L 5 KR 231/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KR 58/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 231/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.07.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Kostenübernahme für eine Kryokonservierung.

Bei dem 1989 geborenen Kläger wurde im Sommer 2004 ein Osteosarkom (bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels an der unteren Extremität) diagnostiziert. Auf die Information über den möglichen Verlust der Zeugungsfähigkeit durch die anstehende Chemotherapie wurde am 19.08.2004 eine Sperma-Kryokonservierung durchgeführt. Prof.Dr.S. von der Universitätsklinik E. stellte hierfür einen Rechnungsbetrag von 225,77 EUR in Rechnung. Die Firma C. stellte wegen Kryolagerung für ein Jahr und dem Transport vom Arzt zur Cryobank am 06.09.2004 einen Betrag von 293,00 EUR in Rechnung.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme vom 09.09.2004 mit Bescheid vom 09.09.2004 unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ab.

Auf den Widerspruch vom 04.10.2004 und die Vorlage der Arztrechnung vom 24.09.2004 teilte die Beklagte dem Kläger am 19.10.2004 mit, auch auf die im ursächlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Kryokonservierung/Einlagerung stehenden ärztlichen Begleitleistungen bestehe kein Anspruch. Im Widerspruchsbescheid vom 09.02.2005 führte die Beklagte aus, die Kryokonservierung stelle keine Krankenbehandlung dar und auch keine Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft.

Dagegen hat der Kläger am 08.03.2005 Klage erhoben und vorgetragen, die Behandlung einer Tumorerkrankung eines Jugendlichen erfordere auch eine psychologische Betreuung. Entsprechend dem dringenden Rat der behandelnden Ärzte sei die Kryokonservierung zur Prävention psychischer Einschränkungen zumindest für den Zeitraum bis zur Feststellung der Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit notwendig. So verhindere die Einlagerung der Samenzellen eine Verschlimmerung der psychischen Beeinträchtigung. Die Rechtsprechung zum Verweis auf die Mittel der Psychiatrie und Psychotherapie sei nicht einleuchtend, wenn sehenden Auges psychische Störungen hervorgerufen würden. Die Kryokonservierung stelle eine Krankenbehandlung dar, hilfsweise ein Heilmittel.

Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.07.2005 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Kryokonservierung sei nicht unaufschiebbar gewesen, da zwischen der endgültigen Diagnostik und der Kryokonservierung mindestens ein paar Tage gelegen hätten. Eine Kausalität zwischen Ablehnung der Leistungsübernahme von Seiten der Kasse und der Selbstbeschaffung sei daher nicht gegeben. Im Übrigen fehle es für die begehrte Leistung an einer Anspruchsgrundlage. Das Einfrieren von Sperma stelle keine Krankenbehandlung eines Karzinoms, einer psychischen Störung oder der Zeugungsunfähigkeit dar. Es hat hierzu auf das Urteil des LSG Niedersachen vom 27.04.1989, L 4 KR 118/88, das Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.06.1990, 3 RK 19/89, und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17.03.2003, S 5 KR 3292/02, sowie auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 09.10.2001, B 1 KR 33/00 R, verwiesen. Ebenso wenig bilde § 27a SGB V eine Anspruchsgrundlage für den Kläger. Vorbereitungsmaßnahmen zur künstlichen Befruchtung seien auch nach den "Richtlinien zur künstlichen Befruchtung" ausgeschlossen. Schließlich habe das Bundessozialgericht entschieden, dass Kryokonservierung auch nicht als Hilfs- oder Heilmittel bezeichnet werden könne (Urteil vom 26.06.1990, 3 RK 19/89).

Gegen diesen am 13.07.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Klägerbevollmächtigte am 10.08.2005 Berufung eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, die Möglichkeit zur Fortpflanzung stelle ein elementares Grund- und Menschenrecht dar. Bei dem Kläger handele es sich um ein Kind, das im Rahmen der Prävention weitergehende Leistungsansprüche als ein Erwachsener habe. Entsprechend der vorgelegten Stellungnahme der Bayerischen Krebsgesellschaft vom 06.09.2005 sei die Kryokonservierung unter psychologischen Gesichtspunkten von besonderer Bedeutung. Es gebe durchaus Fälle, wo Ansprüche bei psychischen Störungen auch auf Leistungen außerhalb der Psychiatrie und Psychotherapie von der Rechtsprechung bejaht wurden. Hier handele es sich um eine Begleitmaßnahme, die dringend notwendig und auch geeignet sei, die bereits bestehende Tumorerkrankung, die nur unter einer psychisch stabilen Persönlichkeit heilbar sei, vor Verschlimmerung zu bewahren. Insoweit werde Herr Prof.Dr.B. , Chefarzt der Abteilung Onkologie der Uniklinik E. , als Sachverständiger benannt. Wenn das Gesetz die Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit gemäß § 27 SGB V gewähre, müsse auch der Erhalt Bestandteil des Leistungskatalogs sein. Andernfalls sei eine Regelungslücke vorhanden. § 27a SGB V umfasse auch die Kryokonservierung, § 26 SGB IX sei übersehen worden und eine rechtzeitige Antragstellung sei angesichts der Notlage, die durch die Diagnose der schweren Erkrankung entstanden sei, unterblieben. Die jährlichen Kosten für die Lagerung der Samenzellen beliefen sich inklusive der ambulanten Untersuchung des Klägers zur Feststellung der Zeugungsfähigkeit auf ca. 500,00 EUR. Gemäß § 109 SGG benenne er Dr.M ...

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.07.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.09.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bislang entstandenen Kosten in Höhe von 768,77 EUR und die zukünftigen Kosten für die Kryokonservierung und Einlagerung zu übernehmen bzw. zu erstatten, hilfsweise, von Amts wegen Prof.Dr.B. als sachverständigen Zeugen und gemäß § 109 SGG Dr.M. (B.) als Gutachter zu hören (Schriftsätze vom 05.05./09.05.2006).

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 08.07.2005 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Bayreuth sowie der Beru- fungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.07.2005 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 09.09.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2005. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der bereits entstandenen Kosten für die Kryokonservierung und Einlagerung in Höhe von 768,77 EUR sowie die Kostenübernahme für die Zukunft.

Es kann dahinstehen, ob der Anspruch gemäß § 13 Abs.3 SGB V bereits an der rechtzeitigen Antragstellung scheitert.

Überzeugend und unter Hinweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hat das Sozialgericht auch die Gründe dafür dargelegt, weshalb die selbstbeschaffte Leistung von vornherein nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung obliegt. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 SGG abgesehen.

Zwar gehören zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war (§ 27 Abs.1 Satz 4 SGB V). Die Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V umfasst aber nicht alle denkbaren Behandlungsmaßnahmen, die auf ein Behandlungsziel gerichtet sind. Vielmehr sieht das Sozialgesetzbuch V nur solche Maßnahmen als Krankenbehandlung an, die in § 27 SGB V genannt werden. Die von Prof.Dr.S. durchgeführte Maßnahme der Sperma-Kryokonservierung kann nicht als ärztliche Behandlung im Sinne des § 27 Abs.1 Ziffer 1 SGB V beurteilt werden, weil sie nur als eine unselbständige Vorbereitungsmaßnahme zu der eigentlich wesentlichen Lagerung anzusehen ist (BSG, Urteil vom 26. Juni 1990, 3 RK 19/89). Auch die vom Klägerbevollmächtigten angekündigten weiteren medizinischen Untersuchungen des Klägers mit Spermiogramm ähnlich der Anfangsuntersuchung dienen lediglich der Abklärung, ob die weitere Einlagerung notwendig ist. Die Lagerung des Spermas selbst ist von vornherein nicht im Leistungskatalog des § 27 Abs.1 SGB V enthalten.

Es ist nachvollziehbar, dass die Einschränkung der Fertilität bzw. die damit verbundene Ungewissheit, ob diese jemals wieder voll erreicht wird, neben zahlreichen anderen Nebenwirkungen einer Tumortherapie eine gravierende Belastung darstellt. Der Kryokonservierung von Samenzellen kann daher unter psychologischen Gesichtspunkten eine ganz besondere Bedeutung zukommen, wie dies die Bayerische Krebsgesellschaft e.V. postuliert. Den Krankheitsbegriff mit der Folge eines Behandlungsanspruchs erfüllt jedoch nur ein hinreichend konkreter Krankheitsverdacht in der Person des Versicherten. Zum Zeitpunkt der Spermaentnahme bzw. Konservierung im August 2004 waren keinerlei konkrete Anhaltspunkte in der Person des Klägers vorhanden, die auf eine psychische Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit deuteten. Insbesondere verbietet sich ein Vergleich mit dem Zustand bei Transsexualität, der im Einzelfall erst dann eine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts darstellt, wenn psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht nicht zu lindern oder zu beseitigen vermögen (BSG, Beschluss vom 20. Juni 2005, B 1 KR 28/04 B). Erst bei schwerem Leidensdruck ist die Kasse zu Leistungen verpflichtet (BSG, Urteil vom 10. Februar 1993, 1 RK 14/92). Ein derartiger Leidensdruck infolge der möglichen Fertilitätsstörung ist bei einem 15-jährigen Kind nicht zu erwarten und vorliegend auch nicht behauptet. Nicht ausreichend ist, dass ein derartiger Leidensdruck in der Zukunft entstehen kann. Leistungen zur Verhütung von Krankheiten sind im 3. und 4. Abschnitt des SGB V besonders geregelt. § 23 SGB V nennt aber wiederum nur medizinische Vorsorgeleistungen in Form ärztlicher Behandlung, für Kinder sind gemäß § 26 SGB V lediglich Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen und als nichtärztliche Leistungen kommen speziell für Kinder sozialpädiatrische Leistungen in Betracht (§ 43a SGB V). Letztere dienen lediglich der Diagnostik, die vorliegend nicht im Streit steht. Der Gesetzgeber hat also auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen und der Prävention in diesem Alter Rücksicht genommen und im einzelnen Ansprüche normiert. Die Kryokonservierung zählt hierzu nicht. Dass die Behandlung pädriatischer Erkrankungen nach besonderen Grundsätzen zu erfolgen hat, insbesondere die Anwendung von Arzneimitteln nicht denselben Genehmigungsvorbehalten unterliegt wie die Behandlung Erwachsener, hat das BSG in jüngster Zeit wiederholt betont (BSG, Urteil vom 19.10.2004 in NZS 2005, S.589 ff, 595 m.w.N.). Dies gilt allerdings nur im Fall ernster, lebensbedrohender Krankheiten bzw. schwerer und chronischer Leiden. Die Gefährdung der Zeugungsfähigkeit ist damit nicht vergleichbar.

Das Bundessozialgericht hat bereits zum Recht der Reichsversicherungsordnung entschieden, dass das Einfrieren und Lagern männlichen Samens auf unbestimmte Zeit keine Leistung der Krankenversicherung ist (BSG, SozR 3-2200 § 182 Nr.3; ebenso für die Kryokonservierung und Lagerung vorsorglich gewonnener Eizellen für die Wiederholung eines Versuchs der Befruchtung, BSG, SozR 3-2500 § 27a Nr.1). Diese Rechtsprechung ist nicht überholt. Im Gegensatz zu dem bis 31.12.1988 geltenden Recht (§ 182 Abs.1 Nr.1 RVO: "insbesondere") enthält § 27 Abs.1 Satz 2 bis 4 SGB V eine abschließende Aufzählung aller Leistungen der Krankenbehandlung (Regierungsentwurf GRG S.170, Begründung zu § 27; ebenso BSGE 81, 245; BSG SozR 3-2500 § 38 Nr.4 S.27). Dies ist angesichts der begrenzten Mittel der Solidargemeinschaft sowie des rasch fortschreitenden technischen Fortschritts nur begreiflich. Dass dies auch mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist von Seiten des Bundesverfassungsgerichts bereits bestätigt worden (BVerfG, SozR 2200 § 179 Nr.6). Neue Leistungen können grundsätzlich nur durch eine Gesetzesänderung eingeführt werden. Eine Leistungsausdehnung wäre nur ausnahmsweise zur Ausfüllung von Gesetzeslücken zulässig (BSGE 53, 273). Der Gesetzgeber hat aber im Zusammenhang mit der Neufassung des § 27a SGB V deutlich gemacht, dass er Kryokonservierung nicht als Leistung der künstlichen Befruchtung verstanden wissen will. Wenn eine derartige Maßnahme aber bereits bei vorhandenem Kinderwunsch und unmittelbarer Realisierung nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, muss dies umso mehr gelten, wenn wie im Fall des Klägers Kinderwunsch und Realisierung völlig offen sind. § 27a SGB V nennt als Leistungsvoraussetzung der künstlichen Befruchtung, zu der die begehrte Kryokonservierung letztlich führen soll, zahlreiche Bedingungen, deren Erfüllung keinesfalls vorausgesetzt werden kann. Selbst wenn dem aber so wäre, scheiterte ein Anspruch auf Sicherung dieses potentiellen Rechts daran, dass Kryokonservierung keine medizinische Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist. Dies hat das Bundessozialgericht wiederholt entschieden (Urteil vom 25. Mai 2000 in SozR 3-2500 § 27a Nr.1; Urteil vom 22. März 2005 in SozR 4-2500 § 27a Nr.1; Beschluss vom 9. Dezember 2004, B 1 KR 95/03 B). Dass dies nicht willkürlich ist, hat auch bereits der Senat in seinem Urteil vom 10. März 2006 (L 5 KR 242/05) deutlich gemacht.

Den Beweisanträgen des Klägers war nicht zu entsprechen, da ungeachtet der Notwendigkeit einer vorbeugenden Maßnahme gegen eine psychische Krankheit die Kryokonservierung und die damit zusammenhängenden ärztlichen Begleitleistungen unter keinem Aspekt zum gesetzlichen Leistungskatalog der Krankenversicherung gehören.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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