S 29 AS 1100/05

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 1100/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 01.01.2005 bis 30.04.2005 Leistungen nach SGB II mit der Maßgabe zu bewilligen, dass das an die Klägerin gezahlte BAföG in Höhe von 192,00 EUR monatlich nicht als Einkommen angerechnet wird.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosengeld II um die Berück-sichtigung des an die Klägerin gezahlten BAföG als Einkommen bzw. um die Absetzbar-keit von Ausbildungskosten.

Die Klägerin absolviert eine Ausbildung zum Staatlich geprüften Sozialassistenten (Pfle-ger). Für den Besuch der Berufsschule zahlt sie ein Schulgeld in Höhe von 180,00 EUR zahlen müsse. Hinzu kommen monatliche Fahrtkosten von 21,00 EUR.

Mit Bescheid vom 27.12.2004 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26.04.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen nach SGB II. Dabei berücksichtigte sie das wegen des Besuchs einer Berufsfachschule an die Klägerin gezahlte BAföG in Höhe von 192,00 EUR monatlich als Einkommen der Klägerin.

Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Bescheid vom 25.08.2005 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die am 23.09.2005 erhobene Klage.

Die Klägerin macht geltend, dass es sich bei dem Schulgeld und den Fahrtkosten analog § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II um notwendige Ausgaben zur Einkommenserzielung handele. Hilfsweise sei die Zahlung als zweckgebunden nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt:

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte macht geltend, dass es sich bei der BAföG-Zahlung nicht um Einkommen aus Erwerbstätigkeit handele. Laut Gesetzesbegründung seien jedoch nur von diesem Wer-bungskosten abzusetzen. Das BAföG solle den Schulbesuch finanzieren, es werde jedoch nicht mit den damit verbundenen Ausgaben erwirtschaftet.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Diese sowie die in der Klageakte enthaltenen Schriftsätze waren Gegenstand der Erörterung. Hierauf und auf den übrigen Akteninhalt einschließlich der Sitzungsniederschrift vom 19.06.2006 wird zur Er-gänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

I.

Die o.g. Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1, 2 Satz 1 SGG).

Die Klägerin hat Anspruch gegen die Beklagte auf Leistungen nach SGB II ohne Berück-sichtigung des gezahlten BAföG als Einkommen.

Der in § 7 Abs. 5 SGB II geregelte Ausschluss von Auszubildenden, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes förderungsfähig ist, von den Leistun-gen nach SGB II findet im Falle der Klägerin nach § 7 Abs. 6 SGB II keine Anwendung.

Es kann dahinstehen, ob die Absetzungen nach § 11 Abs. 2 SGB II nach dem Gesetzes-zweck tatsächlich nur von Erwerbseinkommen möglich sind. Denn das an die Klägerin gezahlte BAföG ist nach § 11 Abs. 3 SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Nach dieser Regelung sind Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Die Zweckbestimmung von Ein-nahmen kann sich dabei ausdrücklich aus dem Gesetz, jedoch auch aus dessen Sinn und Zweck ergeben.

Hier liegt eine gesetzliche Zweckbestimmung vor. Die BAföG-Leistung der Klägerin be-stimmt sich nach § 12 Bundesausbildungsförderungsgesetz. Diese Regelung findet sich im Abschnitt III – Leistungen &8722;, welcher mit § 11 &8722; Umfang der Ausbildungsförderung – wie folgt eingeleitet wird:

"(1) Ausbildungsförderung wird für den Lebensunterhalt und die Ausbildung ge-leistet (Bedarf).

"

Nachfolgend wird der monatliche Bedarf nach § 12 Abs. 1 Ziff. 1 BAföG im Falle der Klägerin mit 192,00 EUR angesetzt. Eine weitere Aufschlüsselung des Bedarfs in einen Anteil für den Lebensunterhalt und einen Anteil für die Ausbildung findet nicht statt.

Würde man die BAföG-Zahlung, wie dies die Beklagte mit dem Bescheid getan hat, voll-ständig als Einkommen berücksichtigen, bliebe von dem gesetzlichen Zweck nichts übrig. § 11 Abs. 3 SGB II hat aber gerade die Zielrichtung, eine solche Vereitelung eines aus-drücklich mit einer Leistung verbundenen gesetzlichen Zwecks zu verhindern.

Es ist daher zu fragen, wie dem gesetzlichen Zweck Rechnung getragen werden kann. Da-bei ist davon auszugehen, dass für eine Ausbildung je nach Zielrichtung und Verfügbarkeit durchaus unterschiedliche Kosten anfallen, welche einer Pauschalierung schwer zugäng-lich sind.

Eine Verweisung von Leistungsempfängern auf schulgeldfreie Ausbildungen scheidet nach Überzeugung der Kammer aus. Insofern ist zu berücksichtigen, dass in vielen Bereichen, wie z.B. dem der Klägerin oder auch dem Bereich der Physiotherapie, so gut wie keine tatsächlichen Ausbildungsmöglichkeiten verfügbar sind, welche schulgeldfrei absolviert werden können. Ein Großteil der Berufsausbildung wird zunehmend außerhalb des klassi-schen dualen Systems durch Ausbildungen im Geltungsbereich der Schulgesetze der Län-der angeboten. Hier sind Schulgeldzahlungen üblich. Eine Verweisung auf schulgeldfreie Ausbildungen würde zu einer erheblichen Einschränkung der Möglichkeiten zur Persön-lichkeitsentwicklung führen.

Auch eine Pauschalierung ist nicht möglich, da nicht von vornherein absteckbar ist, welche Anteile aus der BAföG-Leistung für Schulgeld, welche für den Weg zu einer auswärtigen Ausbildungsstätte und welche ggf. für bestimmte Lehr- und Hilfsmittel aufgewandt werden müssen. Eine Lösung ist daher nach Auffassung der Kammer nur dadurch möglich, dass das BAföG, soweit es nachweisbar und in angemessener Weise zu Ausbildungszwecken verwandt wird, als zweckbestimmte Einnahme behandelt wird. Denn in diesem Fall ist auch die weitere Alternative erfüllt, dass es die Lage des Empfängers nicht so günstig be-einflusst, dass daneben Leistungen nach SGB II nicht gerechtfertigt wären. Sobald das BA-föG nachweisbar zu Ausbildungszwecken verwandt ist, steht es nicht mehr zur Deckung anderweitiger Bedarfe zur Verfügung und kann also die Lage des Empfängers nicht mehr günstig beeinflussen.

Die Zahlung des monatlichen Schulgeldes und die in unstreitiger Höhe erforderlichen Fahrtkosten zum Aufsuchen der Berufsschule stellen eine zweckbestimmte Verwendung des BAföG dar und sind also nicht als Einnahme anzusetzen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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