Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 42/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 44/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Stützen die Zulassungsgremien eine Zulassungsentziehung auf die Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft wegen der Ausstellung unrichtiger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, so haben sie im Einzelnen zu benennen, um welche Vorwürfe es sich gehandelt hat, welche Zeugnisse wann weshalb unrichtig ausgestellt worden sein sollen. Der pauschale Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse genügt rechtsstaatlichen Mindestanforderungen in keinem Fall.
Die Entziehung der Zulassung eines Arztes wegen des Verdachts einer Straftat, aus der auf eine gröbliche Pflichtverletzung geschlossen werden kann, erfordert mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in die durch Art 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl die eigenständige Feststellung der Zulassungsgremien, dass das strafgerichtliche Verfahren mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe in ihrem wesentlichen Kern führt (ohne dass es darauf ankommt, ob eine Verurteilung wegen aller Vorwürfe erfolgt) (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 29.11.2005 – 1 R 12/05 – juris). Die lapidare Feststellung, die Substantiierung der Vorwürfe ergebe sich aus dem Umstand einer U-Haft als auch der Eröffnung der Hauptverhandlung, kann eine solche Prognose nicht ersetzen. Der Verweis auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen ersetzt nicht die Darlegung der eigenen Entscheidungsgrundlagen und die eigenständige Würdigung dieser Ermittlungsergebnisse.
Die Entziehung der Zulassung eines Arztes wegen des Verdachts einer Straftat, aus der auf eine gröbliche Pflichtverletzung geschlossen werden kann, erfordert mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in die durch Art 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl die eigenständige Feststellung der Zulassungsgremien, dass das strafgerichtliche Verfahren mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe in ihrem wesentlichen Kern führt (ohne dass es darauf ankommt, ob eine Verurteilung wegen aller Vorwürfe erfolgt) (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 29.11.2005 – 1 R 12/05 – juris). Die lapidare Feststellung, die Substantiierung der Vorwürfe ergebe sich aus dem Umstand einer U-Haft als auch der Eröffnung der Hauptverhandlung, kann eine solche Prognose nicht ersetzen. Der Verweis auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen ersetzt nicht die Darlegung der eigenen Entscheidungsgrundlagen und die eigenständige Würdigung dieser Ermittlungsergebnisse.
1. Der Beschluss vom 16.11.2005 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Zulassungsentziehung.
Der 1946 geborene und jetzt 59-jährige Kläger ist als Arzt seit 30.03.1993 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A. zugelassen.
Am 10.05.2005 beantragte die Beigeladene zu 1) die Entziehung der Zulassung des Klägers. Sie führte aus, sie habe zunächst nach einem Schreiben der BKK G. S. an den Zulassungsausschuss vom Mai 2004 keine Veranlassung gesehen, tätig zu werden. Der Kläger habe gegenüber den Herren K. und D. im Zeitraum Februar 2003 bis April 2004 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Es habe aber so ausgesehen, als hätten diese eine zu Unrecht ausgestellte Versichertenkarte vorgelegt, die vom Kläger ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen korrekt gewesen seien. Erst nach erneuter Prüfung auf Bitte der Staatanwaltschaft vom März 2005 stelle sie den Antrag. Die Staatsanwaltschaft werfe dem Kläger vor, durch 1.125 rechtlich selbständige Handlungen, davon in 558 Fällen gemeinschaftlich handelnd, ein unrichtiges Gesundheitszeugnis mit Betrugsabsicht ausgestellt zu haben. Nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen habe der Kläger zu Gunsten von nicht existierenden Versicherten, die bei nicht existierenden Firmen angestellt gewesen seien, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, im Wissen dass diese Personen nicht existent gewesen seien. Ein Herr G. habe diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insgesamt 558 Bescheinigungen, bei der AOK Hessen, AOK Sachsen und AOK Baden-Württemberg eingereicht und hierfür insgesamt 265.521,57 Euro Lohnfortzahlung auf der Grundlage des sog. Umlageverfahrens erhalten. Der Kläger habe für diese fiktiven Arbeitnehmer nicht erbrachte ärztliche Leistungen abgerechnet und hierfür in den Quartalen I/02 bis I/04 insgesamt ca. 6.700,00 Euro vergütet bekommen.
Mit Beschluss vom 21.06.2005, ausgefertigt am 27.06.2005 entzog der Zulassungsausschuss die Zulassung. Der Kläger habe die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung schwer gestört. Die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit sei fortgefallen. Allein die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) rechtfertige die Entziehung.
Hiergegen legte der Kläger am 19.07.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er habe keine Betrugsabsicht gehabt. Alle behandelten Patienten seien anwesend gewesen, er habe keine unrichtigen Gesundheitszeugnisse ausgestellt. Zu dem Bauunternehmer habe es weder direkten noch indirekten Kontakt gegeben. Er sehe sich nicht als verpflichtet an, die Legitimation der Patienten zu überprüfen. Es gebe einen Handel mit Versichertenkarten.
Mit Schriftsatz vom 11.11.2005 legte die Beigeladene zu 1) die Anklageschrift ohne weitere Unterlagen dem Beklagten vor. Eine Vervielfältigung sei nicht vorzunehmen. Ausschließlich die Seiten 1 – 3 und 262 – 264 seien als Auszug zur Akte zu nehmen.
Mit Beschluss vom 16.11.2005, ausgefertigt am 16.01.2006 und dem Kläger am 17.01.2006 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, selbst wenn die Anklage wegen Abrechnungsbetrugs nicht zugelassen worden sein sollte, so verblieben strafrechtliche Vorwürfe, die im Kernbereich ärztlicher Tätigkeit anzusiedeln seien. Die Vorwürfe seien substantiiert. Deshalb sei der Kläger seit dem 22.02.2005 in Untersuchungshaft. Es habe auch die Hauptverhandlung begonnen. Es sei der Beigeladenen zu 1) nicht zumutbar, erst eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung abzuwarten, da das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört sei. Es könnten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze einer Verdachtskündigung herangezogen werden. Aufgrund der Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens müsse davon ausgegangen werden, dass der Verdacht umfassend aufgeklärt sei und ein dringender Tatverdacht bestehe.
Hiergegen hat der Kläger am 20.01.2006 die Klage erhoben. Er trägt vor, das Strafverfahren habe zu einem Freispruch durch Urteil des LG Frankfurt am 27.01.2006 geführt. Es laufe noch ein Revisionsverfahren der Staatsanwaltschaft. Die Einleitung eines Strafverfahrens reiche jedenfalls nicht bei einem Freispruch für eine Zulassungsentziehung. Er rege an, das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ruhen zu lassen. Das LG habe lediglich festgestellt, dass bei 38 Patienten mit 360 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Manipulationen durch die Angestellten vor Ort erfolgt sein könnten. Er habe Krankschreibungen nur nach Untersuchung vorgenommen. Es sei auch die Größenordnung von 1.000 bis 2.000 Patienten pro Quartal zu berücksichtigen. Täglich fielen 5 – 6 Krankschreibungen an, in der Woche durchschnittlich 30, im Monat 120, im Quartal 360, im Jahr 1.500. Um welche Patienten es gehe, sei bisher nicht untersucht worden. Einige Patienten hätten auch bei anderen Ärzten entsprechendes vorgenommen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss vom 16.11.2005 und den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 21.06.2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, das Urteil des LG Frankfurts sei wegen des Revisionsverfahrens noch nicht rechtskräftig. Auch ergebe sich aus dem Urteil, dass der Kläger in gröblicher Weise seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe. In 360 Einzelfällen sei festgestellt worden, dass unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden seien, die alle die Originalunterschrift des Klägers trügen. Das LG habe nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt, dass die Unterschriftsleistungen bewusst in der Absicht geleistet worden seien, hiermit ein unrichtiges Gesundheitszeugnis zum Zwecke der Vorlage bei einer Versicherungsgesellschaft auszustellen. Damit stehe jedoch nur fest, dass das "innere" Tatbestandsmerkmal des § 278 StGB nicht nachzuweisen sei. Die äußeren Tatbestandsmerkmale seien jedoch zweifelsfrei erwiesen. Das LG habe festgestellt, dass der Kläger viele Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Gemeinsam sei den Fallvarianten hierfür, dass der Kläger regelmäßig Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Allein dies rechtfertige den Vorwurf der gröblichen Pflichtverletzung. Der Kläger sei auch seiner Organisationspflicht nur unvollkommen nachgekommen, wenn es möglich gewesen sei, dass das Praxispersonal in krimineller Weise für nicht existente Patienten Patientenakten und –karteikarten anlege. Der Kläger habe auch die Krankschreibung seiner Patienten großzügig gehandhabt. Er habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch auf telefonische Anfrage ausgestellt. Das LG gehe davon aus, dass der Kläger in dieser Weise wissentlich unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in die Welt gesetzt und damit hinreichenden Anlass zur Strafverfolgung gegeben habe. Wegen der Schwere der Verstöße stehe kein milderes Mittel zur Verfügung.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, aus dem Urteil des Landgerichts ergebe sich eindeutig, dass der Kläger seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe, Auf ein Verschulden komme es nicht an.
Die Beigeladenen zu 2) bis 8) haben keinen Antrag gestellt und sich schriftsätzlich zum Verfahren nicht geäußert.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 12.09.2005 die Beiladung ausgesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten und der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 7) und 8) tun, weil diese auf diese Möglichkeit hingewiesen und ordnungsgemäß geladen worden sind.
Der Beschluss vom 16.11.2005 war aufzuheben, weil eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist.
Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Eine Entscheidung kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen (§ 131 Abs. 5 Satz 1 und 4 SGG).
Die Zulassung ist zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt (§ 95 Abs. 6 SGB V).
Die Zulassung ist auch bei allen übrigen gröblichen Pflichtverletzungen aufzuheben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, ist eine Pflichtverletzung gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann. Nicht erforderlich ist, dass den Vertragsarzt ein Verschulden trifft; auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur Zulassungsentziehung führen (vgl. zuletzt BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, zitiert nach juris Rn. 17 m. w. N.). Wegen der Schwere des Eingriffs ist die Entziehung selbst immer ultima ratio. Die Zulassungsentziehung darf unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 - BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 23). Vorrangig kommen insbesondere Disziplinarmaßnahmen in Betracht; insb. ist als milderes Mittel die Anordnung des Ruhens (vgl. 95 Abs. 5) zu prüfen (vgl. LSG Berlin, Urteil v. 01.12.2004 – L 7 KA 13/03 – www.sozialgerichtsbarkeit.de; SG Frankfurt a. M., Urteil v. 14.06.2000 - S 28 KA 2499/99 – juris Rn. 25). Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung nicht vollzogener Entziehungsentscheidungen ist nach dem BSG die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, für die Beurteilung der Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz. Es handele sich hierbei um eine Ausnahme von dem in reinen Anfechtungssachen geltenden Grundsatz, wonach auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen sei. Aufgrund der Fortsetzung der vertragsärztlichen Tätigkeit gleiche die Fallgestaltung derjenigen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen, deren Rechtmäßigkeit ebenfalls unter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beurteilen sei (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 - BSGE 73, 234, = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 20; BSG, Urteil v. 29.09.1999 - B 6 KA 22/99 R - SozR 3-5520 § 25 Nr. 3, juris Rn. 25; BSG, Urteil v. 19.06.1996 - 6 BKa 25/95 – MedR 1997, 86, juris Rn. 8). Soweit das BSG neuerdings die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aufgreift, die gerade für Statussachen wie den Entzug einer Approbation oder die Entfernung aus dem Richteramt auch bei nicht vollzogenen Entziehungsentscheidungen grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abstellen, ergeben sich in der Sache keine Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung, weil das BSG weiterhin an vertragsärztlichen Besonderheiten festhält und aus der Bedeutung des Art. 12 GG folgert, es müsse auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, juris Rn. 21 ff.).
Für die Prüfung einer nicht vollzogenen Entziehungsentscheidung haben die Gerichte grundsätzlich alle Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten durch den betroffenen Arzt zu berücksichtigen, die vor der Entscheidung des Berufungsausschusses geschehen waren, auch wenn sie von diesem nicht verwertet wurden, soweit hierzu Beteiligte Umstände geltend machen, die Anlass für eine entsprechende Sachverhaltsermittlung ergeben. Soweit aber das Gericht die vom Berufungsausschuss seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Verfehlungen allein oder auch nur vorrangig im Hinblick auf ihre Dauer für eine Zulassungsentziehung nicht für ausreichend hält, müssen alle Umstände, auf die die Zulassungsentziehung gestützt ist, aufgeklärt werden. Das gilt namentlich für Verfehlungen des Arztes nach dem Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen, z. B. wegen unzulässiger Abrechnungen oder unwirtschaftlicher Behandlungen. Wenn die Verfahrensbeteiligten konkret vortragen, der Arzt habe sein pflichtwidriges Behandlungs- und/oder Abrechnungsverhalten auch noch nach der vom Zulassungsausschuss gewürdigten Zeitspanne fortgesetzt, müssen die Gerichte dem für den Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung nachgehen (vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, juris Rn. 23). Den Verfehlungen ist eine Prüfung des Wohlverhaltens gegenüberzustellen. Es ist zu prüfen, ob der Vertragsarzt im Laufe der Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung möglicherweise seine Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit durch verändertes Verhalten wiederhergestellt hat. Auf eine förmliche oder bestandskräftige Feststellung weiterer Pflichtenverstöße kommt es nicht an; es reicht jeder durch Tatsachen belegte Zweifel, ob tatsächlich eine wirkliche Verhaltensänderung eingetreten ist, um die Annahme eines rechtlich relevanten "Wohlverhaltens" auszuschließen (vgl. BSG, Urteil v. 19.06.1996 - 6 BKa 25/95 – MedR 1997, 86, juris Rn. 8). Eine "Bewährungszeit" von fünf Jahren soll nur in besonders gravierenden Fällen überschritten werden (vgl. BSG, Urteil v. 29.10.1986 - 6 RKa 32/86 - MedR 1987, 254 = USK 86179, juris Rn. 18; Hesral in: Ehlers, Alexander P. F. (Hrsg.): Disziplinarrecht und Zulassungsentziehung. Vertragsärzte/Vertragszahnärzte, München 2001, Rn. 483).
Der Beklagte hat im angefochtenen Beschluss vom 16.11.2005 die Entziehung mit den Tatvorwürfen begründet, die sich aus der während des Widerspruchverfahrens vorgelegten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. ergeben hätten. Der Beklagte benennt aber nicht im Einzelnen, um welche Vorwürfe es sich gehandelt hat, welche Zeugnisse wann weshalb unrichtig ausgestellt worden sein sollen. Soweit der Beklagte auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zurückgreift, hat er diese im Einzelnen darzustellen und sie einer eigenen Würdigung zu unterziehen. Der pauschale Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse genügt rechtsstaatlichen Mindestanforderungen in keinem Fall. Dies gilt auch für die weiteren Darlegungen, dass auch im Falle einer Anklagebeschränkung strafrechtliche Vorwürfe verblieben, die aufgrund ihres Charakters im Kernbestand ärztlicher bzw. vertragsärztlicher Tätigkeit anzusiedeln seien. Der Beklagte benennt auch hier nicht die einzelnen Taten und legt die Tatsachengrundlagen nicht dar.
Die Entziehung der Zulassung eines Arztes wegen des Verdachts einer Straftat, aus der auf eine gröbliche Pflichtverletzung geschlossen werden kann, erfordert mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in die durch Art 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl die eigenständige Feststellung des Beklagten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass das strafgerichtliche Verfahren zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe in ihrem wesentlichen Kern führt (ohne dass es darauf ankommt, ob eine Verurteilung wegen aller Vorwürfe erfolgt) (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 29.11.2005 – 1 R 12/05 – juris). Die lapidare Feststellung, die Substantiierung der Vorwürfe ergebe sich aus dem Umstand einer U-Haft als auch der Eröffnung der Hauptverhandlung, kann eine solche Prognose nicht ersetzen. Der Verweis auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen ersetzt nicht die Darlegung der eigenen Entscheidungsgrundlagen und die eigenständige Würdigung dieser Ermittlungsergebnisse.
Die fehlenden Ermittlungen können auch nicht durch Verweis auf das Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. ersetzt werden.
Soweit das Landgericht festgestellt hat, in 360 Einzelfällen seien unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden, die alle die Originalunterschrift des Klägers trügen, konnte es nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, dass die Unterschriftsleistungen bewusst in der Absicht geleistet worden sind, hiermit ein unrichtiges Gesundheitszeugnis zum Zwecke der Vorlage bei einer Versicherungsgesellschaft auszustellen. Das Landgericht hat zudem entgegen der Auffassung des Beklagten damit nicht nur den Nachweis für das "innere" Tatbestandsmerkmal des § 278 StGB verneint. Das Landgericht führt weiter aus, die Hauptverhandlung habe letztlich nicht vermocht aufzuklären, unter welchen Umständen die Unterschriften des Klägers auf die anklagegegenständlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gelangt seien. Insbesondere kann aber weder aus dem Urteil des Landgerichts noch aus den nachgeschobenen Ausführungen des Beklagten entnommen werden, welche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wann ohne Untersuchung und welche nach Untersuchung ausgestellt worden sind, den Versicherten aber nach Untersuchung eine Blankobescheinigung in die Hand zur Vorlage an der Rezeption ausgehändigt wurde. Die Kammer hält solche Ermittlungen für wesentlich um festzustellen, in welchem Umfang Pflichtverletzungen begangen worden sind. Das Ausmaß der Pflichtverletzung durch den Kläger selbst ist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von erheblicher Bedeutung. Nur dann kann gewürdigt werden, inwieweit den Beigeladenen eine weitere vertragsärztliche Tätigkeit des Klägers nicht mehr zumutbar ist, ob der Kläger zukünftig in der Lage ist, solche Pflichtenverstöße zu unterbinden und ob nicht im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Disziplinarmaßnahme ausreichend ist.
Gleiches gilt für den Hinweis des Beklagten, der Kläger sei auch seiner Organisationspflicht nur unvollkommen nachgekommen, wenn es möglich gewesen sei, dass das Praxispersonal in krimineller Weise für nicht existente Patienten Patientenakten und –karteikarten angelegt habe. Die näheren Umstände hat der Beklagte nicht dargelegt, er hätte wenigstens ausführen müssen, auf welche Ermittlungsergebnisse Dritter er sich bezieht und wie er diese würdigt.
Nach allem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Klage daher stattzugeben. Mit der Aufhebung des Beschlusses des Beklagten ist der Beschluss des Zulassungsausschusses obsolet. Die Kammer brauchte diesen daher nicht aufzuheben und auch nicht die Klage im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Zulassungsentziehung.
Der 1946 geborene und jetzt 59-jährige Kläger ist als Arzt seit 30.03.1993 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A. zugelassen.
Am 10.05.2005 beantragte die Beigeladene zu 1) die Entziehung der Zulassung des Klägers. Sie führte aus, sie habe zunächst nach einem Schreiben der BKK G. S. an den Zulassungsausschuss vom Mai 2004 keine Veranlassung gesehen, tätig zu werden. Der Kläger habe gegenüber den Herren K. und D. im Zeitraum Februar 2003 bis April 2004 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Es habe aber so ausgesehen, als hätten diese eine zu Unrecht ausgestellte Versichertenkarte vorgelegt, die vom Kläger ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen korrekt gewesen seien. Erst nach erneuter Prüfung auf Bitte der Staatanwaltschaft vom März 2005 stelle sie den Antrag. Die Staatsanwaltschaft werfe dem Kläger vor, durch 1.125 rechtlich selbständige Handlungen, davon in 558 Fällen gemeinschaftlich handelnd, ein unrichtiges Gesundheitszeugnis mit Betrugsabsicht ausgestellt zu haben. Nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen habe der Kläger zu Gunsten von nicht existierenden Versicherten, die bei nicht existierenden Firmen angestellt gewesen seien, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, im Wissen dass diese Personen nicht existent gewesen seien. Ein Herr G. habe diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insgesamt 558 Bescheinigungen, bei der AOK Hessen, AOK Sachsen und AOK Baden-Württemberg eingereicht und hierfür insgesamt 265.521,57 Euro Lohnfortzahlung auf der Grundlage des sog. Umlageverfahrens erhalten. Der Kläger habe für diese fiktiven Arbeitnehmer nicht erbrachte ärztliche Leistungen abgerechnet und hierfür in den Quartalen I/02 bis I/04 insgesamt ca. 6.700,00 Euro vergütet bekommen.
Mit Beschluss vom 21.06.2005, ausgefertigt am 27.06.2005 entzog der Zulassungsausschuss die Zulassung. Der Kläger habe die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung schwer gestört. Die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit sei fortgefallen. Allein die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) rechtfertige die Entziehung.
Hiergegen legte der Kläger am 19.07.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er habe keine Betrugsabsicht gehabt. Alle behandelten Patienten seien anwesend gewesen, er habe keine unrichtigen Gesundheitszeugnisse ausgestellt. Zu dem Bauunternehmer habe es weder direkten noch indirekten Kontakt gegeben. Er sehe sich nicht als verpflichtet an, die Legitimation der Patienten zu überprüfen. Es gebe einen Handel mit Versichertenkarten.
Mit Schriftsatz vom 11.11.2005 legte die Beigeladene zu 1) die Anklageschrift ohne weitere Unterlagen dem Beklagten vor. Eine Vervielfältigung sei nicht vorzunehmen. Ausschließlich die Seiten 1 – 3 und 262 – 264 seien als Auszug zur Akte zu nehmen.
Mit Beschluss vom 16.11.2005, ausgefertigt am 16.01.2006 und dem Kläger am 17.01.2006 zugestellt, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, selbst wenn die Anklage wegen Abrechnungsbetrugs nicht zugelassen worden sein sollte, so verblieben strafrechtliche Vorwürfe, die im Kernbereich ärztlicher Tätigkeit anzusiedeln seien. Die Vorwürfe seien substantiiert. Deshalb sei der Kläger seit dem 22.02.2005 in Untersuchungshaft. Es habe auch die Hauptverhandlung begonnen. Es sei der Beigeladenen zu 1) nicht zumutbar, erst eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung abzuwarten, da das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört sei. Es könnten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze einer Verdachtskündigung herangezogen werden. Aufgrund der Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens müsse davon ausgegangen werden, dass der Verdacht umfassend aufgeklärt sei und ein dringender Tatverdacht bestehe.
Hiergegen hat der Kläger am 20.01.2006 die Klage erhoben. Er trägt vor, das Strafverfahren habe zu einem Freispruch durch Urteil des LG Frankfurt am 27.01.2006 geführt. Es laufe noch ein Revisionsverfahren der Staatsanwaltschaft. Die Einleitung eines Strafverfahrens reiche jedenfalls nicht bei einem Freispruch für eine Zulassungsentziehung. Er rege an, das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens ruhen zu lassen. Das LG habe lediglich festgestellt, dass bei 38 Patienten mit 360 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Manipulationen durch die Angestellten vor Ort erfolgt sein könnten. Er habe Krankschreibungen nur nach Untersuchung vorgenommen. Es sei auch die Größenordnung von 1.000 bis 2.000 Patienten pro Quartal zu berücksichtigen. Täglich fielen 5 – 6 Krankschreibungen an, in der Woche durchschnittlich 30, im Monat 120, im Quartal 360, im Jahr 1.500. Um welche Patienten es gehe, sei bisher nicht untersucht worden. Einige Patienten hätten auch bei anderen Ärzten entsprechendes vorgenommen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss vom 16.11.2005 und den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 21.06.2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, das Urteil des LG Frankfurts sei wegen des Revisionsverfahrens noch nicht rechtskräftig. Auch ergebe sich aus dem Urteil, dass der Kläger in gröblicher Weise seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe. In 360 Einzelfällen sei festgestellt worden, dass unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden seien, die alle die Originalunterschrift des Klägers trügen. Das LG habe nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt, dass die Unterschriftsleistungen bewusst in der Absicht geleistet worden seien, hiermit ein unrichtiges Gesundheitszeugnis zum Zwecke der Vorlage bei einer Versicherungsgesellschaft auszustellen. Damit stehe jedoch nur fest, dass das "innere" Tatbestandsmerkmal des § 278 StGB nicht nachzuweisen sei. Die äußeren Tatbestandsmerkmale seien jedoch zweifelsfrei erwiesen. Das LG habe festgestellt, dass der Kläger viele Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Gemeinsam sei den Fallvarianten hierfür, dass der Kläger regelmäßig Blanko-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Allein dies rechtfertige den Vorwurf der gröblichen Pflichtverletzung. Der Kläger sei auch seiner Organisationspflicht nur unvollkommen nachgekommen, wenn es möglich gewesen sei, dass das Praxispersonal in krimineller Weise für nicht existente Patienten Patientenakten und –karteikarten anlege. Der Kläger habe auch die Krankschreibung seiner Patienten großzügig gehandhabt. Er habe Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch auf telefonische Anfrage ausgestellt. Das LG gehe davon aus, dass der Kläger in dieser Weise wissentlich unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in die Welt gesetzt und damit hinreichenden Anlass zur Strafverfolgung gegeben habe. Wegen der Schwere der Verstöße stehe kein milderes Mittel zur Verfügung.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, aus dem Urteil des Landgerichts ergebe sich eindeutig, dass der Kläger seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt habe, Auf ein Verschulden komme es nicht an.
Die Beigeladenen zu 2) bis 8) haben keinen Antrag gestellt und sich schriftsätzlich zum Verfahren nicht geäußert.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 12.09.2005 die Beiladung ausgesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Psychotherapeuten und der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 7) und 8) tun, weil diese auf diese Möglichkeit hingewiesen und ordnungsgemäß geladen worden sind.
Der Beschluss vom 16.11.2005 war aufzuheben, weil eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist.
Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Eine Entscheidung kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen (§ 131 Abs. 5 Satz 1 und 4 SGG).
Die Zulassung ist zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt (§ 95 Abs. 6 SGB V).
Die Zulassung ist auch bei allen übrigen gröblichen Pflichtverletzungen aufzuheben. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), von der abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht, ist eine Pflichtverletzung gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch sie das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit der Abrechnungen durch den Vertragsarzt so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann. Nicht erforderlich ist, dass den Vertragsarzt ein Verschulden trifft; auch unverschuldete Pflichtverletzungen können zur Zulassungsentziehung führen (vgl. zuletzt BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, zitiert nach juris Rn. 17 m. w. N.). Wegen der Schwere des Eingriffs ist die Entziehung selbst immer ultima ratio. Die Zulassungsentziehung darf unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur ausgesprochen werden, wenn sie das einzige Mittel zur Sicherung und zum Schutz der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 - BSGE 73, 234 = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 23). Vorrangig kommen insbesondere Disziplinarmaßnahmen in Betracht; insb. ist als milderes Mittel die Anordnung des Ruhens (vgl. 95 Abs. 5) zu prüfen (vgl. LSG Berlin, Urteil v. 01.12.2004 – L 7 KA 13/03 – www.sozialgerichtsbarkeit.de; SG Frankfurt a. M., Urteil v. 14.06.2000 - S 28 KA 2499/99 – juris Rn. 25). Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche und tatsächliche Beurteilung nicht vollzogener Entziehungsentscheidungen ist nach dem BSG die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, für die Beurteilung der Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz. Es handele sich hierbei um eine Ausnahme von dem in reinen Anfechtungssachen geltenden Grundsatz, wonach auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen sei. Aufgrund der Fortsetzung der vertragsärztlichen Tätigkeit gleiche die Fallgestaltung derjenigen bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkungen, deren Rechtmäßigkeit ebenfalls unter Berücksichtigung nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beurteilen sei (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.1993 - 6 RKa 70/91 - BSGE 73, 234, = SozR 3-2500 § 95 Nr. 4, juris Rn. 20; BSG, Urteil v. 29.09.1999 - B 6 KA 22/99 R - SozR 3-5520 § 25 Nr. 3, juris Rn. 25; BSG, Urteil v. 19.06.1996 - 6 BKa 25/95 – MedR 1997, 86, juris Rn. 8). Soweit das BSG neuerdings die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs aufgreift, die gerade für Statussachen wie den Entzug einer Approbation oder die Entfernung aus dem Richteramt auch bei nicht vollzogenen Entziehungsentscheidungen grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abstellen, ergeben sich in der Sache keine Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung, weil das BSG weiterhin an vertragsärztlichen Besonderheiten festhält und aus der Bedeutung des Art. 12 GG folgert, es müsse auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden (vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, juris Rn. 21 ff.).
Für die Prüfung einer nicht vollzogenen Entziehungsentscheidung haben die Gerichte grundsätzlich alle Verletzungen vertragsärztlicher Pflichten durch den betroffenen Arzt zu berücksichtigen, die vor der Entscheidung des Berufungsausschusses geschehen waren, auch wenn sie von diesem nicht verwertet wurden, soweit hierzu Beteiligte Umstände geltend machen, die Anlass für eine entsprechende Sachverhaltsermittlung ergeben. Soweit aber das Gericht die vom Berufungsausschuss seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Verfehlungen allein oder auch nur vorrangig im Hinblick auf ihre Dauer für eine Zulassungsentziehung nicht für ausreichend hält, müssen alle Umstände, auf die die Zulassungsentziehung gestützt ist, aufgeklärt werden. Das gilt namentlich für Verfehlungen des Arztes nach dem Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen, z. B. wegen unzulässiger Abrechnungen oder unwirtschaftlicher Behandlungen. Wenn die Verfahrensbeteiligten konkret vortragen, der Arzt habe sein pflichtwidriges Behandlungs- und/oder Abrechnungsverhalten auch noch nach der vom Zulassungsausschuss gewürdigten Zeitspanne fortgesetzt, müssen die Gerichte dem für den Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung nachgehen (vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2004 – B 6 KA 67/03 R – BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr. 9, juris Rn. 23). Den Verfehlungen ist eine Prüfung des Wohlverhaltens gegenüberzustellen. Es ist zu prüfen, ob der Vertragsarzt im Laufe der Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung möglicherweise seine Eignung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Tätigkeit durch verändertes Verhalten wiederhergestellt hat. Auf eine förmliche oder bestandskräftige Feststellung weiterer Pflichtenverstöße kommt es nicht an; es reicht jeder durch Tatsachen belegte Zweifel, ob tatsächlich eine wirkliche Verhaltensänderung eingetreten ist, um die Annahme eines rechtlich relevanten "Wohlverhaltens" auszuschließen (vgl. BSG, Urteil v. 19.06.1996 - 6 BKa 25/95 – MedR 1997, 86, juris Rn. 8). Eine "Bewährungszeit" von fünf Jahren soll nur in besonders gravierenden Fällen überschritten werden (vgl. BSG, Urteil v. 29.10.1986 - 6 RKa 32/86 - MedR 1987, 254 = USK 86179, juris Rn. 18; Hesral in: Ehlers, Alexander P. F. (Hrsg.): Disziplinarrecht und Zulassungsentziehung. Vertragsärzte/Vertragszahnärzte, München 2001, Rn. 483).
Der Beklagte hat im angefochtenen Beschluss vom 16.11.2005 die Entziehung mit den Tatvorwürfen begründet, die sich aus der während des Widerspruchverfahrens vorgelegten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt a. M. ergeben hätten. Der Beklagte benennt aber nicht im Einzelnen, um welche Vorwürfe es sich gehandelt hat, welche Zeugnisse wann weshalb unrichtig ausgestellt worden sein sollen. Soweit der Beklagte auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zurückgreift, hat er diese im Einzelnen darzustellen und sie einer eigenen Würdigung zu unterziehen. Der pauschale Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse genügt rechtsstaatlichen Mindestanforderungen in keinem Fall. Dies gilt auch für die weiteren Darlegungen, dass auch im Falle einer Anklagebeschränkung strafrechtliche Vorwürfe verblieben, die aufgrund ihres Charakters im Kernbestand ärztlicher bzw. vertragsärztlicher Tätigkeit anzusiedeln seien. Der Beklagte benennt auch hier nicht die einzelnen Taten und legt die Tatsachengrundlagen nicht dar.
Die Entziehung der Zulassung eines Arztes wegen des Verdachts einer Straftat, aus der auf eine gröbliche Pflichtverletzung geschlossen werden kann, erfordert mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in die durch Art 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl die eigenständige Feststellung des Beklagten mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass das strafgerichtliche Verfahren zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe in ihrem wesentlichen Kern führt (ohne dass es darauf ankommt, ob eine Verurteilung wegen aller Vorwürfe erfolgt) (vgl. OVG Saarland, Urteil v. 29.11.2005 – 1 R 12/05 – juris). Die lapidare Feststellung, die Substantiierung der Vorwürfe ergebe sich aus dem Umstand einer U-Haft als auch der Eröffnung der Hauptverhandlung, kann eine solche Prognose nicht ersetzen. Der Verweis auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen ersetzt nicht die Darlegung der eigenen Entscheidungsgrundlagen und die eigenständige Würdigung dieser Ermittlungsergebnisse.
Die fehlenden Ermittlungen können auch nicht durch Verweis auf das Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. ersetzt werden.
Soweit das Landgericht festgestellt hat, in 360 Einzelfällen seien unrichtige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt worden, die alle die Originalunterschrift des Klägers trügen, konnte es nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, dass die Unterschriftsleistungen bewusst in der Absicht geleistet worden sind, hiermit ein unrichtiges Gesundheitszeugnis zum Zwecke der Vorlage bei einer Versicherungsgesellschaft auszustellen. Das Landgericht hat zudem entgegen der Auffassung des Beklagten damit nicht nur den Nachweis für das "innere" Tatbestandsmerkmal des § 278 StGB verneint. Das Landgericht führt weiter aus, die Hauptverhandlung habe letztlich nicht vermocht aufzuklären, unter welchen Umständen die Unterschriften des Klägers auf die anklagegegenständlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gelangt seien. Insbesondere kann aber weder aus dem Urteil des Landgerichts noch aus den nachgeschobenen Ausführungen des Beklagten entnommen werden, welche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wann ohne Untersuchung und welche nach Untersuchung ausgestellt worden sind, den Versicherten aber nach Untersuchung eine Blankobescheinigung in die Hand zur Vorlage an der Rezeption ausgehändigt wurde. Die Kammer hält solche Ermittlungen für wesentlich um festzustellen, in welchem Umfang Pflichtverletzungen begangen worden sind. Das Ausmaß der Pflichtverletzung durch den Kläger selbst ist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von erheblicher Bedeutung. Nur dann kann gewürdigt werden, inwieweit den Beigeladenen eine weitere vertragsärztliche Tätigkeit des Klägers nicht mehr zumutbar ist, ob der Kläger zukünftig in der Lage ist, solche Pflichtenverstöße zu unterbinden und ob nicht im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Disziplinarmaßnahme ausreichend ist.
Gleiches gilt für den Hinweis des Beklagten, der Kläger sei auch seiner Organisationspflicht nur unvollkommen nachgekommen, wenn es möglich gewesen sei, dass das Praxispersonal in krimineller Weise für nicht existente Patienten Patientenakten und –karteikarten angelegt habe. Die näheren Umstände hat der Beklagte nicht dargelegt, er hätte wenigstens ausführen müssen, auf welche Ermittlungsergebnisse Dritter er sich bezieht und wie er diese würdigt.
Nach allem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und der Klage daher stattzugeben. Mit der Aufhebung des Beschlusses des Beklagten ist der Beschluss des Zulassungsausschusses obsolet. Die Kammer brauchte diesen daher nicht aufzuheben und auch nicht die Klage im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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