L 19 B 142/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 92 AS 11438/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 142/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 1965 geborene Klägerin bezog zuletzt vom 15. April 2004 bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe. Am 3. Januar 2005 schloss sie einen Mietvertrag mit einem vorgesehenen Beginn am 1. Februar 2005 ab. Nach ihren Angaben war die Antragstellerin zu dieser Zeit allein stehend. Die Wohnung umfasste 111,95 m². Die Mietkosten betrugen 947,- Euro, wovon rund 667,- Euro auf die Nettokaltmiete, rund 100,- Euro auf Heizung und Warmwasser und rund 178,- Euro auf die übrigen Nebenkosten entfielen.

Am 7. Februar 2005 beantragte sie Leistungen der Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige und machte die genannten Mietkosten geltend.

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung, berücksichtigte dabei aber jeweils nur 413,96 Euro (bzw. 303,58 Euro für Februar 2005) als Kosten der Unterkunft (Bescheid vom 22. Februar 2005 für die Zeit vom 7. Februar bis 31. August 2005, Bescheid vom 13. September 2005 für die Zeit vom 1. September 2005 bis 28. Februar 2006).

Am 2005 gebar die Antragstellerin ihre Tochter Natalie. Unter dem 6. Oktober 2005 kündigte ihr Vermieter das Mietverhältnis außerordentlich und erlegte ihr auf, die Wohnung bis zum 9. Oktober 2005 zu räumen. Es seien für August, September und Oktober 2005 keine Mieten mehr gezahlt worden. Am 6. Dezember 2005 hat die Antragstellerin, weiterhin unter der Adresse D Straße , B, beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, für die Bezugszeiträume 7. Februar bis 31. August 2005 sowie 1. September 2005 bis 28. Februar 2006 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen in Höhe von monatlich 947,- Euro abzüglich der bereits gewährten Leistungen zu erbringen.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2006 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt, soweit die Antragstellerin rückwirkende Leistungen für den Zeitraum seit Februar 2005 bis zum Antrag im Dezember 2005 begehre, sei bereits kein Anordnungsgrund ersichtlich. Denn für eine vorläufige Zahlung von Leistungen für die Vergangenheit bestehe grundsätzlich kein Eilbedürfnis. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – SGB II – würden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen seien. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Kosten in Höhe von monatlich 947,- Euro seien nicht angemessen. Nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) wäre vielmehr für die allein stehende Antragstellerin eine Bruttowarmmiete in Höhe von 360,- Euro als angemessen anzusehen. Dieser Richtwert könne auch nach § 4 Abs. 5 der Ausführungsvorschrift zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II – AV-Wohnen – vom 7. Juni 2005 nicht überschritten werden, weil sich die Antragstellerin nicht auf eine längere Wohndauer berufen könne. Es führe auch nicht zu einer anderen Beurteilung, dass die Antragstellerin die weit überteuerte Wohnung aufgrund der Staffelmietvereinbarung erstmalig zum 31. Januar 2007 kündigen könne. Die Antragstellerin sei das Mietverhältnis zu diesen Bedingungen eingegangen, obwohl sie unmittelbar zuvor noch als Hilfebedürftige Arbeitslosenhilfe erhalten und unmittelbar danach Arbeitslosengeld II beantragt habe. Würde es den Leistungsempfängern zugestanden, in einer solchen Situation Verträge zu schließen, die weit über ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus gingen, so würden die Regelungen des SGB II zu angemessenen Leistungssätzen ins Leere laufen. Es stehe den Leistungsempfängern nicht zu, durch den Abschluss derartiger Verträge einen entsprechenden Leistungsanspruch herbeizuführen. Im Übrigen sei die Wohnung vom Vermieter bereits mit Schreiben vom 6. Oktober 2005, gut zwei Monate vor Antragseingang, fristlos gekündigt worden. Es ergebe sich auch kein Leistungsanspruch aus § 4 Abs. 3 AV-Wohnen. Denn nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen sollten lediglich Mietverträge geschützt werden, die bereits bestünden, ohne das die Leistungsberechtigten bei ihrem Abschluss auf die Regelsätze des SGB II hätten Rücksicht nehmen können. Die Antragstellerin habe jedoch bis drei Tage vor dem Vertragsabschluss Arbeitslosenhilfe bezogen und ab dem Folgemonat Arbeitslosengeld II. Sie habe sich daher bei Vertragsabschluss auf die Leistungssätze einstellen können und müssen. Schutzwürdige Interessen für eine Übergangszeit, wie sie mit § 4 Abs. 3 AV-Wohnen normiert worden seien, hätten bei der Antragstellerin nicht vorgelegen. Auch ein Anspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei nicht gegeben. Denn aufgrund der fristlosen Kündigung seitens des Vermieters sei der Antragstellerin ein Wohnungswechsel sowohl möglich als auch zumutbar.

Gegen den der Antragstellerin am 19. Januar 2006 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 17. Februar 2006 eingegangene Beschwerde. Die Antragstellerin trägt vor, sie habe bei Abschluss des Mietvertrages auf die Regelsätze des SGB II keine Rücksicht nehmen müssen, denn sie habe zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages nicht im Leistungsbezug gestanden. Die Tatsache, dass sie vorher im Leistungsbezug gestanden habe, könne nicht dazu führen, dass sie sich für einen nicht definierten Zeitraum immer auf die Regelsätze einstellen müsse. Vielmehr habe sie nach Ende des Leistungsbezuges hoffen und darauf vertrauen dürfen, auch in Zukunft keine Leistungen mehr in Anspruch nehmen zu müssen. Dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt habe, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, für die Bezugszeiträume vom 7. Februar bis 31. August 2005 sowie 1. September 2005 bis 28. Februar 2006 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen in Höhe von monatlich 947,- Euro, abzüglich gewährter 303,58 Euro für Februar 2005 und abzüglich gewährter 413,96 Euro ab März 2005, zu erbringen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 596/05 –).

Nach diesen Grundsätzen ist hier eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Es fehlt schon an der erforderlichen Eilbedürftigkeit. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass für Zeiten vor der Antragstellung nur ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung zu erlassen ist. Es ist nicht Sinn einer einstweiligen Anordnung, Leistungen vorläufig für einen zurückliegenden Zeitraum anzuordnen. Auch darüber hinaus besteht kein Anordnungsgrund. Der Antragstellerin stehen offensichtlich Mittel zur Verfügung, die Kosten der Unterkunft zu bestreiten. Sie wohnt nach wie vor mit ihrer Tochter in der überteuerten Wohnung, obwohl sie durch die fristlose Kündigung des Vermieters die Aussicht hatte, diese Wohnung verlassen zu können. Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in dem anlässlich der inzwischen geschiedenen Ehe geschlossenen Ehevertrag vom 24. Juni 1996 eine Reihe von Vermögensgegenständen aufgeführt sind, über deren Verbleib die Antragstellerin die Angaben verweigerte. Unter anderem werden dort Lebensversicherungen, Fondsanteile und ein Sparvertrag aufgeführt. Die Antragstellerin legt ferner ihre Unterhaltsansprüche sowie die ihres Kindes nicht dar. Sie hat offensichtlich von Februar 2005 bis heute die erhebliche Differenz zwischen den von der Antragsgegnerin erstatteten Kosten der angemessenen Unterkunft und der von ihr und ihrer Tochter bewohnten Wohnung aufgebracht. Es liegt nahe, dass sie dafür ihr Vermögen verwendet oder dass der Vater des im April 2005 geborenen Kindes sie unterstützt. Es ist insbesondere auffallend, dass die Antragstellerin trotz der vom Vermieter im Oktober 2005 ausgesprochenen Kündigung noch in der Mietwohnung wohnt. Die Antragstellerin legt nicht dar, wie sie dies bewirkt hat.

Aber auch ein Anordnungsanspruch ist im vorliegenden Fall bei summarischer Prüfung nicht gegeben. Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Kosten der von der Antragstellerin bewohnten Wohnung sind eindeutig unangemessen. Allerdings sind nach Satz 2 dieser Vorschrift Aufwendungen für die Unterkunft ausnahmsweise auch über den angemessenen Umfang hinaus zu erstatten, wenn es dem allein stehenden Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.

Es kann hier dahinstehen, ob die Antragsgegnerin nach dieser Vorschrift die Kosten für die Unterkunft noch für sechs Monate hätte erbringen müssen oder ob dieser Vertrauensschutztatbestand nach den Umständen des Einzelfalles im vorliegenden Fall ohnehin nicht eingreift. Die Antragstellerin ist bei Erlass des ersten Bewilligungsbescheides darauf hingewiesen worden, dass ihre Wohnung unangemessen ist und sie ist ferner auf die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung hingewiesen worden. Sie hat aber keinerlei Bemühungen gezeigt, die Wohnung zu wechseln, unterzuvermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken.

Die Antragstellerin konnte sich auch zur Zeit der Antragstellung nicht mehr darauf berufen, dass sie den Staffelmietvertrag erstmals ordentlich zum Februar 2007 hätte kündigen können. Denn sie hätte sich spätestens bei der außerordentlichen Kündigung des Vermieters vom Oktober 2005 aus dem Mietvertrag lösen können.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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