dass die ausländische Beschäftigung, für die eine Beitragsgleichstellung erfolgen soll, einer nach deutschem Recht dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung entsprechen muss (BSG, Urteil vom 07.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -). Nach § 1226 Abs. 1 RVO a.F. wurden in der Arbeiterrentenversicherung insbesondere Arbeiter versichert. Unter einem Arbeiter war nach damaligem Recht eine Person zu verstehen, die als solche beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war wie eine Person im Sinne der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs. 1 RVO (in der bis Ende 1991 geltenden Fassung), die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt war, d. h. nicht selbständige Arbeit verrichtete (§ 7 Abs. 1 SGB VI). Diese Beschäftigung musste nach 1226 Abs. 1 RVO in der bis zum 23.05.1945 geltenden Fassung gegen Entgelt erfolgen.
Unter Zugrundelegung dieser Vorschriften ist die Ausübung einer nach deutschem Recht versicherungspflichtigen Beschäftigungen durch den Kläger ab September 1941 weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht wurden. Eine Tatsache ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie er behauptet wird. Gleichzeitig muss mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unbeachtlich. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende Umstände zu berücksichtigen. Bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten muss das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sein, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Tatsache spricht (LSG NRW, Urteil vom 28.10.2005, - L 13 R 47/05 -). Die Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung setzt somit voraus, dass ein hinsichtlich seines Inhaltes und zeitlichen Verlaufs sowie auch der tatsächlichen Entlohnung hinreichend konturiertes und konkretisiertes Beschäftigungsverhältnis die überwiegende Sachverhaltsvariante darstellt (LSG NW, Urteil vom 08.11.2004, - L 3 (18) RJ 82/02 -).
Der Senat sieht als glaubhaft gemacht an, dass der Kläger in der Zeit von September 1941 bis Juni 1944, dem Zeitpunkt der Deportation, verschiedene Beschäftigungen in Schaulen ausübte. Im Verwaltungsverfahren hat der Kläger die Beschäftigung an vier verschiedenen Arbeitsstätten unter Angabe der Dauer der Beschäftigung, des Umfangs der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten und eines Entgelts in Form eines "Gehalts" in der Zeit vom September 1941 bis August 1944 angegeben. Diese Angaben hat der Kläger im Berufungsverfahren in der Erklärung vom 25.01.2006 bestätigt und hinsichtlich der Umstände der Arbeitsaufnahme, den Arbeitsbedingungen und der Art und Höhe des "Gehalts" konkretisiert. Den Einsatz des Klägers an den von ihm angebenen Arbeitsstätten bestätigen die Zeugen Q und L in ihren schriftlichen Erklärungen insoweit, als sie zusammen mit dem Kläger gearbeitet haben und den Einsatz an verschiedenen Arbeitsstätten, u.a. am Flughafen, in einem Tankholzwerk und einer großen Leder- und Schuhfabrik schildern. Die Angaben des Klägers stimmen mit den Eintragungen über den Kläger in der Volkszählungsliste aus dem Jahr 1942, die in " The Siauliai Ghetto: List of Prisoners" veröffentlicht ist, überein, wonach der Kläger "Kristalis, Simonas, Sohn, 30.12.1925, Geburtsort S, Ausbildung mittlere Reife," die Berufsbezeichnung "Arbeiter" führte und als Arbeitsstelle "Tagesarbeiter, vorübergehend im Torfbruch in Radviliskis " eingetragen war. Die vom Kläger angebenen Arbeitsstätten - Flughafen, Torflager S, Firma T Tankholz-Holzstelle und Leder- und Schuhfabrik C - werden auch in der vom Senat beigezogenen Literatur erwähnt (zur Verkehrsgesellschaft T siehe Jeruschalmi, S. 347 GA; zur Schuhfabrik C siehe Jeruschalmi S. 349 GA und Seite 47 des Gutachten von Dr. Tauber, zum Flughafen und zum Torflager Radviliskis siehe u.a. Enzyklopädie des Holocaust S. 208/209 GA). Des weiteren sind die Angaben des Klägers und der beiden Zeugen Q und L über das erhaltene Entgelt in Form eines "Gehalts " bzw. von Sachbezügen (Kläger) bzw. eines "Hungerlohns/üblichen Ghettoentlohnung" und zusätzlichen Lebensmittelrationen (Zeugen Q und L) mit den Erkenntnissen des Senats über die Entlohnung von jüdischen Arbeitskräften im Ghetto Schaulen vereinbar. Jüdische Arbeitskräfte erhielten eine Vergütung vom Judenrat ausgezahlt; ihnen wurden zusätzliche Lebensmittelrationen ausgeteilt.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stellten aber die vom Kläger im streitbefangenen Zeitraum ausgeübten Beschäftigungen keine freie und entgeltliche Beschäftigungen und damit keine versicherungspflichtige Arbeiten dar, sondern es handelte sich um "unfreie" und damit nichtversicherte Beschäftigungsverhältnisse. Die Ausübung irgendeiner Beschäftigung reicht zur Glaubhaftmachung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht aus. Es existiert kein Grundsatz, dass die Beschäftigung eines Ghettobewohners, vorliegend in Schaulen, grundsätzlich als freies und entgeltliches und damit versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu werten ist. Vielmehr sind die konkreten Umstände eines jeden Einzelfalles zu berücksichtigen.
Zwischen den jüdischen Bewohnern des Reichskomissiariat Ostland, das u. a. das Gebiet von Litauen umfasste, und den deutschen Besatzungsbehörden bestand zumindest seit August 1941 ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis, dass unter anderem durch Einschränkung der Freizügigkeit und der wirtschaftlichen Betätigung, Registrierung, Kennzeichnungspflicht, Beschlagnahme und Enteignung des Vermögens, Ortsgebundenheit, Arbeitszwang, Isolierung und Ausgrenzung von der übrigen Bevölkerung, gekennzeichnet war (siehe LSG NRW, Urteil vom 13.01.2006, - L 4 RJ 113/04 -; Urteil vom 06.03.2006, - L 3 (18) R 98/05 -; Urteil vom 20.02.2006, - L 3 R 140/05 -). Dies ergibt sich aus den Bestimmungen der Verordnung des Reichsministers für die besetzten Gebiete Rosenberg vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 36 f) und den Vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden des Reichskommissars Lohse vom 02.08.1941 (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 38 ff). Damit handelte es sich bei den jüdischen Bewohnern der Stadt Schaulen um sogenannte "unfreie" Personen.
Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG ist bei "unfreien" Personen für die Frage, ob sie im Einzelfall eine Beschäftigung im Rahmen eines freien oder eines unfreien Arbeitsverhältnisses ausgeübt haben, nicht auf die sonstigen Lebensumstände, unter denen die Beschäftigten leben mussten, abzustellen. Vielmehr ist das Beschäftigungsverhältnis als solches und für sich zu untersuchen, ob es "frei" war ( BSG, Urteil vom 06.04.1960, - 2 RU 40/58 -, Urteil vom 17.03.1993, - 8 RKnU 1/91 -; Urteil vom 18.06.1997, - 5 RJ 20/96 -; Urteil vom 14.07.1999, - B 13 RJ 61/98 -). Ein freies Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn die Beschäftigten aus dem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis insoweit entlassen sind, als sie in einem Betrieb nach den Regeln des Arbeitsrechts tätig sind und ein Einfluss dritter Stellen auf die Gestaltung des Verhältnisses nicht stattfindet (BSG, Urteil vom 06.04.1960, - 2 RU 40/58 -; Urteil vom 17.03.1993, - 8 RKnU 1/91 -). Die Beschäftigten müssen aus eigenem Willen ein konkretes Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnis durch zweiseitige Vereinbarung eingegangen sein, tatsächlich die von ihnen auf der Grundlage des mit dem Arbeitgeber geschlossenen Vertrags geforderte Arbeit geleistet haben und ihnen muss dafür im Austausch eine den Umständen nach angemessene Gegenleistung als Bar- oder Sachlohn gewährt worden sein (BSG, Urteil vom 18.06.1997, - 5 RJ 20/96 -; LSG NW, Urteil vom 23.10.2000, - L 3 RJ 60/99 - ). Dies gilt auch, soweit die Arbeit unter den allgemeinen Bedingungen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verrichtet wurde (BSG, Urteil vom 23.08.2001, - B 13 RJ 59/00 R -).
Zur Abgrenzung zwischen einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und einem "unfreien" Arbeitsverhältnis, zu dem auch die Zwangsarbeit zählt, sind solche Kriterien untauglich, die für beide Tätigkeitsformen charakteristisch sind, wie z. B. Ausübung eines Direktionsrechts. Auch das bloße Abstellen auf Arbeit im Sinne einer Erwerbsarbeit oder wirtschaftlich nützlichen Tätigkeit kann diese beiden Typen nicht voneinander abgrenzen. Das Merkmal Arbeit ist beiden Tätigkeitstypen eigen, was eine nähere Abgrenzung überhaupt erst erfordert. "Unfreie" Arbeit ist die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichen (hoheitlichen) bzw. gesetzlichen Zwang.
Typisch für die "unfreie" Arbeit ist die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitskräften an bestimmte Unternehmen ohne dass der Betroffene dies beeinflussen kann. Indizien gegen ein freiwillig eingegangenes Beschäftigungsverhältnis können auch die Arbeitsbedingungen, wie z. B. die Bewachung von Arbeitskräften während der Arbeit, um zu verhindern, dass sie sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können, die Bewachung von Arbeitskräften auf dem Weg zur Arbeitsstätte, eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit am Ort der Arbeitsstätte, keine oder geringe Auszahlung eines Entgelts für individuell geleistete Arbeit an den Beschäftigen und Innehabung eines anderen Status als die übrigen Arbeitnehmer sein. Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, dass sich eine verrichtete Arbeit um so mehr vom Typus des freien Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der "unfreien" Arbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. Maßgebend für die Beurteilung ist das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit (BSG, Urteile vom 14.7.1999, - B 13 RJ 61/98 R -; Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R - m.w.N.). Hingegen erfordert ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältniss, dass ein wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt erkennbar wird. Zwar ist die Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte geben, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Entlohnung für die geleistete Arbeit oder zu anderen Zwecken, etwa als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft" der zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keinen Entgeltcharakter mehr. (BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -; Urteil vom 22.09.1988, - 7 RAr 13/87 -; Urteil vom 07.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -; Seewald in Kasseler Kommentar, § 4 SGB IV Rdnr.17).
Allein die Angabe des Klägers in der Erklärung vom 25.01.2006, dass ihm die vier Arbeitstätten durch das Arbeitsamt im Ghetto und/oder den Judenrat vermittelt bzw. die Arbeitsaufnahme von Institutionen im Ghetto geregelt wurde, genügt unter Berücksichtigung der Organisation und Ausgestaltung des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen zur Glaubhaftmachung der Freiwilligkeit der Arbeit nicht. Denn der Kläger hat angegeben, dass er weder seine Arbeitgeber kannte noch mit ihnen Arbeitsverträge abgeschlossen hatte. Daher bestehen schon allein aufgrund der Angaben des Klägers über das Zustandekommen der Beschäftigungen erhebliche Zweifel, dass er die Beschäftigungen auf Grundlage einer zweiseitigen Vereinbarung mit dem jeweiligen Betriebsinhabern ausübte. Der Umstand allein, dass die Arbeit vom Judenrat zugewiesen oder vermittelt wurde, nachdem sich ein Verfolgter bei ihm um Arbeit beworben hat, reicht nicht aus, um die Freiwilligkeit der verrichteten Arbeit bereits zu bejahen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -). Vielmehr ist die Organisation und Durchführung des Arbeitseinsatzes entscheidend, insbesondere ob das Verhältnis der Verfolgten zum "Arbeitgeber" in erheblichem Umfang von Regeln geprägt war, die durch einen zweiseitigen Vertrag mit einem "Arbeitgeber" vereinbart waren oder aber durch Regeln, die von Dritten aufgestellt waren.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat überzeugt, dass aufgrund der Organisation und der Durchführung des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen das Verhältnis zwischen dem Kläger und seinen verschiedenen "Arbeitgeber" fremdbestimmt war, da die deutschen Besatzungsbehörden, vorliegend der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen, überragenden Einfluss auf die Gestaltung dieses Verhältnisses hatten. Seit Mitte August 1941 ist der Einsatz von jüdischen Arbeitskräften im Reichskomissiariat Ostland als "unfreie" Beschäftigung zu charakterisieren. Denn die jüdischen Arbeitskräfte wurden zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis entlassen, sondern die Organisation und die Ausgestaltung der Arbeit war von hoheitlichen Eingriffen überlagert, denen sich weder die jüdischen Arbeitskräfte noch ihre "Arbeitgeber" entziehen konnten. Dabei geht der Senat nach Auswertung der beigezogenen Dokumente, der Sekundärliteratur und des Gutachtens des Historikers Dr. Tauber von folgenden Verhältnissen in Litauen aus:
Nach dem Einmarsch der deutschen Armee im Juni 1941 wurde Litauen Teil des Reichskomissiariat Ostland, in dem ab Juli 1941 eine Zivilverwaltung errichtet wurde. Dem Reichskommissariat Ostland stand Reichskommissar Lohse vor, der dem Reichsminister für die besetzten Gebiete Rosenberg in Berlin unterstellt war. Das Reichskommissariat Ostland war in vier Generalbezirke unterteilt, die Generalkommissaren unterstanden. Für Litauen wurde Dr. von Renteln zum Generalkommissar mit Sitz in Kaunas ernannt. Das Generalkommissariat Litauen war in sechs Gebietskommissariate unterteilt, die von Gebiets- und Stadtkommissare verwaltet wurden. Für das Gebietskommissariat Siauliai (Schaulen) war Gebietskommissar Kreisleiter Gewecke zuständig.
Durch die Verordnung vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung ordnete der Reichsminister für die besetzten Gebiete Rosenberg an, dass die in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr dem Arbeitzwang unterlagen und die Juden zu diesem Zweck in Zwangsarbeitsabteilungen zusammengefasst werden sollten (§ 1). Die Entziehung des Arbeitszwangs war strafbewehrt. Die zur Durchführung der Verordnung erforderlichen Vorschriften sollten die Reichskommissare erlassen (§ 3) (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 36 f). Reichskommissar Lohse übersandte mit Schreiben vom 18.08.1941 jedem Generalkommissar eine Fassung der "Vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden" vom 2.08.1941 (Vorläufige Richtlinien, abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 38 ff). Diese Richtlinien galten für die Generalkommissariate nach der Übernahme der Zivilverwaltung und sahen u.a. vor:
" ...
5 ...
d)
Die Juden sind tunlichst in Städten oder in Stadtteilen größerer Städte zu konzentrieren, die bereits eine überwiegende jüdische Bevölkerung besitzen. Dort sind Ghettos zu errichten. Den Juden ist das Verlassen der Ghettos zu verbieten.
In den Ghettos sind ihnen so viel an Nahrungsmittel zu überlassen, wie die übrige Bevölkerung entbehren kann, jedoch nicht mehr, als zur notdürftigen Ernährung der Insassen der Ghettos ausreicht. Das gleiche gilt für die Versorgung mit anderen lebenswichtigen Gütern.
Die Insassen des Ghettos regeln ihre inneren Verhältnisse in Selbstverwaltung, die vom Gebiets-/Stadtkommissar oder seinem Beauftragten beaufsichtigt wird ...
e)
Die arbeitsfähigen Juden sind nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Die wirtschaftlichen Interessen förderungswerter Landeseinwohner dürfen durch die jüdische Zwangsarbeit nicht geschädigt werden. Die Zwangsarbeit kann im Arbeitskommando außerhalb der Ghettos, im Ghetto oder, wo Ghettos "noch nicht errichtet sind, auch einzeln außerhalb der Ghettos" (z.B. in der Werkstatt des Juden) geleistet werden. Die Vergütung hat nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen, sondern nur der Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhaltes für die Zwangsarbeiter und seine nicht arbeitsfähigen Familienmitglieder unter Berücksichtigung seiner anderen Barmittel zu dienen ...
Diejenigen privaten Einrichtungen und Personen, zu deren Gunsten die Zwangsarbeit erfolgt, zahlen ein angemessenes Entgelt an die Kasse des Gebietskommissars, die wiederum die Vergütung an die Zwangsarbeiter auszahlt. Über die Verrechnung der eingegangenen Geldbeträge ergeht besondere Anordnung.
6.
Es bleibt den Generalkommissaren überlassen, die unter Ziffer V genannten Maßnahmen einheitlich für ihr Gebiet anzuordnen oder ihre Anordnung den einzelnen Gebietskommissaren zu überlassen. Ebenso sind die Generalkommissare berechtigt, im Rahmen dieser Richtlinien nähere Anordnungen zu treffen, oder ihre Gebietskommissare dazu zu ermächtigen ..."
Der Generalkommissar Dr. von Renteln leitete die "Vorläufigen Richtlinien" mit Schreiben vom 26.08.1941 an die ihm unterstellten Gebiets- und Stadtkommissare weiter.
In einem weiteren Erlass des Reichskommissars, Abteilung Finanzen (Vialon), an die Generalkommissare vom 27.08.1942 über die "Verwaltung der jüdischen Ghettos" ist zum Arbeitseinsatz jüdischer Arbeitskräfte ausgeführt:
" ...
III.
2.
Gegenstand der Vermögensverwaltung ist hiernach in erster Linie das vorhandene Mobiliarvermögen. Hierzu tritt die Ausnutzung der Arbeitskraft der Juden, die insoweit als angefallenes Vermögen gilt.
Die Vermögensverwaltung ist durch den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete den Finanzabteilungen übertragen, die diese Aufgaben unmittelbar oder über die Stadt- und Gebietskommissare erfüllen ...
4.
Die Nutzung der Arbeitskraft der Juden geht in zweierlei Form vor sich:
a)
durch Vermietung an öffentliche oder private Arbeitgeber,
b)
durch Betrieb von Werkstätten (Regiebetrieb)
5.
Die Vermietung der jüdischen Arbeitskräfte wird im Auftrag des Stadt- und Gebietskommissars durch das örtliche Arbeitsamt durchgeführt. Dieses weist dem Arbeitgeber die angeforderten Juden zu und teilt dies der Vermögensverwaltung des Ghettos (Stadt- oder Gebietskommissar) mit. Der Stadt- oder Gebietskommissar erteilt hierauf dem Arbeitgeber eine Rechnung, deren Begleichung zu überwachen ist.
6.
Unter der Voraussetzung, dass die zugewiesenen jüdischen Arbeitskräfte voll arbeitsfähig sind, ist für die Miete von Facharbeitern der übliche Lohn zu entrichten. Die Generalkommissare erlassen über die Höhe der Löhne für Fachkräfte und Ungeschulte nähere Bestimmungen. Es muss vermieden werden, dass die Unternehmer aus der Beschäftigung von Juden zusätzliche Vorteile beziehen ..."
(abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, S. 153 ff).
Seit dem Einmarsch der deutschen Truppen operierten die mobilen Einsatzkommandos der SS in Litauen und ermordeten systematisch Juden. Die jüdische Bevölkerung wurde im Sommer/Herbst 1941 in Ghettos konzentriert. Ende Dezember 1941 wurden die "Aktionen" eingestellt. Am 21.06.1943 wurden auf Befehl Himmlers alle Ghettos im Reichskommissariat Ostland, auch in Litauen, mit Wirkung zum 01.08.1943 unter SS-Verwaltung gestellt. Er befahl die Auflösung der Ghettos, die Deportierung der arbeitsfähigen Ghettobewohner in Konzentrationslager und die Ermordung der übrigen Bewohner.
Demnach setzte der für das Reichskomissiariat Ostland zuständige Reichskommissar Lohse den durch die Verordnung vom 16.08.1941 eingeführten, strafbewehrten Arbeitszwang für alle in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden männlichen und weiblichen Geschlechts vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 60. Lebensjahr in den Vorläufigen Richtlinien dahingehend um, dass alle arbeitsfähigen Juden im Alter von 14 - 60 Jahren nach Maßgabe des Arbeitsbedarfs zur Zwangsarbeit heranziehen waren. In den Vorläufigen Richtlinien wird weder nach Geschlecht (Männer/Frauen), Aufenthaltsort (innerhalb oder außerhalb eines Ghettos), Lage der Arbeitsstätte (innerhalb oder außerhalb des Ghettos) oder Arbeitgeber (privater oder öffentlicher) unterschieden, sondern sämtliche Beschäftigungen von Juden werden von den Vorläufigen Richtlinien erfasst.
Aus der Verwendung des Begriffs "Zwangsarbeiter" schließt der Senat, dass der Reichskommissar die Verwendung von jüdischen Arbeitskräften in freiwilligen Beschäftigungsverhältnissen ausschloss, also die jüdischen Arbeitskräfte zwecks Arbeitsaufnahme nicht aus dem bestehenden öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis entlies. Der Senat folgt nicht der vom Historiker Dr. Tauber im Gutachten vom 22.11.2005 vertretenen Auffassung, wonach allein die Tatsache, dass die Arbeit von Ghettobewohnern geleistet worden sei, weder von vorneherein Entgeltzahlungen noch die "Freiwilligkeit" der Arbeit auszuschließe, auch wenn sowohl aus der Sicht der deutschen Täter als auch der jüdischen Opfer von "Zwangsarbeit" gesprochen wurden sei. Auch unter den Bedingungen der Ghettos in Litauen sei jüdische Arbeitsleistung teilweise "entgolten" worden und es hätte die Einzelperson gewissen Einfluss auf die eigene Arbeitssituation nehmen können (Seite 4 des Gutachtens). Der Senat lässt dabei offen, ob der Historiker Dr. Tauber bei seiner Bewertung der historischen Verhältnisse den Begriff "Entgelt" im Sinne eines rentenversicherungsrechtlich relevanten Entgelts verwandt hat. Die Überlagerung der Beziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den jeweiligen "Arbeitgebern" wird insbesondere aus den Bestimmungen des Erlasses vom 27.08.1942 deutlich, in denen die Arbeitskraft der Juden als "Vermögen" angesehen wird, dessen Verwaltung der Reichskommissar wahrnimmt, und wo die Form dieser "Vermögensverwaltung" - Vermietung der Arbeitskraft oder Betrieb von Werkstätten (Regiebetrieb) - festgelegt wird. Nach der Konzeption des Erlasses vom 27.08.1942 handelt es bei dem Einsatz von jüdischen Arbeitskräften außerhalb des Ghettos um eine Arbeitnehmerüberlassung, die von den deutschen Arbeitsämtern im Auftrag der jeweils zuständigen örtlichen deutschen Besatzungsstellen organisiert wurde und die öffentlich-rechtlich geregelt war. Nach Ziffer 5 des Erlasses wies das Arbeitsamt dem jeweiligen " Arbeitgeber" die angeforderten jüdischen Arbeitskräfte zu, eine Vereinbarung der Beteiligten - jüdische Arbeitskraft und Arbeitgeber - über das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses war nicht vorgesehen. Dabei wird zwischen privaten und öffentlichen Arbeitgebern nicht unterschieden.
Dies wird insbesondere aus Ziffer III. 5 des Erlasses deutlich, wonach der Stadt- oder Gebietskommissar dem jeweiligen Arbeitgeber eine Rechnung über den Arbeitseinsatz der Ghettobewohner erteilt. Ein Wille des Reichskommissars, den jüdischen Arbeitskräften im Reichskommissariat Ostland einen Freiraum der wirtschaftlichen Betätigung durch Aufnahme eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses einzuräumen, ist auch nicht aus den Vorläufigen Richtlinien erkennbar. Die Tatsache, dass die jüdischen Arbeitskräfte nach den Vorläufigen Richtlinien eine Vergütung, deren Form nicht festgelegt war, erhalten sollten, begründet kein wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen der von ihnen geleisteten Arbeit und dem gezahltem Entgelt, was unabdingbarer Bestandteil eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses ist. Denn nach dem Willen des Reichskommissars sollte die Vergütung keine angemessene Entlohnung für die geleistete Arbeit darstellen, sondern nur geeignet sein, den notdürftigen Lebensunterhalt des Zwangsarbeiters und seiner nicht arbeitsfähigen Familienangehörigen zu sichern, und damit als Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten gedacht sein. Leistungen, die nicht der Entlohnung einer geleisteten Arbeit, sondern anderen Zwecken dienen, stellen kein Entgelt im Sinne des Rentenversicherungsrechts dar (siehe BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -). Die von den privaten/öffentlichen "Arbeitgebern", die die Leistungen von jüdischen Arbeitskräften in Anspruch nahmen, zu erbringenden Zahlungen an die Kasse des Gebietskommissars sind entgegen der Auffassung des SG nicht als Entgelt werten, da ein Arbeitsentgelt dem Beschäftigten selbst zufließen muss. Die Abführung von Beträgen des Arbeitgebers für geleistete Arbeit an Dienststellen des Staates stellt keine Entlohnung dar (BSG, Urteil vom 10.12.1974, - 4 RJ 379/73 -).
Gegen das Bestehen einer Gegenseitigkeitsbeziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den privaten Dritten in Form des Austausches von Arbeit gegen Lohn spricht auch, dass die Vergütung nicht direkt von den jeweiligen "Arbeitgebern" an die jüdischen Arbeitskräfte ausgezahlt werden sollte, sondern die Zahlungen sollten durch die Kasse des Gebietskommissars erfolgen, wobei diese die Höhe der an die jüdischen Arbeitskräfte auszuzahlende Vergütung bestimmte, der jeweilige "Arbeitgeber" hatte keinen Einfluss darauf, ob und in welcher Form die von ihm in Anspruch genommene Arbeitskraft ein Entgelt für die geleistete Arbeit erhielt. Die in den Vorläufigen Richtlinien festgelegte Dreiecksbeziehung zwischen den jüdischen Arbeitskräften, den privaten Dritten und dem jeweiligen Gebietskommissar lässt sich zusammenfassend als öffentlich-rechtlich organisierte Dienstverschaffung zugunsten privater Unternehmen charakterisieren, wobei zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den privaten Dritten keine arbeitsrechtlichen Beziehungen bestanden. Dafür spricht auch, dass die in der Allgemeinen Anordnung des Reichskommissars Lohse vom 21.11 1941 für die einheimischen Arbeiter im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft (abgedruckt in Verkündungsblatt des Reichskommissars für das Ostland, 1941 S. 75) festgelegten Stundensätze für einheimische Arbeiter nicht für jüdische Arbeitskräfte galten, sondern die Bestimmungen der Anordnung auf jüdische Arbeitskräfte keine Anwendung fanden (§ 10). Die Höhe der Vergütung, welche die jüdischen Arbeitskräfte erhielten, sowie die Höhe der Zahlungen der privaten Arbeitgeber wurden jeweils von dem zuständigen Gebiets- oder Stadtkommissar festgelegt (Ziffer 5e der Vorläufigen Richtlinien; Ziffer 6 des Erlasses vom 27.08.1942). Ein Indiz für einen Sonderstatus der jüdischen Arbeitskräfte im Vergleich zu dem der einheimischen Arbeiter ist weiterhin, dass der Generalkommissars in Kaunas in der Verordnung über den Aufbau einer Sozialversicherung vom 01.05.1943 die Dienstverhältnisse von Juden als nicht sozialversicherungspflichtig ansah. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass nach den Darlegungen des Historikers Dr. Tauber "die Beziehungen zwischen den "Arbeitgebern" und den jüdischen Arbeitern oftmals nicht einmal den minimalen Forderungen der deutschen Verwaltung entsprachen. Unterschlagung von Lohn, Vorenthalten von Nahrung oder Misshandlung usw. sicher keine Ausnahmen waren, sondern eher die Regel" (Seite 21 des Gutachtens). Auch dies spricht nicht für das Bestehen regulärer Beschäftigungsverhältnisse.
Entsprechend den Vorgaben der Vorläufigen Richtlinien setzte der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen den Arbeitszwang auch tatsächlich um. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass neben der Ausführung von Arbeiten in "unfreien" Beschäftigungsverhältnissen für jüdische Arbeitskräfte in der Stadt Schaulen die Möglichkeit bestand, eine Beschäftigung in Form eines freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses auszuüben. Die Angaben des Klägers in seinem Schreiben vom 25.01.2006 erhalten keinerlei Anhaltspunkte für das Bestehen eines freiwilligen und entgeltlichen Entschädigungsverhältnisses. Sowohl die Arbeit auf dem Flughafen als auch die Arbeiten beim Torfstecken in Radviliskis, im Tankholzwerk T und anschließend in der Lederfabrik verrichtete der Kläger nach seinen Angaben nicht aufgrund einer irgendwie gearteten individuellen Vereinbarung mit einem Arbeitgeber. Vielmehr wurden ihm die Arbeiten nach Vermittlung durch das Arbeitsamt im Ghetto und dem Judenrat zugewiesen. Er hatte keinerlei Kenntnis darüber, welche Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Arbeitgebern und dem Arbeitsamt, dem Judenrat und sonstigen Stellen bestanden. Auf die Frage nach der Zahlung von Entgelt führte er aus, "wir wussten und durften uns nicht in das geschäftliche Teil der Arbeitsverteilung rein mischen" und an anderer Stelle: "Ich habe keine Idee wie diese Zahlungen für die Arbeit in der Ghettozeit funktionierten - nur eines ist sicher - alles wurde zentralisiert - Deutsche, Litauische Arbeitgeber wurden durch Judenräte und Arbeitsämtern in den Ghettos, haben es nicht in Officieller Weise geführt." Als an ihn zu entrichtendes Entgelt gibt der Kläger lediglich Sachbezüge in der Form von Mittagessen während der Arbeitszeit und als Lebensmittel und Gutscheine für Lebensmittel, die im Ghetto verteilt werden, an. Dies bestätigt die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse des Senats. Nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und der Literatur sowie des Gutachtens von dem Historiker Dr. Tauber stellen sich die Verhältnisse in der Stadt Schaulen wie folgt dar:
Am 26.06.1941 wurde Schaulen von der Deutschen Wehrmacht besetzt. In den ersten zwei Wochen der Besatzung wurden von Deutschen und Litauern ca. 1.000 jüdische Einwohner Schaulens ermordet. Zwischen dem 25.07 und 31.08.1941 wurde in den Stadtbezirken Kaukazas und Trakai ein Ghetto eingerichtet. Ab dem 01.09.1941 wurde das Ghetto als "geschlossenes" Ghetto geführt. Das Ghetto konnte nur mit einer Sondergenehmigung verlassen werden. Die Tore wurden von litauischen Wachtposten bewacht. (Pinkas Hakehillot, S. 163 GA; Bubny, S. 331 GA; Jeruschalmi, S. 351/352 GA). Die Ghettobevölkerung betrug ca. 4.500 bis 5.000 Personen, davon waren ca. 65 % Frauen. Es wurde ein Judenrat eingerichtet und eine jüdische Polizei aufgestellt. Der Judenrat überwachte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Ghetto, den Arbeitseinsatz der Arbeiter, die Nahrungsmittelversorgung und deren Verteilung innerhalb des Ghettos, sanitäre Einrichtungen und sonstige Aktivitäten des Alltags. Er war Adressat der Anordnungen des Gebietskommissars für die Ghettobewohner und Repräsentant der Ghettobewohner mit der Pflicht, die Weisungen des Gebietskommissars weiterzugeben und deren Erledigung zu beaufsichtigen (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68 S. 528 GA; Bubny S. 332 GA; Dr. Tauber S. 22 des Gutachtens). Die " Aktionen", bei denen Ghettobewohner selektiert und ermordet wurden, endeten Ende September 1941. Ab dem 15.08.1942 galt das Verbot von Geburten im Ghetto, es wurden Zwangsabtreibungen durchgeführt (Pinkas Hakehillot, S. 165 GA; Bubny S. 333 GA).
Den "arbeitsfähigen" Ghettobewohnern wurden gelbe Arbeitskarten ausgeteilt. Die Zuweisung der Ghettobewohner zu bestimmten Arbeitsstellen nahm das Arbeitsamt vor, das zunächst eine selbständige Behörde war und vom Jahr 1942 als Abteilung des Gebietskommissars geführt wurde. Wehrmachtsdienststellen und andere deutsche " Bedarfsträger" forderten beim Arbeitsamt jüdische Arbeitskräfte an. Das Arbeitsamt stellte mittels eines im Ghetto eingerichteten und von einem Litauer geleiteten Büros mit jüdischen Hilfskräften, das ihm unterstellt war, die entsprechende Zahl der Ghettobewohner zusammen und wies sie der anfordernden Stelle zu. Ghettobewohner waren innerhalb und außerhalb des Ghettos beschäftigt. Wichtige Arbeitsstellen waren der bei Schaulen gelegene Flugplatz, das Bekleidungs- und Verpflegungssamt, ein Verpflegungslager der Wehrmacht, Einrichtungen der Reichsbahn, die Lederfabrik Frenkel sowie die Schuhfabrik C (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27.01.1970, 2 Ks 1/68 S.518/519 GA; Jeruschalmi S. 347/352 GA). Der Tageslohn für jüdische Arbeitskräfte soll nach den Darlegungen des Historikers Dr. Tauber (Seite 47 des Gutachtens) 1,50 RM für Männer und 1,30 RM für Frauen betragen haben. Entsprechend den Vorgaben in den Vorläufigen Richtlinien zahlten die "Bedarfsträger" 50 % der Vergütung an das Arbeitsamt für die Kasse des Gebietskommissars. Die jüdischen Arbeitskräfte erhielten keinen Lohn direkt von den "Bedarfsträgern" ausgezahlt, sondern eine Vergütung wurde durch den Judenrat ausgezahlt. Mit der Vergütung konnte die Arbeitskräfte in den Geschäften des Ghettos Lebensmittel kaufen (siehe Lipshitz, The Siauliai Ghetto in "The Siauliai Ghetto: Lists of Prisoners, S. 201 ff, S. 212; Bubny S. 332 GA).
Für die Verpflegung der Ghettobewohner legte der Reichskommissar Rationen in Höhe der Hälfte der für die litauischen Bevölkerung vorgeschriebenen Zuteilungen fest. Nach diesen Sätzen stellte die Behörde des Gebietskommissars Großbezugsscheine aus, aufgrund derer die litauische Stadtverwaltung dem Ghetto Nahrungsmittel zu liefern hatte. Die für eine angemessene Versorgung der Juden unzureichenden Rationen wurden infolge von Versäumnissen der litauischen Stellen oft nicht im vollen Umfang zur Verfügung gestellt. Im Ghetto herrschte Hungersnot. Die jüdischen Arbeitskräfte versuchten deshalb, auf den außerhalb des Ghettos gelegenen Arbeitstätten zusätzliche Lebensmittel zu erwerben und in das Ghetto zu schmuggeln (siehe LG Lübeck, Urteil vom 27 01.1970, 2 Ks 1/68 S.520 GA). Erwerbstätige Ghettobewohner erhielten vom Judenrat höhere Rationen als die übrigen Ghettobewohner. Die zusätzlichen Rationen finanzierte der Judenrat nach Angaben von Herrn Jeruschalmi, der Sekretär des Judenrats war, aus Gewinnen von Lebensmittelverkäufen (siehe Jeruschalmi S. 346 GA).
Am 17.09.1943 übernahm die SS die Verwaltung des Ghettos und das Ghetto erhielt den Status eines Konzentrationslagers (Dr. Tauber, Seite 14 des Gutachtens).
Selbst wenn noch von einem gewissen Maß an eigener Entscheidungsfreiheit des Klägers zur Beschäftigungsaufnahme ausgegangen wird (siehe zur deutlich eingeschränkten Entscheidungsfreiheit der Ghettobewohner zur Beschäftigungsaufnahme Dr. Tauber, Seite 30 des Gutachtens), hatte der Kläger keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse. Vielmehr war aufgrund der Organisation des Arbeitseinsatzes von jüdischen Arbeitskräften in Schaulen das Verhältnis zwischen dem Kläger und seinen"Arbeitgeber" fremdbestimmt, hatte der Gebietskommissar für die Stadt Schaulen überragenden Einfluss auf die Gestaltung dieses Verhältnisses. Der in der Stadt Schaulen konkretisierte und tatsächlich umgesetzte Arbeitseinsatz von Ghettobewohnern entsprach den Vorgaben über den Arbeitseinsatz in den Vorläufigen Richtlinien und im Erlass vom 27.08.1942 und war dadurch gekennzeichnet, dass die Ghettobewohner, die zur Arbeitsaufnahme bereit und vorgesehen waren, durch die Ausgabe von Arbeitsausweisen vom Arbeitsamt erfasst waren, das Arbeitsamt, welches eine Dienststelle des Gebietskommissars war, alleinzuständig für die Zuweisung von jüdischen Arbeitskräften war, die Arbeitsabteilung im Ghetto dem Arbeitsamt direkt unterstellt war und sich die potentiellen Arbeitgeber an das Arbeitsamt zwecks Zuweisung von Arbeitskräften wandten. Aus den Angaben des Klägers sowie der Zeugen Q und L über die Organisation und die Bedingungen der Beschäftigungen ergibt sich nichts abweichendes. Der Kläger und die beiden Zeugen Q und L berichten übereinstimmend, dass die Beschäftigungen der Ghettobewohner durch den das Arbeitsamt im Ghetto bzw. dem Judenrat organisiert und vermittelt wurden. Der Kläger hat ergänzend in der Erklärung vom 25.01.2006 dargelegt, dass er seine Arbeitgeber nicht kannte und ein Entgelt für geleistete Arbeit im Form von Sachbezügen und Lebensmittelcoupons nicht von den Arbeitgebern, sondern von den Behörden/Verwaltung im Ghetto ausgezahlt erhalten habe. Für die Fremdbestimmtheit der Tätigkeiten schon vor dem 17.09.1943, dem Zeitpunkt der Umwandlung des Ghettos in ein Konzentrationslager, spricht auch insbesondere die Einlassung des Klägers im Schreiben vom 05.11.2002, wonach das Ghetto Schaulen unter "denselben Arbeitsbedingungen und Gewohnheiten" fortbestanden habe, bis er im Juli 1944 ins KZ Stutthof deportiert worden sei und dass er und seine Familie im Jahr 1943 im Ghetto geblieben seien, wo "alles weiterlief wie gewohnt". Aus dieser Erklärung wie auch der Erklärung vom 25.09.2006 ist zu entnehmen, dass sich nach Einschätzung des Klägers sich die Verhältnisse im Ghetto nach der Übernahme der Verwaltung durch die SS im September 1943 und der Umwandlung in ein Konzentrationslager - auch in Hinblick auf den Arbeitseinsatz - nicht wesentlich änderten. In der folgenden Zeit, als der Kläger in einer Lederfabrik arbeitete, beschreibt er seine Lebensbedingungen sogar als "viel leichter" als vorher. Deshalb folgt der Senat nicht der Auffassung des SG , dass erst ab Übernahme der Verwaltung des Ghettos durch die SS die Beschäftigung der Ghettobewohner als Zwangsarbeit bewertet werden kann.
Entgegen der Auffassung des SG existierte im Ghetto Schaulen kein Arbeitsmarkt neben dem Arbeitsamt, einer Dienststelle des Gebietskomisssars, der sich über Angebot und Nachfrage regulierte. Aus den Arbeitsplatzwechseln des Klägers kann nicht geschlossen werden, dass im Ghetto eine Arbeitsvermittlung bestand und deshalb der Kläger die Möglichkeit hatte, aus freiem Willensentschluss im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten einen Arbeitsplatz anzunehmen bzw. zu wechseln. Dabei geht das SG zunächst unzutreffend davon aus, dass der Kläger ab Mai 1942 nur noch Arbeiten innerhalb des Ghettos verrichtet habe und das Arbeitsamt im Ghetto für die Organisation und Verteilung der Arbeit zuständig war. Sämtlich von Kläger angebenen Arbeitsstätten lagen außerhalb des Ghettos. Das Büro im Ghetto, das den Arbeitseinsatz organisierte, wurde nicht vom Judenrat geleitet, sondern von einem Litauer, wobei das Büro direkt dem Arbeitsamt unterstellt war. Soweit die Ghettobewohner durch persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern der Arbeitsabteilung einen Arbeitsplatzwechsel erreichten, nutzten diese nur eine Möglichkeit, die ihnen das System bot, sie konnten aber den Arbeitsplatz ohne Einschaltung des Arbeitsamts nicht frei wählen. Auch aus der Vielzahl der Arbeitstätten außerhalb und innerhalb des Ghettos, an denen Ghettobewohner eingesetzt waren, lässt sich nicht ableiten, dass ein sich selbst regulierender Arbeitsmarkt bestand. Vielmehr ist dies nur ein Indiz dafür, dass das von den deutschen Besatzungsbehörden verfolgte Konzept der Ausbeutung der Arbeitskraft der Juden im Form von Zwangsarbeit erfolgreich umgesetzt wurde. Insoweit sind die Verhältnisse im Ghetto Schaulen nicht vergleichbar mit den Verhältnissen im Ghetto Lodz, die u.a. durch das Bestehen eines "Ghetto-Arbeitsmarktes" gekennzeichnet waren, der durch die Nachfrage nach Arbeitskräften aufgrund branchenspezifischer Anforderungen entstanden war und auf dem durch den Judenrat, der einer eigenen Stadtverwaltung mit umfangreicher Verwaltungsbürokratie entsprach, Arbeitskräfte je nach Arbeitsmarktlage in verschiedene Betriebe vermittelt wurden (siehe BSG, Urteil vom 18.06.1997, - B 5 RJ 66/95 -; Urteil vom 21.09.1999, -. B 5 RJ 48/98 R -). In Schaulen forderten die Betriebsinhaber beim Arbeitsamt, einer Dienststelle des Gebietskommissars, jüdische Arbeitskräfte an, diese Stelle wies die Arbeitskräfte nach eigenem Ermessen zu, das Büro für Arbeit im Ghetto handelte im Auftrag des (deutschen) Arbeitsamts, ein eigenständiger Arbeitsmarkt entwickelte sich im Ghetto Schaulen nicht.
Aus den Angaben des Klägers sowie der Zeugen Q und L ergibt sich nichts Abweichendes. Insbesondere waren für die Arbeitsplatzwechsel nach den Angaben des Klägers nicht nur sein Wunsch, eine Arbeit unter besseren Bedingungen zu erhalten, sondern auch äußere Umstände - Beendigung einer saisonalen Arbeit im Herbst 1942 und "Kasernierung im Ghetto" im Sommer 1943 -entscheidend, wobei er nach eigenen Angaben wusste, dass er sich in den "geschäftlichen Teil der Arbeitsverteilung nicht reinmischen" durfte. Auch aus dem von der Klägerbevollmächtigten erstinstanzlich vorgelegten Auszug aus den Erinnerungen von Frau Lagin über ihr Leben im Ghetto Schaulen wird deutlich, dass auch bei Arbeitsplätzen innerhalb des Ghettos nicht die Absprache zwischen einer Arbeitskraft und dem jeweiligen Arbeitgeber für den Erhalt einer Arbeitsstelle entscheidend war, sondern die Entscheidung des Arbeitsamts, an welcher Stelle eine Arbeitskraft eingesetzt wird. Frau Lagin schildert den Verlust einer Arbeitsstelle in einer Apotheke im Ghetto, in dem ohne ihr Wissen ihr Arbeitsplatz einer anderen Ghettobewohnerin vom Arbeitsamt zugewiesen wurde, wobei ihre Arbeitgeberin keinen Einspruch erhob. Des weiteren suchte sich Frau Lagin einen neuen Arbeitsplatz nicht selbst, sondern wandte sich an das Büro im Ghetto zwecks Zuweisung eines neuen Arbeitsplatzes.
Auch die Tatsache, dass die jüdischen Arbeitskräfte nicht nur Sachbezüge in Form von Essen am Arbeitsplatz und Zuteilung von erhöhten Lebensmittelrationen durch den Judenrat, deren Erhalt der Kläger in der Erklärung vom 25.01.2006 angibt, sondern nach den Angaben in der Sekundärliteratur auch ein Barentgelt - dessen Erhalt der Kläger in der Erklärung vom 25.01.2006 verneint - ausgezahlt erhielten, spricht nicht gegen die Annahme eines "unfreien" Beschäftigungsverhältnisses. Denn weder die Sachbezüge noch die Barvergütung wurden nach der beigezogenen Literatur von den jeweiligen "Arbeitgebern", sondern von einem Dritten - dem Judenrat - ausgezahlt. Dies entspricht den Angaben des Klägers in der Erklärung vom 25.01.2006, wonach die Auszahlung von Sachbezügen und Lebensmittelgutsheinen durchgehend durch die Verwaltung im Ghetto erfolgte. Der Judenrat handelte bei der Ausgabe der Sachbezüge oder Auszahlung des Barentgelts nicht als Zahlstelle der Arbeitgeber bzw. nahm die Vergütung für die geleistete Arbeit nicht als Beauftragter oder Treuhänder der Ghettobewohner im Empfang. Denn der Judenrat erhielt die Zahlungen nicht von den jeweiligen "Arbeitgebern" zwecks Weiterleitung an die Beschäftigten, sondern es handelte sich um Leistungen der Kasse des Gebietskommissars, der bestimmte, ob und in welchem Umfang ein Teil der an ihn für die "Miete von Arbeitskräften" geleisteten Zahlungen der "Arbeitgeber" an die Beschäftigten über den Judenrat weitergeben wurden. Dabei waren die zusätzlichen Lebensmittelrationen, die vom Judenrat an Erwerbstätige ausgegeben wurden, nicht Bestandteil der in den Vorläufigen Richtlinien vorgesehenen Vergütung, sondern es handelte sich um eine zusätzliche Leistung des Judenrats (siehe Jeruschalmi S. 246 GA). Werden Sachbezüge lediglich im Zusammenhang mit der Beschäftigung, aber nicht mit der Zweckbestimmung einer Gegenleistung für erbrachte Dienst- und Arbeitsleistungen - wie im vorliegenden Fall - gewährt, fehlt den Sachbezügen der Rechtscharakter eines Entgelts (siehe BSG, Urteil vom 19.04.1990, - 1 RA 91/88 -).
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt auch nicht aus dem von der Rechtsprechung vertretenen Entstehungsprinzip (siehe dazu BSG, Urteil vom 14.072004, - B 12 KR 7/04 R - m.w.N.), dass die Beschäftigung von Bewohnern des Ghettos Schaulen, also auch die des Klägers, als entgeltliche und damit auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bewerten ist. Das Entstehungsprinzip gilt zwar für die Feststellung der Versicherungspflicht (Überschreiten der Grenzen einer versicherungsfreien Beschäftigung) und die Beitragshöhe. Es stellt für die Entstehung, den Fortbestand und die Berechnung einer Beitragsforderung nicht auf das tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelt, sondern auf die Höhe des Arbeitsentgelts ab, auf das dem Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch zusteht (siehe dazu BSG, Urteil vom 14.07.2004, - B 12 KR 7/04 R - m.w.N.). Aus dem Entstehungsprinzip lässt sich aber nicht das Bestehen einer freien Beschäftigung ableiten. Denn es setzt das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund von arbeitsvertraglichen Beziehungen sowie einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt voraus und regelt die Folgen einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber im Beitragsrecht (siehe Seewald in Kasseler Kommentar, § 4 SGB VI Rz. 50 ff, 56; BSG, Urteil vom 14.072004, - B 12 KR 7/04 R - ). Es lässt keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines freien Beschäftigungsverhältnisses zu.
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Eine Anerkennung als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG scheidet für die Zeit vom 01.09.1941 bis zum 25.12.1942 aus, da der Kläger in diesem Zeitraum noch nicht das 17. Lebensjahr vollendet hatte. Auch kann die Zeit vom 26.12.1942 bis zum 16.09.1943 nicht als Beschäftigungszeit nach § 16 FRG berücksichtigt werden, da die Beschäftigung in diesem Zeitraum nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht keine Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen begründet hätte, wenn sie im Gebiet der Bundesrepublik ohne dass Beitrittsgebiet verrichtet worden wäre (§ 16 Abs. 1 S. 2 1 Halbsatz FRG).
Die Beklagte hat auch zutreffend die Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten nach § 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) durch Bescheid vom 29.10.2002 abgelehnt.
Nach § 1 Abs.1 gilt das ZRBG für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt wurde (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr.1 ) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt war (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Eine Beschäftigung im Sinne von § 1 Abs.1 S. 1 Nr. 1 ZRBG ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Bei den vom Kläger in der Zeit vom 01.09.1941 bis 16.09.1943 ausgeübten Beschäftigungen handelt es sich nicht um aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene und gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigungen im Sinne von § 1 Abs. 1, S. 1 Nr. 1 ZRBG. Entgegen der Auffassung des Klägers genügt es zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1Nr. 1 ´ZRBG nicht, dass die Merkmale einer versicherungspflichtigen Beschäftigung rudimentär vorgelegen haben. Bei der Auslegung der in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZRBG verwandten Begriffe "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen" und "gegen Entgelt ausgeübt" ist auf die Kriterien der Rechtsprechung des Bundssozialgerichts (BSG) zur Frage der versicherungsrechtlichen Einordnung und Abgrenzung von Zwangsarbeit zu versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in einem Ghetto abzustellen (vgl. Urteile vom 14.07.1999, - B 13 RJ 75/98 R - und - B 13 RJ 61/98 R -). Denn das ZRBG knüpft nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über die von der "Ghetto-Rechtsprechung" Begünstigten hinaus ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die in § 1 ZRBG genannten Kriterien folgen der Rechtsprechung des BSG und verdeutlichen die Abgrenzung einer von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmten Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, gegenüber der nichtversicherten Zwangsarbeit, also unfreien Beschäftigungsverhältnissen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, - B 13 RJ 59/03 R -; Urteil vom 20.07.2005, - B 13 RJ 37/04 -; LSG NRW, Urteil vom 27.01.2006, - L 4 RJ 126/04 -).
Da keine Beitragszeiten glaubhaft gemacht worden sind, können wegen Fehlens der Versicherteneigenschaft keine Ersatzzeiten zur Erfüllung der Wartezeit berücksichtigt werden.
Weitere Ermittlungen von Amts wegen sind nicht geboten. Der Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Der Senat verfügt unter Berücksichtigung der vom Senat vertretenen Auslegung des Begriffs einer " freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung" und der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG sowie nach Auswertung der beigezogenen Dokumente und den beigezogenen Abhandlungen mehrerer Historiker über die Verhältnisse in Litauen bzw. im Ghetto Schaulen über eigene Sachkunde, um Feststellungen über die Verhältnisse in Schaulen in den Jahren 1941 bis 1943 treffen und ihre rechtliche Relevanz beurteilen zu können. Der Senat hat sich daher nicht gedrängt gefühlt, entsprechend dem Beweisantrag des Klägers ein historisches Gutachten von Dr. Tauber über die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit von Beschäftigungen im Ghetto Schaulen einzuholen. Der Senat hat das im Verfahren vor dem Sozialgericht Hamburg, S 6 RJ 730/04, erstattete Gutachten von Dr. Tauber über die Ghettos in Litauen, Kaunas, Wilnius und Siauliai vom 22.11.2005 beigezogen und verwertet. Soweit Dr. Tauber auf Seite 4 des Gutachtens ausführt, dass allein die Tatsache, dass die Arbeit von Ghettobewohnern geleistet wurde, weder Entgeltzahlungen noch die "Freiwilligkeit" der Arbeit von vorneherein ausschließe, auch wenn sowohl aus der Sicht der deutschen Täter als auch der jüdischen Opfer von "Zwangsarbeit" gesprochen wurden sei und auch unter den Bedingungen der Ghettos in Litauen jüdische Arbeitsleistungen teilweise "entgolten" worden seien und die Einzelperson einen gewissen Einfluss auf die eigenen Arbeitssituation hätten nehmen können, kann dies hier offenbleiben. Denn der Senat hat unter Würdigung der Angaben des Klägers über seine Beschäftigungen zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines freien beziehungsweise unfreien Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Rentenversicherung vorliegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
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