L 16 R 1555/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 10 RA 1110/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1555/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM).

Der am 1952 geborene Kläger hatte keine Berufsausbildung absolviert. Er war seit August 1967 in verschiedenen ungelernten bzw. angelernten Tätigkeiten versicherungspflichtig be-schäftigt. Ab dem 01. Mai 1994 war er – unter Entrichtung freiwilliger Beiträge zur gesetzli-chen Rentenversicherung - als selbstständiger Pflasterer und Straßenbauer tätig, und zwar bis zum 18. August 2002, dem Tag, an dem er einen Schlaganfall mit erheblichen Folgeerschei-nungen erlitt; seither geht der Kläger keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. In der Zeit vom 01. Mai 1991 bis zum 11. Juni 1991 hatte der Kläger aufgrund einer seinerzeit vom früheren Ar-beitsamt (AA) Offenburg verhängten Sperrzeit (Bescheid vom 30. Juli 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 1992; Prozessvergleich im Verfahren bei dem Sozi-algericht – SG – Potsdam – S 2b Ar 342/92 – vom 17. November 1992) keine rentenrechtli-chen Zeiten zurückgelegt; auf den Versicherungsverlauf vom 28. August 2002 wird im Übri-gen Bezug genommen.

Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 aufgrund folgender Leiden: Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, Hirnschädigung mit Sprachstörung, Halbseitenteillähmung rechts, arterielle Verschlusskrankheit der Halsschlag-ader rechts, Diabetes mellitus (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung Potsdam vom 24. Februar 2003). Die Merkzeichen "B" und "G" wurden zuerkannt.

Im August 2002 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen verminderter Er-werbsfähigkeit. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 2003 ab mit der Begründung, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in der Person des Klägers im Hin-blick auf die am 18. August 2002 eingetretene volle EM nicht erfüllt seien. Der Kläger habe in dem danach maßgebenden Fünfjahreszeitraum keine 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Darüber hinaus sei die Zeit vom 01. Januar 1984 bis zum 31. Juli 2002 nicht durchgehend mit Beiträgen oder Anwartschaftserhaltungszeiten belegt.

Das SG Potsdam hat mit Urteil vom 25. Mai 2005 die auf Gewährung von Rente wegen voller EM ab Antragstellung gerichtete Klage im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den angefoch-tenen Widerspruchsbescheid gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen.

Mit der – nicht begründeten – Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Aus seinem Vorbringen ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 12. Dezember 2002 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 27. November 2003 zu verurteilen, ihm ab 01. August 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des SG Potsdam S 2b Ar 342/92, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Ge-richtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen könne, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für er-forderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers, mit der dieser seine statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leis-tungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG (nur) auf Gewährung von Rente wegen voller EM für die Zeit ab 01. August 2002 (Antragsmonat) weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller EM für die Zeit ab 01. August 2002 bzw. ab 01. September 2002 (vgl. § 99 Abs. Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür sind in der Person des Klägers nicht erfüllt.

Der von dem Kläger erhobene Anspruch bestimmt sich nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) in der seit dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung (im Folgenden ohne Zusatz zitiert), weil der Kläger seinen Rentenantrag im August 2002 ge-stellt hat und Rente wegen voller EM ausschließlich für Zeiträume nach dem 31. Dezember 2000 geltend macht (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI). Die Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Be-schäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EM voraus (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus muss volle EM vorliegen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Die besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung der so genannten Drei-Fünftel-Belegung nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 eingeführt und betrifft alle Fälle, in denen volle EM nach dem 31. Dezember 1983 eingetreten ist. Lag eine EM – wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind – bis zu diesem Zeitpunkt bereits vor, bestand und besteht ein Anspruch auf Rente wegen EM bereits ohne die Drei-Fünftel-Belegung allein durch die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kläger ist frühestens seit seinem schweren Schlaganfall vom 18. August 2002 voll erwerbsgemindert; Anhaltspunkte für eine vor diesem Zeitpunkt eingetretene EM sind weder von ihm selbst vorgetragen worden noch im Übrigen ersichtlich. Das Erfordernis der so genannten Drei-Fünftel-Belegung im maßgebenden Rahmenzeitraum vom 18. August 1997 bis zum 17. August 2002 ist mithin nicht erfüllt. Denn der Kläger hat in diesem Rahmenzeitraum keine Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet, sondern ausschließlich freiwillige Beiträge, und zwar seit dem 01. Mai 1994. Auch für jeden nach dem 18. August 2002 eingetretenen Leistungsfall der vollen EM liegt die erforderliche Drei-Fünftel-Belegung nicht vor.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht ab-sehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmark-tes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Hiervon ausgehend kann eine volle EM des Klägers frühestens seit dem 18. August 2002 vorliegen, wobei mangels durchgeführter medizinischer Ermittlungen dahinstehen kann, ob der Kläger seit diesem Tag tatsächlich nicht mehr über ein Leistungsvermögen verfügt, mit dem er in der Lage wäre, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Denn selbst wenn dies zugunsten des Klägers zu un-terstellen ist, sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewäh-rung von Rente wegen voller EM insoweit – wie hinsichtlich der Drei-Fünftel-Belegung bereits dargelegt – nicht erfüllt, und zwar auch für jeden nach dem 18. August 2002 eingetretenen Leistungsfall.

Der Kläger hat für die Zeit ab 01. Januar 1984 auch nicht durchgehend Anwartschaftserhal-tungszeiten im Sinne des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zurückgelegt. Nach der genannten Vor-schrift sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der EM für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt, haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der EM mit Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Zeiten, die nur deshalb nicht beitrags-freie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag , eine beitragsfreie Zeit oder eine der nachfolgenden Zeiten liegt, Berücksichtigungszeiten, Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähig-keit oder Zeiten des gewöhnlichen Aufenthaltes im Beitrittsgebiet vor dem 01. Januar 1992 belegt ist. Der Kläger hat zwar die allgemeine Wartezeit vor dem 01. Januar 1984 erfüllt, er hat jedoch bis zum frühesten – denkbaren - Eintritt der EM am 18. August 2002 nicht durchgehend Anwartschaftserhaltungszeiten zurückgelegt. Aufgrund der vom früheren AA Offenburg bin-dend verhängten Sperrzeit gemäß § 119 i. V. mit § 119a Arbeitsförderungsgesetz besteht eine Lücke im Versicherungsverlauf vom 01. Mai 1991 bis zum 11. Juni 1991, die der Kläger auch nicht mehr durch die nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge schließen kann. Diese Sperrzeit stellt keine Anrechnungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung dar, weil der Kläger in dieser Zeit keine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen und auch nicht nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen hatte (vgl. § 58 Abs. 1 Satz1 Nr. 3 SGB VI). Bloße Überbrückungstatbestände sind keine Anwartschaftserhaltungszei-ten im Sinne von § 241 Abs. 2 SGB VI. Der Kläger hatte in der Zeit vom 1. Mai 1991 bis zum 11. Juni 1991 seinen gewöhnlichen Aufenthalt auch noch nicht im Beitrittsgebiet, sondern lebte in O im S (vgl. Lohnsteuerkarte 1991, Bescheid des AA Offenburg vom 30. Juli 1991).

Die so genannte Drei-Fünftel-Belegung ist auch dann entbehrlich, wenn die volle EM aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (vgl. § 43 Abs. 5 SGB VI). Auch ein derartiger Tatbestand liegt bei dem Kläger nicht vor, weil er jedenfalls nicht wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit, einer Wehr- oder Zivil-dienstbeschädigung oder wegen eines Gewahrsams vermindert erwerbsfähig geworden ist und die volle EM auch nicht vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung eingetre-ten ist (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB VI).

Der Kläger kann auch zur Anwartschaftserhaltung rückwirkend keine freiwilligen Beiträge mehr zahlen. Denn freiwillige Beiträge sind grundsätzlich nur wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (vgl. § 197 Abs. 2 SGB VI). Zwar kann in Fällen besonderer Härte nach § 197 Abs. 3 SGB VI, insbesondere bei drohendem Verlust der Anwartschaft auf eine Rente, auf Antrag des Versicherten die Zahlung von Beiträgen auch nach Ablauf der genannten Frist zugelassen werden, wenn der Versicherte an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden gehindert war. Dies ist jedoch vorlie-gend nicht der Fall. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger an der recht-zeitigen Zahlung freiwilliger Beiträge ohne Verschulden hinsichtlich der Lücke vom 01. Mai 1991 bis zum 11. Juni 1991 gehindert gewesen wäre. Auch Rechtsunkenntnis oder wirtschaftli-che Schwierigkeiten begründen keine Schuldlosigkeit des Versicherten an der nicht erfolgten Beitragszahlung. Im Übrigen scheidet eine nachträgliche Zahlung von Beiträgen für Zeiträume vor dem 1. Januar 1992 auf der Grundlage von § 197 Abs. 3 SGB VI aus, weil diese Vorschrift keine Wiedereröffnung der Beitragsentrichtungsfristen des bis zum 31. Dezember 1991 maß-geblichen Rechts (vgl. § 1418 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung) zulässt (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2001 – B 13 RJ 73/99 R = SozR 3-2600 § 197 Nr. 4).

Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist eine Zulas-sung des Klägers zur Zahlung freiwilliger Beiträge für die genannte Lücke nicht möglich. Der Herstellungsanspruch ist von der Rechtsprechung entwickelt worden. Er verpflichtet die Be-hörde dort, wo dem Versicherten durch Verwaltungsfehler ein Nachteil in seinen sozialen Rechten entstanden ist, den sozialrechtlichen Zustand herzustellen, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte. Da es sich nicht um einen Schadensersatz-anspruch handelt, setzt der Herstellungsanspruch kein Verschulden voraus (vgl. BSGE 49,76). In Betracht käme hier nach Lage der Sache nur ein Beratungsfehler, der dazu geführt hat, dass es der Kläger mangels ausreichender Informationen versäumt hat, rechtzeitig freiwillige Bei-träge zur Rentenversicherung zu zahlen und damit seine Anwartschaft auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu sichern. Anhaltspunkte für einen derartigen Beratungsfehler der Beklagten oder eines anderen Sozialleistungsträgers (vgl. bei Beratungs-fehlern anderer Behörden: BSGE 51,89; BSG SozR 1200 § 14 Nr. 19, 29) sind jedoch nicht ersichtlich. Das AA Offenburg hatte vielmehr den Kläger bereits mit dem Sperrzeitbescheid vom 30. Juli 1991 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Sperrzeit keine Ausfallzeit (=Anrechnungszeit) in der gesetzlichen Rentenversicherung sei, was sich insbesondere für die Anwartschaft auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nachteilig auswirken könne. Der Kläger möge sich deshalb unbedingt bei seinem Rentenversicherungsträger über die Möglich-keiten einer freiwilligen Beitragszahlung informieren. Eines erneuten Hinweises des AA nach Erledigung des sozialgerichtlichen Verfahrens bei dem SG Potsdam (- S 2b Ar 342/92 - ) hat es nicht bedurft (vgl. nur anders bei fehlendem Hinweis im Verwaltungsverfahren: BSG SozR 3-5750 Art. 2 § 6 Nr. 17). Aufgrund des Rentenantrages des Klägers vom August 2002 käme nur noch eine Zahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit ab 01. Januar 2002 in Betracht, die der Kläger ohnehin entrichtet hatte. Damit ist ihm aber eine Schließung der Lücke in seinem Ver-sicherungsverlauf nicht mehr möglich. Etwaige beratungsrelevante Kontakte zu anderen Be-hörden sind für den maßgeblichen Zeitraum nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved