L 7 AL 2261/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 6771/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AL 2261/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit L 5 AL 5520/04 durch den am 21. September 2005 geschlossenen Prozessvergleich erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Auszahlung von Arbeitslosenhilfe in Höhe von weiteren 71,41 EUR wöchentlich im Zeitraum vom 1. Juli bis 28. November 2004; vorrangig ist über verfahrensrechtliche Fragen zu entscheiden.

Die am 1962 geborene Klägerin, ausgebildete Stenokontoristin sowie Sport- und Gymnastiklehrerin, stand - nach dem Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit - mit Unterbrechungen seit 1. September 1998 im Leistungsbezug bei der Beklagten. Zuletzt war sie vom 6. September bis 31. Dezember 2001 als Sachbearbeiterin bei der D. Arbeit GmbH sowie vom 13. März bis 30. November 2002 als Verwaltungsangestellte beim Arbeitsamt S. beschäftigt. Vom 1. Dezember 2002 bis 28. Juli 2003 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld, ab 29. Juli 2003 Arbeitslosenhilfe (Alhi); diese Leistung wurde auf der Grundlage des Bescheides vom 1. Juni 2004 in Höhe von 148,82 EUR wöchentlich zunächst bis 30. Juni 2004 ausgezahlt.

Einer Einladung zur ärztlichen Untersuchung vom 21. Juni 2004 auf den 29. Juni 2004 kam die Klägerin nicht nach. Ihr Widerspruch gegen die Meldeaufforderung vom 21. Juni 2004 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2004 zurückgewiesen, die zum Sozialgericht Stuttgart - SG - (S 7 AL 3972/04) erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. August 2004 abgewiesen; hiergegen legte die Klägerin wiederum Berufung zum Landessozialgericht - LSG - (L 5 AL 3588/04) ein.

Zuvor hatte die Beklagte der Klägerin die Alhi durch Bescheid vom 28. Juni 2004 wegen fehlender Mitwirkung (§ 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch) ab 30. Juni 2004 entzogen; ihr hiergegen eingelegter Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. August 2004). Die zum SG erhobene Klage (S 7 AL 6771/04) wurde mit Gerichtsbescheid vom 30. November 2004 - als verspätet erhoben und damit unzulässig - abgewiesen; hiergegen legte die Klägerin Berufung zum LSG (L 5 AL 5520/04) ein.

Unterdessen hatte sich die Klägerin am 29. November 2004 erneut arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt. Der Einladung zur ärztlichen Untersuchung vom 30. November 2004 zum 9. Dezember 2004 leistete sie - wie zuvor schon den Meldeaufforderungen u.a. vom 3. und 14. September 2004 - keine Folge. Darauf wurde die Leistung ab 29. November 2004 wegen fehlender Mitwirkung versagt (Bescheid vom 13. Dezember 2004, Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2005). Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem SG (S 22 AL 690/05) bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 2. Juni 2005 Alhi vom 29. November bis 2. Dezember 2004 in Höhe von 146,30 EUR wöchentlich.

Zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG (L 5 AL 5520/04) vom 21. September 2004 erschien die Klägerin persönlich mit ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin Dr. C. K ... Auf Seite 2 der vom Senatsvorsitzenden unterschriebenen Niederschrift über die Sitzung vom 21. September 2005 - von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten als Schriftführer war abgesehen worden - ist Folgendes protokolliert:

"Vergleich:

1. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 30.06. - 28.11.2004 in Höhe von wöchentlich 74,41 EUR und vom 29.11. - 31.12.2004 in voller Höhe von 148,82 EUR auszuzahlen. 2. Damit ist der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt. 3. Die Klägerin nimmt die Berufung in der Sache L 5 AL 3588/05 zurück. 4. Jeder Beteiligte trägt in allen Streitsachen seine eigenen Kosten.

v.u.g."

Dieser Vergleich wurde mit zwei Bescheiden vom 21. November 2005 (für den Zeitraum vom 30. Juni bis 28. November 2004 74,41 EUR wöchentlich, für den Zeitraum vom 29. November bis 31. Dezember 2004 148,82 EUR wöchentlich) ausgeführt. Mit Fax vom 25. November 2005 teilte die Klägerin zum Az. L 5 AL 5520/05 mit, dass die Beklagte, nachdem der Rechtsstreit am 21. September 2005 durch gerichtlichen Vergleich erledigt worden sei, der Umsetzung des Vergleichs mit dem heutigen Tage nachgekommen sei; bereits mit Fax vom 19. November 2005 hatte sie auf die von der Beklagten am 21. September 2005 eingegangene Verpflichtung hingewiesen, deren Einhalt diese jedoch bislang verweigert habe. Mit Schreiben vom 12. Januar 2006 verwies die Klägerin nochmals darauf, dass im Verfahren L 5 AL 5520/04 über die Alhi für den Zeitraum vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2004 "beschieden" worden sei, so dass sich die "Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Stuttgart somit erledigt" hätten.

Zuvor hatte die Klägerin mit Fax vom 29. September 2005 an das SG (S 22 AL 690/05) geltend gemacht, dass sich durch den vor dem LSG geschlossenen Vergleich der Streitgegenstand für den Zeitraum vom 1. Juli bis 28. November 2004 "nur zur Hälfte" habe erledigen lassen. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vor dem SG vom 22. Dezember 2005 (S 22 AL 690/05) schlossen die Beteiligten sodann zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich, in dem die Beklagte im Zusammenhang mit der Leistung von Alhi in Vollzug des vor dem LSG geschlossenen Vergleichs vom 21. September 2005 auf die Geltendmachung der durch die Übermittlung der Geldleistungen an den Wohnsitz der Klägerin entstandenen Kosten verzichtete und sich zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin bereit erklärte. Am 11. Januar 2006 erhob die Klägerin erneut Klage zum SG (S 22 AL 225/06), weil ihr die Alhi für den Zeitraum vom 1. Juli bis 28. November 2004 in Höhe von weiteren 74,41 EUR wöchentlich auszuzahlen sei. Ihr gegen den ersten Bescheid vom 21. November 2005 (Zeitraum vom 30. Juni bis 28. November 2004) eingelegter Widerspruch wurde während dieses Klageverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006 unter Bezugnahme auf den vor dem LSG am 21. September 2005 geschlossenen Vergleich als unzulässig verworfen. Mit Verfügung vom 17. März 2006 wies der Vorsitzende der 22. Kammer des SG die Klägerin auf die Rechtslage hin.

Mit Fax vom 23. März 2006 an das LSG hat die Klägerin die Fortführung des Verfahrens L 5 AL 5520/04 beantragt. Zur Begründung hat sie vorgebracht, im Vergleich vom 21. September 2005 habe sich die Beklagte nur zu einer Leistung für den streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 74,41 EUR wöchentlich verpflichtet, zudem sei der Prozessvergleich vom Richter nicht unterschrieben und deshalb "unwirksam zugestellt", ferner nicht mit dem Gerichtssiegel versehen, so dass weder "formelle noch materielle Rechtskraft" eingetreten sei und somit auch keine "endgültige Vollstreckbarkeit" vorliege. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 18. Mai 2006 hat die Klägerin vorgebracht, dass sie beim Vergleichsabschluss "unter Druck gesetzt" worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. November 2004 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2004 zu verurteilen, ihr Arbeitslosenhilfe in der Zeit vom 1. Juli bis 28. November 2004 in Höhe von weiteren 74,41 EUR wöchentlich auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den am 21. September 2005 geschlossenen Prozessvergleich erledigt ist.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, (2 Bände), die Akten des SG (S 7 AL 3972/04, S 7 AL 6771/04, S 22 AL 690/05, S 22 AL 225/06), die Akten des LSG (L 5 AL 3588/04, L 5 AL 5520/04) und die Senatsakte (L 7 AL 2261/06) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit ist durch den am 21. September 2006 geschlossenen Prozessvergleich vollständig erledigt; dies war durch Prozessurteil festzustellen.

Nach § 101 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) können die Beteiligten, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, zur Niederschrift des Gerichts einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Der Vergleich hat nach herrschender Meinung eine Doppelnatur in dem Sinne, dass er sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag zur Regelung materiell-rechtlicher Ansprüche ist als auch Prozesshandlung, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 1500 § 101 Nr. 8; BSG, Urteil vom 24. Januar 1991 - 2 RU 51/90 - (juris)). Die Beteiligten haben hier über den Gegenstand der Klage frei verfügen können; ebenso hätte es der Klägerin freigestanden, das Verfahren bis zur Rechtskraft eines Urteils einseitig durch Rücknahme der Berufung (§ 156 Abs. 1 Satz 1 SGG) zu beenden.

Prozessrechtliche Gründe stehen einer Wirksamkeit des am 21. September 2005 im Verfahren L 5 AL 5520/04 geschlossenen gerichtlichen Vergleichs nicht entgegen. Der Vergleich ist in die Niederschrift vom 21. September 2005 aufgenommen; des Weiteren ist im Protokoll vermerkt, dass der Vergleich vorgelesen und genehmigt worden ist (vgl. hierzu § 122 SGG i.V.m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO); ferner BSG SozR 1500 § 101 Nr. 4 S. 7; BSG, Urteile vom 21. September 1983 - 4 RJ 63/82 - und vom 28. November 2002 - B 7 AL 26/02 R - (beide juris)). Das Protokoll ist - davon konnte sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2006 persönlich überzeugen - vom Vorsitzenden des 5. Senats Beyer - unterschrieben (vgl. § 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO); dies war erforderlich, jedoch auch genügend, da ein Urkundsbeamter als Schriftführer nicht herangezogen worden war (vgl. hierzu § 159 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dagegen bedarf es zur formellen Wirksamkeit des Prozessvergleichs entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Anbringung eines Gerichtssiegels.

Der Prozessvergleich ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich zwar keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben (vgl. BSG SozR Nr. 8 zu § 102 SGG) oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist (§§ 104 ff., §§ 116 ff. BGB, §§ 134, 138 BGB) oder wenn (vgl. § 779 Abs. 1 BGB) der nach dem Inhalt des Vergleichs als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1991 a.a.O.).

Derartige Umstände sind von der Klägerin nicht hinreichend dargelegt und im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwältin Dr. C. K. , war ausweislich der am 7. April 2005 zu den Gerichtsakten gereichten anwaltlich beglaubigten Kopie der Vollmacht vom 10. März 2005 uneingeschränkt zur Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich ermächtigt; dass sie der Rechtsanwältin für das Verfahren L 5 AL 5520/04 Vollmacht erteilt hatte, stellt die Klägerin, an deren Geschäftsfähigkeit im Übrigen keine Zweifel bestehen, selbst nicht in Abrede (vgl. ihr Schreiben vom 12. Januar 2006). Ihrer Zustimmung zu Abschluss und Inhalt des Vergleichs im Einzelfall bedurfte es nicht (vgl. § 73 Abs. 4 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 81, 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO); auf die Motive der Klägerin, die in der Sitzung vom 21. September 2005 persönlich anwesend war, kommt es deshalb von vornherein nicht an. Der Prozessvergleich ist mithin auch materiell-rechtlich wirksam; die Kündigung des Vollmachtsvertrages erfolgte ausweislich des im Verfahren des SG (S 22 AL 690/05) am 18. Oktober 2005 vorgelegten Kündungsschreibens der Klägerin erst an diesem Tage. Dessen ungeachtet hat die Klägerin überhaupt erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 18. Mai 2006 behauptet, beim Vergleichsabschluss "unter Druck gesetzt" worden zu sein, nachdem sie hierauf noch in ihrem Fax vom 29. September 2005 an das SG (S 22 AL 690/05) sowie in den Faxen vom 19. und 25. November 2005 und in ihrem Schreiben vom 12. Januar 2006, ferner im Fax vom 23. März 2006 mit keinem Wort eingegangen war; sie bedankte sich im Gegenteil im Fax vom 25. November 2005 ausdrücklich beim Vorsitzenden des 5. Senats wegen der zwischenzeitlichen Ausführung des Prozessvergleichs und wies im Schreiben vom 12. Januar 2006 darauf hin, dass im Verfahren L 5 AL 5520/04 über die Alhi für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2004 "beschieden" worden sei, sodass sich die Gerichtsbescheide des SG "erledigt" hätten.

Nach allem ist der Rechtsstreit durch den am 21. September 2005 geschlossenen Prozessvergleich erledigt. Der Senat ist bereits deswegen - ungeachtet der vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid geäußerten Auffassung zur Unzulässigkeit des Klage - an einer Sachentscheidung gehindert. Auf das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsschrift vom 16. Dezember 2004 (L 5 AL 5520/04) sowie in ihren weiteren zu diesem Aktenzeichen eingereichten Schreiben war deshalb nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved