L 23 B 96/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 950/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 96/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Kabelfernsehentgelte für ihre Wohnung in der L Straße in B.

Die Antragstellerin bezieht laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch SGB XII. Am 27. März 2006 beantragte sie bei dem Antragsgegner die Übernahme der Kabelfernsehentgelte für den Empfang diverser Fernseh- und Hörfunkprogramme. Die Berechnung der Kabelfernsehentgelte war bis zum 31. Januar 2006 Bestandteil der Mietnebenkosten. Ab dem 01. Februar 2006 erfolgt die Berechnung auf der Grundlage von Einzelnutzerverträgen mit der anbietenden Gesellschaft. Das einmalige Anschussentgelt beträgt 33,23 EUR, das monatliche Entgelt 10,99 EUR.

Mit Bescheid vom 29. März 2006 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kabelfernsehentgelte mit der Begründung ab, dass diese nicht mehr im Mietvertrag enthalten seien und somit nicht als Kosten der Unterkunft anerkannt werden könnten. Der Bescheid konnte der Antragstellerin nicht zugestellt werden.

Mit Schreiben vom 11. April 2006 rügte die Antragstellerin die – vermeintliche - Untätigkeit des Antragsgegners und beantragte, ihr zumindest einen Vorschuss für das monatliche Kabelfernsehentgelt in Höhe von 10,99 EUR zu gewähren; bei einem Vertragsschluss bis zum 20. April 2006 entfalle das Anschlussentgelt von 33,23 EUR.

Die Antragsgegnerin bestätigte mit Schreiben vom 12. April 2006 den Eingang des "Widerspruchs" vom 11. April 2006, ein Widerspruchsbescheid ist bisher nicht ergangen. Am 18. April 2006 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin den Erlass der einstweiligen Anordnung beantragt. Zur Begründung führt sie aus, dass die ihr gewährte Sozialhilfe nicht ausreiche, um den Bedarf für das einmalige Anschlussentgelt und für das monatliche Kabelfernsehentgelt zu decken. Die ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel lägen deutlich unter dem Existenzminimum. Zudem sei sie mit einem GdB von 90 und dem Merkzeichen "RF" als Schwerbehinderte anerkannt. Aufgrund der Schwere ihrer Behinderung sei ihr eine Teilnahme am Leben nur durch das Fernsehgerät möglich. Nach den örtlichen Empfangsbedingungen sei sie auf den Kabelanschluss in der Wohnung angewiesen. Daher stellten sich die Kabelfernsehentgelte als Aufwendungen dar, die ihr zum Erhalt der Teilnahme am Leben zwangsläufig erwachsen würden; ihr Rechtsanspruch ergebe sich daher auch aus den §§ 53 ff. SGB XII.

Der Antragsgegner ist diesem Antrag im Wesentlichen mit dem Argument entgegengetreten, dass der Abschluss eines Vertrages mit einem privaten Anbieter nicht als Teil der Unterkunftskosten gemäß § 29 SGB XII gewertet werden könne. Gebühren für Kabelfernsehen seien nur dann Bestandteil der Wohnungskosten, wenn sie Bestandteil des Mietvertrages seien, dort nicht gesondert ausgewiesen würden und nicht einzeln kündbar seien.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag mit Beschluss vom 26. April 2006 abgelehnt. In der Begründung heißt es im Wesentlichen: Kosten des Kabelfernsehens würden als Aufwendungen für Freizeit, Kultur und Unterhaltung vom Regelsatz nach § 28 SGB XII umfasst und seien hieraus zu bestreiten. Die Gewährung der Kostenübernahme komme auch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte in Betracht, da es anderenfalls zu einer dem Sozialhilferecht widersprechenden doppelten Bedarfsdeckung käme.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 03. Mai 2006), verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Die Kosten des Kabelfernsehens seien nicht vom Regelsatz nach § 28 SGB XII umfasst, weil in ihrem besonderen Fall der Regelbedarf, der bereits um 12,15 EUR (Energiepauschale) gekürzt sei, nicht ausreiche, um ihren Bedarf zu decken. Die unzureichenden Regelleistungen erfüllten in ihrem besonderen Fall nicht die Anforderungen an das soziokulturelle Existenzminimum. Daher sei das Sozialstaatsgebot verletzt. Die Festsetzungen der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes verstießen sowohl gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz GG (Menschenwürde) als auch gegen das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip. Denn eine Anpassung der Regelsätze habe seit dem Jahr 2003 nicht mehr stattgefunden. Es sei daher davon auszugehen, dass die Eckregelsätze der Sozialhilfe heute 16 % unter dem notwendigen Bedarf für die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt lägen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kabelfernsehentgelte für die Wohnung in der L Straße , B, zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend. Soweit die Antragstellerin die Höhe der Regelsätze in der Sozialhilfe in Frage stelle, sei dies nicht Gegenstand des Verfahrens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung ZPO ). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Ein Anspruch der Antragstellerin folgt insbesondere nicht aus § 29 SGB XII (Leistungen für Unterkunft und Heizung). Kabelfernsehentgelte können allenfalls dann als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, wenn sie nicht zur Disposition des Leistungsempfängers stehen, dieser sie also nicht im Einvernehmen mit dem Vermieter als Mietnebenkosten ausschließen kann (BVerwG, Urteil vom 28. November 2001 5 C 9/01 juris). Da die Kabelfernsehentgelte nach den Angaben der Antragstellerin aus den Mietkosten ausgegliedert wurden und vom Anbieter des Kabelanschlusses gesondert in Rechnung gestellt werden, stellen sie, wie bereits das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, keine Kosten der Unterkunft im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII dar.

Die Antragstellerin hat die Kosten der Nutzung des Kabelfernsehens somit aus dem ihr gewährten Regelsatz nach § 28 SGB XII zu bestreiten. Denn der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und bestimmter Sonderbedarfe wird nach Regelsätzen erbracht (§ 28 Abs. 1 SGB XII).

Kosten für den Anschluss an technische Einrichtungen wie hier das Breitbandkabelnetz , die den Fernsehempfang ermöglichen, sind der Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zuzuordnen (BVerwG, a. a. O.). Der Bedarf der Antragstellerin weicht insoweit auch seiner Höhe nach nicht erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und ist daher nicht gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII abweichend von den Festsetzungen im Regelsatz festzulegen.

Entgegen den Auffassungen der Antragstellerin ist in ihrem Fall auch nicht unter Beachtung des Sozialstaatsgebots oder ihres Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ein höherer Regelsatz zu Grunde zu legen als er mit Regelsatzfestsetzungsverordnung der Berliner Landesregierung vom 24. Juni 2005 – Regelsatzfestsetzungs-VO - (GVBl. S. 343) bestimmt wurde. Die Festlegung der Regelsatzhöhe verstößt weder gegen das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG noch verletzt es die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde der Antragstellerin. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet als unmittelbar geltendes Recht (vgl. BVerfGE 6, 32, 41) den Staat, Hilfe denjenigen zu leisten, die hilfebedürftig sind. Die Hilfe muss als Leistungsmaß die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellen (BVerfGE 40, 121, 133). Das in Art. 20 Abs. 1 GG unbestimmt formulierte Prinzip des Sozialstaates bedarf jedoch im hohen Maße der Konkretisierung durch den Gesetzgeber sowie einer Präzisierung durch die Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 65, 182, 193). Zu den materiellen Vorgaben für den Gesetzgeber bei der Festlegung von Sozialhilfeleistungen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: "Der Gesetzgeber besitzt in diesem Bereich ein weites Gestaltungsermessen; er darf bestimmen, in welchem Umfang unter Berücksichtigung des insgesamt vorhandenen Finanzvolumens und der sonstigen Staatsaufgaben Haushaltsmittel für die Aufgaben der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt und in Anspruch genommen werden sollen. Diesen Spielraum überschreitet der Gesetzgeber erst dann, wenn die dafür vorgesehenen Mittel und dementsprechend die vorgesehenen Leistungen erkennbar und eindeutig zur Erfüllung der sozialen Verpflichtung des Staates gegenüber in Not geratenen Mitbürgern unzureichend sind, also den sozialen Mindestvoraussetzungen nicht mehr entsprechen." (BVerfGE 70, 278, 288; 40, 121, 133). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann - insbesondere im Lichte des von § 28 Abs. 4 SGB XII geforderten Lohnabstandsgebots - von einer Verletzung des Sozialstaatsgebots oder der Menschenwürde keine Rede sein. Zu beachten ist hierbei auch, dass der Gesetzgeber nicht jeden Einzelfall im Blick haben und insofern jedes Detail des menschlichen Bedarfes regeln muss; er darf typisieren, verallgemeinern und generelle Regelungen schaffen (vgl. BVerwGE 102, 366).

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Übernahme der Kabelfernsehentgelte im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß §§ 53 ff. SGB XII. Ob die Antragstellerin zu dem begünstigten Personenkreis des § 53 SGB XII zu zählen ist, kann hier dahinstehen. Denn der Leistungsempfänger nach dem SGB XII hat keinen Anspruch auf Doppelversorgung in dem Sinne, dass er die Gewährung von demselben Zweck dienenden Leistungen nach verschiedenen Vorschriften des SGB XII zweimal fordern dürfte. Dies wäre aber der Fall, wenn der Antragstellerin sowohl die Kosten für das Kabelfernsehen als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch SGB IX als auch der hierfür im Regelsatz vorgesehenen Betrag zugesprochen würde. Eine solche Doppelleistung widerspräche dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsprinzip.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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