L 11 R 5516/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 3320/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5516/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.1999 bis 31.10.2001.

Der 1942 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, hat keinen Beruf erlernt und war in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Bauhelfer, im Anschluss daran als Hilfsarbeiter in der Küche und zuletzt im Bettenlager einer Reha-Klinik versicherungspflichtig beschäftigt. Ab Mai 1998 war er arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos.

Den vom Kläger im Mai 1999 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte gestützt auf den Entlassungsbericht über die vom Kläger im Dezember 1998 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme (Chefarzt Dr. M.-W.; Leistungsbild: mittelschwere Tätigkeiten mit Funktionseinschränkungen vollschichtig), ein Gutachten des Orthopäden Dr. R. (Leistungsvermögen: mittelschwere Arbeiten mit Funktionseinschränkungen vollschichtig) und ein Gutachten der Medizinaloberrätin Dr. P.-B. (Leistungsbild: leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig) mit Bescheid vom 26.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.11.1999 ab. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Das SG hörte zunächst den Orthopäden Dr. S. und den praktischen Arzt Dr. H. als sachverständige Zeugen. Beide Ärzte vertraten die Auffassung, der Kläger könne seit Mai 1999 auch leichte Tätigkeiten nur noch weniger als zwei Stunden täglich verrichten. Im Anschluss daran holte das SG ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden Prof. Dr. H., der zu dem Ergebnis kam, der Kläger könne leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten, ein. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete sodann der Arzt für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin Dr. F., Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik in F., ein psychosomatisches Gutachten. Dr. F. hielt den Schweregrad der psychosomatischen Störungen für so gravierend, dass der Kläger außerstande sei, auf absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Er führte aus, dass die festgestellte Leistungseinschränkung, soweit es aus den Aktenunterlagen hervorgehe, mindestens seit 28.01.1999 (Entlassungsbericht Dr. M.-W.) bestehen dürfte. Aus prüfärztlicher Sicht wurde hierauf ein Leistungsfall 02.10.2001 empfohlen. Ein entsprechendes Vergleichsangebot der Beklagten nahm der Kläger nicht an. Mit Urteil vom 21.02.2002 verurteilte das SG die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.11.2001 an zu gewähren. Der Ausführungsbescheid datiert vom 21.06.2002.

Am 22.04.2003 beantragte der Kläger gestützt auf eine ärztliche Bescheinigung des Dr. H., der bestätigte, dass die somatoforme Schmerzstörung und die Neurasthenie nicht erst seit Januar 1999, sondern schon mindestens seit April 1991 bestehen würde, und unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. F., wonach die Leistungsfähigkeit bereits seit dem 28.01.1999 eingeschränkt sei, die Gewährung von Rente ab Januar 1999.

Mit Bescheid vom 13.05.2003 lehnte die Beklagte nach Anhörung von Dr. P. und Dr. L. die Rücknahme des Bescheids vom 21.06.2001 (richtig: 21.06.2002) ab.

Den dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger im wesentlichen mit seinem bisherigen Vorbringen. Die Beklagte hörte hierauf noch einmal den Beratungsarzt Dr. L. und wies anschließend mit Widerspruchsbescheid vom 17.09.2003 den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG. Zur Begründung stützte er sich erneut auf das Gutachten von Dr. F. und die Stellungnahme von Dr. H ... Gutachten und Stellungnahme würden bestätigen, dass von einem Rentenbeginn mindestens ab Januar 1999 auszugehen sei.

Das SG hörte zunächst den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D., Dr. S. und Dr. H. als sachverständige Zeugen. Dr. D. vertrat die Auffassung, dass in den letzten Jahren die Schmerzsymptomatik des Klägers zwar zugenommen habe, eine leichte körperliche Tätigkeit ohne besondere Anforderungen sei nach der psychischen Symptomatik jedoch noch vollschichtig möglich. In der Folge korrigierte Dr. D. seine Einschätzung dahingehend, dass eine vollschichtige Tätigkeit nicht mehr möglich sei. Den Beginn der Erwerbsunfähigkeit vermochte er nicht sicher anzugeben. Dr. S., der den Kläger seit 12.05.1999 behandelt, meinte, der von ihm geschilderte Zustand, der seines Erachtens zu einer anhaltenden Arbeitsunfähigkeit geführt habe, bestehe nach Aktenlage seit ca. Mai 1998. Dr. H. führte aus, der Kläger habe Berufstätigkeiten unter zwei Stunden seit Dezember 1999 nicht mehr ausführen können.

Für die Beklagte äußerte sich hierzu Medizinaldirektor H. vom Ärztlichen Dienst dahingehend, dass die Tatsache der Behandlungsbedürftigkeit kein Beleg dafür sei, dass das anerkannte geminderte Leistungsvermögen bereits vor dem Jahr 2001 bestanden habe. Die vorgelegten Berichte der behandelnden Ärzte würden auch keine Befunde, die einen Leistungsfall vor dem Jahr 2001 nachvollziehbar begründen oder belegen würden, enthalten.

Im Anschluss daran beauftragte das SG den Orthopäden Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens. Dr. S. diagnostizierte deutliche degenerative Bandscheibenveränderungen L4/L5, mittelgradige, im Prinzip noch altersentsprechende degenerative Bandscheibenveränderungen C5/C6 und C6/C7, allenfalls initiale degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke und ein seit der Jugend bestehendes Streckdefizit des rechten Ellenbogengelenks von 20 Grad. Er meinte, der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit Funktionseinschränkungen vollschichtig verrichten.

Sodann erstattete der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. ein neuropsychiatrisches Gutachten von Amts wegen. Dr. G. fand durch die neurologische Untersuchung einschließlich neurophysiologischer Parameter keine gravierenden pathologischen Befunde. Psychopathologisch bestünden glaubhaft anhaltende Ein- und Durchschlafstörungen, lumbale Schmerzen und eine dadurch bedingte durchgehende anhaltende Belastungseinschränkung. Eine hintergründige krankheitswertige Depression oder eine gravierende Angststörung sei nicht feststellbar, habe aber nicht sicher ausgeschlossen werden können. Aus der Sicht der psychosomatischen Relevanz der Beschwerden vor dem Hintergrund, dass der Kläger seit 1998 keinen Kontakt mehr zum Arbeitsleben habe und bereits berentet worden sei, sehe er aufgrund des psychischen Befindens des Klägers keine reelle Chance, ihn vollschichtig in das Arbeitsleben zurückzuführen. Eine halbtägige Arbeitsleistung sei aber noch zumutbar. Eine retrograde Einschätzung der Leistungsfähigkeit für den Zeitraum 1999 bis 2000 sei ihm nicht möglich.

Mit Urteil vom 27.10.2005, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers per Empfangsbekenntnis zugestellt am 12.12.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 21.06.2002 stehe nicht fest, weshalb die Beklagte nicht zur Rücknahme dieses Bescheides verpflichtet sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe weder ein früherer Beginn des Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch das Bestehen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit fest. Der Einschätzung von Dr. S., wonach beim Kläger seit Mai 1998 eine andauernde Arbeitsunfähigkeit bestehe, stehe die Einschätzung der Sachverständigen Dr. S. und Prof. Dr. H. entgegen. Auch wegen der auf nervenärztlichem Gebiet festgestellten Erkrankungen stehe ein Anspruch auf einen früheren Beginn der Rente nicht fest. Dr. F. verweise auf den Entlassungsbericht der Reha-Klinik H ... Dieser Verweis sei zur Begründung eines angenommenen Zeitpunktes nicht überzeugend. Im Entlassungsbericht werde nur die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als nicht mehr zumutbar beschrieben. Nach dem Bericht werde der Kläger jedoch noch für fähig gehalten, vollschichtig mittelschwere Arbeiten bei Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen zu verrichten. Dr. D. habe zunächst die Auffassung vertreten, der Kläger könne auch heute noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. In der "korrigierten Fassung" seiner sachverständigen Zeugenauskunft habe er sich auf den Zeitpunkt des Beginns der Erwerbsunfähigkeit dann nicht festlegen wollen. Auch Dr. G. habe keine Feststellungen treffen können, die einen früheren Zeitpunkt des Rentenbeginns begründen könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 27.12.2005 Berufung eingelegt. Er vertritt weiter die Auffassung, dass bei ihm bereits seit dem 01.01.1999 ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bestehe. Dies werde durch die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. H. und Dr. S. bestätigt. Auch Dr. D. habe angegeben, dass die vorhandene Schmerzsymptomatik zugenommen habe und demzufolge auch bereits frühzeitig eine Reduzierung des Leistungsvermögens eingetreten sei. Wesentlich sei jedoch das Gutachten von Dr. F ... Er habe eindeutig und nicht interpretierbar festgestellt, dass er ab dem 28.01.1999 nicht mehr in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben.

Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 21. Juni 2002 zurückzunehmen und ihm ab dem 01. Januar 1999 Rente wegen Erwerbunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, neue Anhaltspunkte, insbesondere medizinische Befunderhebungen, die zu einer Änderung der bisherigen Beurteilungen führen könnten, seien nicht ersichtlich.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG in Betracht komme. Die Beteiligten haben gegen die beabsichtigte Verfahrensweise keine Einwände erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Vorprozessakten des SG S 6 RJ 3688/99 Bezug genommen.

II.

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 153 Abs. 4 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheidet, da er sie einstimmt für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, ist zulässig, aber unbegründet.

Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch der Senat ist gestützt auf die von Dr. S., Prof. Dr. H. und Dr. G., aber auch von Dr. R. und Dr. P.-B. erstatteten Gutachten, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, der Auffassung, dass dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung erst seit 01.11.2001 zu gewähren ist, so dass der Bescheid vom 21.06.2002 sich nicht als unrichtig erweist und nicht zurückzunehmen ist.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er sich der Auffassung von Dr. S. auch deshalb nicht anzuschließen vermag, weil Dr. S. den Kläger erst seit Mai 1999 behandelt und er keine Befunde und Funktionseinschränkungen mitgeteilt hat, die einer leichten Tätigkeit bis 31.10.2001 entgegenstehen würden. Desweiteren ist die von Dr. S. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht mit Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen. Dr. H. hat seine Auffassung, wonach der Kläger seit Dezember 1999 Berufstätigkeiten nicht mehr ausführen konnte, nicht begründet. Sie ist deshalb für den Senat nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon würde die Auskunft von Dr. H., die auch durch die Leistungsbeurteilungen der den Kläger begutachtenden Fachärzte widerlegt ist, einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst seit Dezember 1999 und nicht bereits seit Januar 1999 begründen. Auch auf das Gutachten von Dr. F. lässt sich der Anspruch des Klägers nicht stützen. Dr. F. beruft sich hinsichtlich des Eintritts des Leistungsfalles auf den Rehabilitationsentlassungsbericht über die vom Kläger im Dezember 1998 durchgeführte Heilbehandlung. Nach dem Entlassungsbericht war der Kläger jedoch - worauf auch das SG hingewiesen hat - nur für die bisherige Tätigkeit in der Bettenreinigung arbeitsunfähig. Ansonsten gingen die Ärzte der Rehabilitationsklinik in B.-B. davon aus, dass der Kläger leichte und auch mittelschwere Tätigkeiten mit Funktionseinschränkungen noch vollschichtig verrichten kann. Im übrigen war die Rehabilitationsmaßnahme bereits am 24.12.1998 beendet, am 28.01.1999 wurde nur der Entlassungsbericht verfasst. Darüber hinaus handelt es sich bei den Ärzten der Rehabilitationsklinik um Orthopäden und Internisten, so dass eine Erwerbsunfähigkeit aus psychiatrischen und psychosomatischen Gründen, von der Dr. F. ausgeht, nicht auf deren Einschätzung, die insoweit fachfremd wäre, gestützt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass sich der Kläger zwischen Mai 1995 und Februar 2001 nicht in nervenärztlicher Behandlung befand und Dr. D. zunächst von Erwerbsfähigkeit ausging. In seiner korrigierten Auskunft hat er mitgeteilt, dass er den Beginn der Erwerbsunfähigkeit nicht sicher angeben könne.

Mit den Prüfärzten der Beklagten H., Dr. E., Dr. P.-B. und Dr. L. sowie Dr. S. ist unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen zusammenfassend damit von einem Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von acht bzw. sechs Stunden bis Oktober 2001 auszugehen, so dass der Bescheid der Beklagten vom 21.06.2002, wonach dem Kläger ab 01.11.2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren ist, nicht rechtswidrig ist. Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides besteht deshalb nicht.

Aus den genannten Gründen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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