S 12 KA 889/05

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 889/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 44/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Teilnahmeberechtigt für den koordinierenden Versorgungssektor sind nur Vertragsärzte, die gemäß § 73 Ia SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Soweit die Vereinbarung zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach § 137f SGB V Koronare Herzkrankheit (KHK) auf der Grundlage des § 73a SGB V die Beschränkung der Teinahmeberechtigung auf diesen Personenkreis nur „grundsätzlich“ vorsieht, werden die Ausnahmen in Satz 4 des Abs. 2 des § 3 der Vereinbarung abschließend näher umschrieben. Danach kann ein Facharzt auch als koordinierender Leistungserbringer tätig werden, wenn er selbst an dem Programm teilnimmt. Ist dies nicht der Fall, besteht kein Anspruch auf Genehmigung zur Teilnahme als koordinierender Arzt.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Er hat auch die Gerichtskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung zur Teilnahme des Klägers als koordinierender Arzt an dem Desease-Management-Programm "Koronare Herzkrankheit".

Der Kläger ist als Internist mit Praxissitz in A. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist fachärztlich tätig. Er ist zugleich Belegarzt im Kreiskrankenhaus A ...

Mit Schreiben vom 28. und 29.07.2004 beantragte er die Teilnahme am Behandlungsprogramm "Koronare Herzkrankheit".

Mit Bescheid vom 03.05.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger nicht über die Berechtigung zur Stressechokardiographie verfüge. Weiter führte sie an, sie bemühe sich aber, diese Voraussetzung aus dem Vertrag herauszunehmen.

Mit Bescheid vom 10.05.2005 lehnte die Beklagte den Antrag nochmals ab. Darin führte sie aus, der Bescheid vom 03.05.2005 sei fehlerhaft. Zur Begründung führte sie nunmehr an, als Facharzt könne der Kläger am Behandlungsprogramm nicht teilnehmen. Die Teilnahme als Facharzt sei an die Erfüllung verschiedener Voraussetzungen gebunden. Sie bemühe sich jedoch, in Verhandlungen die Teilnahme der Fachärzte zu erleichtern.

Hiergegen legte der Kläger am 27.05.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, er als Internist und Diabetologe nehme er an der hausärztlichen Versorgung für Diabetiker teil. Eine große Zahl von Patienten werde von ihm dauerhaft hausärztlich, d. h. kontinuierlich seit mehr als 12 Monaten betreut. Auch im Desease-Management-Programm "Diabetes" sei er sowohl als koordinierender Hausarzt – für eigene Patienten – als auch als Facharzt - für überwiesene Patienten – zugelassen. Er bitte um Zulassung als Ausnahmefall nach § 3 der Vereinbarung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2005, zugestellt am 09.09., wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung führte sie aus, eine Teilnahme als koordinierender Arzt an dem Desease-Management-Programm "Koronare Herzkrankheit" setze die Teilnahme an diesem Programm voraus. Eine Teilnahme am Programm sei wiederum nur möglich bei einer gleichzeitigen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung gemäß § 4a der Vereinbarung zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach § 137f SGB V Koronare Herzkrankheit (KHK).

Hiergegen hat der Kläger am 05.10.2005 die Klage erhoben. Er trägt vor, die Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung sei keine unabdingbare Voraussetzung. Nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Vereinbarung seien Ausnahmen möglich. Es sei geradezu geboten, dass er auch seine hausärztlich versorgten Patienten des Diabetes-Programms am DMP KHK als koordinierender Arzt betreue. Nur um diese Patienten gehe es. Es sei auch gleichheitswidrig, dass Allgemeinärzte koordinierend tätig sein dürften.

Der Kläger beantragt,
die Bescheid der Beklagten vom 10.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Teilnahme als koordinierender Arzt an dem Disease-Management-Programm "Koronare Herzkrankheit" zu genehmigen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Widerspruchsbescheid für rechtmäßig und verweist auf diesen. Ergänzend führt sie aus, nach der Vereinbarung könnten Fachärzte als koordinierender Arzt nur bei gleichzeitiger Teilnahme als Facharzt an der Vereinbarung teilnehmen. Als Facharzt könne der Kläger aber nicht teilnehmen, da er nicht über die Berechtigung "Stressechokardiographie" verfüge. Eine weitergehende Ausnahme sehe die Vereinbarung nicht vor. Sie würde auch mit § 73a SGB V und der vom Gesetzgeber vorgegebenen hausärztlichen Versorgungsform kollidieren. Die DMP "Diabetes mellitus Typ II" sei allein zwischen dem Hausärzteverband und den Hessischen Krankenkassenverbänden ohne die Beklagte geschlossen worden. Später sei diesem Vertragswerk eine honorarvertragliche Vereinbarung zwischen der AOK Hessen, der IKK Hessen und ihr hinzugefügt worden. Eine Selbstbindung könne daraus nicht abgeleitet werden. Nur bei Erfüllung der objektiven Bedingungen eines Strukturvertrages bestehe ein Teilnahmerecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Klage ist zulässig. Gegenstand des Verfahrens war nur der Bescheid der Beklagten vom 10.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2005. Mit Bescheid vom 10.05.2005 hat die Beklagte den Bescheid vom 03.05.2005 aufgehoben. Gegen dessen Aufhebung wendet sich der Kläger auch nicht.

Die Klage ist aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.2005 ist rechtmäßig. Er war daher nicht aufzuheben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Genehmigung zur Teilnahme als koordinierender Arzt an dem Desease-Management-Programm "Koronare Herzkrankheit", d. h. nach der Vereinbarung zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach § 137f SGB V Koronare Herzkrankheit (KHK). Die Klage war abzuweisen.

Nach § 3 "Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des koordinierenden Versorgungssektors (koordinierender Arzt)" der zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der Beklagten geschlossenen und ab 01. Juni 2004 gültigen Vereinbarung zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach § 137f SGB V Koronare Herzkrankheit (KHK) auf der Grundlage des § 73a SGB V (im Folgenden: Vb-KHK) (veröffentlicht u. a. unter www.aok-gesundheitspartner.de) gilt folgendes:

(1) Die Teilnahme der Ärzte an diesem Programm ist freiwillig und erfordert eine besondere Bestätigung der KV Hessen.

(2) Teilnahmeberechtigt für den koordinierenden Versorgungssektor sind grundsätzlich Vertragsärzte, die gemäß § 73 Abs. 1a SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen und die Anforderungen an die Strukturqualität nach Anlage Nr. 1 "Strukturqualität koordinierender Arzt" erfüllen. Die Strukturqualität muss der Vertragsarzt zu Beginn der Teilnahme gegenüber der KV Hessen nachweisen. Die Überprüfung der Strukturqualität erfolgt entsprechend § 6. In Ausnahmefällen können ein zugelassener oder ermächtigter qualifizierter Facharzt oder eine qualifizierte Einrichtung gemäß den Anlagen Nr. 2 "Strukturqualität fachärztlicher Versorgungssektor" und Nr. 5 "Strukturqualität Krankenhaus," die für die Erbringung dieser Leistungen ermächtigt ist oder die nach § 116b SGB V an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnimmt, auch als koordinierende Leistungserbringer tätig werden, wenn diese an dem Programm teilnehmen. Dies gilt insbesondere für die Versorgung von Versicherten, die bereits vor der Einschreibung von diesem Vertragsarzt dauerhaft (mind. 12 Monate) betreut worden sind oder diese Betreuung aus medizinischen Gründen erforderlich ist.

Danach ist die Beklagte zuständig für die Erteilung der Genehmigung, die auch erforderlich ist (§ 3 Abs. 1 Vb-KHK). Teilnahmeberechtigt für den koordinierenden Versorgungssektor sind nur Vertragsärzte, die gemäß § 73 Abs. 1a SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Zu diesen Vertragsärzten gehört der Kläger nicht, da er an der fachärztlichen Versorgung teilnimmt. Soweit die Vb-KHK die Beschränkung der Teinahmeberechtigung auf diesen Personenkreis nur "grundsätzlich" vorsieht, werden die Ausnahmen in Satz 4 des Abs. 2 des § 3 Vb-KHK abschließend näher umschrieben. Danach kann ein Facharzt auch als koordinierender Leistungserbringer tätig werden, wenn er selbst an dem Programm teilnimmt. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Teilnahme als Facharzt nach § 4a Vb-KHK.

§ 4a Vb-KHK "Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des fachärztlichen Versorgungssektors" regelt für die Teilnahme eines Facharztes folgendes:

(1) Die Teilnahme der Vertragsärzte an diesem Programm ist freiwillig und erfordert eine besondere Bestätigung der KV Hessen.
(2) Teilnahmeberechtigt für die fachärztliche Versorgung ist der fachärztlich tätige Internist, - im Folgenden "Facharzt" genannt – wenn er die Voraussetzungen nach der Anlage Nr. 2 "Strukturqualität fachärztlicher Versorgungssektor" erfüllt. Die Strukturqualität muss der Facharzt zu Beginn der Teilnahme gegenüber der KV Hessen nachweisen. Die Über- prüfung der Strukturqualität erfolgt entsprechend § 6.

Anlage Nr. 2 "Strukturqualität fachärztlicher Versorgungssektor (nach § 4a)" zur Vb-KHK stellt verschiedene Voraussetzungen auf. Danach sind teilnahmeberechtigt für die kardiologisch qualifizierte Versorgung der zweiten Versorgungsstufe Vertragsärzte nach § 4a, die verschiedene Strukturvoraussetzungen erfüllen, u. a. müssen nach 1b) "Ausstattung der Kardiologischen Praxis (nicht-invasiv)" Mindestanforderungen der diagnostischen und therapeutischen Verfahren in der kardiologischen Vertragsarztpraxis erfüllt sein, insbesondere: farbkodierte Dopplerechokardiographie, Stressechokardiographie, EKG- Gerät für Ruhe- EKG (12 Ableitungen) und Belastungs-EKG; Langzeit- EKG; 24-Stunden- Blutdruckmessung. Der Kläger erfüllt, worauf die Beklagte unwidersprochen hingewiesen hat, jedenfalls nicht die Voraussetzung "Stressechokardiographie".

Im Übrigen hat ihn die Beklagte im Verwaltungsverfahren zutreffend auf die Rechtslage hingewiesen und hat der Kläger davon abgesehen, einen solchen Antrag nach § 4a Vb-KHK zu stellen.

Der Kläger verkennt mit seinem Vortrag hinsichtkich der Genehmigungsvoraussetzungen nach § 3 Vb-KHK, dass § 3 Abs. 2 Satz 4 Vb-KHK auf das "grundsätzlich" in Satz 1 zu beziehen ist und damit abschließend die Ausnahmefälle regelt. Der gesamte Vertrag baut auf der Trennung in eine haus- und fachärztliche Versorgung auf. Dies wird auch deutlich durch die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen nach §§ 3 und 4a Vb-KHK mit den Anlagen 1 und 2. Ausdrücklich ist nach den Anlagen 1 und 2 zwischen einer 1. Versorgungsstufe: Strukturvoraussetzung koordinierender Arzt (Anlage 1) und einer 2. Versorgungsstufe: Strukturvoraussetzungen der fachärztlichen (kardiologisch qualifizierten) Versorgung (Anlage 2) zu unterscheiden. Es ist Sache der Vertragsparteien, ggf. weitere Ausnahmefälle vorzusehen. Die Auslegungsvariante des Klägers bedeutet im Ergebnis eine unzulässige Vertragserweiterung. Das Anknüpfen an die Teilnahme an der haus- bzw. fachärztlichen Versorgung beruht auf der gesetzlichen Vorgabe in § 73 Abs. 1 SGB V und ist damit nicht willkürlich. Bei den Regelungen zum DMP "Diabetes" handelt es sich um andere, eigenständige Regelungen, die für eine Auslegung schon wegen der unterschiedlichen Vertragsparteien, worauf die Beklagte hingewiesen hat, nicht herangezogen werden können. Von daher kann dahinstehen, inwieweit Artikel 1 Nr. 9 a) aa) der 7. Verordnung zur Änderung des Risikostruktur-Ausgleichsverordnung vom 28.04.2003, Bundesgesetzblatt I, 553 für das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten herangezogen werden kann.

Im Übrigen sind Parteien der Gesamtverträge grundsätzlich überhaupt nicht verpflichtet, Strukturverträge zugunsten einzelner Leistungserbringer abzuschließen. Auch bei einer Beanstandung ergäbe sich daraus noch kein Anspruch einer nicht einbezogenen Arztgruppe auf Teilnahme an einem Strukturvertrag (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 10.11.2004 – L 12 KA 26/03 – www.sozialgerichtsbarkeit.de). Den Vertragspartnern kommt bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertragsärztliche Vergütung ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Die Überprüfungsgrundsätze zu schiedsamtsfähigen Gesamtverträgen sind auf die Überprüfung von nicht schiedsamtsfähigen Strukturverträgen nach § 73a SGB V nicht zu übertragen. Die gerichtliche Kontrolle ist somit noch weiter eingeschränkt als bei der Überprüfung von Gesamtverträgen und beschränkt sich damit auf gravierende Rechtsfehler (vgl. SG Dresden, Urt. v. 22.12.2004 - S 11 KA 369/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de m. w. Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Wie bereits ausgeführt, sind Rechtsfehler aber nicht ersichtlich.

Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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