Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 SB 4130/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3749/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Neufeststellung des bei dem Kläger vorliegenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX).
Der 1947 geborene Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 08.09.1987 Verletzungen am 12. Brust- und am 1. Lendenwirbel sowie eine Fraktur der linken Speiche.
Mit Bescheid vom 17.08.1995 stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) den GdB seit 1988 mit 30 fest. Hierbei wurden folgende Funktionseinschränkungen berücksichtigt:
1. Nach knöchern fest verheilter Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers, Vorderkantenabsprengung am 12. Brustwirbelkörper und Radiusfraktur links: Blockwirbelbildung des 12. Brust- mit dem 1. Lendenwirbelkörper. Endgradige Bewegungseinschränkung im Übergangsbereich der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Beginnende Arthrose im Radiokarpalgelenk links. Kalksalzminderung im Bereich des distalen Radius und der Handwurzelknochen links. Endgradige Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk. Reizlose Narben im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule, des rechten Beckenkammes und des linken Handgelenkes (Teil-GdB 30 entsprechend der Bewertung der Unfallfolgen durch die Württ. Bauberufsgenossenschaft [BG] zur vorläufigen Rentenfeststellung). 2. Verbiegung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Reizerscheinungen (Teil-GdB 10).
Am 28.12.2000 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung seiner Wirbelsäulenbeschwerden. Das VA holte von dem behandelnden Arzt Dr. W. den Befundbericht vom 15.02.2001 ein (rezidivierende schmerzhafte Lumbalsyndrome, jedoch ohne neurologisches Defizit) und zog von der BG das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. W. vom 14.12.1987 bei. Mit Schreiben vom 28.05.2001 teilte die BG dem VA mit, am 25.02.1992 sei dem Kläger ein Bescheid über die Gewährung einer Dauerrente nach einer MdE um 20 v. H. erteilt worden. Ferner holte das VA von der Chirurgin Dr. J. den Befundbericht vom 07.07.2001 ein (chronisch rezidivierende Lumboischialgie mit nur kurzzeitigen schmerzfreien Intervallen). Mit Bescheid vom 07.08.2001 lehnte das VA die Erhöhung des GdB ab.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine Reihe von Nachschauberichten von Dr. J. vor. Das VA holte Befundberichte des Internisten und Pneumologen Dr. W. vom 14.02.2002 und des Allgemeinmediziners M. vom 26.02.2002 ein. Der letztgenannte führte aus, im Vordergrund der Beschwerden stünden die chronischen Rückenschmerzen mit Bewegungs- und Belastungseinschränkungen. Dazugekommen sei noch eine beidseitige Coxarthrose. Das vorwiegend allergische Asthma bronchiale des Klägers habe sich verschlimmert. Außerdem leide der Kläger an einem beiderseitigen Katarakt. Beigefügt waren zahlreiche ärztliche Unterlagen, u. a. der Entlassungsbericht der Rheintalklinik B. K. vom 17.04.2000 (chronisch degeneratives Lumbalsyndrom bei Zustand nach Versteifung BWK 12 bis L 2, Protrusions-Coxarthrose beidseits). In seiner versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 14.06.2002 vertrat Dr. G. die Auffassung, die Unfallfolgen seien entsprechend dem BG-Bescheid mit einem GdB von 20 zu bewerten, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke ebenfalls mit 20, eine Lungenerkrankung mit 10 und der Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt wies der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 den Widerspruch des Klägers zurück. Der GdB sei mit 30 nach wie vor angemessen bewertet.
Hiergegen erhob der Kläger am 26.08.2002 Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) und trug vor, die Unfallfolgen seien zu niedrig bewertet worden. Infolge seiner Lungenerkrankung bekomme er bei geringster Belastung Atemnot. Schließlich sei die Funktionsbeeinträchtigung durch den "Grauen Star" nicht berücksichtigt worden. In Operationen von 2000 und 2001 seien ihm auf beiden Augen Ersatzlinsen eingesetzt worden.
Das SG hörte den Internisten Dr. W., Arzt für Allgemeinmedizin M., den Internisten und Lungenarzt Dr. W. und Dr. J. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. führte in seiner Auskunft vom 21.11.2002 aus, bei seiner letzten Untersuchung des Klägers am 21.09.2000 hätten sich keine dauerhaften Gesundheitsstörungen auf internistischem Gebiet gefunden. Eine koronare Herzkrankheit habe ausgeschlossen werden können. Arzt für Allgemeinmedizin M. beschrieb unter dem 17.12.2002 ein chronisches Asthma bronchiale in mittelschwerer Ausprägung, das mit einem GdB von 30 zu bewerten sei, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule sowie der Hüftgelenke (mittelgradig, GdB 40), eine distale Radiusfraktur links von geringem Schweregrad (GdB 10) und einen mittelschweren psychovegetativen Erschöpfungszustand (Umschulung/Unfall/Alkoholentzug/Ehescheidung), GdB 20. Dr. W. berichtete in seiner Auskunft vom 17.12.2002 über ein gemischtförmiges Asthma mit mittel- bis hochgradiger bronchialer Hyperreagibilität, das mit einem GdB von 20 zu bewerten sei. Chirurgin Dr. J. bewertete in ihrer Auskunft vom 31.01.2003 die chronisch rezidivierende Lumboischialgie und den Zustand nach Fraktur LWK 1 und BWK 12 mit einem GdB von 20.
Der Beklagte bot daraufhin unter Vorlage der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 25.04.2003 an, den GdB im Hinblick auf das verschlimmerte Lungenleiden auf insgesamt 40 ab 28.12.2000 zu erhöhen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot nicht an. Die behandelnde Augenärztin Dr. Z. teilte als sachverständige Zeugin unter dem 16.05.2003 mit, bei dem Kläger bestehe eine leichte bis mittlere Sehbeeinträchtigung durch Netzhautveränderungen infolge einer beginnenden Maculadegeneration. Nach zwei Staroperationen 2000 und 2001 betrage der Visus jeweils mit Brillenkorrektur rechts und links 1,0. Sonstige Funktionseinschränkungen bestünden nicht (Gesichtsfeld beiderseits volle Außengrenzen, keine Ausfälle, keine Skotome).
Auf den Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) holte das SG von dem Orthopäden Dr. A. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten vom 01.09.2003 mit der Ergänzung vom 04.12.2003 ein. Darin kam er zu dem Ergebnis, die Folgen des Arbeitsunfalls seien mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein chronisches Brustwirbelsäulen (BWS)- und Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom ohne neurologische Ausfallsymptomatik ebenfalls mit 20, eine fortgeschrittene Arthrose beider Hüftgelenke mit Bewegungseinschränkung sowie eine retropatellare Chondromalazie Grad IV beider Kniegelenke bei initialer Retropatellararthrose mit jeweils 30. Der Gesamt-GdB betrage 50.
Hiergegen wandte Dr. W. in seiner vä Stellungnahme vom 13.11.2003 ein, von seiten der Hüftgelenke bestehe eine freie Beugefähigkeit von 130° beidseits bei allenfalls geringgradiger Einschränkung der Abduktion und Adduktion. Allenfalls die Rotationsbewegungen seien mit 20-0-0 Grad beidseits deutlicher eingeschränkt. Bei diesen Bewegungsmaßen könne man für die Hüftgelenke allenfalls einen Teil-GdB von 10 zugrunde legen. Wie Dr. A. zu der Diagnose einer Chondromalazie des Grades IV beider Kniegelenke gekommen sei, sei nicht nachzuvollziehen, da weder eine arthroskopische Kniegelenksoperation noch eine kernspintomographische Untersuchung durchgeführt worden sei. Abgesehen davon lägen offenbar anhaltende Reizerscheinungen der Kniegelenke nicht vor.
Hierauf replizierte Dr. A. unter dem 04.12.2003, eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke mittleren Grades müsse sich nicht nur auf die Streckung oder Beugung beziehen, sondern könne sich genauso auf die Rotation und auf das Ab- und Anspreizen beziehen. Da die Innenrotation der Hüftgelenke hier komplett aufgehoben sei, liege eine Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke mittleren Grades vor. Der radiologische Befund der Kniegelenke habe eine initiale Retropatellararthrose gezeigt. Als Vorstufe der Arthrose sei immer die Chondromalazie Grad IV zu sehen, da die Arthrose (Abnutzung des Knochens) erst beginne, wenn der Knorpel komplett aufgebraucht sei. Davon abgesehen habe der klinische Untersuchungsbefund einen deutlichen retropatellaren Reizzustand mit positivem Zohlenzeichen und retropatellarem Verschiebeschmerz beiderseits ergeben. Hierauf duplizierte Medizinaldirektor D. am 03.03.2004, der von Dr. A. angesetzte GdB von 30 für die Kniegelenke entspreche der völligen Versteifung eines Kniegelenkes und sei somit nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Hüftgelenke habe Dr. A. verkannt, dass die Funktion der Streckung und Beugung am wichtigsten sei, woran sich die Bewertung von Bewegungseinschränkungen orientiere.
Mit Urteil vom 27.07.2004 - dem Kläger zugestellt am 02.08.2004 - verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, den bei dem Kläger vorliegenden GdB seit dem 28.12.2000 mit 40 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf die vä Stellungnahmen von Dr. W. und Medizinaldirektor D. und führte weiter aus, die Funktionseinschränkung auf pulmologischem Fachgebiet könne jetzt mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt werden. In Anbetracht der Sehschärfe des Klägers nach Korrektur mit einer Starbrille könne der GdB von Seiten der Augen nicht höher als mit 10 bewertet werden. Da sich der Kläger nicht in nervenärztlicher Behandlung befinde und psychische Begleiterscheinungen in den GdB-Werten bereits enthalten seien, sehe es keinen Grund, für den von Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. angegebenen psychovegetativen Erschöpfungszustand einen eigenen Teil-GdB auszuweisen. Die erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Blasenbeschwerden gäben keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.
Hiergegen richtet sich die am 30.08.2004 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, er könne nicht nachvollziehen, warum das SG annehme, dass gerade die Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit für die Bewertung des GdB von Seiten der Hüftgelenke maßgeblich sein solle. Auch für die Funktionseinschränkung von Seiten der Kniegelenke sei der von Dr. A. vorgeschlagene GdB von 30 anzunehmen. Entgegen der Ausführungen des SG lägen bei ihm sehr wohl anhaltende Reizerscheinungen in den Kniegelenken vor. Auch der GdB von Seiten des augenärztlichen Gebiets sei zu niedrig angesetzt. Zu Unrecht habe das SG seine psychischen Probleme nicht mit einem eigenen Teil-GdB berücksichtigt. Ebenso habe es notwendige Ermittlungen zu seinen Blasenbeschwerden unterlassen. Schließlich bestehe bei ihm eine koronare Herzkrankheit mit einer Angina pectoris-Symptomatik, die mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.07.2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den bei ihm vorliegenden Grad der Behinderung mit mindestens 50 festzustellen, hilfsweise von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten und ein internistisches Gutachten zur Abklärung der auf den betreffenden Gebieten vorliegenden Behinderungen und des daraus resultierenden GdB einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Urologen Dr. S., den Internisten Dr. K. und die Augenärztin Dr. Z. jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. S. hat unter dem 06.05.2005 auf die Frage, welche regelwidrigen Befunde er bei dem Kläger erhoben habe, geantwortet, bei dem Kläger bestehe seit dem Beginn seiner Behandlung am 04.02.2002 eine erektile Dysfunktion, die den Geschlechtsverkehr erschwere, außerdem eine Spermatozele links, die aber aufgrund der geringen Größe keine Beschwerden bereite und lediglich kontrollbedürftig sei. Dr. K. hat unter dem 06.05.2005 berichtet, bei dem Kläger liege eine koronare Herzkrankheit vor, jedoch keine vitale Bedrohung. Gelegentliche pectanginöse Beschwerden seien denkbar. Der Kläger sei jedoch im Dezember 2004 bis zur 150 Watt-Stufe beschwerdefrei belastbar gewesen. Er hat seinen Arztbrief vom 28.02.2005 an Dr. M. übersandt, aus dem hervorgeht, dass bei dem Kläger am 22.11.2004 eine zweifache Stent-Implantation nach RIVA vorgenommen worden ist, außerdem das Herzkatheterprotokoll vom 22.02.2005 (links betonte massive Arteriosklerose der Koronarien mit gutem Langzeitergebnis nach PTCA/Stent-Implantation RIVA). Die Augenärztin Dr. Z. hat in ihrer Auskunft vom 31.05.2005 die Sehschärfe rechts mit 0,5 und links mit 1,2 angegeben. Nach wie vor bestünden keine Gesichtsfeldausfälle und keine Skotome. In ihrer Auskunft vom 18.10.2005 hat sich die Sehschärfe rechts mit 0,7 und links 0,9 angegeben. Das rechte Auge weise Glaskörpertrübungen im Rahmen der Diagnose Mouches volantes auf. Es träten passagere Sehstörungen im Rahmen der bereits beschriebenen, beginnenden Makuladegeneration auf. Der Senat hat ferner von der Augenpraxisklinik E. den an Dr. Z. gerichteten Arztbrief vom 27.01.2005 beigezogen, aus dem sich ergibt, dass bei dem Kläger im Hinblick auf die gestellte Diagnose einer beidseitigen Kapselfibrose eine Laser-Kapsulotomie am rechten Auge durchgeführt worden ist.
Der Kläger hat ferner vorgelegt die Bescheinigung von der psychosozialen Beratungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete der Diakonischen Bezirksstelle S. vom 08.04.2005 (regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für abstinent lebende Suchtkranke), das Attest des Internisten Dr. O. vom 24.06.2005 (seit 2000 bestünden Herzbeschwerden; der Kläger sei unter Therapie nicht voll belastbar) und dessen Schreiben vom 12.09.2005 (Mai 2005 Vorstellung beim Urologen, Prostataadenom, retrospektiv müsse trotz negativen Belastungs-EKGs von einer bereits 2000 bestehenden koronaren Herzkrankheit ausgegangen werden), das Gutachten des Neurologen Dr. S. vom 31.10.2005, das dieser im Auftrag des SG in dem Rechtsstreit S 9 U 1711/03 gegen die BG erstattet hatte, den Befundbericht der Neurochirurgischen Klinik des K.-Hospitals S. vom 01.04.2004 und den Arztbrief des Zentrums für Radiologie des K.-Hospital S. vom 26.03.2004 über die computertomographische Untersuchung der LWS vom 23.03.2004. Dr. S. stellte in seinem Gutachten u. a. die Diagnose rezidivierende Lumboischialgien links (sporadisch auch rechts) mit Verdacht auf vorliegende Wurzelreizsymptomatik S 1 links mit klinischen und neurophysiologischen Zeichen einer leichten Radikulopathie S 1 links, bei degenerativen LWS-Veränderungen mit insbesondere deutlicher Facettengelenksarthrose/hypertropher Spondylarthrose L 5 / S 1.
Hierzu hat Medizinaldirektor D. in seiner vä Stellungnahme vom 08.02.2006 ausgeführt, bei den als Ausdruck einer leichten Wurzelreizsymptomatik S 1 links interpretierten rezidivierenden Lumboischialgien handle es sich um keine neu aufgetretene Gesundheitsstörung. Entsprechende Beschwerden habe der Kläger über viele Jahre immer wieder angegeben. Wegen einer unfallunabhängig bestehenden Symptomatik sei entsprechend auch eine unfallunabhängige Funktionsbehinderung der Wirbelsäule berücksichtigt und mit einem GdB von 20 im Sinne einer mittelgradigen funktionellen Einschränkung ausreichend bewertet worden. Die gesondert bewerteten BG-Unfallfolgen bezögen sich im Wesentlichen auf unfallbedingte Veränderungen an der Wirbelsäule. Die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule insgesamt, also auch unter Berücksichtigung der unfallunabhängigen rezidivierenden Lumboischialgien, sei deshalb bereits ausreichend bewertet. Denn es liege keine unfallunabhängige schwere Funktionseinschränkung eines Wirbelsäulenabschnitts vor. Dies ergebe sich insbesondere aus dem neurologischen Befund im Gutachten von Dr. S ... Die außerdem geklagte erektile Dysfunktion sei nicht altersuntypisch und im Übrigen einer Behandlung zugänglich.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich der dem Änderungsbescheid zugrunde liegenden Verhältnisse mit den Verhältnissen, die dem früheren Bescheid (Vergleichsbescheid) zugrunde gelegen haben, ermittelt werden. Schließt sich ein Klage- und gegebenenfalls ein Berufungsverfahren an, so ist der maßgebliche Endzeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., Rdz. 34 zu § 54). Es sind somit die Verhältnisse, die dem Bescheid vom 21.07.1999, mit dem ein GdB von 30 festgestellt worden ist, zugrunde lagen, mit den zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegebenen Verhältnissen zu vergleichen. Dieser Vergleich ergibt, dass insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten ist, als sich die psychischen Auswirkungen der Fibromyalgie verschlechtert haben und der GdB deshalb nun mit 40 zu bewerten ist.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Danach ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass seit dem letzten bindenden Bescheid vom 17.08.1995 in den für die Feststellung des GdB maßgeblichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten und der GdB im Hinblick darauf auf 40 zu erhöhen ist. Eine weitergehende Erhöhung auf 50 ist dagegen nicht möglich. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auf den Seiten 7-11 ausführlich und zutreffend begründet. Der Senat macht sich diese Ausführungen zu Eigen und verweist hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Beweisergebnisse des Berufungsverfahrens führen zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Hinsichtlich der Funktionseinschränkung von Seiten der Wirbelsäule erlaubt das vom Kläger vorgelegte neurologische Gutachten Dr. S.s vom 31.10.2005 keine höhere Bewertung. Bei den in diesem Gutachten als Ausdruck einer leichten Wurzelreizsymptomatik S 1 (L 5 / S 1) links interpretierten rezidivierenden Lumboischialgien handelt es sich um keine neu aufgetretene Gesundheitsstörung. Die Lumboischialgien mit einer leichten Wurzelreizsymptomatik stellen ferner keine schwere Funktionseinschränkung der LWS dar. Hiergegen spricht nämlich der im Gutachten von Dr. S. beschriebene neurologische Befund. Insoweit wird lediglich ein im Seitenvergleich geringgradig verzögerter Hoffmann-Reflex geschildert, der als Hinweis auf eine leichtgradige Impulsleitungsstörung im Bereich der Nervenwurzel S 1 links gewertet wurde. Im Übrigen waren die elektroneurographischen und elektromyographischen Befunde unauffällig.
Von Seiten der Augen kann nach wie vor lediglich ein GdB von 10 berücksichtigt werden, der sich nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt. Die von Dr. Z. zuletzt im Schreiben vom 18.10.2005 angegebene Sehschärfe von rechts 0,7 und links 0,9 bedingt nach der Tabelle der Deutschen Ophtallmologischen Gesellschaft (vgl. AP, S. 52) einen GdB von 0. Auch unter Berücksichtigung passagerer, das heißt vorübergehender Sehstörungen bei beginnender Makuladegeneration kann dieser Wert im Hinblick auf den Linsenverlust beider Augen nur auf 10 erhöht werden.
Für die koronare Herzkrankheit des Klägers kommt ebenfalls kein höherer GdB Wert in Betracht. Nach den AP, S. 71, sind Krankheiten des Herzens ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung und ohne Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Erst bei einer Leistungsbeeinträchtigung schon bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen, mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten), kommen Werte von 20 - 40 in Betracht. Bei dem Kläger hat die am 22.11.2004 durchgeführte Stent-Implantation zu einem guten Langzeitergebnis geführt. Zwar ist nach der Auskunft von Dr. K. vom 06.05.2005 "denkbar", dass der Kläger gelegentliche pectanginöse Beschwerden hat. Bei dem am 03.12.2004 durchgeführten Belastungs-EKG konnte der Kläger jedoch bis 150 Watt belastet werden, ohne dass Angina pectoris-Gefühle aufgetreten wären. Der Abbruch erfolgte auch ohne Endstreckenveränderungen und ohne Herzrhythmusstörungen ausschließlich wegen peripherer Erschöpfung. Unter diesen Umständen lässt sich jedenfalls ein höherer Wert als 10 nicht vertreten.
Dasselbe gilt für die bei dem Kläger vorliegende erektile Dysfunktion. Die AP, S. 93, sehen einen Wert von 20 nur für die Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung und fehlender Altersbedingtheit vor. Der Auskunft Dr. S.s vom 06.05.2005 ist jedoch zu entnehmen, dass die erektile Dysfunktion des Klägers den Geschlechtsverkehr lediglich erschwert, also nicht unmöglich macht. Der Kläger selbst hat ferner nicht behauptet, deswegen - und zwar erfolglos - behandelt worden zu sein. Ein entsprechender Versuch liegt deshalb nahe, weil durchaus erfolgversprechende medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind, worauf Medizinaldirektor D. zureffend hingewiesen hat. Die vom Kläger angegebenen Blasenbeschwerden hat Dr. S. nicht bestätigt, obwohl er allgemein danach gefragt worden ist, welche regelwidrigen Befunde er von seiten seines Fachgebiets bei dem Kläger erhoben habe. Der Hausarzt Dr. O. hat zwar in seinem an die Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 12.09.2005 ausgeführt, bei der Vorstellung im Mai 2005 bei einem Urologen sei ein Prostataadenom erhoben worden. Von Miktionsstörungen ist jedoch bei ihm ebenso wenig die Rede wie in der sachverständigen Zeugenauskunft Dr. S.s.
Schließlich sieht der Senat ebenso wenig wie das SG einen hinreichenden Grund, für einen "psychovegetativen Erschöpfungszustand" einen besonderen Teil-GdB auszuweisen. Diese Diagnose ist nie nervenärztlich gesichert worden. Sie hat auch während der beiden Heilverfahren keine Rolle gespielt, die der Kläger vom 15.11.1994 bis 10.01.1995 in der Fachklinik B. T. und vom 15.03. bis 12.04.2000 in der Rheintalklinik B. K. gemacht hat. Das erste Heilverfahren hatte ausschließlich die Alkoholentwöhnung zum Ziel, während im Entlassungsbericht der Rheintalklinik vom 17.04.2000 als Diagnosen "chronisch degeneratives Lumbalsyndrom bei Zustand nach Versteifung WWK 12 bis L 2, Protrusionscoxarthrose beidseits" und "Spreizfüße" aufgeführt werden.
Das vom Kläger zuletzt vorgelegte Attest Dr. B. vom 15.05.2006 enthält keine neuen Befunde, die einen höheren GdB rechtfertigen könnten. Insbesondere besitzt eine Beinlängendifferenz von 6 mm, die im Übrigen auch durch Messtoleranzen erklärt werden kann, keine klinische Relevanz. Dr. K. hat im Attest vom 11.05.2006 nur Verdachtsdiagnosen gestellt, aber ("leider") eine interventionsbedürftige Stenose ausgeschlossen. Dem Hilfsantrag war nicht stattzugeben, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Neufeststellung des bei dem Kläger vorliegenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX).
Der 1947 geborene Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 08.09.1987 Verletzungen am 12. Brust- und am 1. Lendenwirbel sowie eine Fraktur der linken Speiche.
Mit Bescheid vom 17.08.1995 stellte das Versorgungsamt Stuttgart (VA) den GdB seit 1988 mit 30 fest. Hierbei wurden folgende Funktionseinschränkungen berücksichtigt:
1. Nach knöchern fest verheilter Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers, Vorderkantenabsprengung am 12. Brustwirbelkörper und Radiusfraktur links: Blockwirbelbildung des 12. Brust- mit dem 1. Lendenwirbelkörper. Endgradige Bewegungseinschränkung im Übergangsbereich der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Beginnende Arthrose im Radiokarpalgelenk links. Kalksalzminderung im Bereich des distalen Radius und der Handwurzelknochen links. Endgradige Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk. Reizlose Narben im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule, des rechten Beckenkammes und des linken Handgelenkes (Teil-GdB 30 entsprechend der Bewertung der Unfallfolgen durch die Württ. Bauberufsgenossenschaft [BG] zur vorläufigen Rentenfeststellung). 2. Verbiegung und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Reizerscheinungen (Teil-GdB 10).
Am 28.12.2000 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung seiner Wirbelsäulenbeschwerden. Das VA holte von dem behandelnden Arzt Dr. W. den Befundbericht vom 15.02.2001 ein (rezidivierende schmerzhafte Lumbalsyndrome, jedoch ohne neurologisches Defizit) und zog von der BG das unfallchirurgische Gutachten von Prof. Dr. W. vom 14.12.1987 bei. Mit Schreiben vom 28.05.2001 teilte die BG dem VA mit, am 25.02.1992 sei dem Kläger ein Bescheid über die Gewährung einer Dauerrente nach einer MdE um 20 v. H. erteilt worden. Ferner holte das VA von der Chirurgin Dr. J. den Befundbericht vom 07.07.2001 ein (chronisch rezidivierende Lumboischialgie mit nur kurzzeitigen schmerzfreien Intervallen). Mit Bescheid vom 07.08.2001 lehnte das VA die Erhöhung des GdB ab.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger eine Reihe von Nachschauberichten von Dr. J. vor. Das VA holte Befundberichte des Internisten und Pneumologen Dr. W. vom 14.02.2002 und des Allgemeinmediziners M. vom 26.02.2002 ein. Der letztgenannte führte aus, im Vordergrund der Beschwerden stünden die chronischen Rückenschmerzen mit Bewegungs- und Belastungseinschränkungen. Dazugekommen sei noch eine beidseitige Coxarthrose. Das vorwiegend allergische Asthma bronchiale des Klägers habe sich verschlimmert. Außerdem leide der Kläger an einem beiderseitigen Katarakt. Beigefügt waren zahlreiche ärztliche Unterlagen, u. a. der Entlassungsbericht der Rheintalklinik B. K. vom 17.04.2000 (chronisch degeneratives Lumbalsyndrom bei Zustand nach Versteifung BWK 12 bis L 2, Protrusions-Coxarthrose beidseits). In seiner versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 14.06.2002 vertrat Dr. G. die Auffassung, die Unfallfolgen seien entsprechend dem BG-Bescheid mit einem GdB von 20 zu bewerten, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke ebenfalls mit 20, eine Lungenerkrankung mit 10 und der Gesamt-GdB mit 30. Hierauf gestützt wies der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 den Widerspruch des Klägers zurück. Der GdB sei mit 30 nach wie vor angemessen bewertet.
Hiergegen erhob der Kläger am 26.08.2002 Klage bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) und trug vor, die Unfallfolgen seien zu niedrig bewertet worden. Infolge seiner Lungenerkrankung bekomme er bei geringster Belastung Atemnot. Schließlich sei die Funktionsbeeinträchtigung durch den "Grauen Star" nicht berücksichtigt worden. In Operationen von 2000 und 2001 seien ihm auf beiden Augen Ersatzlinsen eingesetzt worden.
Das SG hörte den Internisten Dr. W., Arzt für Allgemeinmedizin M., den Internisten und Lungenarzt Dr. W. und Dr. J. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. W. führte in seiner Auskunft vom 21.11.2002 aus, bei seiner letzten Untersuchung des Klägers am 21.09.2000 hätten sich keine dauerhaften Gesundheitsstörungen auf internistischem Gebiet gefunden. Eine koronare Herzkrankheit habe ausgeschlossen werden können. Arzt für Allgemeinmedizin M. beschrieb unter dem 17.12.2002 ein chronisches Asthma bronchiale in mittelschwerer Ausprägung, das mit einem GdB von 30 zu bewerten sei, eine Funktionsstörung der Wirbelsäule sowie der Hüftgelenke (mittelgradig, GdB 40), eine distale Radiusfraktur links von geringem Schweregrad (GdB 10) und einen mittelschweren psychovegetativen Erschöpfungszustand (Umschulung/Unfall/Alkoholentzug/Ehescheidung), GdB 20. Dr. W. berichtete in seiner Auskunft vom 17.12.2002 über ein gemischtförmiges Asthma mit mittel- bis hochgradiger bronchialer Hyperreagibilität, das mit einem GdB von 20 zu bewerten sei. Chirurgin Dr. J. bewertete in ihrer Auskunft vom 31.01.2003 die chronisch rezidivierende Lumboischialgie und den Zustand nach Fraktur LWK 1 und BWK 12 mit einem GdB von 20.
Der Beklagte bot daraufhin unter Vorlage der vä Stellungnahme von Dr. W. vom 25.04.2003 an, den GdB im Hinblick auf das verschlimmerte Lungenleiden auf insgesamt 40 ab 28.12.2000 zu erhöhen. Der Kläger nahm das Vergleichsangebot nicht an. Die behandelnde Augenärztin Dr. Z. teilte als sachverständige Zeugin unter dem 16.05.2003 mit, bei dem Kläger bestehe eine leichte bis mittlere Sehbeeinträchtigung durch Netzhautveränderungen infolge einer beginnenden Maculadegeneration. Nach zwei Staroperationen 2000 und 2001 betrage der Visus jeweils mit Brillenkorrektur rechts und links 1,0. Sonstige Funktionseinschränkungen bestünden nicht (Gesichtsfeld beiderseits volle Außengrenzen, keine Ausfälle, keine Skotome).
Auf den Antrag des Klägers gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) holte das SG von dem Orthopäden Dr. A. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten vom 01.09.2003 mit der Ergänzung vom 04.12.2003 ein. Darin kam er zu dem Ergebnis, die Folgen des Arbeitsunfalls seien mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein chronisches Brustwirbelsäulen (BWS)- und Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom ohne neurologische Ausfallsymptomatik ebenfalls mit 20, eine fortgeschrittene Arthrose beider Hüftgelenke mit Bewegungseinschränkung sowie eine retropatellare Chondromalazie Grad IV beider Kniegelenke bei initialer Retropatellararthrose mit jeweils 30. Der Gesamt-GdB betrage 50.
Hiergegen wandte Dr. W. in seiner vä Stellungnahme vom 13.11.2003 ein, von seiten der Hüftgelenke bestehe eine freie Beugefähigkeit von 130° beidseits bei allenfalls geringgradiger Einschränkung der Abduktion und Adduktion. Allenfalls die Rotationsbewegungen seien mit 20-0-0 Grad beidseits deutlicher eingeschränkt. Bei diesen Bewegungsmaßen könne man für die Hüftgelenke allenfalls einen Teil-GdB von 10 zugrunde legen. Wie Dr. A. zu der Diagnose einer Chondromalazie des Grades IV beider Kniegelenke gekommen sei, sei nicht nachzuvollziehen, da weder eine arthroskopische Kniegelenksoperation noch eine kernspintomographische Untersuchung durchgeführt worden sei. Abgesehen davon lägen offenbar anhaltende Reizerscheinungen der Kniegelenke nicht vor.
Hierauf replizierte Dr. A. unter dem 04.12.2003, eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke mittleren Grades müsse sich nicht nur auf die Streckung oder Beugung beziehen, sondern könne sich genauso auf die Rotation und auf das Ab- und Anspreizen beziehen. Da die Innenrotation der Hüftgelenke hier komplett aufgehoben sei, liege eine Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke mittleren Grades vor. Der radiologische Befund der Kniegelenke habe eine initiale Retropatellararthrose gezeigt. Als Vorstufe der Arthrose sei immer die Chondromalazie Grad IV zu sehen, da die Arthrose (Abnutzung des Knochens) erst beginne, wenn der Knorpel komplett aufgebraucht sei. Davon abgesehen habe der klinische Untersuchungsbefund einen deutlichen retropatellaren Reizzustand mit positivem Zohlenzeichen und retropatellarem Verschiebeschmerz beiderseits ergeben. Hierauf duplizierte Medizinaldirektor D. am 03.03.2004, der von Dr. A. angesetzte GdB von 30 für die Kniegelenke entspreche der völligen Versteifung eines Kniegelenkes und sei somit nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Hüftgelenke habe Dr. A. verkannt, dass die Funktion der Streckung und Beugung am wichtigsten sei, woran sich die Bewertung von Bewegungseinschränkungen orientiere.
Mit Urteil vom 27.07.2004 - dem Kläger zugestellt am 02.08.2004 - verurteilte das SG den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, den bei dem Kläger vorliegenden GdB seit dem 28.12.2000 mit 40 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich auf die vä Stellungnahmen von Dr. W. und Medizinaldirektor D. und führte weiter aus, die Funktionseinschränkung auf pulmologischem Fachgebiet könne jetzt mit einem Teil-GdB von 20 berücksichtigt werden. In Anbetracht der Sehschärfe des Klägers nach Korrektur mit einer Starbrille könne der GdB von Seiten der Augen nicht höher als mit 10 bewertet werden. Da sich der Kläger nicht in nervenärztlicher Behandlung befinde und psychische Begleiterscheinungen in den GdB-Werten bereits enthalten seien, sehe es keinen Grund, für den von Arzt für Allgemeinmedizin Dr. M. angegebenen psychovegetativen Erschöpfungszustand einen eigenen Teil-GdB auszuweisen. Die erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Blasenbeschwerden gäben keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.
Hiergegen richtet sich die am 30.08.2004 eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, er könne nicht nachvollziehen, warum das SG annehme, dass gerade die Einschränkung der Streck- und Beugefähigkeit für die Bewertung des GdB von Seiten der Hüftgelenke maßgeblich sein solle. Auch für die Funktionseinschränkung von Seiten der Kniegelenke sei der von Dr. A. vorgeschlagene GdB von 30 anzunehmen. Entgegen der Ausführungen des SG lägen bei ihm sehr wohl anhaltende Reizerscheinungen in den Kniegelenken vor. Auch der GdB von Seiten des augenärztlichen Gebiets sei zu niedrig angesetzt. Zu Unrecht habe das SG seine psychischen Probleme nicht mit einem eigenen Teil-GdB berücksichtigt. Ebenso habe es notwendige Ermittlungen zu seinen Blasenbeschwerden unterlassen. Schließlich bestehe bei ihm eine koronare Herzkrankheit mit einer Angina pectoris-Symptomatik, die mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.07.2004 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den bei ihm vorliegenden Grad der Behinderung mit mindestens 50 festzustellen, hilfsweise von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten und ein internistisches Gutachten zur Abklärung der auf den betreffenden Gebieten vorliegenden Behinderungen und des daraus resultierenden GdB einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Urologen Dr. S., den Internisten Dr. K. und die Augenärztin Dr. Z. jeweils schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Dr. S. hat unter dem 06.05.2005 auf die Frage, welche regelwidrigen Befunde er bei dem Kläger erhoben habe, geantwortet, bei dem Kläger bestehe seit dem Beginn seiner Behandlung am 04.02.2002 eine erektile Dysfunktion, die den Geschlechtsverkehr erschwere, außerdem eine Spermatozele links, die aber aufgrund der geringen Größe keine Beschwerden bereite und lediglich kontrollbedürftig sei. Dr. K. hat unter dem 06.05.2005 berichtet, bei dem Kläger liege eine koronare Herzkrankheit vor, jedoch keine vitale Bedrohung. Gelegentliche pectanginöse Beschwerden seien denkbar. Der Kläger sei jedoch im Dezember 2004 bis zur 150 Watt-Stufe beschwerdefrei belastbar gewesen. Er hat seinen Arztbrief vom 28.02.2005 an Dr. M. übersandt, aus dem hervorgeht, dass bei dem Kläger am 22.11.2004 eine zweifache Stent-Implantation nach RIVA vorgenommen worden ist, außerdem das Herzkatheterprotokoll vom 22.02.2005 (links betonte massive Arteriosklerose der Koronarien mit gutem Langzeitergebnis nach PTCA/Stent-Implantation RIVA). Die Augenärztin Dr. Z. hat in ihrer Auskunft vom 31.05.2005 die Sehschärfe rechts mit 0,5 und links mit 1,2 angegeben. Nach wie vor bestünden keine Gesichtsfeldausfälle und keine Skotome. In ihrer Auskunft vom 18.10.2005 hat sich die Sehschärfe rechts mit 0,7 und links 0,9 angegeben. Das rechte Auge weise Glaskörpertrübungen im Rahmen der Diagnose Mouches volantes auf. Es träten passagere Sehstörungen im Rahmen der bereits beschriebenen, beginnenden Makuladegeneration auf. Der Senat hat ferner von der Augenpraxisklinik E. den an Dr. Z. gerichteten Arztbrief vom 27.01.2005 beigezogen, aus dem sich ergibt, dass bei dem Kläger im Hinblick auf die gestellte Diagnose einer beidseitigen Kapselfibrose eine Laser-Kapsulotomie am rechten Auge durchgeführt worden ist.
Der Kläger hat ferner vorgelegt die Bescheinigung von der psychosozialen Beratungsstelle für Suchtkranke und Suchtgefährdete der Diakonischen Bezirksstelle S. vom 08.04.2005 (regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für abstinent lebende Suchtkranke), das Attest des Internisten Dr. O. vom 24.06.2005 (seit 2000 bestünden Herzbeschwerden; der Kläger sei unter Therapie nicht voll belastbar) und dessen Schreiben vom 12.09.2005 (Mai 2005 Vorstellung beim Urologen, Prostataadenom, retrospektiv müsse trotz negativen Belastungs-EKGs von einer bereits 2000 bestehenden koronaren Herzkrankheit ausgegangen werden), das Gutachten des Neurologen Dr. S. vom 31.10.2005, das dieser im Auftrag des SG in dem Rechtsstreit S 9 U 1711/03 gegen die BG erstattet hatte, den Befundbericht der Neurochirurgischen Klinik des K.-Hospitals S. vom 01.04.2004 und den Arztbrief des Zentrums für Radiologie des K.-Hospital S. vom 26.03.2004 über die computertomographische Untersuchung der LWS vom 23.03.2004. Dr. S. stellte in seinem Gutachten u. a. die Diagnose rezidivierende Lumboischialgien links (sporadisch auch rechts) mit Verdacht auf vorliegende Wurzelreizsymptomatik S 1 links mit klinischen und neurophysiologischen Zeichen einer leichten Radikulopathie S 1 links, bei degenerativen LWS-Veränderungen mit insbesondere deutlicher Facettengelenksarthrose/hypertropher Spondylarthrose L 5 / S 1.
Hierzu hat Medizinaldirektor D. in seiner vä Stellungnahme vom 08.02.2006 ausgeführt, bei den als Ausdruck einer leichten Wurzelreizsymptomatik S 1 links interpretierten rezidivierenden Lumboischialgien handle es sich um keine neu aufgetretene Gesundheitsstörung. Entsprechende Beschwerden habe der Kläger über viele Jahre immer wieder angegeben. Wegen einer unfallunabhängig bestehenden Symptomatik sei entsprechend auch eine unfallunabhängige Funktionsbehinderung der Wirbelsäule berücksichtigt und mit einem GdB von 20 im Sinne einer mittelgradigen funktionellen Einschränkung ausreichend bewertet worden. Die gesondert bewerteten BG-Unfallfolgen bezögen sich im Wesentlichen auf unfallbedingte Veränderungen an der Wirbelsäule. Die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule insgesamt, also auch unter Berücksichtigung der unfallunabhängigen rezidivierenden Lumboischialgien, sei deshalb bereits ausreichend bewertet. Denn es liege keine unfallunabhängige schwere Funktionseinschränkung eines Wirbelsäulenabschnitts vor. Dies ergebe sich insbesondere aus dem neurologischen Befund im Gutachten von Dr. S ... Die außerdem geklagte erektile Dysfunktion sei nicht altersuntypisch und im Übrigen einer Behandlung zugänglich.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich der dem Änderungsbescheid zugrunde liegenden Verhältnisse mit den Verhältnissen, die dem früheren Bescheid (Vergleichsbescheid) zugrunde gelegen haben, ermittelt werden. Schließt sich ein Klage- und gegebenenfalls ein Berufungsverfahren an, so ist der maßgebliche Endzeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., Rdz. 34 zu § 54). Es sind somit die Verhältnisse, die dem Bescheid vom 21.07.1999, mit dem ein GdB von 30 festgestellt worden ist, zugrunde lagen, mit den zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegebenen Verhältnissen zu vergleichen. Dieser Vergleich ergibt, dass insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten ist, als sich die psychischen Auswirkungen der Fibromyalgie verschlechtert haben und der GdB deshalb nun mit 40 zu bewerten ist.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.
Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Danach ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass seit dem letzten bindenden Bescheid vom 17.08.1995 in den für die Feststellung des GdB maßgeblichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten und der GdB im Hinblick darauf auf 40 zu erhöhen ist. Eine weitergehende Erhöhung auf 50 ist dagegen nicht möglich. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auf den Seiten 7-11 ausführlich und zutreffend begründet. Der Senat macht sich diese Ausführungen zu Eigen und verweist hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Beweisergebnisse des Berufungsverfahrens führen zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Hinsichtlich der Funktionseinschränkung von Seiten der Wirbelsäule erlaubt das vom Kläger vorgelegte neurologische Gutachten Dr. S.s vom 31.10.2005 keine höhere Bewertung. Bei den in diesem Gutachten als Ausdruck einer leichten Wurzelreizsymptomatik S 1 (L 5 / S 1) links interpretierten rezidivierenden Lumboischialgien handelt es sich um keine neu aufgetretene Gesundheitsstörung. Die Lumboischialgien mit einer leichten Wurzelreizsymptomatik stellen ferner keine schwere Funktionseinschränkung der LWS dar. Hiergegen spricht nämlich der im Gutachten von Dr. S. beschriebene neurologische Befund. Insoweit wird lediglich ein im Seitenvergleich geringgradig verzögerter Hoffmann-Reflex geschildert, der als Hinweis auf eine leichtgradige Impulsleitungsstörung im Bereich der Nervenwurzel S 1 links gewertet wurde. Im Übrigen waren die elektroneurographischen und elektromyographischen Befunde unauffällig.
Von Seiten der Augen kann nach wie vor lediglich ein GdB von 10 berücksichtigt werden, der sich nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt. Die von Dr. Z. zuletzt im Schreiben vom 18.10.2005 angegebene Sehschärfe von rechts 0,7 und links 0,9 bedingt nach der Tabelle der Deutschen Ophtallmologischen Gesellschaft (vgl. AP, S. 52) einen GdB von 0. Auch unter Berücksichtigung passagerer, das heißt vorübergehender Sehstörungen bei beginnender Makuladegeneration kann dieser Wert im Hinblick auf den Linsenverlust beider Augen nur auf 10 erhöht werden.
Für die koronare Herzkrankheit des Klägers kommt ebenfalls kein höherer GdB Wert in Betracht. Nach den AP, S. 71, sind Krankheiten des Herzens ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung und ohne Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Erst bei einer Leistungsbeeinträchtigung schon bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen, mittelschwere körperliche Arbeit), Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten), kommen Werte von 20 - 40 in Betracht. Bei dem Kläger hat die am 22.11.2004 durchgeführte Stent-Implantation zu einem guten Langzeitergebnis geführt. Zwar ist nach der Auskunft von Dr. K. vom 06.05.2005 "denkbar", dass der Kläger gelegentliche pectanginöse Beschwerden hat. Bei dem am 03.12.2004 durchgeführten Belastungs-EKG konnte der Kläger jedoch bis 150 Watt belastet werden, ohne dass Angina pectoris-Gefühle aufgetreten wären. Der Abbruch erfolgte auch ohne Endstreckenveränderungen und ohne Herzrhythmusstörungen ausschließlich wegen peripherer Erschöpfung. Unter diesen Umständen lässt sich jedenfalls ein höherer Wert als 10 nicht vertreten.
Dasselbe gilt für die bei dem Kläger vorliegende erektile Dysfunktion. Die AP, S. 93, sehen einen Wert von 20 nur für die Impotentia coeundi bei nachgewiesener erfolgloser Behandlung und fehlender Altersbedingtheit vor. Der Auskunft Dr. S.s vom 06.05.2005 ist jedoch zu entnehmen, dass die erektile Dysfunktion des Klägers den Geschlechtsverkehr lediglich erschwert, also nicht unmöglich macht. Der Kläger selbst hat ferner nicht behauptet, deswegen - und zwar erfolglos - behandelt worden zu sein. Ein entsprechender Versuch liegt deshalb nahe, weil durchaus erfolgversprechende medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten gegeben sind, worauf Medizinaldirektor D. zureffend hingewiesen hat. Die vom Kläger angegebenen Blasenbeschwerden hat Dr. S. nicht bestätigt, obwohl er allgemein danach gefragt worden ist, welche regelwidrigen Befunde er von seiten seines Fachgebiets bei dem Kläger erhoben habe. Der Hausarzt Dr. O. hat zwar in seinem an die Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten Schreiben vom 12.09.2005 ausgeführt, bei der Vorstellung im Mai 2005 bei einem Urologen sei ein Prostataadenom erhoben worden. Von Miktionsstörungen ist jedoch bei ihm ebenso wenig die Rede wie in der sachverständigen Zeugenauskunft Dr. S.s.
Schließlich sieht der Senat ebenso wenig wie das SG einen hinreichenden Grund, für einen "psychovegetativen Erschöpfungszustand" einen besonderen Teil-GdB auszuweisen. Diese Diagnose ist nie nervenärztlich gesichert worden. Sie hat auch während der beiden Heilverfahren keine Rolle gespielt, die der Kläger vom 15.11.1994 bis 10.01.1995 in der Fachklinik B. T. und vom 15.03. bis 12.04.2000 in der Rheintalklinik B. K. gemacht hat. Das erste Heilverfahren hatte ausschließlich die Alkoholentwöhnung zum Ziel, während im Entlassungsbericht der Rheintalklinik vom 17.04.2000 als Diagnosen "chronisch degeneratives Lumbalsyndrom bei Zustand nach Versteifung WWK 12 bis L 2, Protrusionscoxarthrose beidseits" und "Spreizfüße" aufgeführt werden.
Das vom Kläger zuletzt vorgelegte Attest Dr. B. vom 15.05.2006 enthält keine neuen Befunde, die einen höheren GdB rechtfertigen könnten. Insbesondere besitzt eine Beinlängendifferenz von 6 mm, die im Übrigen auch durch Messtoleranzen erklärt werden kann, keine klinische Relevanz. Dr. K. hat im Attest vom 11.05.2006 nur Verdachtsdiagnosen gestellt, aber ("leider") eine interventionsbedürftige Stenose ausgeschlossen. Dem Hilfsantrag war nicht stattzugeben, weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend geklärt ist.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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