L 12 AS 1362/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1177/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1362/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 09.02.2006 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch die Gewährung eines befristeten Zuschlags zum Arbeitslosengeld im Streit.

Der Kläger bezog bis zum 03.08.2003 Arbeitslosengeld in Höhe von 241,29 EUR wöchentlich und anschließend bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 209,93 EUR wöchentlich. Die Klägerin bezog zuletzt bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 129,78 EUR wöchentlich; sie hat anders als der Kläger innerhalb der beiden letzten Jahre vor dem 01.01.2005 kein Arbeitslosengeld bezogen.

Im September 2004 beantragten die Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie gaben bei der Antragstellung an, als Lebenspartner zusammen zu leben. Außerdem belegten sie monatliche Mietkosten in Höhe von 538,41 EUR.

Mit Änderungsbescheid vom 21.12.2004 bewilligte die Beklagte den Klägern für den Zeitraum von Januar bis Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1164,97 EUR monatlich.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass ihm aufgrund der Höhe des zuvor gezahlten Arbeitslosengeldes ein "Härtefallzuschuss" zu gewähren sei. Den mit seinem Widerspruch zunächst ebenfalls verfolgten Anspruch auf einen Fahrtkostenzuschuss hat der Kläger im Berufungsverfahren fallen gelassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.3.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Höhe der Leistungen nach dem SGB II sei zutreffend berechnet worden. Den Klägern stünde als Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft jeweils ein Regelsatz von 311 EUR zu. Zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung ergebe sich die bereits ausgezahlte monatliche Gesamtleistung von 1164,97 EUR. Ein befristeter Zuschlag nach § 24 SGB II könne nicht gewährt werden, weil das zu zahlende Arbeitslosengeld II (einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung) höher sei als das bis zum 03.08.2003 bezogene Arbeitslosengeld (I) des Klägers in Höhe von 1045,59 EUR (hierbei ermittelte die Beklagte das monatlich gewährte Arbeitslosengeld - Alg - nach folgender Formel: 241,29 EUR wöchentlich gewährtes Alg I x 13: 3 = monatlich gewährtes Alg).

Deswegen haben die Kläger am 29.03.2005 beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Das von der Beklagten als Vergleichsmaßstab herangezogene Arbeitslosengeld sei dem Kläger alleine gewährt worden, weswegen ist nicht mit dem Gesamtbetrag der den beiden Klägern gewährten Leistungen nach dem SGB II verglichen werden dürfe.

Die Beklagte trat der Klage mit dem Argument entgegen, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 SGB II ausdrücklich auf einen Vergleich des zuvor einer Einzelperson gewährten Arbeitslosengeldes und des der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu zahlenden Arbeitslosengeldes II ankomme.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2006 als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des befristeten Zuschlags nach § 24 SGB II verwies das SG zur Begründung seiner Entscheidung auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid. Zusätzlich wies das SG darauf hin, dass der Anspruch auf einen Ausgleichzuschlag nur in den von dem Gesetz (§ 24 SGB II) geregelten Fällen bestehe. Allein die Tatsache, dass vor dem 01.01.2005 ein höherer Leistungsanspruch bestanden habe, begründe keinen Anspruch auf den Ausgleichzuschlag. Kürzung sozialer Leistungen (und von Löhnen und Gehältern) habe es in jüngster Zeit außer vielen Gebieten gegeben.

Die Kläger haben am 9.03.2006 beim SG Berufung eingelegt. Zwar treffe es zu, dass es zuletzt zahlreiche Leistungskürzungen gegeben habe. Der Gesetzgeber habe jedoch auch zur Abfederung von Härten beim Übergang von der Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II einen Ausgleich gewollt und hierfür die Leistung nach § 24 SGB II geschaffen. Zusammengerechnet hätten die Kläger vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II deutlich höhere Leistungen erhalten, wofür der Gesetzgeber die Ausgleichsleistung des § 24 SGB II geschaffen habe. Lebten die Kläger getrennt, stünde dem Kläger der Ausgleichsbetrag zweifelsfrei zu. Es sei für den Kläger nicht nachvollziehbar, dass er auf den Ausgleichsbetrag verzichten müsse, weil er mit einer anderen Alg II-Bezieherin zusammen lebe.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 21.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen zusätzlich einen befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, die Akten des SG und die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II innerhalb von 2 Jahren nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld bezieht, erhält er in diesem Zeitraum einen monatlichen Zuschlag. Nach Ablauf des ersten Jahren wird der Zuschlag um 50 v.H. gemindert. Der Zuschlag beträgt 2/3 des Unterschiedsbetrages zwischen

1. dem von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld und dem nach dem Wohngeldgesetz erhaltenen Wohngeld und 2. dem an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlenden Arbeitslosengeld II nach § 19 Satz 1 Nr. 1 sowie Satz 2 oder das Sozialgeld nach § 28 SGB III (§ 24 Abs. 1 und 2 SGB II).

Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, haben die Kläger zwar dem Grunde nach gem. § 24 Abs. 1 SGB II einen Anspruch auf den Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld bis zur Beendigung der Arbeitslosigkeit. Jedoch wird der Zuschlag gem. § 24 Abs. 2 SGB II nur dann bezahlt, wenn das von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuletzt bezogene Arbeitslosengeld und Wohngeld, das dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen zu zahlende Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld übersteigt. Dies ist bei dem Kläger, der zuletzt monatlich Arbeitslosengeld von 1045,59 EUR bezogen hat, nicht der Fall. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des Zuschlags nach § 24 SGB II bereits deswegen nicht, weil sie innerhalb der letzten beiden Jahre vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II kein Arbeitslosengeld bezogen hat. Auch die der Klägerin zuletzt gewährte Arbeitslosenhilfe lag indes unter dem Betrag der nach dem SGB II gewährten Leistungen. Beide Beträge für sich genommen übersteigen nicht den nach dem SGB II an die Kläger gemeinsam bezahlten Betrag von 1164,97 EUR, weshalb ein Anspruch auf den Zuschlag nicht besteht.

Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten begegnet diese Regelung keinen durchgreifenden Bedenken. Der Senat verweist auf seine Entscheidung vom 25.04.2006 (L 12 AS 5081/05), in der er bereits dargelegt hat, dass im Ergebnis eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantierten Gleichheitsgrundrechts nicht vorliegt.

Art. 3 Abs. 1 GG, der hier vor allem als Prüfungsgegenstand heranzuziehen ist, gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern. Daher unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Er darf nicht eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 87, 1 (36); 92, 53 (68 f.); 95, 143 (153 f); 96, 315 (325); 100, 59 (90)). Er kann grundsätzlich entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen (vgl. BVerfGE 94, 241 (260), st.Rspr.).

Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (vgl. BVerfGE 55, 72 (88); 58, 369 (373 f.); 60, 123 (133 f.); 60, 323 (346); 62, 256 (274); 72, 141 (150); 82, 126 (146)). Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, ob eine Ungleichbehandlung Auswirkungen auf grundrechtlich gesicherte Freiheiten hat (vgl. BVerfGE 62, 256 (274)). Der Gesetzgeber unterliegt hier, wenn er gleichgelagerte Sachverhalte ungleich behandelt, einer strengen Bindung (vgl. BVerfGE 82, 126 (146)).

Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie im vorliegenden Fall ist der Gesetzgeber allerdings berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Eine zulässige Typisierung setzt jedoch voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 84, 348 (360); 87, 234 (255 f.), stRspr), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 63, 119 (128); 84, 348 (360); 100, 59 (90)).

Ein Anspruch der Kläger auf den Zuschlag zum ALG II besteht nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 2 SGB II deshalb nicht, weil jeder der Kläger, die kein Wohngeld bezogen haben, für sich weniger Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bezogen hat, als beiden gemeinsam als Bedarfsgemeinschaft an ALG II zusteht. Ein Zuschlag wäre jedoch dann zu zahlen, wenn einer der beiden Kläger Arbeitslosengeld in der von beiden gemeinsam an Arbeitslosengeld II bezahlten Höhe bezogen hätte, der andere Partner jedoch kein Einkommen erzielt hätte. Ein Zuschlag wäre auch bereits dann zu zahlen, wenn einer der beiden Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld von über 1164,97 EUR bezogen hätte. Somit wäre beispielsweise einem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, in der einer der Partner allein Arbeitslosengeld in Höhe des gemeinsam von den Klägern zustehenden Arbeitslosengeld bezogen hat, gem. § 24 Abs. 2 und 3 SGB II ein Zuschlag bis zu 320 EUR im ersten Jahr und 160 EUR im zweiten Jahr zu gewähren. Ein Ehepaar mit einem Alleinverdiener, der Arbeitslosengeld, das höher als der Anspruch der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II ist, bezogen hat, könnte somit schon bei einem niedrigeren Anspruch auf Arbeitslosengeld, als er den Klägern gemeinsam zustand, den Zuschlag zum AL II bezahlt bekommen. Entscheidend dafür, ob den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft der Zuschlag zum Arbeitslosengeld zu zahlen ist, ist daher auch, wie die Ansprüche auf Arbeitslosengeld unter den Mitgliedern verteilt waren. Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften, bei denen der Anspruch auf Arbeitslosengeld ganz oder überwiegend einem Mitglied zustand, werden gegenüber den Mitgliedern von Bedarfsgemeinschaften bevorzugt, bei denen - bei gleicher Höhe der Ansprüche auf Arbeitslosengeld insgesamt - die Ansprüche gleichmäßig auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt waren.

Diese Ungleichbehandlung kann aber noch nicht als Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG angesehen werden. Bei den Leistungen nach § 20 SGB II (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes) handelt es sich um pauschalierte Beträge (345 EUR für Alleinstehende und 311 EUR für Partner ab Beginn des 19. Lebensjahres in den neuen Bundesländern), die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind. Die Höhe des Bedarfs wird in § 20 SGB II pauschalierend bestimmt.

Der Zuschlag zum Arbeitslosengeld II ist keine bedarfsabhängige Leistung. Vielmehr sieht der Gesetzgeber typisierend-abstrakt einen Kompensationsbedarf, wenn Bedürftigkeit im Hinblick auf die Leistungen aus § 19 Satz 11 SGB II besteht (Rixen in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II § 24, Rdnr. 3). Grundsätzlich erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige jedoch lediglich die in § 19 Abs. 1 SGB II vorgesehenen Leistungen zur Sicherheit des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Zuschlag nach § 24 SGB II ist auf zwei Jahre befristet und vermindert sich um 50 v. H. nach Ablauf des ersten Jahres. Es bei einer Bedarfsgemeinschaft auf maximal 320 EUR begrenzt.

In Anbetracht der oben genannten Grundsätze, wonach der Gesetzgeber berechtigt ist, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu erlassen, wenn die hiermit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sind und es sich um Massenerscheinungen handelt, kommt der Senat zu dem Schluss, dass die im Falle der Kläger vorliegende Ungleichbehandlung im Vergleich mit Bedarfsgemeinschaften, in denen ein Mitglied allein oder zum überwiegenden Teil Arbeitslosengeld bezogen hat, das den Anspruch der Bedarfsgemeinschaft auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld übersteigt (etwa in einer Alleinverdiener-Ehe), diese Ungleichbehandlung noch hingenommen werden muss. Dies insbesondere deshalb, weil es sich bei dem Zuschlag zum Arbeitslosengeld II um einen eng begrenzten Ausnahmezustand handelt, der den finanziellen Abstand zwischen dem Arbeitslosengeld und dem Arbeitslosengeld II für eine befristete Zeit und mit abnehmender Tendenz abmildern soll. Zudem spielt es bei der Gewährung des Zuschlages zum Arbeitslosengeld II grundsätzlich keine Rolle, ob und wenn ja auf welche Weise andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in der Zeit vor dem Bezug des Arbeitslosengeld II Einkommen erzielt haben. Die Ungleichbehandlung beschränkt sich somit lediglich auf die Fälle, in denen mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vor dem Arbeitslosengeld II Arbeitslosengeld bezogen haben. Es handelt sich somit nur um eine eng begrenzte Anzahl von Fällen so dass hierin noch keine Verletzung des Art. 3 GG zu sehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Ziffer1 SGG zu gelassen.
Rechtskraft
Aus
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