Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 3151/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4460/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. September 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2000 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, eine chronische somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge festzustellen und dem Kläger für die Zeit ab 22. Mai 1999 Verletztenrente in Höhe von 30 v. H. der Vollrente zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung anlässlich des Arbeitsunfalls vom 22.11.1997 hat.
Der am 20.02.1940 geborene Kläger, der bei der D.-B. AG als Anlagenwart beschäftigt war, fiel am 22.11.1997 aus einer Höhe von ca. 4 m rücklings von einem Podest auf den Rücken und Hinterkopf (Unfallanzeige vom 03.12.1997). Im Durchgangsarztbericht (DAB) vom 22.11.1997 stellte der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie der Städtischen Kliniken E., Dr. K., die Diagnosen "Vordere Beckenringfraktur links, Querfortsatzfraktur LWK X, Verdacht auf Iliosakralgelenksprengung rechts". Der Kläger wurde in den Städtischen Kliniken E. bis 22.12.1997 stationär und in der Folgezeit dort sowie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. und durch den Orthopäden Dr. C. ambulant behandelt. Ausweislich des Zwischenberichts der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) vom 21.04.1998 war die vordere Beckenringfraktur links jetzt knöchern konsolidiert. Der Kläger gab jedoch einen lokalen Druckschmerz im Bereich der Triggerpunkte des Ischiadikusnervens links an. Er benützte noch einen Unterarmgehstock und wies im Bereich des linken Beines eine deutliche Muskelminderung auf. Vom 05.05. bis 10.06.1998 wurde er deshalb stationär in der BG-Klinik behandelt. Dabei besserten sich die Beschwerden des Klägers subjektiv aber nur geringfügig. Bei der Entlassung persistierte ein deutliches Entlastungshinken auf der linken Seite mit deutlicher Verkürzung der Standbeinphase links. Der Kläger gab starke Belastungsschmerzen im linken Beckenbereich an (Entlassungsbericht vom 22.06.1998). Auch bei seiner Vorstellung am 08.07.1998 in der BG-Klinik gab der Kläger einen brennenden Schmerz im Bereich der linken Leiste und des linken Gesäßes an. Prof. Dr. W. schlug deshalb im Zwischenbericht vom 09.07.1998 eine stufenweise berufliche Wiedereingliederung vor. Die am 03.08.1998 begonnene Belastungserprobung wurde schon nach einer Stunde wegen schon vorbestehender heftigster Schmerzen abgebrochen. Ab 12.08.1998 arbeitete der Kläger im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung vier Stunden täglich bei seinem früheren Arbeitgeber, wobei er in einem Überwachungsraum Monitore überwachte und das Telefon bediente. Trotz der sehr leichten Tätigkeit klagte er ständig über heftige Schmerzen im Becken-, Leisten- und Oberschenkelbereich links. Diese Belastungserprobung wurde am 18.09.1998 erneut abgebrochen. Im Zwischenbericht vom 28.08.1998 führte Prof. Dr. W. aus, weitere therapeutische Maßnahmen könnten jetzt nicht mehr durchgeführt und objektivierbare Beschwerden oder Symptome nicht mehr eruiert werden. Seines Erachtens bestehe Arbeitsfähigkeit ab 31.08.1998. Im Zwischenbericht vom 10.09.1998 führte die BG-Klinik erneut aus, die geklagte massive Schmerzsymptomatik spiegele sich nicht in vollem Umfang in den erhobenen Befunden.
Die Beklagte holte von der AOK Baden-Württemberg das Vorerkrankungsverzeichnis vom 29.09.1998 und von dem Chirurgen Prof. Dr. R. die beratungsärztliche Stellungnahme vom 08.10.1998 ein. Im Auftrag der Beklagten erstattete sodann der Ärztliche Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K.hospitals S., Prof. Dr. H., das Zusammenhangsgutachten vom 27.11.1998 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 15.12.1999 und Prof. Dr. Dr. S. von den Kliniken S. in G. das fachneurologische Gutachten vom 14.12.1998. Der Letztgenannte beschrieb im Bereich des linken Glutaeus medius-Muskulus piriformis einen derben Tumor und stellte die Diagnose eines Reizsyndroms des Nervus Ischiadikus bei Verdacht auf ektope Verkalkung nach vorderer Beckenringfraktur. Sollte es sich um eine Verknöcherung mit den entsprechenden Reizsymptomen am Nervus ischiadikus handeln, so sei der Unfall hierfür ursächlich. Als wesentliche Unfallfolge bestehe eine Bewegungseinschränkung für das Gehen sowie ein schmerzhaftes Sitzen auf der linken Gesäßhälfte.
Prof. Dr. H. führte in seinem Gutachten aus, die durchgeführte computertomographische Untersuchung habe weder den Verdacht auf eine Iliosakralfugensprengung noch denjenigen auf eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers bestätigt. Die jetzt noch bestehenden Beschwerden seien auf anlagebedingte bzw. degenerative Veränderungen vor allen Dingen im thorako-lumbalen Übergang und im Bereich der linken Iliosakralfuge zurückzuführen. Die jetzt beschriebenen ischialgiformen Beschwerden und Iliosakralfugenbeschwerden könnten nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden. Ebenso wenig sei es mit Wahrscheinlichkeit zu einer ektopen Verkalkung gekommen. Insbesondere hätten die Weichteilverkalkungen unterhalb der linken Iliosakralfuge schon am Unfalltag bestanden. Auch sei es im vorderen Beckenringbereich zu keiner vermehrten Ossifikation durch die Fraktur gekommen.
Am 16.04.1999 führte der Radiologe Dr. S. eine computertomographische Untersuchung des Beckens durch. Im Arztbrief vom selben Tage beschrieb er einen Zustand nach achsengerecht ossär verheilter vorderer Beckenringfraktur links mit seitengleich unauffälliger Darstellung der Hüftgelenke, insbesondere glatt begrenzten Gelenkflächenkonturen des Acetabulum links ohne Nachweis einer atrophen Callusbildung bzw. ektoper Weichteilverkalkungen im Bereich der verheilten vorderen Beckenringfraktur. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.04.1999 führte Prof. Dr. R. daraufhin aus, die jetzt bestehenden Schmerzzustände könnten nicht mehr auf das Unfallereignis bezogen werden, vielmehr auf eine anlagebedingte Enge des Spinalkanals und degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Bandscheibenprotrusion L3/L4 beidseitig. Arbeitsfähigkeit sei ab 17.11.1998 anzunehmen.
Hierauf gestützt lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.1999 ab, dem Kläger über den 17.11.1998 hinaus Leistungen zu gewähren. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte von der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Städtischen Kliniken E. den Bericht vom 18.01.2000 über die dortige stationäre Behandlung vom 06. bis 14.07.1999 ein. Darin vertrat Dr. K. die Auffassung, der Kläger habe sich bei seinem Unfall eine schwere Hüftgelenksverletzung zugezogen, die nun zu einer posttraumatischen Arthrose mit entsprechenden Beschwerden geführt habe. Nach Auswertung der Computertomographie vom 16.04.1999 und von Kernspinaufnahmen vom 25.06.1999 führte Prof. Dr. H. in seiner von der Beklagten angeforderten Stellungnahme vom 20.03.2000 aus, die Hüftgelenke stellten sich seitengleich und unauffällig dar, insbesondere weise das Acetabulum links glatt begrenzte Gelenkflächenkonturen auf. Eine Acetabulumbeteiligung oder eine posttraumatische Arthrose liege nicht vor. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.06.1999 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.05.2000 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Dieses holte zunächst von Oberarzt Dr. D. von der Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete unfallchirurgische Gutachten vom 07.11.2000 ein. Dieser beschrieb darin eine in achsengerechter Stellung knöchern fest konsolidierte ehemalige vordere Beckenringfraktur. Eine Iliosakralfugensprengung links sei ebenso wenig zu diagnostizieren wie eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers oder eine Hüftgelenksarthrose links. Die unfallbedingte MdE von seiten des chirurgischen Gebiets betrage seit März 1998 weniger als 10 v.H. Offensichtlich aufgrund der vom Kläger angegebenen Schmerzsymptomatik bestehe jedoch eine Minderbelastbarkeit des linken Beines mit einer Muskelminderung der linksseitigen Oberschenkelmuskulatur.
In seinem vom SG eingeholten neurologischen Gutachten vom 16.02.2001 führte der Neurologe Dr. D. aufgrund ambulanter Untersuchung aus, von seiten seines Fachgebiets ließen sich bei dem Kläger keine Unfallfolgen nachweisen. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es bei dem Unfall zu einer Schädigung der Nervenwurzeln oder peripheren Nerven im Bereich der Wirbelsäule, des Beckens oder des linken Beines gekommen sei. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall sei allerdings ein ausgeprägtes chronifiziertes Schmerzsyndrom mit einer Minderbelastbarkeit des linken Beines entstanden, das durch unfallunabhängige Gesundheitsstörungen nicht ausreichend erklärbar sei. Beigefügt war der Arztbrief des Schmerztherapeuten Dr. M.-S. vom Schmerzzentrum G. vom 11.09.2000 mit den Diagnosen chronifiziertes Schmerzsyndrom Chronifizierungsstadium III, algogenes Psychosyndrom, chronisch therapierefraktäre Lumboischialgie bei Zustand nach Beckenringfraktur und Iliosakralfugensprengung rechts, myofasciales Triggersyndrom, Muskulus piriformis-Syndrom.
Das SG holte deshalb von dem Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie des K.-O.-Krankenhauses S., Prof. Dr. R., das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete schmerztherapeutische Gutachten vom 18.06.2001 ein. Der Sachverständige gelangte darin zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte posttraumatische Funktionsstörung des linken Beines, die vorwiegend schmerzbedingt sei und eine unfallbedingte MdE um 30 v.H. bedinge. Anhaltspunkte dafür, dass unfallunabhängige Faktoren zu dem chronifizierten Schmerzsyndrom im Stadium III geführt hätten, lägen nicht vor. Weder der gut eingestellte Diabetes mellitus noch die röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Wirbelsäulenbereich seien für das Schmerzsyndrom des Klägers pathogenetisch verantwortlich.
Nachdem die Beklagte hiergegen eingewandt hatte, ein Ursachenzusammenhang könne naturwissenschaftlich nicht bejaht werden, holte das SG noch von dem Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik T., Prof. Dr. B., das ebenfalls aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete psychiatrische Gutachten vom 16.11.2001 ein. Der Sachverständige führte aus, die subjektiv als lang erlebte Zeit bis zum Beginn der Erstmaßnahmen und die stark erlebte Angst vor Tod oder Querschnittslähmung hätten bei dem Kläger dazu geführt, dass er den Unfall als sehr traumatisierend erlebt habe. Die folgenden Behandlungen durch verschiedene Ärzte mit unterschiedlichen, von ärztlichen Kollegen angezweifelten Diagnosen hätten weiterhin zu einer Verunsicherung beigetragen. Hinweise für unfallunabhängige Ursachen der zweifelsohne bestehenden Schmerzen bestünden nicht. Die Schmerzen seien in unmittelbarer Folge des Arbeitsunfalls aufgetreten, sodass kein Zweifel bestehe, dass das jetzt bestehende chronifizierte Schmerzsyndrom auf den Unfall zurückzuführen sei. In Übereinstimmung mit Prof. Dr. R. und Dr. D. sei darauf hinzuweisen, dass von neurophysiologischer Seite im Rahmen der Schmerzforschung diskutiert werde, dass sich bei Krankheiten oder Verletzungen aufgetretene Schmerzen, die primär nicht ausreichend behandelt werden könnten, auch nach Behebung der ursprünglichen Schmerzursache chronifizierten und dann nicht mehr ausreichend behandelt werden könnten. Ebenfalls lägen Hinweise vor, dass ein chronifiziertes Schmerzsyndrom auch dadurch entstehe, dass der Verletzte nicht ausreichend in der Lage gewesen sei, das Unfallgeschehen und die Unfallfolgen seelisch zu verarbeiten. Somit ergäben sich auch Hinweise, dass bei dem Kläger aufgrund des Unfalls eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Die unfallbedingte MdE sei mit 50 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte legte hierzu das nach Aktenlage erstattete neurologisch-psychiatrische Gutachten ihres Beratungsarztes Prof. Dr. Dr. M. vom 03.04.2002 vor. Dieser legte dar, Prof. Dr. B. habe seine Auffassung, die jetzige Schmerzsymptomatik und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit seien eindeutig auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, nicht hinreichend begründet. Das Fehlen konkurrierender Ursachen genüge nämlich nicht, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen. Ferner liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor, weil das Unfallereignis nicht in nächtlichen Albträumen oder in tagsüber auftretenden intrusiven Gedanken wiederkehre und auch weder eine themenbezogene Vermeidungshaltung noch eine anhaltende vegetative Erregung oder affektive Starre vorliege. Die vom Kläger beklagte Schmerzsymptomatik sei aufgrund typischer schonungsbedingter Veränderungen glaubhaft, ihre Ursache jedoch unklar. Zum einen lägen keine wesentlichen durch die Schmerzsymptomatik bedingten Funktionsstörungen vor, zum anderen könne ein Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis nicht hergestellt werden. Auch die Diagnose "chronisches algogenes Psychosyndrom" sei nicht nachvollziehbar. Das Unfallereignis habe zu keinen Unfallfolgen auf neurologischem oder psychiatrischem Gebiet geführt. Unabhängig davon sei die Bewertung der Unfallfolgen mit einer MdE um 50 v.H. nicht nachzuvollziehen, da sie sich außerhalb der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen Bewertungssätze für solche Störungen bewege.
Hierauf replizierte Prof. Dr. B. unter dem 13.06.2002, Prof. Dr. Dr. M. habe bei seiner Stellungnahme Fragen der persönlichen Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung sowie der persönlichen Kompensationsmöglichkeiten, die für die Frage des Schmerzerlebens von entscheidender Bedeutung seien, völlig außer acht gelassen. Wie ausgeführt gebe es keinerlei Hinweise auf das Vortäuschen der geklagten Schmerzsymptomatik. Der Kläger habe sämtliche vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen durchgeführt. Die beschriebene Schmerzsymptomatik habe mit dem Unfall begonnen. Aus psychiatrischer Sicht könne sie deshalb eindeutig auf den Unfall zurückgeführt werden.
Mit Urteil vom 23.09.2002 - dem Kläger zugestellt am 24.10.2002 - wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen legte es dar, die Vorstellung über die Pathogenese eines chronischen Schmerzsyndroms beruhe auf der Annahme von Sensitivierungsvorgängen in zentralnervösen Strukturen, die zu einem chronischen Schmerz führen könnten. Die Kammer verkenne nicht die Möglichkeit, dass der Kläger einen Kreislauf aus nozizeptiver Reizung und zentralnervösen adaptiven Prozessen durchlaufen habe, der zu einer so weit reichenden Umstrukturierung des zentralen Nervensystems geführt habe, dass sich eine Eigenständigkeit zentraler Erregungskreisläufe mit Bildung eines Schmerzengramms unter weitgehender Abkopplung von ursprünglich auslösenden Reizbedingungen entwickelt habe. Jedoch seien nicht genügend Hinweise dafür vorhanden, dass im vorliegenden Fall eine solche Pathogenese abgelaufen sei. Der von Prof. Dr. R. hervorgehobene deutliche Funktionsverlust des linken Beines sowie die nicht vorhandenen Aggravierungs-,Simulations- oder psychotischen Tendenzen seien hierfür nicht ausreichend. Auch die Beurteilung von Prof. Dr. B. überzeuge die Kammer nicht, weil ein bloß zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Schmerzen deren Unfallbedingtheit nicht begründen könne.
Mit seiner am 15.11.2002 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel weiter.
Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung des nach Lage der Akten erstatteten nervenärztlichen Gutachtens von dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Psychosomatik des Klinikums L., Prof. Dr. E., vom 03.09.2003. Der Sachverständige stellte die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, die als Folge des Arbeitsunfalls anzusehen sei. Keine der diagnostischen Abklärungen und Begutachtungen habe Anhaltspunkte dafür erbracht, das Schmerzsyndrom anders als unfallbedingt erklären zu können. Die für somatoforme Schmerzstörungen typische Verbindung mit emotionalen Belastungen und Auslösern bestehe hier darin, dass der Kläger in der Unfallsituation ausgeprägte Angst entwickelte, da er - zunächst allein - nicht in der Lage gewesen sei, Hilfe zu organisieren. Die damit einhergehende Belastung habe ein Überdauern der ängstlichen Verfassung bedingt, sodass der Kläger auch noch in der ersten Zeit des stationären Aufenthalts angenommen habe, er werde nicht mehr laufen können. Diese negative Erwartung sei durch den nicht unerheblichen Fraktur- und Prellungsschmerz begünstigt worden. Außerdem sei es, wie im schmerztherapeutischen Gutachten ausführlich und gut nachvollziehbar dargestellt, zu einer ebenfalls auf den Unfall zurückführbaren "Verselbstständigung" des Schmerzes gekommen. Bezüglich seiner Chronifizierung müsse man mangelnde, vielleicht auch altersbedingt eingeschränkte Ressourcen bei der Schmerzbewältigung und unzureichende persönliche Kompensationsmöglichkeiten annehmen, zumal es durch den Unfall mit der nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit zu erheblichen Einschnitten in der bisherigen Lebensentwicklung gekommen sei, auf die der Kläger nicht vorbereitet gewesen sei. Die zum Teil kontroversen Diagnosen wie Querfortsatzfraktur, Iliosakralgelenkssprengung oder Hüftgelenksarthrose hätten zu einer entsprechenden Verunsicherung des Klägers geführt. Die bei ihm vorliegenden degenerativen Veränderungen seien als Ursache der Beschwerden von eher nebensächlicher Bedeutung. Die unfallbedingte MdE nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit sei mit 30 v.H. zu bewerten. Bezüglich der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung schließe er sich der Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. an, dass die hierfür maßgeblichen Kriterien nicht erfüllt seien.
Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. R. vom 10.11.2003 vor. Dieser führt aus, eine funktionelle Einschränkung sei bei allen Untersuchungen nicht nachgewiesen worden. Die bestehende leichte muskuläre Verschmächtigung des linken Beines ohne neurologische Ausfälle müsse auf die eindeutige Schonhaltung zurückgeführt werden, könne aber nach den erhobenen Befunden nicht als unfallbedingt angesehen werden. Ob die eigentliche Unfallsituation exakt zu einer Primärbelastung geführt habe, könne nicht nachvollzogen werden. Aus den Akten sei immerhin zu ersehen, dass zwischen dem Unfallereignis und der Klinikankunft 35 Minuten vergangen seien, wobei ein großer Zeitanteil auf das Zurücklegen der Wegstrecke entfallen sei. Es müsse als spekulativ bezeichnet werden, ob der Verletzte überhaupt differenziert über die später nicht haltbaren Diagnosen informiert gewesen sei und Kenntnisse über mögliche Komplikationen gehabt habe, die später zur Beurteilung herangezogen worden seien. Ein Zusammenhang des chronifizierten Schmerzsyndroms mit dem Unfall sei nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit begründet worden. Dass zentralnervöse Strukturen zu einem chronischen Schmerz führen "könnten", genüge hierfür nicht.
Auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat von Prof. Dr. F. von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten vom 31.01.2005 eingeholt. Der Sachverständige kommt darin zu dem Ergebnis, der Kläger leide aufgrund seines Unfalls an einer chronischen somatoformen Schmerzstörung. Bei dieser Somatisierungsstörung liege eine Diskrepanz zwischen subjektivem Schmerzerleben und Schonhaltung einerseits sowie der elektrophysiologisch und morphologisch nachweisbaren Substanzschädigung vor. Dies bedeute jedoch nicht, dass die geschilderten Schmerzen nicht existent wären, was hier auch kein einziger der Vorgutachter in Frage gestellt habe. Bei der chronischen somatoformen Schmerzstörung komme es zu einer zentralnervösen oder auch psychisch mitbedingten Ausweitung und Chronifizierung des Schmerzgeschehens. Wie bereits Prof. Dr. R., Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. zutreffend dargelegt hätten, sprächen deutlich mehr Gründe für eine Verursachung des Schmerzsyndroms durch den Arbeitsunfall als dagegen, wenn auch wahrscheinlich vor dem Unfall eine psychovegetative Labilität sowie eine sehr korrekte, fast zwanghaft zu nennende Persönlichkeit vorgelegen habe, die letztlich auch zu einer vermehrten Irritation durch die verschiedenen Einschätzungen der Behandler geführt haben könne. Die unfallbedingte MdE werde mit 30 v.H. eingeschätzt.
Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. S. vom 08.03.2005 vorgelegt. Dieser führt aus, die Diagnose der somatoformen Schmerzstörung, die dem früheren Hysteriekonzept entspringe, bezeichne den Zustand, dass anhaltend Beschwerden geltend gemacht würden (Schmerzen), für die sich keine hinreichende Erklärung finde. Sie bezeichne somit eine auffällige Verhaltensweise, wobei eine Krankheit definitionsgemäß gerade nicht vorliege. Nach einer neuen Konsensuskonferenz von 2004 sei die somatoforme Störung den Formen der Hysterie bzw. des abnormen krankheitsähnlichen Verhaltens zuzuordnen. Bei den vom Kläger geltend gemachten anhaltenden unerklärlichen Beschwerden handle es sich somit nicht um eine Krankheit, die mit wirklichen Funktionsbehinderungen einhergehen würde. Der Nachweis einer Leistungsminderung wesentlichen Ausmaßes sei hier nicht erbracht. Nach den Schilderungen des Tagesablaufs des Klägers und seiner Reiseaktivitäten sowie nach dem körperlichen Befund bestünden keine erkennbaren Beeinträchtigungen. Für das Fehlen psychischer Beeinträchtigungen spreche ferner, dass der Kläger bis heute weder in nervenärztlicher noch in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Zum Ursachenzusammenhang sei auszuführen, dass es sich bei der somatoformen Störung um ein teils genetisch determiniertes Verhalten handle, teilweise werde es durch Lerneffekte, insbesondere das Erleben körperlich kranker Eltern, geprägt. Eine Verursachung der somatoformen Störung durch Unfallereignisse sei aus den vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei die Prävalenz solcher chronischer Schmerzzustände in der Bevölkerung sehr hoch. Die Vierwochenprävalenz liege bei 28,5%, die Lebenszeit-Prävalenz bei 50%. Außerdem lasse das Gutachten Prof. Dr. F. differenzialdiagnostische Überlegungen vermissen. So würden mögliche konkurrierende Ursachen, insbesondere degenerative Veränderungen der LWS, nicht diskutiert. Außerdem werde eine Doppelbewertung der Unfallfolgen vorgenommen, denn subjektive Beschwerden des Klägers seien bereits im chirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden.
In seiner gemäß § 109 SGG hierzu abgegebenen Replik vom 07.10.2005 legt Prof. Dr. F. dar, angegebene Schmerzen ließen sich nicht immer objektivieren. Entscheidend sei die Glaubwürdigkeit des Probanden und die Einschätzung der Lebensumstände durch einen erfahrenen Gutachter. Keineswegs gingen posttraumatische Schmerzen immer mit einem objektivierbaren morphologischen oder elektrophysiologischen Befund einher. Wenn Prof. Dr. S. das Konzept der somatoformen Schmerzstörung in den Bereich der Hysterie verlagere, stelle er sich außerhalb der gängigen und gut begründbaren Praxis, dass nach schweren Verletzungen Schmerzen auftreten können, die nicht zu objektivieren seien. Für die Stärke der Schmerzen spreche hier deutlich die erhebliche Einnahme von morphinhaltigen Medikamenten. Dem Argument mit der Vierwochen- bzw. Lebensprävalenz seien hier die Schwere und die Beeinträchtigung der Schmerzzustände entgegenzuhalten. Es seien deutlich weniger als 2% der Menschen, die anhaltend Opiate und andere Antiphlogistika oder andere atypische Schmerzmedikamente einnähmen.
In seiner Duplik vom 31.10.2005 hat Prof. Dr. S. an seiner Auffassung festgehalten, die beim Kläger vorliegende Funktionsminderung und die entsprechenden subjektiven Beschwerden seien bereits im unfallchirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden. Das Argument, dass aufgrund der Einnahme von Schmerzmitteln erhebliche Schmerzen vorliegen müssten, sei durch empirische Befunde nicht begründet.
Der Kläger beruft sich auf die Gutachten von Dr. D., Prof. Dr. R., Prof. Dr. E., Prof. Dr. B. und Prof. Dr. F. und trägt vor, seine degenerativen Veränderungen im Bereich der oberen LWS und der unteren BWS könnten nicht die Ursache seiner Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und des linken kleinen Beckens sein. Mögliche Konkurrenzursachen bestünden also nicht. Die bei ihm vorliegende chronifizierte, somatische, posttraumatische Schmerzstörung gehe mit einer objektivierbaren Leistungsminderung einher und habe Krankheitswert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.09.2002 und den Bescheid vom 10.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine chronische somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge festzustellen und ihm ab 22.05.1999 Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt zuletzt vor, auch die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. F. vom 07.10.2005 genüge nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätserfordernissen, zumal seine Beurteilung ohne Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen ausschließlich auf den glaubhaften Angaben des Klägers gründe. Zutreffend weise Prof. Dr. S. darauf hin, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung immer auf die Funktionseinschränkung als Maß für die MdE abgestellt werde. Der Schmerz sei Wegweiser zum strukturellen Schaden, dessen Folgen für die Funktionsfähigkeit letztendlich bewertet würden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 06.04.2006 gestellten Antrag auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit ab 22.05.1999.
Gem. § 56 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Die Rente wird vom Tag nach dem Ende des während der Arbeitsunfähigkeit bestehenden Anspruchs auf Verletztengeld gezahlt (§§ 72 Abs. 1 Nr. 1, 45 SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII).
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung (vgl. BSG in Breithaupt 1980, 564, 566). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u. a. die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung gehören, mit einem der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSGE 19, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE 61, 127, 129) sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl., Band 3, Rdnrn. 309 ff zu § 8 SGB VII mwN). Haben mehrere Bedingungen gemeinsam zu einem Erfolg geführt, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Bedingungen und damit Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges in gleichem Maße wesentlich sind (Krasney aaO Rdnr. 314). Kommt dagegen einer der Bedingungen gegenüber der oder den anderen eine überwiegende Bedeutung zu, so ist sie allein wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne (BSGE 12, 242, 245 f; 13, 175, 176; Brackmann aaO S 480k I mwN).
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286), das heißt, es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
Dieselben Kausalitätserwägungen gelten auch bei Reaktionen auf psychischem Gebiet. In diesem Fall ist zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine Auswirkungen auf psychischem Gebiet ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich waren oder ob die Anlage so leicht ansprechbar war, dass sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache war. Von Bedeutung sind dabei unter anderem die Schwere des Unfallereignisses, ob eine latente "Anlage" bestand und ob sich diese bereits in Symptomen manifestiert hat. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang ist in der Regel zu verneinen, wenn die psychische Reaktion in Zusammenhang mit persönlichen Lebenskonflikten steht oder wenn sie wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist (vgl. BSGE 18, 173, 176; 19, 275, 277/278).
Nach der Überzeugung des Senats liegen im strittigen Zeitraum ab 22.05.1999 Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.11.1997 vor, die eine MdE um 30 v.H. bedingen. Diese unfallbedingte MdE beruht fast ausschließlich auf einer Gesundheitsstörung, die dem psychiatrischen Fachgebiet zuzurechnen ist.
Auf organischem Gebiet hat der Unfall keine Folgen hinterlassen, die mit einer messbaren MdE bewertet werden könnten. Aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. H. vom 27.11.1998 und vor allem aufgrund des Gutachtens von Dr. D. vom 07.11.2000 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger bei seinem Unfall eine Prellung der Lendenwirbelsäule und eine vordere Beckenringfraktur erlitten hat. Letztere ist in achsengerechter Stellung knöchern fest verheilt. Soweit der DAB vom 22.11.1997 auch eine "Querfortsatzfraktur LWK X" (gemeint ist wohl der 5. Lendenwirbelkörper) und einen Verdacht auf "Iliosakralgelenkssprengung rechts" (gemeint war offensichtlich links) aufführt, sind diese Diagnosen inzwischen widerlegt. Sie finden sich zwar auch noch in den Behandlungsberichten der Klinik für Unfallchirurgie der Städtischen Kliniken E. vom 04.02. und 13.03.1998 sowie in den Berichten der BG-Klinik T. vom 21.04., 22.06., 09.07., 18. und 28.08. sowie vom 10.09.1998. Prof. Dr. H. und Dr. D. haben jedoch anhand von Computertomographien und Kernspintomographien der Lendenwirbelsäule und des Beckenrings den Nachweis geführt, dass der Kläger bei seinem Unfall weder eine Sprengung der linken Kreuz-Darmbeinfuge noch eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers erlitten hat. Dr. D. konnte ferner die von Dr. K. in dem Bericht vom 18.01.2000 sowie dem an Dr. C. gerichteten Arztbrief vom 14.07.1999 niedergelegte Annahme widerlegen, der Kläger habe bei dem Unfall eine schwere Hüftgelenksverletzung erlitten, die später zu einer posttraumatischen Arthrose geführt habe. Anhand der ihm vorliegenden Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen konnte Dr. D. nämlich nicht bestätigen, dass eine Beteiligung des Acetabulums (Hüftgelenkspfanne) vorgelegen hat oder dass es zu einer posttraumatischen Coxarthrose gekommen ist. Schließlich konnte Dr. D. aufgrund der Computertomographien des Beckenrings vom 22.05.1998 und vom 16.04.1999 nachweisen, dass bei dem Kläger entgegen der von Prof. Dr. S. im Gutachten vom 27.11.1998 geäußerten Vermutung auch keine ektoben Verknöcherungen oder Verkalkungen im Bereich der Glutealmuskulatur sowie im Verlauf des linksseitigen Nervus ischiadikus vorliegen.
Soweit Dr. D. bei der Funktionsprüfung des linken Hüftgelenks eine eingeschränkte Beweglichkeit und hinsichtlich der linken unteren Extremität eine - durch die im Seitenvergleich verminderte Muskelbemantelung objektivierte - Verminderung der Belastbarkeit der linken unteren Extremität erhoben hat, auf die schon Prof. Dr. W. im Zwischenbericht vom 21. 04. 1998 hingewiesen hatte, können diese regelwidrigen Befunde nicht auf organische Ursachen zurückgeführt werden. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Unfallverletzungen scheidet aus, weil von Seiten des chirurgischen Gebiets, wie dargelegt, jedenfalls seit 22.05.1999 als Unfallfolge nur noch die in achsengerechter Stellung knöchern fest durchbaute vordere Beckenringfraktur festzustellen ist. Wie Dr. D. auch insoweit überzeugend dargelegt hat, sprechen auch die übrigen differenzialdiagnostischen Überlegungen gegen eine organische Erklärung. Eine Lumboischialgie links (ausstrahlende Schmerzen von der Lendenwirbelsäule ins linke Bein) aufgrund von Kompressionen lumbaler (die Lendenwirbelsäule betreffender) Spinalnerven konnte nämlich bildtechnisch ausgeschlossen werden. Im Übrigen sprach auch der von Dr. D. erhobene klinische Untersuchungsbefund gegen eine Lumboischialgie. Die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk und die verminderte Belastbarkeit des linken Beins können deshalb nur durch die bei dem Kläger vorliegende Schmerzsymptomatik erklärt werden. Hiermit stimmt auch die Beurteilung von Prof. Dr. H. überein, der in seinem Gutachten von einem Schonhinken des linken Beins mit der Folge einer eingeschränkten Gangfunktion und einer verminderten Glutealmuskulatur links ausgegangen ist.
Wie Dr. D. im neurologischen Gutachten vom 16.02.2001 schlüssig dargelegt hat, ist es bei dem Unfall auch nicht zu objektivierbaren Schädigungen im Bereich der lumbosakralen Nervenwurzeln oder der peripheren Nerven im Bereich des Beckens und des linken Beines gekommen, welche die vom Kläger angegebenen Schmerzen im Bereich des linken Beckens und des linken Beins "auch nur im Ansatz" erklären könnten. Es finden sich allenfalls diskrete Hinweise auf eine beginnende diabetische Polyneuropathie mit geringer Abschwächung des Achillessehnenreflexes rechts, einer Abschwächung des Vibrationsempfindens am rechten Fuß, fehlender Auslösbarkeit des H-Reflexes und relativ verlangsamter sensibler Nervenleitgeschwindigkeit am Nervus suralis links. Aus neurologischer Sicht kann deshalb weder eine Unfallfolge am peripheren Nervensystem festgestellt noch eine ausreichende Erklärung für das Schmerzerleben des Klägers gegeben werden.
Mit Prof. Dr. B., Prof. Dr. E., Prof. Dr. R. und Prof. Dr. F. geht der Senat jedoch davon aus, dass bei dem Kläger ein chronifiziertes Schmerzsyndrom vorliegt, das im Unfallzusammenhang steht. Differenzialdiagnostisch ist es mit Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F. als anhaltende somatoforme Schmerzstörung einzuordnen. Nach Widder (Das neurologische Gutachten, 4. Aufl. 2000, S. 422 ff.) und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 297 sind zwei Kategorien der somatoformen Schmerzstörung zu unterscheiden. Entweder handelt es sich um körperlich teilweise begründbare Schmerzen, deren geklagtes Ausmaß jedoch deutlich über das zu erwartende "übliche" Maß hinausgeht oder es handelt sich um körperlich überhaupt nicht begründbare Schmerzen. Im letzteren Fall wird häufig zunächst eine körperliche Krankheit vermutet, die sich aber später als nicht vorhanden erweist. Hier kann es sich nur um die zweite Alternative handeln, da jedenfalls seit der knöchernen Konsolidierung der vorderen Beckenringfraktur links, wie sie schon von Prof. Dr. H. im Gutachten vom 27.11.1998 beschrieben worden ist, kein körperliches Beschwerdekorrelat mehr nachweisbar ist. In typischer Weise wurde auch im vorliegenden Fall zunächst eine körperliche Krankheit als Erklärung des Schmerzsyndroms vermutet (Iliosakralfugensprengung, Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers, Reizung des Nervus ischiadikus infolge ektoper Verkalkung, posttraumatische Hüftgelenksarthrose). Keiner dieser Erklärungsversuche hielt jedoch einer objektiven Überprüfung stand. Es liegt deshalb eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung im Sinne der Position F45.4 der ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) vor. Hierunter fällt ein mindestens sechs Monate kontinuierlicher, an den meisten Tagen anhaltender, schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses oder einer körperlichen Störung erklärt werden kann und der anhaltend der Hauptfokus für die Aufmerksamkeit des Patienten ist. Zu Unrecht hat die Beklagte unter Berufung auf die Stellungnahmen von Prof. Dr. S. geltend gemacht, bei einer chronischen somatoformen Schmerzstörung handle es sich gar nicht um eine Gesundheitsstörung im Sinne einer Krankheit, sondern nur um ein krankheitsähnliches Verhalten, das dem früheren Hysteriekonzept entspringe. Mit Prof. Dr. F. ist hierauf zu erwidern, dass die für eine Somatisierungsstörung typische Diskrepanz zwischen subjektivem Schmerzerleben und Schonhaltung einerseits und der fehlenden elektrophysiologisch und morphologisch nachweisbaren Substanzschädigung andererseits nicht bedeutet, dass die vom Probanden geschilderten Schmerzen nicht existieren würden. Dies hat im vorliegenden Fall auch keiner der Sachverständigen in Frage gestellt, die den Kläger untersucht haben. Soweit sich Prof. Dr. S. auf eine Konzensuskonferenz (Sharpe und Mayou 2004) und auf das Werk von Trimbel (2004) berufen hat, entspricht diese Auffassung jedenfalls nicht der heute vorherrschenden und in Klassifikationsmanualen wie der ICD 10 niedergelegten herrschenden wissenschaftlichen Auffassung. Wäre sie richtig, so müsste der gesamte Abschnitt F45 komplett aus der ICD 10 getilgt werden. Mit Prof. Dr. F. ist der Senat davon überzeugt, dass nach schweren Verletzungen Schmerzen auftreten können, die nicht objektiviert werden können. Im vorliegenden Fall spricht für die Stärke der Schmerzen deutlich die erhebliche Einnahme von morphinhaltigen Medikamenten. Vor allem aber spricht für das Bestehen eines ganz erheblichen chronischen Schmerzzustandes, der nach den obigen Ausführungen durch keine denkbare organische Ursache erklärt werden kann, dass der Kläger nicht nur in der Untersuchungssituation, sondern ständig eine Schonhaltung einnimmt und das linke Bein nur eingeschränkt einsetzt, sodass es schon seit April 1998 zu einer deutlichen Muskelminderung der linken unteren Extremität gekommen ist.
Die chronische somatoforme Schmerzstörung steht auch im Sinne der oben dargelegten Kausallehre der wesentlichen Bedingung in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 22.11.1997. Wie bei anderen Reaktionen auf psychischem Gebiet ist auch hier die Bedeutung des Unfallereignisses einerseits und der psychischen Anlage andererseits gegeneinander abzuwägen und so zu ermitteln, ob das Unfallereignis für den eingetretenen Erfolg zumindest eine annähernd gleichwertige Mitursache war. Diese Frage bejaht der Senat. Bis zum Unfallereignis haben derartige Schmerzen nicht bestanden. Der Kläger ist vorher auch nie in psychiatrischer Hinsicht auffällig geworden mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Somatisierungsstörungen. Er war deshalb nie in psychiatrischer oder in psychotherapeutischer Behandlung. Mithin haben vor dem Unfall keine manifesten psychischen oder neurologischen Störungen bestanden. Offen bleiben kann, ob bei dem Kläger eine psychovegetative Labilität vorgelegen hat, wofür die im Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Baden-Württemberg dokumentierten vielfachen Erkrankungen an Gastritis, Enteritis und Duodenitis sprechen könnten. Diese - mögliche - psychovegetative Labilität und die von Prof. Dr. F. beschriebene sehr korrekte, fast zwanghaft zu nennende Persönlichkeit können zwar letztlich zu einer vermehrten Irritation durch die verschiedenen Einschätzungen der Behandler geführt haben, reichen jedoch nicht aus, um hierin die allein wesentliche Ursache für die Entwicklung der chronischen Schmerzstörung nach dem Unfall zu sehen. Von zumindest gleichwertiger Bedeutung waren, wie Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F. sachlich übereinstimmend dargelegt haben, die Umstände in der Unfallsituation sowie der Heilungsprozess, der anfänglich von keiner konsequenten Schmerztherapie begleitet war. Wie Prof. Dr. E. nachvollziehbar dargelegt hat, hat der Kläger nach seinem Sturz eine ausgeprägte Angst entwickelt, da er - zunächst allein - nicht in der Lage war, Hilfe zu organisieren. Die damit einhergehende Belastung bedingte ein Überdauern der ängstlichen Verfassung, sodass der Kläger auch noch in der ersten Zeit seiner stationären Behandlung davon ausging, er werde nie mehr laufen können. Begünstigt wurde diese negative Erwartung durch den nicht unerheblichen Fraktur- und Prellungsschmerz. Nachvollziehbar ist ebenfalls, dass die zum Teil divergierenden Diagnosen wie Querfortsatzfraktur, Iliosakralgelenkssprengung und Hüftgelenksarthrose zu einer Verunsicherung des Klägers geführt haben, die sich negativ auf die Entwicklung der somatoformen Schmerzstörung ausgewirkt hat. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob es durch den Unfall zu einer "Verselbstständigung" des Schmerzes infolge von Sensitivierungsvorgängen in zentralnervösen Strukturen gekommen ist, wie dies Prof. Dr. R. ausgehend von seinem schmerztherapeutischen Konzept bejaht hat. Unerheblich ist des Weiteren, dass die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung wegen der fehlenden Intrusionen und Albträume nicht erfüllt sind.
Infolge der chronischen somatoformen Schmerzstörung ist der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. gemindert. Der Senat folgt auch insoweit der übereinstimmenden Beurteilung von Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F ... Auch Dr. R. ist von seinem schmerztherapeutischen Ausgangspunkt aus zu dieser MdE-Einschätzung gelangt. Sie überzeugt den Senat, weil die gesamten Lebensumstände des Klägers, wie sie sich bei seinen Explorationen durch die genannten Ärzte darstellten, sorgfältig berücksichtigt worden sind. Dagegen vermochte der Senat der Beurteilung Prof. Dr. B. nicht zu folgen, die unfallbedingte MdE betrage 50 v.H., weil dieser Sachverständige zu Unrecht davon ausgegangen ist, bei dem Kläger liege auch eine posttraumatischen Belastungsstörung vor.
Den Einwendungen von Prof. Dr. S. zur Höhe der unfallbedingten MdE in der letzten Stellungnahme vom 31.10.2005 vermochte der Senat nicht zu folgen. Soweit dieser darin von einem "übertriebenen Beschwerdevortrag" des Klägers ausgeht, widersprechen dem die Schilderungen der Untersuchungssituation durch sämtliche Ärzte, die den Kläger begutachtet haben. Auch verkennt er, dass die bei dem Kläger vorliegende Umfangsminderung der Muskulatur des linken Gesäßes und des linken Oberschenkels sowie eine verminderte Beschwielung nicht auf organische Befunde zurückgeführt werden können, sondern einzig und allein auf die durch die somatoforme Schmerzstörung bedingte Schonhaltung und den Mindergebrauch der linken unteren Extremität. Es ist auch nicht richtig, dass von chirurgischer Seite eine MdE von 10 v.H. vorgeschlagen worden sei. Mit weniger als 10 v.H. liegt diese vielmehr im nicht messbaren Bereich. Zu Unrecht geht Prof. Dr. S. deshalb davon aus, die bei dem Kläger vorliegende Funktionsminderung und die entsprechenden subjektiven Beschwerden seien bereits im unfallchirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden, sodass für eine doppelte Bewertung von seiten des psychiatrischen Fachgebiets kein Anlass bestehe. Soweit Prof. Dr. S. argumentiert, dem Kläger verschlössen sich durch die somatoforme Störung keine weiteren Anteile des Arbeitsmarktes, ist ihm einzuräumen, dass die prozentuale Einschätzung der MdE durch Schmerzzustände aller Art naturgemäß außerordentlich schwierig ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in den Richtwerten die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit eingeschlossen sind. Handelt es sich bei einem chronischen Schmerzsyndrom wie hier um ein selbstständig zu beurteilendes Krankheitsbild, so stellt die Rechtsprechung bei der MdE-Bewertung die subjektive Seite in den Vordergrund und berücksichtigt insbesondere die Persönlichkeit, d.h. es muss erwogen werden, welche Auswirkungen das Unfallereignis gerade bei dem Versicherten infolge der Eigenart seiner Persönlichkeit hat. Die erhöhte Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liegt vor, wenn der Betroffene nur unter besonderem Energieaufwand und unter Hinnahme außergewöhnlicher Schmerzen arbeiten kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 314 m.N.).
Der Rentenbeginn folgt aus § 72 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 46 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII, da der Kläger bis 21. 05. 1999 Anspruch auf Verletztengeld hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung anlässlich des Arbeitsunfalls vom 22.11.1997 hat.
Der am 20.02.1940 geborene Kläger, der bei der D.-B. AG als Anlagenwart beschäftigt war, fiel am 22.11.1997 aus einer Höhe von ca. 4 m rücklings von einem Podest auf den Rücken und Hinterkopf (Unfallanzeige vom 03.12.1997). Im Durchgangsarztbericht (DAB) vom 22.11.1997 stellte der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie der Städtischen Kliniken E., Dr. K., die Diagnosen "Vordere Beckenringfraktur links, Querfortsatzfraktur LWK X, Verdacht auf Iliosakralgelenksprengung rechts". Der Kläger wurde in den Städtischen Kliniken E. bis 22.12.1997 stationär und in der Folgezeit dort sowie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. und durch den Orthopäden Dr. C. ambulant behandelt. Ausweislich des Zwischenberichts der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Klinik) vom 21.04.1998 war die vordere Beckenringfraktur links jetzt knöchern konsolidiert. Der Kläger gab jedoch einen lokalen Druckschmerz im Bereich der Triggerpunkte des Ischiadikusnervens links an. Er benützte noch einen Unterarmgehstock und wies im Bereich des linken Beines eine deutliche Muskelminderung auf. Vom 05.05. bis 10.06.1998 wurde er deshalb stationär in der BG-Klinik behandelt. Dabei besserten sich die Beschwerden des Klägers subjektiv aber nur geringfügig. Bei der Entlassung persistierte ein deutliches Entlastungshinken auf der linken Seite mit deutlicher Verkürzung der Standbeinphase links. Der Kläger gab starke Belastungsschmerzen im linken Beckenbereich an (Entlassungsbericht vom 22.06.1998). Auch bei seiner Vorstellung am 08.07.1998 in der BG-Klinik gab der Kläger einen brennenden Schmerz im Bereich der linken Leiste und des linken Gesäßes an. Prof. Dr. W. schlug deshalb im Zwischenbericht vom 09.07.1998 eine stufenweise berufliche Wiedereingliederung vor. Die am 03.08.1998 begonnene Belastungserprobung wurde schon nach einer Stunde wegen schon vorbestehender heftigster Schmerzen abgebrochen. Ab 12.08.1998 arbeitete der Kläger im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung vier Stunden täglich bei seinem früheren Arbeitgeber, wobei er in einem Überwachungsraum Monitore überwachte und das Telefon bediente. Trotz der sehr leichten Tätigkeit klagte er ständig über heftige Schmerzen im Becken-, Leisten- und Oberschenkelbereich links. Diese Belastungserprobung wurde am 18.09.1998 erneut abgebrochen. Im Zwischenbericht vom 28.08.1998 führte Prof. Dr. W. aus, weitere therapeutische Maßnahmen könnten jetzt nicht mehr durchgeführt und objektivierbare Beschwerden oder Symptome nicht mehr eruiert werden. Seines Erachtens bestehe Arbeitsfähigkeit ab 31.08.1998. Im Zwischenbericht vom 10.09.1998 führte die BG-Klinik erneut aus, die geklagte massive Schmerzsymptomatik spiegele sich nicht in vollem Umfang in den erhobenen Befunden.
Die Beklagte holte von der AOK Baden-Württemberg das Vorerkrankungsverzeichnis vom 29.09.1998 und von dem Chirurgen Prof. Dr. R. die beratungsärztliche Stellungnahme vom 08.10.1998 ein. Im Auftrag der Beklagten erstattete sodann der Ärztliche Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K.hospitals S., Prof. Dr. H., das Zusammenhangsgutachten vom 27.11.1998 mit der ergänzenden Stellungnahme vom 15.12.1999 und Prof. Dr. Dr. S. von den Kliniken S. in G. das fachneurologische Gutachten vom 14.12.1998. Der Letztgenannte beschrieb im Bereich des linken Glutaeus medius-Muskulus piriformis einen derben Tumor und stellte die Diagnose eines Reizsyndroms des Nervus Ischiadikus bei Verdacht auf ektope Verkalkung nach vorderer Beckenringfraktur. Sollte es sich um eine Verknöcherung mit den entsprechenden Reizsymptomen am Nervus ischiadikus handeln, so sei der Unfall hierfür ursächlich. Als wesentliche Unfallfolge bestehe eine Bewegungseinschränkung für das Gehen sowie ein schmerzhaftes Sitzen auf der linken Gesäßhälfte.
Prof. Dr. H. führte in seinem Gutachten aus, die durchgeführte computertomographische Untersuchung habe weder den Verdacht auf eine Iliosakralfugensprengung noch denjenigen auf eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers bestätigt. Die jetzt noch bestehenden Beschwerden seien auf anlagebedingte bzw. degenerative Veränderungen vor allen Dingen im thorako-lumbalen Übergang und im Bereich der linken Iliosakralfuge zurückzuführen. Die jetzt beschriebenen ischialgiformen Beschwerden und Iliosakralfugenbeschwerden könnten nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt werden. Ebenso wenig sei es mit Wahrscheinlichkeit zu einer ektopen Verkalkung gekommen. Insbesondere hätten die Weichteilverkalkungen unterhalb der linken Iliosakralfuge schon am Unfalltag bestanden. Auch sei es im vorderen Beckenringbereich zu keiner vermehrten Ossifikation durch die Fraktur gekommen.
Am 16.04.1999 führte der Radiologe Dr. S. eine computertomographische Untersuchung des Beckens durch. Im Arztbrief vom selben Tage beschrieb er einen Zustand nach achsengerecht ossär verheilter vorderer Beckenringfraktur links mit seitengleich unauffälliger Darstellung der Hüftgelenke, insbesondere glatt begrenzten Gelenkflächenkonturen des Acetabulum links ohne Nachweis einer atrophen Callusbildung bzw. ektoper Weichteilverkalkungen im Bereich der verheilten vorderen Beckenringfraktur. In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 22.04.1999 führte Prof. Dr. R. daraufhin aus, die jetzt bestehenden Schmerzzustände könnten nicht mehr auf das Unfallereignis bezogen werden, vielmehr auf eine anlagebedingte Enge des Spinalkanals und degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Bandscheibenprotrusion L3/L4 beidseitig. Arbeitsfähigkeit sei ab 17.11.1998 anzunehmen.
Hierauf gestützt lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.1999 ab, dem Kläger über den 17.11.1998 hinaus Leistungen zu gewähren. Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte von der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Städtischen Kliniken E. den Bericht vom 18.01.2000 über die dortige stationäre Behandlung vom 06. bis 14.07.1999 ein. Darin vertrat Dr. K. die Auffassung, der Kläger habe sich bei seinem Unfall eine schwere Hüftgelenksverletzung zugezogen, die nun zu einer posttraumatischen Arthrose mit entsprechenden Beschwerden geführt habe. Nach Auswertung der Computertomographie vom 16.04.1999 und von Kernspinaufnahmen vom 25.06.1999 führte Prof. Dr. H. in seiner von der Beklagten angeforderten Stellungnahme vom 20.03.2000 aus, die Hüftgelenke stellten sich seitengleich und unauffällig dar, insbesondere weise das Acetabulum links glatt begrenzte Gelenkflächenkonturen auf. Eine Acetabulumbeteiligung oder eine posttraumatische Arthrose liege nicht vor. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 10.06.1999 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.05.2000 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Dieses holte zunächst von Oberarzt Dr. D. von der Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete unfallchirurgische Gutachten vom 07.11.2000 ein. Dieser beschrieb darin eine in achsengerechter Stellung knöchern fest konsolidierte ehemalige vordere Beckenringfraktur. Eine Iliosakralfugensprengung links sei ebenso wenig zu diagnostizieren wie eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers oder eine Hüftgelenksarthrose links. Die unfallbedingte MdE von seiten des chirurgischen Gebiets betrage seit März 1998 weniger als 10 v.H. Offensichtlich aufgrund der vom Kläger angegebenen Schmerzsymptomatik bestehe jedoch eine Minderbelastbarkeit des linken Beines mit einer Muskelminderung der linksseitigen Oberschenkelmuskulatur.
In seinem vom SG eingeholten neurologischen Gutachten vom 16.02.2001 führte der Neurologe Dr. D. aufgrund ambulanter Untersuchung aus, von seiten seines Fachgebiets ließen sich bei dem Kläger keine Unfallfolgen nachweisen. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass es bei dem Unfall zu einer Schädigung der Nervenwurzeln oder peripheren Nerven im Bereich der Wirbelsäule, des Beckens oder des linken Beines gekommen sei. Im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall sei allerdings ein ausgeprägtes chronifiziertes Schmerzsyndrom mit einer Minderbelastbarkeit des linken Beines entstanden, das durch unfallunabhängige Gesundheitsstörungen nicht ausreichend erklärbar sei. Beigefügt war der Arztbrief des Schmerztherapeuten Dr. M.-S. vom Schmerzzentrum G. vom 11.09.2000 mit den Diagnosen chronifiziertes Schmerzsyndrom Chronifizierungsstadium III, algogenes Psychosyndrom, chronisch therapierefraktäre Lumboischialgie bei Zustand nach Beckenringfraktur und Iliosakralfugensprengung rechts, myofasciales Triggersyndrom, Muskulus piriformis-Syndrom.
Das SG holte deshalb von dem Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie des K.-O.-Krankenhauses S., Prof. Dr. R., das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete schmerztherapeutische Gutachten vom 18.06.2001 ein. Der Sachverständige gelangte darin zu dem Ergebnis, bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte posttraumatische Funktionsstörung des linken Beines, die vorwiegend schmerzbedingt sei und eine unfallbedingte MdE um 30 v.H. bedinge. Anhaltspunkte dafür, dass unfallunabhängige Faktoren zu dem chronifizierten Schmerzsyndrom im Stadium III geführt hätten, lägen nicht vor. Weder der gut eingestellte Diabetes mellitus noch die röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Wirbelsäulenbereich seien für das Schmerzsyndrom des Klägers pathogenetisch verantwortlich.
Nachdem die Beklagte hiergegen eingewandt hatte, ein Ursachenzusammenhang könne naturwissenschaftlich nicht bejaht werden, holte das SG noch von dem Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik T., Prof. Dr. B., das ebenfalls aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete psychiatrische Gutachten vom 16.11.2001 ein. Der Sachverständige führte aus, die subjektiv als lang erlebte Zeit bis zum Beginn der Erstmaßnahmen und die stark erlebte Angst vor Tod oder Querschnittslähmung hätten bei dem Kläger dazu geführt, dass er den Unfall als sehr traumatisierend erlebt habe. Die folgenden Behandlungen durch verschiedene Ärzte mit unterschiedlichen, von ärztlichen Kollegen angezweifelten Diagnosen hätten weiterhin zu einer Verunsicherung beigetragen. Hinweise für unfallunabhängige Ursachen der zweifelsohne bestehenden Schmerzen bestünden nicht. Die Schmerzen seien in unmittelbarer Folge des Arbeitsunfalls aufgetreten, sodass kein Zweifel bestehe, dass das jetzt bestehende chronifizierte Schmerzsyndrom auf den Unfall zurückzuführen sei. In Übereinstimmung mit Prof. Dr. R. und Dr. D. sei darauf hinzuweisen, dass von neurophysiologischer Seite im Rahmen der Schmerzforschung diskutiert werde, dass sich bei Krankheiten oder Verletzungen aufgetretene Schmerzen, die primär nicht ausreichend behandelt werden könnten, auch nach Behebung der ursprünglichen Schmerzursache chronifizierten und dann nicht mehr ausreichend behandelt werden könnten. Ebenfalls lägen Hinweise vor, dass ein chronifiziertes Schmerzsyndrom auch dadurch entstehe, dass der Verletzte nicht ausreichend in der Lage gewesen sei, das Unfallgeschehen und die Unfallfolgen seelisch zu verarbeiten. Somit ergäben sich auch Hinweise, dass bei dem Kläger aufgrund des Unfalls eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Die unfallbedingte MdE sei mit 50 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte legte hierzu das nach Aktenlage erstattete neurologisch-psychiatrische Gutachten ihres Beratungsarztes Prof. Dr. Dr. M. vom 03.04.2002 vor. Dieser legte dar, Prof. Dr. B. habe seine Auffassung, die jetzige Schmerzsymptomatik und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit seien eindeutig auf den Arbeitsunfall zurückzuführen, nicht hinreichend begründet. Das Fehlen konkurrierender Ursachen genüge nämlich nicht, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen. Ferner liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor, weil das Unfallereignis nicht in nächtlichen Albträumen oder in tagsüber auftretenden intrusiven Gedanken wiederkehre und auch weder eine themenbezogene Vermeidungshaltung noch eine anhaltende vegetative Erregung oder affektive Starre vorliege. Die vom Kläger beklagte Schmerzsymptomatik sei aufgrund typischer schonungsbedingter Veränderungen glaubhaft, ihre Ursache jedoch unklar. Zum einen lägen keine wesentlichen durch die Schmerzsymptomatik bedingten Funktionsstörungen vor, zum anderen könne ein Ursachenzusammenhang mit dem Unfallereignis nicht hergestellt werden. Auch die Diagnose "chronisches algogenes Psychosyndrom" sei nicht nachvollziehbar. Das Unfallereignis habe zu keinen Unfallfolgen auf neurologischem oder psychiatrischem Gebiet geführt. Unabhängig davon sei die Bewertung der Unfallfolgen mit einer MdE um 50 v.H. nicht nachzuvollziehen, da sie sich außerhalb der im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen Bewertungssätze für solche Störungen bewege.
Hierauf replizierte Prof. Dr. B. unter dem 13.06.2002, Prof. Dr. Dr. M. habe bei seiner Stellungnahme Fragen der persönlichen Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung sowie der persönlichen Kompensationsmöglichkeiten, die für die Frage des Schmerzerlebens von entscheidender Bedeutung seien, völlig außer acht gelassen. Wie ausgeführt gebe es keinerlei Hinweise auf das Vortäuschen der geklagten Schmerzsymptomatik. Der Kläger habe sämtliche vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen durchgeführt. Die beschriebene Schmerzsymptomatik habe mit dem Unfall begonnen. Aus psychiatrischer Sicht könne sie deshalb eindeutig auf den Unfall zurückgeführt werden.
Mit Urteil vom 23.09.2002 - dem Kläger zugestellt am 24.10.2002 - wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen legte es dar, die Vorstellung über die Pathogenese eines chronischen Schmerzsyndroms beruhe auf der Annahme von Sensitivierungsvorgängen in zentralnervösen Strukturen, die zu einem chronischen Schmerz führen könnten. Die Kammer verkenne nicht die Möglichkeit, dass der Kläger einen Kreislauf aus nozizeptiver Reizung und zentralnervösen adaptiven Prozessen durchlaufen habe, der zu einer so weit reichenden Umstrukturierung des zentralen Nervensystems geführt habe, dass sich eine Eigenständigkeit zentraler Erregungskreisläufe mit Bildung eines Schmerzengramms unter weitgehender Abkopplung von ursprünglich auslösenden Reizbedingungen entwickelt habe. Jedoch seien nicht genügend Hinweise dafür vorhanden, dass im vorliegenden Fall eine solche Pathogenese abgelaufen sei. Der von Prof. Dr. R. hervorgehobene deutliche Funktionsverlust des linken Beines sowie die nicht vorhandenen Aggravierungs-,Simulations- oder psychotischen Tendenzen seien hierfür nicht ausreichend. Auch die Beurteilung von Prof. Dr. B. überzeuge die Kammer nicht, weil ein bloß zeitlicher Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Schmerzen deren Unfallbedingtheit nicht begründen könne.
Mit seiner am 15.11.2002 eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel weiter.
Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung des nach Lage der Akten erstatteten nervenärztlichen Gutachtens von dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Psychosomatik des Klinikums L., Prof. Dr. E., vom 03.09.2003. Der Sachverständige stellte die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, die als Folge des Arbeitsunfalls anzusehen sei. Keine der diagnostischen Abklärungen und Begutachtungen habe Anhaltspunkte dafür erbracht, das Schmerzsyndrom anders als unfallbedingt erklären zu können. Die für somatoforme Schmerzstörungen typische Verbindung mit emotionalen Belastungen und Auslösern bestehe hier darin, dass der Kläger in der Unfallsituation ausgeprägte Angst entwickelte, da er - zunächst allein - nicht in der Lage gewesen sei, Hilfe zu organisieren. Die damit einhergehende Belastung habe ein Überdauern der ängstlichen Verfassung bedingt, sodass der Kläger auch noch in der ersten Zeit des stationären Aufenthalts angenommen habe, er werde nicht mehr laufen können. Diese negative Erwartung sei durch den nicht unerheblichen Fraktur- und Prellungsschmerz begünstigt worden. Außerdem sei es, wie im schmerztherapeutischen Gutachten ausführlich und gut nachvollziehbar dargestellt, zu einer ebenfalls auf den Unfall zurückführbaren "Verselbstständigung" des Schmerzes gekommen. Bezüglich seiner Chronifizierung müsse man mangelnde, vielleicht auch altersbedingt eingeschränkte Ressourcen bei der Schmerzbewältigung und unzureichende persönliche Kompensationsmöglichkeiten annehmen, zumal es durch den Unfall mit der nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit zu erheblichen Einschnitten in der bisherigen Lebensentwicklung gekommen sei, auf die der Kläger nicht vorbereitet gewesen sei. Die zum Teil kontroversen Diagnosen wie Querfortsatzfraktur, Iliosakralgelenkssprengung oder Hüftgelenksarthrose hätten zu einer entsprechenden Verunsicherung des Klägers geführt. Die bei ihm vorliegenden degenerativen Veränderungen seien als Ursache der Beschwerden von eher nebensächlicher Bedeutung. Die unfallbedingte MdE nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit sei mit 30 v.H. zu bewerten. Bezüglich der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung schließe er sich der Auffassung von Prof. Dr. Dr. M. an, dass die hierfür maßgeblichen Kriterien nicht erfüllt seien.
Die Beklagte legte hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. R. vom 10.11.2003 vor. Dieser führt aus, eine funktionelle Einschränkung sei bei allen Untersuchungen nicht nachgewiesen worden. Die bestehende leichte muskuläre Verschmächtigung des linken Beines ohne neurologische Ausfälle müsse auf die eindeutige Schonhaltung zurückgeführt werden, könne aber nach den erhobenen Befunden nicht als unfallbedingt angesehen werden. Ob die eigentliche Unfallsituation exakt zu einer Primärbelastung geführt habe, könne nicht nachvollzogen werden. Aus den Akten sei immerhin zu ersehen, dass zwischen dem Unfallereignis und der Klinikankunft 35 Minuten vergangen seien, wobei ein großer Zeitanteil auf das Zurücklegen der Wegstrecke entfallen sei. Es müsse als spekulativ bezeichnet werden, ob der Verletzte überhaupt differenziert über die später nicht haltbaren Diagnosen informiert gewesen sei und Kenntnisse über mögliche Komplikationen gehabt habe, die später zur Beurteilung herangezogen worden seien. Ein Zusammenhang des chronifizierten Schmerzsyndroms mit dem Unfall sei nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit begründet worden. Dass zentralnervöse Strukturen zu einem chronischen Schmerz führen "könnten", genüge hierfür nicht.
Auf den Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat von Prof. Dr. F. von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie T. das aufgrund ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten vom 31.01.2005 eingeholt. Der Sachverständige kommt darin zu dem Ergebnis, der Kläger leide aufgrund seines Unfalls an einer chronischen somatoformen Schmerzstörung. Bei dieser Somatisierungsstörung liege eine Diskrepanz zwischen subjektivem Schmerzerleben und Schonhaltung einerseits sowie der elektrophysiologisch und morphologisch nachweisbaren Substanzschädigung vor. Dies bedeute jedoch nicht, dass die geschilderten Schmerzen nicht existent wären, was hier auch kein einziger der Vorgutachter in Frage gestellt habe. Bei der chronischen somatoformen Schmerzstörung komme es zu einer zentralnervösen oder auch psychisch mitbedingten Ausweitung und Chronifizierung des Schmerzgeschehens. Wie bereits Prof. Dr. R., Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. zutreffend dargelegt hätten, sprächen deutlich mehr Gründe für eine Verursachung des Schmerzsyndroms durch den Arbeitsunfall als dagegen, wenn auch wahrscheinlich vor dem Unfall eine psychovegetative Labilität sowie eine sehr korrekte, fast zwanghaft zu nennende Persönlichkeit vorgelegen habe, die letztlich auch zu einer vermehrten Irritation durch die verschiedenen Einschätzungen der Behandler geführt haben könne. Die unfallbedingte MdE werde mit 30 v.H. eingeschätzt.
Die Beklagte hat hierzu die beratungsärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. S. vom 08.03.2005 vorgelegt. Dieser führt aus, die Diagnose der somatoformen Schmerzstörung, die dem früheren Hysteriekonzept entspringe, bezeichne den Zustand, dass anhaltend Beschwerden geltend gemacht würden (Schmerzen), für die sich keine hinreichende Erklärung finde. Sie bezeichne somit eine auffällige Verhaltensweise, wobei eine Krankheit definitionsgemäß gerade nicht vorliege. Nach einer neuen Konsensuskonferenz von 2004 sei die somatoforme Störung den Formen der Hysterie bzw. des abnormen krankheitsähnlichen Verhaltens zuzuordnen. Bei den vom Kläger geltend gemachten anhaltenden unerklärlichen Beschwerden handle es sich somit nicht um eine Krankheit, die mit wirklichen Funktionsbehinderungen einhergehen würde. Der Nachweis einer Leistungsminderung wesentlichen Ausmaßes sei hier nicht erbracht. Nach den Schilderungen des Tagesablaufs des Klägers und seiner Reiseaktivitäten sowie nach dem körperlichen Befund bestünden keine erkennbaren Beeinträchtigungen. Für das Fehlen psychischer Beeinträchtigungen spreche ferner, dass der Kläger bis heute weder in nervenärztlicher noch in psychotherapeutischer Behandlung gewesen sei. Zum Ursachenzusammenhang sei auszuführen, dass es sich bei der somatoformen Störung um ein teils genetisch determiniertes Verhalten handle, teilweise werde es durch Lerneffekte, insbesondere das Erleben körperlich kranker Eltern, geprägt. Eine Verursachung der somatoformen Störung durch Unfallereignisse sei aus den vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei die Prävalenz solcher chronischer Schmerzzustände in der Bevölkerung sehr hoch. Die Vierwochenprävalenz liege bei 28,5%, die Lebenszeit-Prävalenz bei 50%. Außerdem lasse das Gutachten Prof. Dr. F. differenzialdiagnostische Überlegungen vermissen. So würden mögliche konkurrierende Ursachen, insbesondere degenerative Veränderungen der LWS, nicht diskutiert. Außerdem werde eine Doppelbewertung der Unfallfolgen vorgenommen, denn subjektive Beschwerden des Klägers seien bereits im chirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden.
In seiner gemäß § 109 SGG hierzu abgegebenen Replik vom 07.10.2005 legt Prof. Dr. F. dar, angegebene Schmerzen ließen sich nicht immer objektivieren. Entscheidend sei die Glaubwürdigkeit des Probanden und die Einschätzung der Lebensumstände durch einen erfahrenen Gutachter. Keineswegs gingen posttraumatische Schmerzen immer mit einem objektivierbaren morphologischen oder elektrophysiologischen Befund einher. Wenn Prof. Dr. S. das Konzept der somatoformen Schmerzstörung in den Bereich der Hysterie verlagere, stelle er sich außerhalb der gängigen und gut begründbaren Praxis, dass nach schweren Verletzungen Schmerzen auftreten können, die nicht zu objektivieren seien. Für die Stärke der Schmerzen spreche hier deutlich die erhebliche Einnahme von morphinhaltigen Medikamenten. Dem Argument mit der Vierwochen- bzw. Lebensprävalenz seien hier die Schwere und die Beeinträchtigung der Schmerzzustände entgegenzuhalten. Es seien deutlich weniger als 2% der Menschen, die anhaltend Opiate und andere Antiphlogistika oder andere atypische Schmerzmedikamente einnähmen.
In seiner Duplik vom 31.10.2005 hat Prof. Dr. S. an seiner Auffassung festgehalten, die beim Kläger vorliegende Funktionsminderung und die entsprechenden subjektiven Beschwerden seien bereits im unfallchirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden. Das Argument, dass aufgrund der Einnahme von Schmerzmitteln erhebliche Schmerzen vorliegen müssten, sei durch empirische Befunde nicht begründet.
Der Kläger beruft sich auf die Gutachten von Dr. D., Prof. Dr. R., Prof. Dr. E., Prof. Dr. B. und Prof. Dr. F. und trägt vor, seine degenerativen Veränderungen im Bereich der oberen LWS und der unteren BWS könnten nicht die Ursache seiner Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und des linken kleinen Beckens sein. Mögliche Konkurrenzursachen bestünden also nicht. Die bei ihm vorliegende chronifizierte, somatische, posttraumatische Schmerzstörung gehe mit einer objektivierbaren Leistungsminderung einher und habe Krankheitswert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.09.2002 und den Bescheid vom 10.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine chronische somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge festzustellen und ihm ab 22.05.1999 Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt zuletzt vor, auch die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. F. vom 07.10.2005 genüge nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätserfordernissen, zumal seine Beurteilung ohne Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen ausschließlich auf den glaubhaften Angaben des Klägers gründe. Zutreffend weise Prof. Dr. S. darauf hin, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung immer auf die Funktionseinschränkung als Maß für die MdE abgestellt werde. Der Schmerz sei Wegweiser zum strukturellen Schaden, dessen Folgen für die Funktionsfähigkeit letztendlich bewertet würden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten des Senats, des SG und auf die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 06.04.2006 gestellten Antrag auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf Verletztenrente für die Zeit ab 22.05.1999.
Gem. § 56 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Die Rente wird vom Tag nach dem Ende des während der Arbeitsunfähigkeit bestehenden Anspruchs auf Verletztengeld gezahlt (§§ 72 Abs. 1 Nr. 1, 45 SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII).
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen bzw. bestehenden Gesundheitsstörung (vgl. BSG in Breithaupt 1980, 564, 566). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen u. a. die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung gehören, mit einem der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, während zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend, aber auch erforderlich ist (vgl. BSGE 19, 52, 53; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287; 58, 80, 83). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausallehre von der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE 61, 127, 129) sind als Ursache und Mitursache im Rechtssinne unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl., Band 3, Rdnrn. 309 ff zu § 8 SGB VII mwN). Haben mehrere Bedingungen gemeinsam zu einem Erfolg geführt, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Bedingungen und damit Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges in gleichem Maße wesentlich sind (Krasney aaO Rdnr. 314). Kommt dagegen einer der Bedingungen gegenüber der oder den anderen eine überwiegende Bedeutung zu, so ist sie allein wesentliche Bedingung und damit Ursache im Rechtssinne (BSGE 12, 242, 245 f; 13, 175, 176; Brackmann aaO S 480k I mwN).
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 285, 286), das heißt, es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112).
Dieselben Kausalitätserwägungen gelten auch bei Reaktionen auf psychischem Gebiet. In diesem Fall ist zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine Auswirkungen auf psychischem Gebiet ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich waren oder ob die Anlage so leicht ansprechbar war, dass sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache war. Von Bedeutung sind dabei unter anderem die Schwere des Unfallereignisses, ob eine latente "Anlage" bestand und ob sich diese bereits in Symptomen manifestiert hat. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang ist in der Regel zu verneinen, wenn die psychische Reaktion in Zusammenhang mit persönlichen Lebenskonflikten steht oder wenn sie wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist (vgl. BSGE 18, 173, 176; 19, 275, 277/278).
Nach der Überzeugung des Senats liegen im strittigen Zeitraum ab 22.05.1999 Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.11.1997 vor, die eine MdE um 30 v.H. bedingen. Diese unfallbedingte MdE beruht fast ausschließlich auf einer Gesundheitsstörung, die dem psychiatrischen Fachgebiet zuzurechnen ist.
Auf organischem Gebiet hat der Unfall keine Folgen hinterlassen, die mit einer messbaren MdE bewertet werden könnten. Aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. H. vom 27.11.1998 und vor allem aufgrund des Gutachtens von Dr. D. vom 07.11.2000 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger bei seinem Unfall eine Prellung der Lendenwirbelsäule und eine vordere Beckenringfraktur erlitten hat. Letztere ist in achsengerechter Stellung knöchern fest verheilt. Soweit der DAB vom 22.11.1997 auch eine "Querfortsatzfraktur LWK X" (gemeint ist wohl der 5. Lendenwirbelkörper) und einen Verdacht auf "Iliosakralgelenkssprengung rechts" (gemeint war offensichtlich links) aufführt, sind diese Diagnosen inzwischen widerlegt. Sie finden sich zwar auch noch in den Behandlungsberichten der Klinik für Unfallchirurgie der Städtischen Kliniken E. vom 04.02. und 13.03.1998 sowie in den Berichten der BG-Klinik T. vom 21.04., 22.06., 09.07., 18. und 28.08. sowie vom 10.09.1998. Prof. Dr. H. und Dr. D. haben jedoch anhand von Computertomographien und Kernspintomographien der Lendenwirbelsäule und des Beckenrings den Nachweis geführt, dass der Kläger bei seinem Unfall weder eine Sprengung der linken Kreuz-Darmbeinfuge noch eine Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers erlitten hat. Dr. D. konnte ferner die von Dr. K. in dem Bericht vom 18.01.2000 sowie dem an Dr. C. gerichteten Arztbrief vom 14.07.1999 niedergelegte Annahme widerlegen, der Kläger habe bei dem Unfall eine schwere Hüftgelenksverletzung erlitten, die später zu einer posttraumatischen Arthrose geführt habe. Anhand der ihm vorliegenden Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen konnte Dr. D. nämlich nicht bestätigen, dass eine Beteiligung des Acetabulums (Hüftgelenkspfanne) vorgelegen hat oder dass es zu einer posttraumatischen Coxarthrose gekommen ist. Schließlich konnte Dr. D. aufgrund der Computertomographien des Beckenrings vom 22.05.1998 und vom 16.04.1999 nachweisen, dass bei dem Kläger entgegen der von Prof. Dr. S. im Gutachten vom 27.11.1998 geäußerten Vermutung auch keine ektoben Verknöcherungen oder Verkalkungen im Bereich der Glutealmuskulatur sowie im Verlauf des linksseitigen Nervus ischiadikus vorliegen.
Soweit Dr. D. bei der Funktionsprüfung des linken Hüftgelenks eine eingeschränkte Beweglichkeit und hinsichtlich der linken unteren Extremität eine - durch die im Seitenvergleich verminderte Muskelbemantelung objektivierte - Verminderung der Belastbarkeit der linken unteren Extremität erhoben hat, auf die schon Prof. Dr. W. im Zwischenbericht vom 21. 04. 1998 hingewiesen hatte, können diese regelwidrigen Befunde nicht auf organische Ursachen zurückgeführt werden. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Unfallverletzungen scheidet aus, weil von Seiten des chirurgischen Gebiets, wie dargelegt, jedenfalls seit 22.05.1999 als Unfallfolge nur noch die in achsengerechter Stellung knöchern fest durchbaute vordere Beckenringfraktur festzustellen ist. Wie Dr. D. auch insoweit überzeugend dargelegt hat, sprechen auch die übrigen differenzialdiagnostischen Überlegungen gegen eine organische Erklärung. Eine Lumboischialgie links (ausstrahlende Schmerzen von der Lendenwirbelsäule ins linke Bein) aufgrund von Kompressionen lumbaler (die Lendenwirbelsäule betreffender) Spinalnerven konnte nämlich bildtechnisch ausgeschlossen werden. Im Übrigen sprach auch der von Dr. D. erhobene klinische Untersuchungsbefund gegen eine Lumboischialgie. Die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk und die verminderte Belastbarkeit des linken Beins können deshalb nur durch die bei dem Kläger vorliegende Schmerzsymptomatik erklärt werden. Hiermit stimmt auch die Beurteilung von Prof. Dr. H. überein, der in seinem Gutachten von einem Schonhinken des linken Beins mit der Folge einer eingeschränkten Gangfunktion und einer verminderten Glutealmuskulatur links ausgegangen ist.
Wie Dr. D. im neurologischen Gutachten vom 16.02.2001 schlüssig dargelegt hat, ist es bei dem Unfall auch nicht zu objektivierbaren Schädigungen im Bereich der lumbosakralen Nervenwurzeln oder der peripheren Nerven im Bereich des Beckens und des linken Beines gekommen, welche die vom Kläger angegebenen Schmerzen im Bereich des linken Beckens und des linken Beins "auch nur im Ansatz" erklären könnten. Es finden sich allenfalls diskrete Hinweise auf eine beginnende diabetische Polyneuropathie mit geringer Abschwächung des Achillessehnenreflexes rechts, einer Abschwächung des Vibrationsempfindens am rechten Fuß, fehlender Auslösbarkeit des H-Reflexes und relativ verlangsamter sensibler Nervenleitgeschwindigkeit am Nervus suralis links. Aus neurologischer Sicht kann deshalb weder eine Unfallfolge am peripheren Nervensystem festgestellt noch eine ausreichende Erklärung für das Schmerzerleben des Klägers gegeben werden.
Mit Prof. Dr. B., Prof. Dr. E., Prof. Dr. R. und Prof. Dr. F. geht der Senat jedoch davon aus, dass bei dem Kläger ein chronifiziertes Schmerzsyndrom vorliegt, das im Unfallzusammenhang steht. Differenzialdiagnostisch ist es mit Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F. als anhaltende somatoforme Schmerzstörung einzuordnen. Nach Widder (Das neurologische Gutachten, 4. Aufl. 2000, S. 422 ff.) und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 297 sind zwei Kategorien der somatoformen Schmerzstörung zu unterscheiden. Entweder handelt es sich um körperlich teilweise begründbare Schmerzen, deren geklagtes Ausmaß jedoch deutlich über das zu erwartende "übliche" Maß hinausgeht oder es handelt sich um körperlich überhaupt nicht begründbare Schmerzen. Im letzteren Fall wird häufig zunächst eine körperliche Krankheit vermutet, die sich aber später als nicht vorhanden erweist. Hier kann es sich nur um die zweite Alternative handeln, da jedenfalls seit der knöchernen Konsolidierung der vorderen Beckenringfraktur links, wie sie schon von Prof. Dr. H. im Gutachten vom 27.11.1998 beschrieben worden ist, kein körperliches Beschwerdekorrelat mehr nachweisbar ist. In typischer Weise wurde auch im vorliegenden Fall zunächst eine körperliche Krankheit als Erklärung des Schmerzsyndroms vermutet (Iliosakralfugensprengung, Querfortsatzfraktur des 5. Lendenwirbelkörpers, Reizung des Nervus ischiadikus infolge ektoper Verkalkung, posttraumatische Hüftgelenksarthrose). Keiner dieser Erklärungsversuche hielt jedoch einer objektiven Überprüfung stand. Es liegt deshalb eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung im Sinne der Position F45.4 der ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) vor. Hierunter fällt ein mindestens sechs Monate kontinuierlicher, an den meisten Tagen anhaltender, schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses oder einer körperlichen Störung erklärt werden kann und der anhaltend der Hauptfokus für die Aufmerksamkeit des Patienten ist. Zu Unrecht hat die Beklagte unter Berufung auf die Stellungnahmen von Prof. Dr. S. geltend gemacht, bei einer chronischen somatoformen Schmerzstörung handle es sich gar nicht um eine Gesundheitsstörung im Sinne einer Krankheit, sondern nur um ein krankheitsähnliches Verhalten, das dem früheren Hysteriekonzept entspringe. Mit Prof. Dr. F. ist hierauf zu erwidern, dass die für eine Somatisierungsstörung typische Diskrepanz zwischen subjektivem Schmerzerleben und Schonhaltung einerseits und der fehlenden elektrophysiologisch und morphologisch nachweisbaren Substanzschädigung andererseits nicht bedeutet, dass die vom Probanden geschilderten Schmerzen nicht existieren würden. Dies hat im vorliegenden Fall auch keiner der Sachverständigen in Frage gestellt, die den Kläger untersucht haben. Soweit sich Prof. Dr. S. auf eine Konzensuskonferenz (Sharpe und Mayou 2004) und auf das Werk von Trimbel (2004) berufen hat, entspricht diese Auffassung jedenfalls nicht der heute vorherrschenden und in Klassifikationsmanualen wie der ICD 10 niedergelegten herrschenden wissenschaftlichen Auffassung. Wäre sie richtig, so müsste der gesamte Abschnitt F45 komplett aus der ICD 10 getilgt werden. Mit Prof. Dr. F. ist der Senat davon überzeugt, dass nach schweren Verletzungen Schmerzen auftreten können, die nicht objektiviert werden können. Im vorliegenden Fall spricht für die Stärke der Schmerzen deutlich die erhebliche Einnahme von morphinhaltigen Medikamenten. Vor allem aber spricht für das Bestehen eines ganz erheblichen chronischen Schmerzzustandes, der nach den obigen Ausführungen durch keine denkbare organische Ursache erklärt werden kann, dass der Kläger nicht nur in der Untersuchungssituation, sondern ständig eine Schonhaltung einnimmt und das linke Bein nur eingeschränkt einsetzt, sodass es schon seit April 1998 zu einer deutlichen Muskelminderung der linken unteren Extremität gekommen ist.
Die chronische somatoforme Schmerzstörung steht auch im Sinne der oben dargelegten Kausallehre der wesentlichen Bedingung in ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 22.11.1997. Wie bei anderen Reaktionen auf psychischem Gebiet ist auch hier die Bedeutung des Unfallereignisses einerseits und der psychischen Anlage andererseits gegeneinander abzuwägen und so zu ermitteln, ob das Unfallereignis für den eingetretenen Erfolg zumindest eine annähernd gleichwertige Mitursache war. Diese Frage bejaht der Senat. Bis zum Unfallereignis haben derartige Schmerzen nicht bestanden. Der Kläger ist vorher auch nie in psychiatrischer Hinsicht auffällig geworden mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Somatisierungsstörungen. Er war deshalb nie in psychiatrischer oder in psychotherapeutischer Behandlung. Mithin haben vor dem Unfall keine manifesten psychischen oder neurologischen Störungen bestanden. Offen bleiben kann, ob bei dem Kläger eine psychovegetative Labilität vorgelegen hat, wofür die im Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Baden-Württemberg dokumentierten vielfachen Erkrankungen an Gastritis, Enteritis und Duodenitis sprechen könnten. Diese - mögliche - psychovegetative Labilität und die von Prof. Dr. F. beschriebene sehr korrekte, fast zwanghaft zu nennende Persönlichkeit können zwar letztlich zu einer vermehrten Irritation durch die verschiedenen Einschätzungen der Behandler geführt haben, reichen jedoch nicht aus, um hierin die allein wesentliche Ursache für die Entwicklung der chronischen Schmerzstörung nach dem Unfall zu sehen. Von zumindest gleichwertiger Bedeutung waren, wie Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F. sachlich übereinstimmend dargelegt haben, die Umstände in der Unfallsituation sowie der Heilungsprozess, der anfänglich von keiner konsequenten Schmerztherapie begleitet war. Wie Prof. Dr. E. nachvollziehbar dargelegt hat, hat der Kläger nach seinem Sturz eine ausgeprägte Angst entwickelt, da er - zunächst allein - nicht in der Lage war, Hilfe zu organisieren. Die damit einhergehende Belastung bedingte ein Überdauern der ängstlichen Verfassung, sodass der Kläger auch noch in der ersten Zeit seiner stationären Behandlung davon ausging, er werde nie mehr laufen können. Begünstigt wurde diese negative Erwartung durch den nicht unerheblichen Fraktur- und Prellungsschmerz. Nachvollziehbar ist ebenfalls, dass die zum Teil divergierenden Diagnosen wie Querfortsatzfraktur, Iliosakralgelenkssprengung und Hüftgelenksarthrose zu einer Verunsicherung des Klägers geführt haben, die sich negativ auf die Entwicklung der somatoformen Schmerzstörung ausgewirkt hat. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob es durch den Unfall zu einer "Verselbstständigung" des Schmerzes infolge von Sensitivierungsvorgängen in zentralnervösen Strukturen gekommen ist, wie dies Prof. Dr. R. ausgehend von seinem schmerztherapeutischen Konzept bejaht hat. Unerheblich ist des Weiteren, dass die Voraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung wegen der fehlenden Intrusionen und Albträume nicht erfüllt sind.
Infolge der chronischen somatoformen Schmerzstörung ist der Kläger in seiner Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. gemindert. Der Senat folgt auch insoweit der übereinstimmenden Beurteilung von Prof. Dr. E. und Prof. Dr. F ... Auch Dr. R. ist von seinem schmerztherapeutischen Ausgangspunkt aus zu dieser MdE-Einschätzung gelangt. Sie überzeugt den Senat, weil die gesamten Lebensumstände des Klägers, wie sie sich bei seinen Explorationen durch die genannten Ärzte darstellten, sorgfältig berücksichtigt worden sind. Dagegen vermochte der Senat der Beurteilung Prof. Dr. B. nicht zu folgen, die unfallbedingte MdE betrage 50 v.H., weil dieser Sachverständige zu Unrecht davon ausgegangen ist, bei dem Kläger liege auch eine posttraumatischen Belastungsstörung vor.
Den Einwendungen von Prof. Dr. S. zur Höhe der unfallbedingten MdE in der letzten Stellungnahme vom 31.10.2005 vermochte der Senat nicht zu folgen. Soweit dieser darin von einem "übertriebenen Beschwerdevortrag" des Klägers ausgeht, widersprechen dem die Schilderungen der Untersuchungssituation durch sämtliche Ärzte, die den Kläger begutachtet haben. Auch verkennt er, dass die bei dem Kläger vorliegende Umfangsminderung der Muskulatur des linken Gesäßes und des linken Oberschenkels sowie eine verminderte Beschwielung nicht auf organische Befunde zurückgeführt werden können, sondern einzig und allein auf die durch die somatoforme Schmerzstörung bedingte Schonhaltung und den Mindergebrauch der linken unteren Extremität. Es ist auch nicht richtig, dass von chirurgischer Seite eine MdE von 10 v.H. vorgeschlagen worden sei. Mit weniger als 10 v.H. liegt diese vielmehr im nicht messbaren Bereich. Zu Unrecht geht Prof. Dr. S. deshalb davon aus, die bei dem Kläger vorliegende Funktionsminderung und die entsprechenden subjektiven Beschwerden seien bereits im unfallchirurgischen Gutachten erfasst und bewertet worden, sodass für eine doppelte Bewertung von seiten des psychiatrischen Fachgebiets kein Anlass bestehe. Soweit Prof. Dr. S. argumentiert, dem Kläger verschlössen sich durch die somatoforme Störung keine weiteren Anteile des Arbeitsmarktes, ist ihm einzuräumen, dass die prozentuale Einschätzung der MdE durch Schmerzzustände aller Art naturgemäß außerordentlich schwierig ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in den Richtwerten die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit eingeschlossen sind. Handelt es sich bei einem chronischen Schmerzsyndrom wie hier um ein selbstständig zu beurteilendes Krankheitsbild, so stellt die Rechtsprechung bei der MdE-Bewertung die subjektive Seite in den Vordergrund und berücksichtigt insbesondere die Persönlichkeit, d.h. es muss erwogen werden, welche Auswirkungen das Unfallereignis gerade bei dem Versicherten infolge der Eigenart seiner Persönlichkeit hat. Die erhöhte Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liegt vor, wenn der Betroffene nur unter besonderem Energieaufwand und unter Hinnahme außergewöhnlicher Schmerzen arbeiten kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 314 m.N.).
Der Rentenbeginn folgt aus § 72 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 46 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII, da der Kläger bis 21. 05. 1999 Anspruch auf Verletztengeld hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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