Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 4463/05 AK-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2117/06 AK-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2006 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 3 AS 4141/05 ER zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und sachlich in vollem Umfang begründet.
Nach Erledigung des auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. September 2005 gerichteten und kostenrechtlich ein selbständiges Verfahren darstellenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes S 3 AS 4141/05 ER war auf Antrag der Antragstellerin in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin der Antragstellerin Kosten zu erstatten hat. Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-1500 § 193 Nr. 2). Ganz vorrangiger Maßstab sind dabei die rückschauend zu prüfenden Erfolgsaussichten des verfolgten Begehrens (vgl. BSG SozR Nrn. 3, 4, 7 zu § 193 SGG), wobei aber auch andere für eine gerechte Kostenentscheidung maßgebende Kriterien mit einbezogen werden können (ständige Rechtsprechung des Senats).
Bis zum dem Widerspruch der Antragstellerin ganz abhelfenden Bescheid vom 17. Oktober 2005, mit dem der Bescheid über die zum 1. Oktober 2005 verfügte Entziehung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) vom 20. September 2005 aufgehoben wurde, hatte der auf § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gestützte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs aller Voraussicht nach Erfolg. Dieser Antrag war statthaft, weil der Widerspruch der Antragstellerin nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung hatte; er war auch sonst zulässig. Dem Antrag hätte auch stattgegeben werden müssen, weil bei summarischer Prüfung der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. September 2005 aller Voraussicht nach erfolgreich gewesen wäre.
Die Antragsgegnerin hat die Entziehung ganz offensichtlich auf § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützt und damit begründet, dass die Antragstellerin zwei - auch nicht als formeller Verwaltungsakt ergangene - Aufforderungen zum die leistungsrechtliche Beratung bezweckenden persönlichen Erscheinen am 25. August 2005 und 6. September 2005 nicht gefolgt sei und diese Termine nicht wahrgenommen habe. Jedenfalls die Voraussetzungen für ein persönliches Erscheinen nach der in den Aufforderungen genannten Bestimmung des § 61 SGB I waren nicht erfüllt. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass die weiteren Rechtsvoraussetzungen für eine Entziehung in § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB I sowie § 66 Abs. 2 SGB I vorgelegen haben. Im übrigen steht eine auf § 66 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB I gestützte Entziehung im Ermessen der Behörde (vgl. zuletzt BSG SozR 4 - 4300 § 119 Nr. 3; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11 a AL 13/06 R - in Juris); dieses Ermessen ist aber von der Antragsgegnerin nicht ausgeübt worden, ohne dass ein Sachverhalt, der eine Ermessensreduzierung auf Null nahe legen könnte, vorliegt. Soweit nach § 59 SGB II die Vorschriften über die allgemeine Meldepflicht nach § 309 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) entsprechend gelten und für die die leistungsrechtliche Beratung bezweckende Aufforderung zum persönlichen Erscheinen die Voraussetzungen von § 309 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III erfüllt wären, kann eine Nichtwahrnehmung der Meldeaufforderungen nur mit der Absenkung des Alg II nach Maßgabe der § 66 SGB I verdrängenden Spezialregelung des § 31 Abs. 2 SGB II geahndet werden. Eine Absenkung, über die auch nicht schriftlich belehrt worden ist, ist indes nicht verfügt worden. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), zu der die Behörde auch anhören muss (vgl. § 43 Abs. 4 SGB X), erfüllt. Im übrigen entspricht es sachgemäßem Ermessen, die Antragsgegnerin deshalb mit den Kosten zu belasten, weil diese mit der Vollabhilfe des Widerspruchs dem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz die Grundlage entzogen hat und der Antragstellerin sogar mehr als das zugestanden hat, was diese mit dem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz erreichen konnte. Ein Sachverhalt, der es rechtfertigen könnte, die Antragsgegnerin nicht oder nur teilweise zur Kostenerstattung zu verpflichten, liegt nicht vor. Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertreten hat, der Eilantrag sei rechtsmissbräuchlich gewesen, weil die Antragstellerin mit dem Widerspruch zwei Wochen zugewartet, den Eilantrag aber schon vier Tage später gestellt habe, vermag der Senat der Vorinstanz nicht zu folgen. Zum einen ist nicht bekannt, wann die Antragstellerin den Entziehungsbescheid erhalten hat. Zum anderen ist ihr auch eine angemessene Überlegungs- und Prüfungsfrist einzuräumen, innerhalb der sie sich schlüssig werden kann, ob sie gegen den Bescheid vorgehen will und ob sie deswegen einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten ihres Vertrauens und welchen einschalten soll. Im übrigen setzt der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keine besondere Eilbedürftigkeit voraus, was die Vorinstanz aber offensichtlich anzunehmen scheint.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 3 AS 4141/05 ER zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und sachlich in vollem Umfang begründet.
Nach Erledigung des auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. September 2005 gerichteten und kostenrechtlich ein selbständiges Verfahren darstellenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes S 3 AS 4141/05 ER war auf Antrag der Antragstellerin in entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin der Antragstellerin Kosten zu erstatten hat. Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-1500 § 193 Nr. 2). Ganz vorrangiger Maßstab sind dabei die rückschauend zu prüfenden Erfolgsaussichten des verfolgten Begehrens (vgl. BSG SozR Nrn. 3, 4, 7 zu § 193 SGG), wobei aber auch andere für eine gerechte Kostenentscheidung maßgebende Kriterien mit einbezogen werden können (ständige Rechtsprechung des Senats).
Bis zum dem Widerspruch der Antragstellerin ganz abhelfenden Bescheid vom 17. Oktober 2005, mit dem der Bescheid über die zum 1. Oktober 2005 verfügte Entziehung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) vom 20. September 2005 aufgehoben wurde, hatte der auf § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gestützte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs aller Voraussicht nach Erfolg. Dieser Antrag war statthaft, weil der Widerspruch der Antragstellerin nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung hatte; er war auch sonst zulässig. Dem Antrag hätte auch stattgegeben werden müssen, weil bei summarischer Prüfung der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. September 2005 aller Voraussicht nach erfolgreich gewesen wäre.
Die Antragsgegnerin hat die Entziehung ganz offensichtlich auf § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützt und damit begründet, dass die Antragstellerin zwei - auch nicht als formeller Verwaltungsakt ergangene - Aufforderungen zum die leistungsrechtliche Beratung bezweckenden persönlichen Erscheinen am 25. August 2005 und 6. September 2005 nicht gefolgt sei und diese Termine nicht wahrgenommen habe. Jedenfalls die Voraussetzungen für ein persönliches Erscheinen nach der in den Aufforderungen genannten Bestimmung des § 61 SGB I waren nicht erfüllt. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass die weiteren Rechtsvoraussetzungen für eine Entziehung in § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB I sowie § 66 Abs. 2 SGB I vorgelegen haben. Im übrigen steht eine auf § 66 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB I gestützte Entziehung im Ermessen der Behörde (vgl. zuletzt BSG SozR 4 - 4300 § 119 Nr. 3; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11 a AL 13/06 R - in Juris); dieses Ermessen ist aber von der Antragsgegnerin nicht ausgeübt worden, ohne dass ein Sachverhalt, der eine Ermessensreduzierung auf Null nahe legen könnte, vorliegt. Soweit nach § 59 SGB II die Vorschriften über die allgemeine Meldepflicht nach § 309 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) entsprechend gelten und für die die leistungsrechtliche Beratung bezweckende Aufforderung zum persönlichen Erscheinen die Voraussetzungen von § 309 Abs. 1 und Abs. 2 SGB III erfüllt wären, kann eine Nichtwahrnehmung der Meldeaufforderungen nur mit der Absenkung des Alg II nach Maßgabe der § 66 SGB I verdrängenden Spezialregelung des § 31 Abs. 2 SGB II geahndet werden. Eine Absenkung, über die auch nicht schriftlich belehrt worden ist, ist indes nicht verfügt worden. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), zu der die Behörde auch anhören muss (vgl. § 43 Abs. 4 SGB X), erfüllt. Im übrigen entspricht es sachgemäßem Ermessen, die Antragsgegnerin deshalb mit den Kosten zu belasten, weil diese mit der Vollabhilfe des Widerspruchs dem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz die Grundlage entzogen hat und der Antragstellerin sogar mehr als das zugestanden hat, was diese mit dem Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz erreichen konnte. Ein Sachverhalt, der es rechtfertigen könnte, die Antragsgegnerin nicht oder nur teilweise zur Kostenerstattung zu verpflichten, liegt nicht vor. Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertreten hat, der Eilantrag sei rechtsmissbräuchlich gewesen, weil die Antragstellerin mit dem Widerspruch zwei Wochen zugewartet, den Eilantrag aber schon vier Tage später gestellt habe, vermag der Senat der Vorinstanz nicht zu folgen. Zum einen ist nicht bekannt, wann die Antragstellerin den Entziehungsbescheid erhalten hat. Zum anderen ist ihr auch eine angemessene Überlegungs- und Prüfungsfrist einzuräumen, innerhalb der sie sich schlüssig werden kann, ob sie gegen den Bescheid vorgehen will und ob sie deswegen einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten ihres Vertrauens und welchen einschalten soll. Im übrigen setzt der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keine besondere Eilbedürftigkeit voraus, was die Vorinstanz aber offensichtlich anzunehmen scheint.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
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