L 7 AS 1704/06 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1704/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung von Einkommen oder Vermögen der Frau S. K. , R. str. 33, 72768 Re. , ab 5. April 2006 vorläufig bis auf Weiteres, längstens bis zum 30. September 2006 zu gewähren.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der am 5. April 2006 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Da unter dem Aktenzeichen L 7 AS 1703/06 das Hauptsacheverfahren betreffend Arbeitslosengeld II (Alg II) anhängig ist, ist das LSG Gericht der Hauptsache im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Antrag ist auch begründet, da im Falle des Antragstellers Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -(juris), 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B -, FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B -, FEVS 57, 164 (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglichen und zulässigen summarischen Prüfung Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Senat verweist hierfür zunächst auf den zwischen den Beteiligten im Verfahren L 7 AS 5532/05 ER-B ergangenen Beschluss vom 12. Januar 2006 und dort auch insbesondere auf die Ausführungen zur Frage der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung im Falle der Ablehnung wegen fehlender Mitwirkung.

An der dort vorgenommenen Einschätzung der persönlichen Situation hat sich durch die Ermittlungen des SG im Hauptsacheverfahren - S 12 AS 3741/05 - nichts Wesentliches zu Lasten des Antragstellers geändert. Er ist - nimmt man nur seine persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse in den Blick - hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II, was sich aus den vorgelegten Akten und den Ermittlungen des SG ohne weiteres ergibt und zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Ihm steht derzeit kein eigenes Einkommen zur Verfügung. An Vermögensgegenständen verfügt er offenbar nicht einmal mehr über eine Lebensversicherung; die früher vorhandene bei der N. Versicherung ist nicht mehr existent. Dasselbe gilt für die Lebensversicherung bei der Z. Lebensversicherung AG. Sollte die im Beschluss des Senats vom 12. Januar 2006 erwähnte der Versicherung bei der SV noch bestehen, läge der Antragsteller mit dem Guthaben von ca. 910.- EUR unter dem Grundfreibetrag des § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II. Das vorhandene Kraftfahrzeug ist gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II geschützt. Weitere Vermögensgegenstände existieren nicht.

Dem Antragsteller kann nicht anspruchsvernichtend entgegengehalten werden, dass er in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau S. K. (K) lebt, weshalb deren Einkommen und Vermögen berücksichtigt und angerechnet werden müssten. Dafür fehlt es an ausreichenden Beweisen oder Indizien. Nach dem hier anwendbaren § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft mit der Folge der Einkommens- und Vermögensanrechnung gem. § 9 Abs. 2 SGB II auch die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.

Die Beurteilung der Frage des Vorliegens ausreichender Indizien für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft hat sich für den Senat trotz der zwischenzeitlich ergangenen Hauptsacheentscheidung nicht zu Lasten des Antragstellers verändert. Die Entscheidung des Sozialgerichts Reutlingen (SG) im Hauptsacheverfahren - S 12 AS 3741/05 - beruht im Wesentlichen auf einer anderen Einschätzung der Indiztatsachen, die bereits im Beschluss des Senats vom 12. Januar 2006 berücksichtigt worden sind. Die Aussagen des Antragstellers und der Frau K in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2006 decken sich weitgehend mit dem, was im früheren Verfahren schriftsätzlich vorgetragen oder durch schriftliche Erklärungen bekräftigt worden war. Die vom SG als besonders maßgeblich berücksichtigte Begünstigung der Frau K in der Lebensversicherung kann für die derzeitige Beurteilung keine Rolle spielen. Diese Versicherung ist nach den vorgelegten Dokumenten zum 1. Januar 2006 aufgehoben worden. Für die maßgebliche Frage, ob derzeit eine eheähnliche Gemeinschaft besteht, kommt es auf die derzeitigen Verhältnisse an und nicht auf zurückliegende Sachverhalte. Gerade weil die eheähnliche Gemeinschaft rechtlich nicht verfestigt ist und aus ihr keine zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche entstehen und weil sie auch jederzeit von den Beteiligten aufgelöst werden kann, können für die Frage ihrer Existenz nur zeitnahe Indizien verwertet werden und nicht solche aus zurückliegenden Zeiträumen (so zu Recht Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER -, FEVS 57, 42). Dieser Grundsatz gilt generell bei der Ermittlung der Bedürftigkeit als Voraussetzung existenzsichernder Leistungen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, NVwZ 2005, 927). Das frühere Vorhandensein einer Frau K begünstigenden Versicherung kann deshalb nicht als Beleg für eine jetzt existierende eheähnliche Lebensgemeinschaft angesehen werden. Dies gilt umso mehr, als diese Gemeinschaft durch ein gegenseitiges Einstehen gekennzeichnet ist, welches gerade im Fall des Versicherungsschutzes vom Antragsteller und der als Zeugin gehörten Frau K dadurch widerlegt wurde, dass jene umgekehrt keinen Versicherungsschutz für den Kläger übernommen hat, sondern ihre Töchter begünstigt. Dass der Antragsteller durch eine jederzeit widerrufbare Erklärung Frau K. begünstigt hat, stellt damit kein so schwerwiegendes Indiz dar, dass die vom Senat in dem früheren Beschluss genannten Zweifel beseitigt wären.

Kennzeichnend bleibt im Falle des Antragstellers, dass Frau K sich vorrangig ihren noch im Haushalt lebenden Töchtern verpflichtet fühlt, was angesichts ihrer Lebensgeschichte plausibel und glaubhaft erscheint. Damit ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Dass ein Anordnungsgrund besteht, folgt bereits daraus, dass dem Antragsteller kein zurechenbares Einkommen und so gut wie kein Vermögen zusteht, weshalb sein Lebensunterhalt gefährdet ist. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handelt es sich um Existenzsicherung. In diesem Zusammenhang kommt dem verfassungsrechtlichem Gebot des Schutzes der Menschenwürde besondere Bedeutung zu.

Der Senat macht von den ihm im Rahmen der Entscheidung über die einstweilige Anordnung eingeträumten Ermessen dahingehend Gebrauch, dass er diese auf den Zeitraum von maximal sechs Monaten begrenzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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