L 7 AY 1554/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AY 222/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 1554/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. Februar 2006 teilweise geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab 28. April 2006 vorläufig Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz - mit Ausnahme der Geldbeträge nach Abs. 1 Satz 4 - und Leistungen bei Krankheit nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Antragsgegnerin ist berechtigt, die Grundleistungen als Sachleistungen zu erbringen. Diese Regelung wird zeitlich beschränkt bis längstens 31. Oktober 2006.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind Staatsangehörige von Serbien/Montenegro. Die Antragsteller zu 1 und zu 2 befinden sich seit 1991 im Bundesgebiet. Sie haben hier mehrere Asylverfahren betrieben, in denen sie zunächst vorgetragen hatten, sie seien Albaner aus dem Kosovo. Im zweiten Folgeantrag haben sie dann geltend gemacht, sie gehörten der Minderheit der Ashkali/Roma an. Alle Asylverfahren sind zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen. Dasselbe gilt für die Asylverfahren der Antragsteller zu 3 und zu 4, die 1990 bzw. 1991 geborene Kinder der Antragsteller zu 1 und zu 2 sind.

Alle Antragsteller sind im Besitz von ausländerrechtlichen Duldungen (derzeit bis zum 7. Juni 2006). Die Duldungen enthalten die Nebenbestimmung, dass eine Erwerbstätigkeit nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde möglich ist. Seit Jahren bezogen die Antragsteller von der Antragsgegnerin Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Der letzte Bewilligungsbescheid stammte vom 21. Oktober 2005 und bewilligte Leistungen in einer Gesamthöhe von monatlich 1.172,96 EUR. In der zugrunde liegenden Bedarfsberechnung waren neben den Barbeträgen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG Zusatzleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG in einer Gesamthöhe von 616,61 EUR zuzüglich der Kosten der Unterkunft in Höhe von 413,20 EUR enthalten.

Nachdem der Antragsgegnerin bekannt geworden war, dass gegen den Antragsteller zu 1 ein Ermittlungsverfahren wegen Sozialleistungsbetrug lief, da er verdächtigt wurde, seit 2002 einen illegalen Autohandel betrieben zu haben, hörte sie diesen mit Schreiben vom 11. November 2005 zur beabsichtigten Rücknahme der Bewilligungsbescheide ab Dezember 2001 an, wozu sich die Antragsteller mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten sowie eines anderen Rechtsanwaltes aus T. äußerten. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG für die Zukunft ab und stützte dies darauf, dass die Antragsteller über Einkommen und/oder Vermögen aus An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen verfügten und deshalb ihren Lebensunterhalt und den ihrer Angehörigen zumindest teilweise decken könnten. Ein Bedarf für Leistungen bzw. das Nichtvorhandensein von Einkommen und Vermögen sei bislang nicht glaubhaft dargelegt worden.

Hiergegen haben die Antragsteller rechzeitig Widerspruch erhoben, über den ausweislich der hier vorliegenden Akten bislang noch nicht entschieden ist. Am 11. Januar 2006 haben sie beim Sozialgericht Stuttgart (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und geltend gemacht, die Behauptung der Antragsgegnerin über Einkommen und Vermögen sei unzutreffend.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2006 hat das SG diesen Antrag abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund bestünden. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass sie über keine vorrangig zu verwertenden eigenen Mitteln verfügten. Dass Mittel vorhanden seien, ergebe sich aus den in den polizeilichen Ermittlungsakten ersichtlichen Kraftfahrzeugan- und -verkäufen seit Dezember 2001. Außerdem hätten sie nicht glaubhaft gemacht, dass sie seit Ende 2005 ohne jegliches Einkommen und Vermögen seien.

II.

Die rechtzeitig schriftlich erhobene Beschwerde ist teilweise begründet (§ 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Nach der für den Senat maßgeblichen Sachlage haben die Antragsteller jedenfalls derzeit die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anrodung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -(juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).

Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich der Gewährung von Sachleistungen und Gesundheitsleistungen ab 28. April 2006 vor. Zu diesem Zeitpunkt hat der Antragsteller zu 1 eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, dass er aus den erzielten Erlösen aus dem Automobilhandel keine Geldbeträge, Bankguthaben oder Vermögensgegenstände mehr in seinem Besitz habe. Damit ist ein Mittel der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches benutzt worden, das dem Senat in der konkreten Situation ausreichend erscheint. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das derzeit laufende Strafverfahren, da der Antragsteller während dieses Verfahrens es sich kaum erlauben kann, noch weiter gehend in den Verdacht strafbarer Handlungen zu kommen, worauf sein Prozessbevollmächtigter durch Verfügung des Vorsitzenden vom 3. April 2006 hingewiesen worden ist. Berücksichtigt man die vom SG in seinem Beschluss zugrunde gelegten bekannten An- und Verkäufe von Automobilen in der Zeit ab Dezember 2001, erscheint es plausibel, dass das damit allenfalls belegte Vermögen inzwischen verbraucht sein muss. Aus den polizeilichen Ermittlungen ist zu erkennen, dass im Falle des Antragstellers zu 1 zwischen Dezember 2001 und Mai 2005 Einkäufe von Fahrzeugen in Höhe von 28.100.- EUR (10 Fahrzeuge) und Verkäufe in Höhe von 14.722.- EUR (3 Fahrzeuge) zu belegen sind. Selbst wenn man die weiteren 7 Fahrzeuge als verkauft berücksichtigen würde, kommen über die Jahre verteilt keine solchen Gewinnsummen zusammen, die die vierköpfige Familie nicht inzwischen verbraucht hätte. Der Antragsteller zu 1 weiß jedenfalls seit dem Dezember 2005 von den Ermittlungen, sodass er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in größerem Umfang im Autohandel tätig sein konnte. Die Familie hat demnach seit Januar von dem leben müssen, was noch vorhanden war, sofern keine Zuwendungen aus der weiteren Familie dazu kamen.

Damit ist für den Senat der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zwar ist die Einkommens- und Vermögenslosigkeit - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - ein negatives Tatbestandsmerkmal, für das der Hilfesuchende die materielle Beweislast trägt. Weil es aber um Leistungen zum Lebensunterhalt geht, dürfen an die Voraussetzungen für den Beweis keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Das gilt insbesondere im Verfahren der einstweiligen Anordnung. Dass die Antragsteller als ehemalige Asylbewerber, die derzeit nicht abgeschoben werden, grundsätzlich zum berechtigten Personenkreis gehören, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und wird auch vom Senat in diesem Verfahren nicht in Frage gestellt.

Die Antragsteller haben auch glaubhaft gemacht, dass sie nicht über ausreichendes Einkommen verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass der Antragsteller zu 1 weiterhin, nachdem zwischenzeitlich mit Anklageschrift vom 3. April 2006 zum Amtsgericht Stuttgart Anklage gegen ihn erhoben worden ist - gewissermaßen unter den Augen der Strafverfolgungsbehörden - einen illegalen Automobilhandel betreiben würde, erscheint dem Senat wenig wahrscheinlich. Damit ist eine ihm ggf. in der Vergangenheit zur Verfügung gestandene Gelderwerbsquelle abgeschnitten. Die Antragsgegnerin darf den Antragsteller zu 1 nicht - wie es mittelbar in dem Bescheid vom 13. Dezember 2005 geschehen ist - auf Einkommen aus dem An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen verweisen, durch welchen er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Die Antragsgegnerin würde ihn damit nämlich auf eine ihm ausländerrechtlich verbotene Tätigkeit verweisen, was rechtlich nicht möglich ist.

Angesichts des in der Vergangenheit offenbar rechtswidrigen Verhaltens des Antragstellers zu 1 (Nichtangabe von Einkommen und Vermögen während des über lange Zeit laufenden Bezuges von Sozialleistungen) macht der Senat von seinem Ermessen nach § 938 Abs. 1 ZPO Gebrauch und beschränkt die einstweilige Anordnung auf Sachleistungen, um so den allernotwendigsten Lebensunterhalt und die Existenz der Antragsteller zu sichern und gleichzeitig Leistungsmissbrauch zu verhindern. Die zeitliche Beschränkung von sechs Monaten folgt aus dem vorläufigen Charakter der im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG zu treffenden Regelung (Beschluss des Senats vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72).

Für die Zeit vor dem 28. April 2006 war der Antrag abzulehnen, da es bis zu diesem Zeitpunkt an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches fehlte (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die Kostenentscheidung der ersten Instanz war nicht zu ändern, da bis zum 28. April 2006 der Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht war, weshalb sich die Entscheidung des SG zum Zeitpunkt des Erlasses als richtig erweist. Angesichts des unbeschränkt gestellten Antrags der Antragsteller erschien dem Senat die Kostenquotelung mit einem Drittel zu Zweidrittel angemessen, da die zugesprochenen Leistungen weniger als die Hälfte der möglichen Leistungen nach dem AsylbLG darstellen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved